Читать книгу Heart & Hazard Series - Schatten der Vergangenheit, Bd. 2 - S.L. March - Страница 9
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Kapitel 3
Sebastian Schmidts unterdrückte den Fluch, der ihm auf den Lippen lag. So oft wie die neue Arzthelferin versuchte, die Vene zu erwischen, würde sein Arm morgen sicher grün und blau sein.
„Entschuldigen Sie bitte.“
„Schon gut.“ Er schaute der Frau auf die Finger, dessen lilafarbene Fingernägeln deutlich unter den Einweghandschuhen erkennbar waren. Ein hässlicheres Lila hätte sie sich bei der blassen Haut nicht aussuchen können.
„Normalerweise nehmen wir nach fünf Uhr keine Patienten mehr an.“ Sie drückte den Kolben hinunter. Sein Blick wanderte zu der Uhr. Der Zeiger stand auf halb sechs.
„Ja, ich habe den Termin heute Morgen leider vergessen. Es ist mir erst auf der Arbeit wieder eingefallen. Danke, dass ich jetzt trotzdem kommen durfte. Ich hatte gehofft, Doctor Murley noch zu begegnen.“
„Doctor Murley wurde zu einem Notfall gerufen.“
„Oh. Er wollte mir eigentlich ein neues Schmerzmittel geben, weil das alte nicht mehr richtig wirkt. Hat er vielleicht etwas erwähnt?“
„Er hat mir Ihr neues Mittel für Sie dagelassen.“
Sie zog die Nadel heraus und drückte ihm ein Wattestück auf die Einstichstelle. Es schmerzte. Sein Arm fühlte sich geschwächt an. Sebastian legte einen Finger darauf, bis die Arzthelferin mit Klebeband das Wattestück fixierte. Sie ließ die leere Ampulle in die Tasche ihres Kittels verschwinden. Merkwürdig.
Er folgte ihr aus dem Behandlungszimmer und trat zum Empfangstresen. Sie verschwand dahinter und zog eine Schublade auf.
Ein kratzendes Geräusch zog seine Aufmerksamkeit an. Es kam vom Sprechzimmer des Arztes. „Haben Sie das auch gehört?“
Er wollte sich gerade in Bewegung setzen, als sie plötzlich vor ihm stand. Die Frau lächelte. Es wirkte erzwungen. „Das hat Doctor Murley für Sie bereitgelegt.“
Sebastian griff nach der Dose. Das kratzende Geräusch war verschwunden.
„Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend“, sagte sie. Sebastian nickte. „Danke, Ihnen auch.“
***
Nadines Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Andrew war tot. Und sie hatte ihn liegen gelassen. Sie hatte sich nicht einmal bei Andrew verabschieden können. Tränen rannen ihr übers Gesicht, während sie immer langsamer wurde und nach Luft rang.
Sie sah sich aufmerksam um, konnte jedoch niemanden entdecken, der ihr folgte.
Sie musste etwas tun. Sie konnte Leon nicht ungestraft davonkommen lassen. Aber wie sollte sie ihn finden? Auf Hilfe konnte sie nicht mehr zählen. Der Einzige, der auf ihrer Seite gestanden hatte, war Andrew. Und der war nun nicht mehr da. Erneut zog es heftig in ihren Eingeweiden. Niemand würde ihr helfen. Sie musste sich selbst darum kümmern. Nur wie sollte sie das anfangen?
Als erstes müsste sie ihren Kopf wieder freibekommen, um vernünftige Entscheidungen treffen zu können. Bis dahin müsste sie sich irgendwo hin zurückziehen, wo sie sicher war. Immerhin konnte sie nicht wissen, welche ihre Unterschlüpfe Leon bekannt waren. Wo er vielleicht noch auf sie lauern würde.
Der Kloß in ihrem Hals schnürte ihr die Luft ab. Sie hatte niemanden mehr, an den sie sich wenden konnte. Zu ihren Eltern hatte sie keinen Kontakt. Ihre Halbschwester Penny wollte sie nicht in Gefahr bringen. Großeltern und Tanten oder Onkel hatten sie nie kennen und lieben gelernt.
Sie war allein. Niemand also, der ihr so am Herzen lag wie Andrew.
Außer…
Es gab noch einen Menschen, an den sie sich stets gewandt hatte. Auf den sie sich blind verlassen hatte, bevor sie Andrew begegnet war. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie plötzlich das drängende Bedürfnis hatte, doch sie musste sicher gehen, dass es ihm gut ging.
***
Baker Beach, San Francisco, Kalifornien, USA
Wenige Minuten später schloss Sebastian die Tür zu seiner Wohnung auf. Wieso wurde er in den letzten Tagen das ungute Gefühl nicht los, beobachtet zu werden? Er war sich fast sicher, dass er es sich nur einbildete, denn nie konnte er jemanden entdecken, der ihn unauffällig beschattete oder verfolgte. Die letzten Tage waren ziemlich stressig und lang gewesen, die Nächte kurz. Sein Job verlangte ihm momentan alles an Kraft ab. Menschen starben auf mysteriöse Weise. Aufgefunden in ihrem eigenen Blut, das aus sämtlichen Körperöffnungen floss. Meist kräftige Männer, die nicht in unmittelbarer Verbindung zueinander zu stehen schienen. Dabei gab es keine Hinweise am Tatort. Nicht mal eine schwarze Visitenkarte mit einem kreisrunden Symbol. So wie vor wenigen Tagen.
Die mögliche Tatverdächtige der vorangegangenen Serienmorde Nadine Shark war noch immer auf freiem Fuß. Seitdem er aus Paris zurück war, hatte er nichts mehr von ihr gehört oder gesehen. Die guten alten Zeiten. Er musste sich selbst eingestehen, dass er die gemeinsamen Einsätze mit ihr vermisste. Sie waren ein eingespieltes Team gewesen. Zumindest solange, bis Nadine das Gute nicht mehr vom Bösen hatte unterscheiden können. Er verstand nicht, warum sie die Seiten gewechselt hatte. Wieso nur hatte sie das FBI verlassen und sich entschlossen, Menschen zu ermorden? Und verdammt, warum dachte er überhaupt schon wieder an die abtrünnige Ex-Kollegin, die ihm in Paris entwischt war? Zum wiederholten Mal. Wie auf Kommando schmerzte sein rechtes Bein, das sich nach seinem üblen Sturz in einer Scheune ab und an meldete.
Verdammt, er sollte echt mal lernen, abzuschalten. Er bekam Magenschmerzen und sein Kreislauf schwächelte. Vielleicht lag es an der Impfung. Er hatte aber auch schon lange nichts mehr gegessen. Er kramte eine der Schmerztabletten von Doctor Murley aus der Dose und würgte sie mit etwas Flüssigkeit runter.
***
Das Taxi hielt am Straßenrand. Nadine zahlte und stieg aus. Unsicher sah sie sich erst in der Gegend um und musterte dann die Wohnung von außen. Wie gern würde sie auch am Strand wohnen. Jeden Morgen im Sand spazieren gehen und abends den Sonnenuntergang bewundern. Sie näherte sich dem Gebäude. Aus dem Küchenfenster drang Licht. Etwas bewegte sich. Sebastian, der in den Kühlschrank griff.
Sie stieß den Atem aus. Zum Glück war ihm bisher nichts zugestoßen. Was sie wieder zur Frage brachte, woher Leon wusste, wer ihr alles wichtig war. Aber Leon würde sie nicht kleinkriegen, ganz gleich, wie viel Angst es ihr machte, dass er exakt wusste, mit welchen Mitteln er ihr am meisten schaden konnte.
***
Sebastian hielt noch den Teller in der Hand, als er von einem plötzlichen Schwindelgefühl übermannt wurde. Seine Sicht verschwamm. Was zum Teufel? Er hatte keine Kraft mehr in den Händen. Sie zitterten. Der Teller mit dem Sandwich fiel zu Boden und zersprang. Irgendetwas stimmte nicht. Übelkeit überrollte ihn. Er legte die Hand auf den Bauch und versuchte, ruhig zu atmen, doch es fiel ihm unendlich schwer. Er torkelte ins Wohnzimmer, griff nach der Tablettendose und griff ins Leere. Irgendetwas in seinem Brustkorb schnürte ihm die Luft ab. Schweißperlen liefen ihm in die Augen. Er musste ruhig bleiben. Einfach atmen. Es gelang nicht.
Sein Herz schlug immer schneller, begleitet von einem Stechen im Brustkorb. Er schlug sich kräftig auf die Brust und hustete. Keuchte. Griff erneut nach der Dose. Das Siegel des Etiketts war zerknickt. Mit bebenden Fingern versuchte er, es zu glätten. Was hatte das Zeug überhaupt für Nebenwirkungen? Konnte er das neue Schmerzmittel nicht vertragen?
Ihn verließ endgültig die Kraft. Die Dose fiel ihm aus der Hand und rollte unter das Sofa. Erneut stach es in seiner Brust. Er brauchte dringend Hilfe.
***
Nadine kostete den Moment aus, Sebastian ein letztes Mal zu sehen. Ein allerletztes Mal, dann würde sie ihn allein lassen. Selbst als sie Andrew an ihrer Seite gewusst hatte, war da immer ein kleiner Teil in ihrem Inneren gewesen, der heimlich in Sebastian verliebt gewesen war. Und es wohl auch immer sein würde.
Sebastian erschien im Wohnzimmerfenster. Er durfte ihretwegen nicht in Gefahr geraten. Es wäre sicher das Beste, wenn sie sich nicht mehr in seiner Nähe aufhalten würde. Auch wenn es für sie das Ende bedeutete. Eine endlose Einsamkeit und ein Abschied für immer. Doch etwas hinderte sie daran. Etwas stimmte nicht. Sebastian taumelte. Schlug sich mehrfach gegen die Brust. Taumelte weiter. Er brauchte Hilfe!
***
Sebastian schwankte. Er musste irgendwie sein Handy erreichen und den Notruf alarmieren, bevor er das Bewusstsein verlor. Es lag auf dem Couchtisch. Ganz in seiner Nähe. Er streckte die Hand aus. Ihm war heiß. Das störende Schwindelgefühl zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Der Boden kam näher. Schwärze umfing ihn.