Читать книгу Wendungen des Schicksals: Körper & Seele - Sloane Kennedy, Lucy Lennox - Страница 6
Kapitel 1
ОглавлениеOz
Drei Tage, nachdem ich in meine süße kleine Hütte gezogen war, ging ich mit Boo ein wenig frische Luft schnappen. Bei der Gelegenheit fiel mir auf, dass ich meinen neuen Nachbarn den ganzen Tag nicht gesehen hatte. Nicht, dass es mich störte. Der Typ war total unhöflich und ein richtiger Arsch. Sofort fiel mir sein Blick wieder ein, als ich ihm gesagt hatte, dass ich nach dem Knopf für die Winterreifen suchte. Meine Wangen wurden heiß. Okay, ja, es sprach nicht unbedingt für mich, dass ich keine Ahnung hatte, wie dieser Scheiß funktionierte. Aber ich lebte in New York, seit ich sechzehn war. In der Stadt kam es praktisch einer Todsünde gleich, ein eigenes Auto zu haben. Seit ich groß rausgekommen war, standen Dinge wie Autofahren eben nicht auf meiner Prioritätenliste. Was dieser Besserwisser Jake wohl sagen würde, wenn er erfuhr, dass ich erst vor ein paar Wochen den Führerschein gemacht hatte? Eigentlich war es egal. Dieser Typ war genauso wie all die Designer und Fotografen in meinem Leben. Für ihn war ich nichts weiter als ein Hohlkopf.
Nachdem ich Jake gesagt hatte, dass ich zu Xander Reeds Hütte wollte, hatte er kaum ein Wort mit mir gewechselt. Nur ab und zu gebellt, dass ich aus dem Weg gehen sollte, während er mein Auto aus der Schneewehe manövrierte. Er hatte ein Seil an seinem eigenen Truck befestigt, um mich rauszuziehen. Bevor ich ihm überhaupt hatte danken können, hatte er mich ermahnt, vorsichtiger zu sein. Dann war er in sein Auto gestiegen und hatte ungeduldig gewartet, bis ich wegfuhr, weil ich ihm den Weg versperrt hatte. Ich hatte ihn noch im Rückspiegel gesehen und er hatte wirklich angepisst gewirkt. Als ich in die kurze Einfahrt eingebogen war, die zu meiner Hütte führte, war er praktisch an mir vorbeigerast. Eigentlich hatte ich noch höflichkeitshalber irgendetwas darüber sagen wollen, dass wir jetzt wohl Nachbarn waren. Doch er hatte mich keines Blickes gewürdigt und war in seiner eigenen Hütte verschwunden.
Ich zwang mich, den Vorfall zu vergessen. Schließlich war ich zum Arbeiten hier, nicht, um neue Freunde zu finden.
Die Luft war eiskalt und ein leichter Wind wehte durch meinen Cardigan von Dolce, unter dem ich ein weiches T-Shirt trug. Ich hatte sehr schnell gelernt, dass ich meine Gommino-Pantoffeln von Tod’s lieber nicht draußen tragen sollte. Noch immer könnte ich heulen, wenn ich sah, was der nasse Schnee mit dem Leder gemacht hatte. Also rutschte ich in einem Paar alter Vans herum und versuchte angestrengt, nicht auf meinem Hintern zu landen. In diesem Moment hörte ich ein vertrautes Geräusch von drinnen. Jemand rief mich per Videochat auf meinem Laptop an. Ich griff nach dem Geländer der Treppe, die zur Eingangstür führte, und hangelte mich daran entlang. Warum um alles in der Welt hatte ich in New York nie gelernt, auf gefrorenem Boden zu laufen? Ach ja, weil ich die meiste Zeit des Jahres für Fotoshootings unterwegs war; zu irgendwelchen exotischen Locations.
Ich vermisse den Strand nicht, ich vermisse die Wärme nicht …
Prompt rutschte ich aus und griff vergeblich nach dem Treppengeländer, bevor ich die Stufen hinunterpurzelte. Mit rudernden Armen und Beinen kam ich in einer peinlichen Pose zum Stillstand, in einer Mischung aus Stehen und Fallen. Wahrscheinlich sah ich aus wie eine Babygiraffe, die das Stehen erst lernen musste.
»Verdammte Scheiße.«
Tiefes Gelächter ertönte. Es kam aus der Richtung der anderen Hütte neben meiner. Tatsächlich, dort stand er: der Sexgott persönlich. Er hielt einen riesigen Stapel Feuerholz in den Armen. Obwohl ich es nicht wollte, starrte ich ihn sehnsüchtig an. Sein kurzes, dunkles Haar war fast vollständig von einer schwarzen Wollmütze bedeckt und obwohl ich seine Augen kaum erkennen konnte, konnte ich seinen intensiven Blick spüren. Automatisch fragte ich mich, wie seine Augen wohl aussehen würden, wenn er einen freundlichen Blick aufsetzte, statt finster in die Gegend zu starren. Aber es war unwichtig, denn im nächsten Moment war sein Grinsen schon wieder verschwunden. Er zog die Stirn in Falten, drehte sich um und stieg die Stufen zu seiner Hütte empor, ganz so, als wären sie nicht völlig vereist, und so, als hätte er nicht bemerkt, dass sein Nachbar sich gerade fast den Hals gebrochen hätte.
»Danke vielmals, du Arsch«, murmelte ich und klammerte mich wieder ans Treppengeländer.
Er blieb vor seiner Haustür stehen, drehte sich um und sah mich an. »Hast du etwas gesagt?«
»Ja. Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag, ehrenwerter Nachbar. Du bist einfach zu freundlich und vor allem so zuvorkommend. Ich hatte wirklich Glück, diesen schönen Ort zu finden, an dem ich so nett willkommen geheißen werde. Und nun geh besser schnell nach drinnen und wärm dich auf, bevor du auch von deiner Veranda attackiert wirst, so wie ich gerade. Tschüssi!« Ich hatte den übertrieben freundlichen Tonfall benutzt, den ich jahrelang perfektioniert hatte. Sehr schnell hatte ich gelernt, dass es besser war, eine Fassade aufzusetzen. Wenn ich mich wie ein kleines, harmloses Hündchen verhielt, war das um einiges sicherer, als meine wahren Gefühle zu zeigen. Sobald ich erkannt hatte, dass die Leute Models sowieso nur für eingebildet und hohl hielten, stellte ich mich einfach gleich so dar. Das war einfacher, als zu versuchen, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
Jake riss überrascht die Augen auf. Doch ich ignorierte ihn und machte einen Schritt auf meine Eingangstür zu. Und rutschte sofort wieder aus. Dieses Mal half mir auch das Treppengeländer nicht weiter. Ich krachte dagegen, als ich wenig elegant die Stufen hinunterschlitterte. Ein scharfer Schmerz zuckte durch meine Hüfte und ich konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken. »Scheiße!«, rief jemand.
Nein, nicht jemand. Der unhöfliche Sexgott, der sicher gleich wieder zu lachen beginnen würde. Dieses Mal jedoch hatte ich keinerlei Interesse daran, ihn grinsen zu sehen. Oder das amüsierte Funkeln in seinen Augen. Ich wandte mich um, um ihm zu sagen, dass er mich mal kreuzweise konnte. Ja, es gab Momente, in denen man einen falschen, zuckersüßen Tonfall aufsetzte, aber das hier war keiner davon. Hier war Klartext angebracht.
Doch bevor ich etwas sagen konnte, rief Jake: »Bist du verletzt?«
Ich hatte nicht einmal Zeit, zu antworten, da ließ er schon die Holzscheite fallen, als wären sie voller Feuerameisen. Er eilte über die schneebedeckte Wiese und kam schlitternd neben mir zum Stehen.
»Wo tut es weh?«
Seine Stimme klang plötzlich besorgt. Automatisch schnellte mein Puls in die Höhe. Boo kauerte sich zusammen und knurrte ihn wütend an. Ich griff nach ihr und streichelte sie durch ihren Pullover, um sie zu beruhigen. »Meine Hüfte«, sagte ich und rieb über die schmerzende Stelle. Mein Blick fiel auf meine Vans. »Blöde Schuhe. Ich sollte mir auch solche Quadratlatschen zulegen, wie du sie hast«, sagte ich und nickte zu seinen furchtbar hässlichen Stiefeln. Sie sahen irgendwie aus wie Winterreifen für die Füße. Falls es so etwas gab.
Jake musterte skeptisch meine Schuhe. »Warum zur Hölle trägst du Schuhe mit glatter Sohle? Weißt du nicht, wie man sich bei diesem kalten Wetter anzieht? Wo kommst du her?«
Vorsichtig betastete er meine Beine, angefangen bei meinen Füßen, bis hinauf zu meinen Knien. Ich begann zu beben, doch es lag nicht an der Kälte. Tatsächlich war mir plötzlich warm. Sehr, sehr warm. »New York. Und, ja, ich weiß, wie man sich anzieht, wenn es kalt ist«, brachte ich heraus, während mein Körper auf sehr unangebrachte Weise auf Jakes sanfte Berührungen reagierte. »Aber zu Hause gibt es da etwas, das nennt sich Streusalz. Das hilft, damit es nicht so verdammt glatt ist.«
»Wir benutzen hier auch Streusalz, Oz«, sagte er. Der Klang meines Namens aus seinem Mund stellte sehr merkwürdige Dinge in mir an. »Aber damit das etwas bringt, musst du es auch ausstreuen.« Er musterte die rutschigen Stufen, dann wieder mich, und schließlich begriff ich, was er sagen wollte.
»Oh. Hier gibt es niemanden, der für uns das Salz ausstreut?«
»Nein, Oz, gibt es nicht. Hier in der Gegend musst du dich selbst um so etwas kümmern. Sorry, dass ich dir diese schlechten Neuigkeiten überbringen muss.«
Ich hasste es, wie sehr mich seine Worte demütigten. »Du hast absolut recht, Jake«, sagte ich und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. »Wie dumm von mir. Danke, dass du mich auf diesen Denkfehler aufmerksam gemacht hast.«
Jake hob den Kopf und sah mir direkt in die Augen. Für einen Moment glaubte ich, Verwirrung in seinem Blick zu erkennen. »Oz, es tut mir lei…« Genau in diesem Moment erreichten seine Hände meine Hüfte. Sofort zuckte ich vor Schmerz zusammen.
»Fuck«, wimmerte ich und unterbrach ihn damit. Nicht, dass es wichtig war. Seine Entschuldigung bedeutete mir nichts. Ich wusste, was er über mich dachte. Genau dasselbe wie die meisten Leute. Es war reine Zeitverschwendung, ihm zu erklären, dass Dinge wie Streusalz und Winterreifen in meinem Leben bisher einfach keine Rolle gespielt hatten. Er sah ohnehin, was er sehen wollte. Also konzentrierte ich mich darauf, ihn schnell wieder loszuwerden. »Genau diese Stelle habe ich mir angeschlagen. Aber ich denke, es wird schon gehen, wenn du mir einfach aufhilfst. Bitte?«
Jake zögerte einen Moment. Es wirkte, als würde er etwas sagen wollen. Doch dann griff er nach mir, packte mich unter den Armen und half mir dabei, aufzustehen.
Sobald ich wieder auf den Beinen war, verharrten wir einen Moment. Unsere Körper berührten sich fast. Er war um einiges größer als ich. Verglichen mit anderen Models, war ich eher klein, aber das war bisher noch nie ein Problem gewesen. Jake überragte mich sicher um zehn Zentimeter und musste etwa fünfzehn, zwanzig Kilo mehr wiegen als ich.
Jake musterte mich. »Deine Haare«, flüsterte er plötzlich.
Verunsichert strich ich mir durchs Haar, doch die langen Locken waren nicht auf magische Art und Weise über Nacht nachgewachsen. Es war nicht so, als würde ich das Platinblond vermissen, nach dem so viele Designer ganz verrückt gewesen waren. Es ging eher um das, was mein nun kurzes und braunes Haar repräsentierte. Einen Neuanfang. Ein neues Ich. Seit ich mit dem Modeln angefangen hatte, akzeptierte ich nun zum ersten Mal, dass mein Erfolg vielleicht nicht von Dauer sein würde. Dass ich vielleicht nur ein One-Hit-Wonder war. Nichts weiter als ein hübsches Gesicht. »Oh, ähm, ich habe sie geschnitten. Und gefärbt. Brauchte mal eine Veränderung. Gefällt … gefällt es dir nicht?«, fragte ich.
Was zur Hölle? Warum hatte ich ihn das gefragt? Es war mir völlig egal, ob es ihm gefiel oder nicht.
»Nein«, sagte Jake und schüttelte den Kopf. »Ich meine ja, es gefällt mir. Es ist … Ich mag es«, murmelte er. Ich erstarrte, als er die Hand hob. Es wirkte, als würde er mein Haar berühren wollen.
Genau in diesem Moment begann mein Hund, verrückt zu spielen. Noch bevor Jake mich erneut berühren konnte, begann Boo wie wild zu bellen und zu knurren. Dann machte sie einen Satz, direkt auf seinen Schritt zu. Zum Glück ließ Jake mich nicht los. Nur sein Arm um meine Hüften hielt mich einigermaßen aufrecht. Ich hob mahnend einen Finger. »Boo! Nein! Böses Mädchen!«, schimpfte ich. »Wir gehen dem netten Mann nicht an die Kronjuwelen!« Als ich zu ihm aufsah, spürte ich, wie ich rot anlief. »Also … außer, er will das?«
Scheiße, hatte ich das gerade laut gesagt?
Ich hatte es laut gesagt. Das wurde mir klar, als ich seinen Gesichtsausdruck erblickte. Man hätte meinen können, ich hätte ihm vorgeschlagen, sich für die Königin von England zu prostituieren. Er nahm seine Hände von mir und murmelte irgendetwas darüber, dass mir ein Eisbeutel und eine Schmerztablette sicher helfen würden.
Ich klammerte mich ans Treppengeländer, um nicht wieder hinzufallen, während er eilig zu seiner Hütte stürmte. Er verschwand nach drinnen, ließ das Feuerholz einfach in einem unordentlichen Stapel auf seiner Veranda liegen und würdigte mich keines Blickes mehr.
Ich starrte ihm nach und fragte mich, was zur Hölle sein Problem war. War das so ein typisches, verkrampftes Hetero-Getue? Hoffentlich nicht. Wir waren hier draußen so isoliert, es wäre wirklich scheiße, wenn er homophob wäre.
Ich funkelte Boo wütend an, immerhin hatte sie den sexy Mann vertrieben. Dann stakste ich nach drinnen. Laut meines Laptops hatte ich einen Anruf meiner besten Freundin Zoey verpasst. Ich schrieb ihr eine Nachricht, dass ich in ein paar Minuten zurückrufen würde. Dann humpelte ich in die Küche, um einen Eisbeutel, Schmerztabletten und eine Flasche Wasser zu holen. Als ich endlich bereit war, sie zurückzurufen, bahnte ich mir meinen Weg an den zwei Klapptischen vorbei, wo ich mir eine provisorische Nähstation aufgebaut hatte. Die Hütte war zwar mit einigen Möbelstücken eingerichtet, doch ich musste mir noch stabilere Tische besorgen, bevor ich richtig mit der Arbeit loslegen konnte.
Ich machte es mir auf dem großen Sofa gemütlich und wickelte mich in meine Lieblingsdecke. Dann platzierte ich den Laptop auf meinen Knien und startete den Videoanruf.
Zoey nahm ihn sofort an. Allein bei dem Anblick ihrer wilden, dunklen Locken schossen mir Tränen in die Augen. Ich vermisste sie schon jetzt. Zoey war der Mensch, der mir am nächsten stand. Die einzige Person, der ich mein Leben anvertrauen würde. Wir hatten uns im Büro meines ersten Agenten kennengelernt. Auch wenn ihre Karriere nicht so gut gelaufen war wie meine, waren wir seitdem unzertrennlich. Zumindest waren wir das bis vor Kurzem gewesen. »Hey, Hübscher«, sagte sie mit einem breiten Grinsen. Trotz ihres Lächelns wirkte sie müde. Ich hatte meine beste Freundin viel zu lange nicht mehr persönlich getroffen. Vor meinem Umzug war ich so viel beruflich unterwegs gewesen. Zoey war ebenfalls auf Reisen, um die Familie ihres Freundes kennenzulernen. Zum Glück wollte sie über Weihnachten zu Besuch kommen.
»Hey, Zo-Zo-Käfer«, sagte ich. »Erzähl mir alles. Es ist, als hätte ich seit Jahren keine Zivilisation mehr gesehen.«
»Ernsthaft, Schätzchen? Du bist doch erst seit drei Tagen weg, du hast nichts verpasst. Außer, dass ich mir die Zehennägel geschnitten habe. Oh Gott, deine Haare! Sie sind so …«
»Ich weiß«, sagte ich und fuhr mir durch die kurzen Strähnen.
Zoey musste wohl zwischen den Zeilen gelesen haben, denn sie lehnte sich näher zur Kamera und flüsterte: »Ich liebe es, Oz. Es passt so gut zu dir.«
Ich seufzte und nickte. Dann sah ich mich in der Hütte um. »Es ist so still hier«, murmelte ich. »Ich glaube, die Zeit vergeht langsamer. So merkwürdig. Und es ist auch dunkler. Ich wusste nicht, dass Dunkelheit wirklich so … dunkel sein kann. Sehr, sehr dunkel. Du solltest nachts die Sterne sehen.«
»Oz, pass gut auf Boo auf, ja? Ich habe gehört, dass es da draußen Wölfe und Kojoten und so einen Scheiß gibt. Nicht, dass Boo gefressen wird.«
Ich sah zu Boo. Sie war auf einen Sessel gehüpft, sah aus dem Fenster und knurrte in Richtung Jakes Hütte. Ihr weißes Fell um den Kopf stand ihr zu Berge wie die Mähne eines sehr kleinen Löwen. Ihr leises Knurren ließ ihren ganzen Körper vibrieren. Sie mochte diesen Jake eindeutig nicht. »Irgendwie habe ich das Gefühl, sie könnte sich schon verteidigen«, meinte ich und lachte. »Sie ist echt knallhart. Wenn es nach ihr ginge, hätte sie meinem sexy Nachbarn die Kehle durchgebissen. Oder etwas anderes, ein bisschen weiter unten.«
»Oooh! Ein sexy Nachbar! Erzähl mir alles!«
Ich konnte im Hintergrund Zoeys blau gestrichene Wände sehen, die ich so gut kannte. Auch die Froschlampe, die ich ihr vor einigen Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte, konnte ich erkennen. »Total heiß, aber eindeutig hetero«, sagte ich und setzte eine übertrieben düstere Miene auf. »Was allerdings gut ist, denn ich bin schließlich zum Arbeiten hier«, fügte ich hinzu. Wahrscheinlich versuchte ich eher, mich zu überzeugen als Zoey.
»Es wäre doch kein Problem, tagsüber zu arbeiten und sich nachts mit ihm zu vergnügen, Ozias«, zog sie mich auf.
»Nein. Diesmal nicht. Ich habe nur ein paar Monate, um meine erste eigene Kollektion von Grund auf zu entwerfen. Wenn ich sie auf der New York Fashion Week vorstellen will, muss ich spätestens Ende Januar fertig sein. Gott, es ist hier drinnen so kalt. Ich habe noch immer nicht kapiert, wie man die Heizung richtig einstellt«, murmelte ich und griff nach einer weiteren Decke. »Ich verstehe ja, dass du arbeiten musst. Aber du solltest dir auch ein bisschen Spaß gönnen. Erzähl mir doch etwas über die Stadt. Wie ist Haven so?«
Ich verdrehte die Augen. »Weiß ich noch nicht. Ich hatte einen kleinen Unfall mit meinem Auto, bevor ich die Stadt erkunden konnte. Jetzt habe ich Angst davor, nach Haven zu fahren. Wenn ich nicht bald meine Eier wiederfinde, wird mir das Essen ausgehen. Man kann sich hier draußen nichts liefern lassen.« Mir war klar, dass jammern unattraktiv war. Aber Zoey kannte mich. Sie wusste, dass es mir nicht behagte, aus meiner Komfortzone gerissen zu werden. Fremden gegenüber konnte ich eine überzeugende Show abliefern, aber eigentlich verunsicherte es mich, wenn ich mich in neuen Situationen zurechtfinden musste. Ich hatte allerdings schnell gemerkt, dass man das nie jemanden merken lassen durfte. Sonst fielen einem die Leute in den Rücken. Das hatte ich auf die harte Tour gelernt.
Sie setzte sich auf und lehnte sich näher an die Webcam. »Okay. Wir machen das so. Ich werde dir dabei helfen, Ziele zu stecken. Du hast jetzt lange genug hilflos herumgesessen.«
Ich konnte nicht anders, als sie zu unterbrechen. »Ich bin verdammt noch mal nicht hilflos! Nimm das zurück!«
»Ich weiß, dass du nicht hilflos sein willst, deswegen stecken wir ja auch Ziele. Bevor wir morgen telefonieren, musst du drei Dinge erledigen. Erstens findest du heraus, wie die Heizung funktioniert, damit du nicht erfrierst. Das meine ich ernst. Zweitens wirst du mit deinem neuen Auto in die Stadt fahren und Lebensmittel einkaufen. Drittens wirst du in der Stadt einen hübschen Typen finden und ihn mit deinem hinreißenden Lächeln bezaubern. Das Lächeln, mit dem du zig Millionen Dollar verdienst.«
»Aber Zo, wenn ich mein Laird-Gesicht aufsetze, könnte mich jemand erkennen.« Sogar jetzt krümmte ich mich, als ich meinen bescheuerten Bühnennamen aussprach. Der war damals auf dem Mist des Agenten gewachsen. Gott, wie zur Hölle hatte ich nur jemals denken können, dass dieser Name mysteriös und sexy war? »Ich bin inkognito unterwegs, weißt du noch? Keine Fotos auf Social Media, damit niemand mich nervt. Oder mich zwingen will, wieder vor eine Kamera zu treten.«
Nun verdrehte Zoey die Augen. »Niemand wird dich mit diesem Haar erkennen, Oz. Vertrau mir. Aber okay. Dann setzen wir dir ein anderes drittes Ziel. Schließe eine neue Freundschaft. Mit jemandem, der nicht weiß, dass du ein berühmtes Supermodel bist. Hier gibt es doch sicher alte Leute, die nicht die Vogue lesen und noch nie eine Armani-Werbung gesehen haben. Fang ein Gespräch an. Nur, weil du ganz allein im Wald lebst, heißt das ja nicht, dass du nicht freundlich zu Leuten sein kannst. Du bist ein sozialer Mensch, Oz. Wenn du nicht ein paar Leute kennenlernst, mit denen du plaudern kannst, wenn du in die Stadt fährst, wirst du total depressiv werden. Vertrau mir. Ich kenne dich lange genug.«
»Stimmt gar nicht. Ich freue mich wirklich darauf, ein bisschen Zeit allein zu verbringen. Das letzte Jahr war komplett verrückt. All die Shows, Fotoshootings, Musikvideos … Es wird mir guttun, ein bisschen Ruhe zu bekommen.«
Zoey tat so, als müsste sie husten. »Weißt du noch, als du auf dem Einzelshooting in Kenia warst und den Fotografen nicht ausstehen konntest? Du hast geschworen, dass du die ganze Reise als Gelegenheit zum Meditieren nutzen würdest. Wie ist das noch mal ausgegangen?«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, schloss ihn aber schnell wieder. »Dieser Typ war echt heiß«, murmelte ich. »Ist ja nicht meine Schuld, dass er Dirty Talk scharf fand.«
»Ich sage ja nicht, dass du jeden in der Stadt vollquatschen sollst, Süßer. Ich will nur, dass du nicht vergisst, wer du bist. Du denkst vielleicht, das ist deine Chance, der Designer zu werden, der du immer sein wolltest. Aber wie wäre es, wenn du die Gelegenheit dazu nutzt, der Mensch zu werden, der du immer sein wolltest?«
Mein Magen schlingerte. »Du meinst, ich soll ein besserer Mensch werden?« Obwohl ich es nicht wollte, verletzten mich ihre Worte. Ich hatte immer versucht, ein guter Mensch zu sein, freundlich, großzügig, nett.
»Nein, nein, das habe ich falsch formuliert«, sagte sie und wedelte frustriert mit den Händen. »Du bist der beste Mensch, den ich kenne, Oz. Aber ich glaube, du hast dich jahrelang an ein Leben angepasst, das du eigentlich nie wolltest. Du sagst immer, dass die Menschen in der Modewelt oberflächlich sind, immer nur auf der Suche nach dem nächsten großen Ding. Du sagst, es stört dich, dass die Leute nicht ehrlicher sind, echter. Das hier ist deine Chance, mit echten Menschen zu interagieren. Menschen, die es einen Scheiß interessiert, welche Farbe in der nächsten Saison angesagt ist, und …«
»Violett«, platzte es aus mir heraus. »Und das finde ich übrigens spitze.« Ich konnte nicht anders, es war die Wahrheit.
»Ozzie. Ich liebe dich, und jeder, der dein wahres Ich kennt, liebt dich ebenfalls. Bitte verstecke den wundervollen Ozias Lemuel Ballard nicht vor der Welt.«
Ich funkelte wütend die Kamera an. »Nicht meinen echten Namen erwähnen, sonst drehe ich den Spieß um.«
Ihre Wangen liefen rot an und sie lachte. »Okay, okay. Ich höre ja schon auf. Ich hasse einfach den Gedanken, dass du so weit weg bist, ganz allein. Du weißt, dass du mich immer anrufen oder mir eine Nachricht schreiben kannst, ja?«
»Ich weiß. Und dasselbe gilt für dich. Gibt es bei dir irgendetwas Neues? Außer, dass du dir die Zehennägel geschnitten hast? Das ist übrigens eklig.«
Sofort verschwand ihr Lächeln, als ob jemand es von ihrem Gesicht gewischt hätte. Bevor ich weiter nachhaken konnte, tat sie so, als würde sie angerufen werden. »Ups! Die Arbeit ruft, ich muss weg. Fang doch mal mit dem ersten Punkt auf deiner Liste an und bitte den sexy Nachbarn wegen der Heizung um Hilfe.«
Zoey beendete den Videoanruf so plötzlich, dass ich verdutzt dasaß und auf den Bildschirm starrte, mit einer wütenden Erwiderung noch auf den Lippen. Ich würde den arroganten, eingebildeten, homophoben, heißen, gut riechenden, sexy Jake erst um Hilfe bitten, wenn die Hölle zufror.
Fünf Stunden später, mitten in der Nacht, war ich in alle Decken gewickelt, die ich hatte. Und ich fror immer noch erbärmlich. Irgendwie fühlte es sich so an, als ob tatsächlich die Hölle zugefroren wäre.