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Kapitel 3

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Oz

Jakes Hütte war einfach nur grauenhaft. Durch und durch schrecklich. Hier drinnen gab es nichts, das nicht staubig, marineblau, schwarz oder grau war. Sogar die wenigen Bilder an den Wänden waren Schwarz-weiß-Fotografien. Ich fühlte mich, als wäre ich am Drehort eines Film noir gelandet. »Wow …. Du … Ähm, lebst du schon lange hier?« Ich erblickte ein braunes Ledersofa links neben der Eingangstür und einen einfachen Holztisch mit zwei Sesseln zu meiner Rechten. Die Hütte schien genau denselben Grundriss zu haben wie meine. Also nahm ich an, dass es weiter hinten ein Schlafzimmer und ein Badezimmer gab. Eine Art notdürftig gezimmertes Holzregal war neben der Tür. Es enthielt Outdoor-Equipment. Ich erkannte Skischuhe, einen großen Campingrucksack und Schneeschuhe. Schon immer hatte ich mich gefragt, ob Schneeschuhe tatsächlich existierten oder ob es die nur in Filmen gab. Sah so aus, als bekäme ich jetzt meine Antwort.

»Seit etwas über zwei Jahren«, sagte er und griff an mir vorbei, um den Lichtschalter zu betätigen. Eine einzelne grelle Deckenlampe ging an. Irgendwie ließ sie den Raum sogar noch weniger einladend wirken als zuvor.

»Oh. Du bist wohl nicht so ein Stubenhocker, was? Verbringst du nicht viel Zeit hier?« Ich schlenderte zum gemauerten Kamin und suchte nach irgendwelchen persönlichen Gegenständen. Es gab keine. Nur zwei halb heruntergebrannte Kerzen auf einem Teller, daneben eine Schachtel Streichhölzer. Außerdem einen Metalleimer mit alten Zeitungen und kleinen Holzstückchen. In einer Ecke der Hütte war auf einem kleinen Tisch ein Bücherstapel aufgetürmt.

»Ich bin einfach gern allein.«

Mir entging nicht, dass er meine Frage nicht beantwortet hatte. Ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, ob seine Worte eine Art Warnung gewesen waren. Aber nach drei Tagen ohne menschliche Interaktion war ich schon völlig verzweifelt. Außerdem würde mir ein Gespräch dabei helfen, diesen wundervollen Mann nicht anzuschmachten, während er ein Feuer im Kamin entfachte. »Also, was machst du damit?« Ich deutete auf das Outdoor-Equipment in der Ecke. »Du verbringst anscheinend mehr Zeit draußen als drinnen.« In meinen Gedanken klang diese Frage irgendwie viel anzüglicher, als ich sie gemeint hatte. Ich musste mir ein Kichern verkneifen. »Im Sommer bin ich viel draußen unterwegs. Ich leite Campingausflüge und Abenteuerwanderungen. Aber im Winter … Na ja, ich lese viel«, erklärte er zögernd. Sobald das Feuer brannte, schlüpfte er aus dem Mantel und hängte ihn an einen hölzernen Haken neben der Tür. Er stolperte fast über Boo und begann zu fluchen. »Lauf mir nicht zwischen den Füßen herum, Cujo. Sonst bekommen wir Probleme miteinander.« Seine Stimme klang allerdings nicht wirklich ärgerlich.

»Hey«, sagte ich und nahm Boo auf den Arm. »Für dich immer noch Prinzessin Cujo.« Weil ihr Pullover nach Rauch stank, zog ich ihn ihr aus und warf ihn neben die Eingangstür.

»Heilige Scheiße, was stimmt mit ihr nicht?«, fragte Jake.

»Was meinst du?« Ich hob Boo höher, sodass sie meine Nase ablecken konnte. »Sie ist perfekt«, sagte ich liebevoll. »Sie sieht aus wie etwas, das ein echter Hund gegessen und wieder hochgewürgt hat.«

Jake kam näher, um einen besseren Blick auf Boo zu haben. »Warum sind all ihre Haare auf ihrem Kopf?«

Ich schubste ihn leicht und zuckte zusammen, als mein Handgelenk schmerzhaft protestierte. »Halt die Klappe«, erwiderte ich und lachte. »Sie ist ein Chinesischer Schopfhund. Die haben am Körper keine Haare.«

Er hob die Augenbrauen.

Als ich meinen Hund musterte, wurde ich wieder ernst. Ich wuschelte durch das spärliche, wirre Fell auf dem Kopf. »Manche Leute mögen sie wegen ihrer einzigartigen Erscheinung. Manche machen sich über sie lustig, weil sie nicht ihren Vorstellungen entspricht. Aber niemand sieht, wie viel mehr sie ist.« Ich schüttelte den Kopf.

»Was meinst du?«, hörte ich Jake fragen.

Ich konnte nicht anders, als zu lächeln. »Sie ist meine Freundin. Boo freut sich immer, mich zu sehen. Es ist ihr egal, ob ich zu dünn bin oder zu dick, ob ich schlechte Laune habe oder viel zu viel Arbeit.« Ich hielt inne und hob dann endlich den Blick, um ihn anzusehen. Überrascht bemerkte ich, dass er deutlich näher gekommen war. »Sie mag äußerlich nicht schön und perfekt sein, aber ich versichere dir, dass sie das innerlich ist.«

Ich sah verwundert dabei zu, wie er die Hand hob und mit seinen großen Fingern über Boos Kopf streichelte. Sie knurrte ein bisschen und sah ihn misstrauisch an, schnappte aber nicht nach ihm, wie ich es erwartet hatte. »Nun, Prinzessin Cujo, ich nehme alles zurück«, murmelte er. Er sprach zwar mit dem Hund, sah aber dabei mich an, und leichtes Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus. Es war, als würden wir ewig so dastehen. Endlich sagte er: »Setz dich und lass mich die Verbrennung mal ansehen. Magst du etwas trinken?«

»Nein, danke, ich will nichts.« Ich setzte Boo wieder ab, ging zu dem kleinen Tisch und nahm dort Platz. Neugierig spähte ich durch den Türbogen in die kleine Küche. Ich erblickte ein zweckmäßiges weißes Küchenhandtuch über der Backofentür. Die Arbeitsflächen waren blitzsauber und nicht ein einziger dreckiger Teller stand herum.

Jake quetschte sich an mir vorbei und zog eine schwarze Stofftasche unter einem Regal hervor. Als er zum Tisch zurückkehrte und sie öffnete, erblickte ich eine gut sortierte Erste-Hilfe-Ausrüstung. Eine, die ein Sanitäter oder Arzt besitzen würde.

»Gibt es hier oben öfter Verletzungen zu verarzten?«, fragte ich in einem Versuch, die Situation etwas aufzulockern. Außerdem hoffte ich, ein Gespräch würde mich davon ablenken, dass ich ihn eigentlich zu mir heranziehen und küssen wollte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich jemals jemanden so schnell so unbedingt gewollt hatte.

»Mhm«, grummelte er und kramte in der Tasche herum, bis er anscheinend fand, wonach er suchte. Er öffnete eine Verbandspackung und eine Flasche mit destilliertem Wasser, dann zog er sich ein Paar Gummihandschuhe über. Nur einen Moment später drückte Jake sanft eine kühle, nasse Kompresse gegen die Verbrennung an meinem Handgelenk.

»Ich bin so ein Idiot«, murmelte ich. »Es tut mir leid, dass ich dir so viele Umstände mache. Normalerweise kann ich ganz gut auf mich selbst aufpassen, weißt du?«

»Ist das so?«

Ich hob den Blick und wollte ihn schon wütend anfunkeln, da fiel mir auf, dass er lächelte. Er zog mich nur auf. Seine Augen waren von einem einzigartigen Grau, das je nach Stimmung die Farbe zu wechseln schien. Im Moment funkelten sie leicht, wie silbriger Frost an einem kalten Wintermorgen. Ruhig. Intensiv. Vielversprechend. Okay, Letzteres war vielleicht etwas dick aufgetragen. Dieser Mann war in etwa so offen und zugänglich wie eine unreife Ananas. Ich stieß den Atem aus. »Ich schätze, was ich sagen wollte, war … ich will auf mich selbst aufpassen. Du sollst nicht das Gefühl haben, dass ich ein hilfloses Kind bin. Jemand, dem man immer gleich zu Hilfe eilen muss, wenn …«

»Er sein Haus fast niederbrennt?« Er sah mich aus dem Augenwinkel an und hob eine Augenbraue. »Mit dem Auto von der Straße abkommt? Ausrutscht und hinfällt, weil er gottverdammte Ballettschuhe trägt?«

»Du solltest wissen, dass die Vans von Karl Lagerfeld waren«, korrigierte ich ihn. »Seine Interpretation des Schachbrettmusters ist ein Klassiker.«

»Ich verstehe die Hälfte dieser Worte nicht«, sagte Jake, entfernte die Kompresse und öffnete eine Tube, die eine Art Salbe enthielt. »Ich klebe eine Hydrokolloidbandage auf die Verbrennung. In ein paar Tagen musst du sie wechseln. Sie sollte verhindern, dass sie sich entzündet. Aber wenn du bemerkst, dass sich eine Rötung ausbreitet, oder wenn du Fieber bekommst, dann sag mir sofort Bescheid, okay?«

Er säuberte und bandagierte die Brandwunde, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Jakes Bewegungen waren ruhig und effizient. Dann zog er sich die Gummihandschuhe aus und entfernte sich kurz, um sie gemeinsam mit der Verbandsverpackung in den Müll zu werfen. Doch als er wieder zu dem Sessel neben mir zurückkehrte und meinen Arm wieder umfasste, war seine Berührung nicht mehr zweckmäßig, sondern … mehr. Oder vielleicht wollte ich das auch nur glauben. Gott, hoffentlich bemerkte er nicht das Zittern, das sich in meinem Arm ausbreitete. Mehrere Herzschläge lang studierte ich ihn unauffällig, doch er schien komplett ahnungslos.

Verdammt. Stockhetero.

Da hatte ich wohl Pech gehabt. Endlich fühlte ich mal mehr als bedeutungslose Lust und hatte nicht die Chance, das Gefühl näher zu erkunden.

Arbeit, Oz. Du bist hier, um zu arbeiten, weißt du noch?

Ich schickte meine innere Stimme zum Teufel. Bevor ich etwas Dummes tun konnte, wie Jake zu fragen, ob er mal probeweise einen Mann geküsst hatte, sagte ich: »Du scheinst viel darüber zu wissen. Bist du Sanitäter oder so?«

Wenn er Arzt wäre, hätte er es inzwischen sicher mal erwähnt. Außerdem wäre er dann wohl mehr unterwegs. Wenn er einen Job hatte, dann sicher nur in Teilzeit. Sein Auto stand oft in der Einfahrt, das passte nicht zum straffen Arbeitsplan eines Arztes.

»Nein. Aber ich kenne mich mit erster Hilfe aus und ich bin Wildnisführer.«

Es war merkwürdig, wie er diese zwei Dinge sagte. So, als würde es nicht zusammenhängen. Ich sah ihm dabei zu, wie er erneut meinen Arm abtastete, als ob er nach weiteren Verbrennungen suchte, die er beim ersten Mal übersehen hatte. Obwohl ich wusste, dass er nichts finden würde, ließ ich ihn gewähren. Vielleicht wollte ich einfach nur für eine Weile die Berührung eines anderen Menschen spüren.

»Ein Wildnisführer? Im Winter?«

Er sah auf und ich bemerkte, dass sich seine Augenfarbe erneut geändert hatte. Nun erinnerte sie eher an Nebel statt an glänzendes Silber. »Im Winter arbeite ich alles Mögliche.«

Würde es ihn umbringen, mal etwas mehr zu sagen als das Allernotwendigste? Hatte er Angst, dass Wörter etwas kosteten und er sich sie nicht leisten konnte? »Was denn zum Beispiel?«, hakte ich nach.

Er zuckte mit den Schultern. »Ich passe auf ein paar leer stehende Ferienhütten in den Bergen auf. Kümmere mich um Pfade, die zur Wetterbeobachtungsstation führen. Und sonst … Kleinkram eben. Ich hacke Holz für ein paar Leute. Und ich helfe Städtern, ihre Autos wieder aus dem Straßengraben zu ziehen.«

Unmöglich zu sagen, ob er mich nur auf den Arm nahm oder nicht. »Hätte ich dafür etwas zahlen sollen?«, fragte ich so ernst wie möglich. Erst, als ich lächelte, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Ein strahlendes Grinsen, inklusive Grübchen in den Wangen. Heilige Scheiße, war dieser Mann sexy.

»Ich würde dich ja fragen, ob du mir als Dankeschön ein paar Kekse backen willst. Aber ich befürchte, du würdest beim Backen deine Hütte in Brand setzen.«

Ich starrte immer noch die Grübchen in seinen Wangen an. Mühsam riss ich mich aus meinen Tagträumen. »Ich kann kein bisschen kochen. Du musst dir also keine Sorgen machen, dass ich beim Kochen die Hütte niederbrenne. Wahrscheinlich werde ich den Backofen den ganzen Winter über nicht anrühren. Wenn ich etwas nicht in der Mikrowelle zubereiten kann, esse ich es einfach roh.«

Peinliches Schweigen breitete sich aus. Obwohl er mich ansah und nicht meine Verletzung, betastete er immer noch meinen Unterarm. Wieder und wieder strich er mit den Fingern über meine Haut und hielt erst an meinem verbundenen Handgelenk inne. Von Mal zu Mal wurde mein Schwanz härter. So sehr ich seine Berührungen auch genoss: Wenn er nicht sofort aufhörte, würde ich meinen Ständer nicht mehr verbergen können. Nicht in dieser Jogginghose. Von Tom Ford übrigens. Gott, ich musste wirklich bald in die Stadt fahren und mir andere Klamotten zulegen. Klamotten, die besser für dieses Wetter geeignet waren und in der Gegenwart dieses Mannes meine Erregung verbargen. Ich hätte meinen Arm einfach aus seinem Griff ziehen sollen. Doch stattdessen legte ich meine Hand auf seine, um ihn zu stoppen. Großer Fehler. Die Funken begannen nämlich zu sprühen. Augenblicklich breitete sich ein Kribbeln in meinen Fingern aus, dort, wo ich seine Haut berührte. Jake senkte den Blick und starrte auf unsere Hände. Ich tat es ihm gleich. Meine Haut hob sich blass gegen seine ab. Während meine Finger lang und schlank waren, waren seine kräftig und die Haut war rau. Nur eine der Erinnerungen daran, wie unterschiedlich wir waren.

Es dauerte sicher nur ein paar Sekunden, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ich fühlte mich, als würde ich gleich durch den Sauerstoffmangel ohnmächtig werden, denn ich hielt den Atem an und fragte mich, was er tun würde.

Was er tat, war, meine Hand fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel. Ich schaffte es, den stechenden Schmerz zu ignorieren, der durch meinen Arm schoss. Jake sprang förmlich auf. »Ah, also, ich gehe dann mal zu dir rüber und schaue, ob ich die Heizung in Gang kriege. Und ob der Rauch sich verzogen hat. Nimm dir einfach was zu trinken, wenn du magst. Kaffeemaschine steht in der Küche, Wasser im Kühlschrank.«

Bevor ich danke sagen konnte, raste er aus seiner Hütte, als hätte er vergessen, eine Bombe im Garten zu entschärfen. Für einen Moment starrte ich ihm hinterher. Ich fühlte mich, als würde ich in einer kaputten Dusche stehen, die mich abwechselnd mit heißem und kaltem Wasser übergoss. Oh ja, er war definitiv hetero. Das erkannte man schon an der Art, wie er lief. Aber seine Abwesenheit gab mir die Gelegenheit, mich etwas umzusehen. Obwohl ich seine Privatsphäre nicht missachten wollte, war die Neugierde stärker. Außerdem musste es hier doch irgendetwas Buntes geben, das den Raum ein wenig freundlicher machte. Wie konnte er überhaupt hier leben, ohne selbstmordgefährdet zu sein?

Als Erstes schaltete ich das grelle Deckenlicht aus und stattdessen eine der Stehlampen beim Tisch an. Sie war auch nicht besonders hübsch, spendete aber immerhin sanfteres, gemütlicheres Licht. Nun sah es hier nicht mehr aus wie in einem Supermarkt oder so. Als ich die zweite Stehlampe anknipste, fiel mir ein großer Korb auf, der in der Ecke des Raumes stand. Mehrere alte Wolldecken lagen einsam am Boden des Korbs, gemeinsam mit etwas, das aussah wie Kissen, gefertigt aus demselben Leder wie das Sofa. Ich griff nach der hübschesten der drei Patchwork-Decken und faltete sie sorgfältig. Dann drapierte ich sie auf dem Sofa. Nun hatte der Raum ein paar Farbkleckse: in Rot, Marineblau und Gelbgrün.

Ich sah zu Boo hinunter. »Besser, findest du nicht?«

Sie schnaubte, hüpfte aufs Sofa und rollte sich probehalber auf der Decke ein. Wir waren ein gutes Team. Wenn ich ein Stück dieses gemusterten Fleece-Stoffes gehabt hätte, den ich fast für eines meiner Designs gekauft hätte, hätte er perfekt zur Wolldecke gepasst. Ich hätte nur zehn Sekunden gebraucht, um einen einfachen Kissenüberzug daraus zu nähen. Diese uralten Lederkissen hatten wirklich dringend Abhilfe nötig. Zur Hölle, die ganze Hütte brauchte eine Rundumerneuerung.

Ich ließ Boo im Wohnzimmer zurück und wanderte ins Schlafzimmer. Auch dort war die Einrichtung stinklangweilig und farblos. Die Bettdecke war beige, darüber lag eine cremeweiße Wolldecke. Ich schüttelte mich. Wie konnte man den privatesten Raum nur so unpersönlich gestalten? Die Tür zu Jakes begehbarem Kleiderschrank stand offen und ich konnte nicht anders, als hineinzuspähen. Wem machte ich eigentlich etwas vor? Ich wollte an seinen Klamotten riechen. Jake selbst roch nach Piniennadeln, Feuerholz und Seife. Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, ob seine Kleidung auch so roch. Ich trat einen Schritt in den kleinen Raum hinein. Sofort fiel mein Blick auf einen dicken Kaschmirschal, der neben einem formellen Wollmantel hing. Der Schal war von einem wunderschönen, dunklen Blau, ähnlich der marineblauen Stellen der Decke, die nun auf dem Sofa lag. Ich durchsuchte den Kleiderschrank nach etwas in dem dazu passenden Grün und wurde mit einem Cordhemd fündig. Dann trug ich beides zurück zum Sofa und überzog die alten Lederkissen neu. Ich band dekorative Knoten in den Stoff und bewunderte meine Arbeit. Die Decke über dem Sofa, das blaue Schalkissen auf der einen und das grüne Hemdkissen auf der anderen Seite. Schon hatte Jakes Hütte ein wenig Farbe. Viel besser.

Nachdem seine Hütte durch das sanfte Licht und die Farbkleckse ein wenig einladender war, fühlte ich mich schon mehr wie zu Hause. Ich wanderte in die Küche und fand dort tatsächlich die Kaffeemaschine. Als die Kanne voll war, hörte ich, wie Jake an der Eingangstür die Stiefel auszog.

»Hattest du Glück?«, rief ich und trug den Kaffee zum Tisch im Wohnzimmer. Ich hatte auch eine Packung Kekse in einem Küchenschrank gefunden und ein paar auf einem Teller drapiert. »Kaffee ist fertig, falls du auch einen magst.«

Er blickte zum Tisch, wo ich die einzigen zwei zusammenpassenden Tassen platziert hatte. Dann zum Sofa, das nun schon etwas bunter wirkte. Und zu meinem Hund, der es sich dort gemütlich gemacht hatte. »Was …? Was ist das alles?«

»Kaffee«, sagte ich. »Wie trinkst du deinen? Ich trinke ihn natürlich schwarz. Hat ewig gedauert, bis ich auf diese Extra-Kalorien verzichten konnte. Aber dann habe ich es geschafft. Es macht mir aber natürlich nichts aus, wenn du Milch und Zucker nimmst. Ich tue einfach so, als sei in meinem auch beides drin.« Okay, zugegebenermaßen redete ich manchmal Blödsinn, wenn ich nervös war.

Jake sah mich an. Intensiv. Ich spürte seinen Blick über meinen Körper gleiten, als würde er mich mit seinen starken Händen abtasten. Automatisch lief mir das Wasser im Mund zusammen. Ich hielt den Atem an. »Warum um alles in der Welt solltest du Diät halten?« Seine Stimme war ruhig und fest, irgendwie fast einschüchternd. Als müsste ich eine verdammt gute Erklärung für meine Ernährungsgewohnheiten haben.

»Wie auch immer«, murmelte ich. »Vielleicht gebe ich diesmal etwas Milch und Zucker rein. Als Trost, weil meine Marshmallows im Feuer verbrannt sind.«

Jake schien ein Grinsen zurückzuhalten. »Ah, das ist also das Zeug, das in deinem Kamin klebt?«

Ich verdrehte die Augen. »Nur zu, lach mich aus. Aber es war nicht meine Schuld. Als Zoey mir gesagt hat, dass ich den Abzug öffnen soll, habe ich Panik gekriegt. Ich habe vergessen, dass ich die Marshmallows schon auf dieses Spießteil gesteckt hatte, bevor ich damit den Abzug öffnen wollte. Also musste ich ihn eben mit der Hand öffnen und, nun ja, den Rest kennst du.«

Normalerweise hätte ich solche Dummheiten gar nicht zugegeben, sondern stattdessen einfach einen unschuldigen Blick aufgesetzt. Aber bei Jake war mir irgendwie nicht danach, irgendwelche Spielchen zu spielen. Das würde sowieso zu nichts führen. Ehrlich gesagt war ich einfach nur müde. Ich wollte zurück in meine Hütte und mir ansehen, ob die Stoffe schlimm beschädigt waren. Zum Glück waren einige noch nicht aus New York geliefert worden, aber ich hatte relativ viele teure Woll- und Seidenstoffe in der Hütte aufbewahrt. Wahrscheinlich hatte der Rauch sie völlig ruiniert.

Jake legte seine Hand auf meine. »Was ist denn? Was hast du?«

Mir verschlug es wieder den Atem. Seine Hand. Oh Gott, wollte der Mann mich umbringen? Er sollte dringend einen Kurs besuchen für: Wie verhält man sich als Hetero in der Gegenwart eines Schwulen.

»Was meinst du?«, brachte ich heraus.

»Du hast gelächelt und dann …« Seine Worte verklangen.

»Und dann was?«, fragte ich.

»Dann hast du damit aufgehört.« Er klang irgendwie verwirrt und überrascht. Als hätte er den letzten Satz gar nicht sagen wollen.

Er ist hetero, er ist hetero, er ist hetero!

Ich ignorierte die Stimme in meinem Hinterkopf und behielt meine Hand dort, wo sie war. Mein Schwanz hatte sich einigermaßen beruhigt, als er weg gewesen war, aber ich wusste, das würde nicht so bleiben. »Ähm, ich designe gerade eine Modekollektion und hatte einige ziemlich teure Stoffe in der Hütte. Sie sind jetzt wahrscheinlich ruiniert. Aber, nun ja, ich sollte froh sein, dass ich sie noch nicht zugeschnitten und verarbeitet habe. Immerhin habe ich nur das Material verloren, nicht die Arbeitszeit.«

»Du bist Modedesigner?«

Bei seiner Antwort schien sich meine Libido ein wenig zu beruhigen. Er klang so überrascht. Mir war klar, dass es nicht böse gemeint war. Aber all meine Kollegen hatten ebenso reagiert, als sie von meinem Plan erfahren hatten. Sogar Zoey war schockiert gewesen, als ich ihr vor einigen Wochen von meinem Vorhaben erzählt hatte. Ich wollte nicht verletzt sein, war es aber. Ich zuckte mit den Schultern. »Ich versuche es zumindest. Wir werden sehen. Ich designe eine Kollektion, die ich im Februar in New York präsentieren will. Deswegen bin ich eigentlich überhaupt hergekommen. Damit ich mich besser konzentrieren kann. Ich muss nämlich in kürzester Zeit eine Menge Arbeit erledigen. Und zu Hause gab es zu viele Ablenkungen.«

»Kannst du neuen Stoff besorgen?« Jake schien erst in diesem Moment zu bemerken, dass seine Hand immer noch auf meiner lag. Rasch griff er nach seiner Kaffeetasse.

»Ja. Eine große Bestellung ist noch unterwegs. Aber ich muss die Stoffe ersetzen, die beschädigt wurden. Ich frage mich, ob es in Denver einen Stoffladen gibt.« Ich machte mir eine mentale Notiz, im Internet nachzusehen. Ich würde sicher in letzter Minute noch Dinge wie Knöpfe oder Reißverschlüsse brauchen, sobald der Produktionsprozess weiter fortgeschritten war.

Mir fiel auf, dass Jake einen Blick auf die dekorativen Kissen warf, die ich auf dem Sofa platziert hatte. Er hatte zwar kein Wort darüber verloren, aber er freute sich doch sicher darüber, dass ich die Hütte etwas wohnlicher und weniger deprimierend gestaltet hatte. Oder? Je länger er die Kissen betrachtete, desto düsterer wurde seine Miene. Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Oh Gott, ich war zu weit gegangen. »Es tut mir leid, ich … Ich dachte, ein paar Farbakzente würden dich erfreuen. Ähm, ich könnte ein bisschen Stoff holen und dir neue Kissen für dein Sofa machen. Es geht ganz schnell und dann würde deine Hütte mehr wie ein Zuhause ausseh…«

Noch während ich sprach, ging er zum Sofa. Unverwandt starrte er das Kissen an, um das ich den blauen Schal gewickelt hatte. Er griff danach und wickelte den Schal vorsichtig und langsam wieder ab. Ich hatte gut aufgepasst, den Stoff nicht zu beschädigen oder auszuleiern, als ich ihn um das Kissen gewickelt hatte. Doch er tat so, als hätte ich den Schal zum Fußabtreter umfunktioniert. »Nicht nötig«, sagte Jake, seine Stimme war dumpf und kühl. »Ich finde es gut so, wie es ist. Ich brauche nichts von diesem bunten Scheiß. Du kannst jetzt in deine Hütte zurückgehen. Ich habe die Heizung repariert. Es war wirklich nur der Sicherungsschalter.«

Ich starrte ihn entsetzt an. Er war wie ausgewechselt. Der nette, besorgte Mann war plötzlich verschwunden. Plötzlich war da nur mehr ein kaltherziger Arsch, der mich so schnell wie möglich rauswerfen wollte. »Oh. Okay. Tja, dann danke für deine … Hilfe.« Ich stand auf, hob Boo hoch und ging zur Tür. Dort drehte ich mich noch einmal um.

»Wenn deine Verbrennung rot wird oder du Fieber bekommst, dann …«

»Ja, ja«, sagte ich und wedelte mit der Hand, als wollte ich seine Bedenken wegwischen. »Dann komme ich gleich zu dir.«

»Nein. Ich wollte sagen, dass du dann gleich in die Klinik in der Stadt fahren solltest.«

Alles in mir wurde taub. Es war schon lange her, dass ein Mann, den ich attraktiv fand, mich nicht gewollt hatte. Sogar die Heteromänner dachten üblicherweise zumindest darüber nach, einfach nur aufgrund meines Aussehens. Aber er wollte mich nicht einmal in seiner Nähe haben, um nach meiner Wunde zu sehen, falls sie sich entzündete? Und das nach all der Besorgnis, die er eben noch gezeigt hatte? Ich brauchte meine ganze Willenskraft, um nicht sofort zurück zu meiner Hütte zu laufen und meine Wunden zu lecken. Stattdessen hielt ich mich an meine aufgesetzte Freundlichkeit. »Mach ich. Vielen, vielen Dank für die freundliche Verarztung und die Behebung meines Heizungsproblems. Wie von dir gewünscht, werde ich dir zum Dank weder etwas backen noch nähen. Und ich gehe dir zukünftig aus dem Weg. Einen wunderschönen Abend noch.«

Ich wartete nicht auf eine Antwort. Rasch griff ich nach Boos Pullover und verließ die Hütte. Ich schloss sanft die Tür hinter mir, obwohl ich sie am liebsten zugeknallt hätte. Dann setzte ich Boo auf dem Boden ab, damit sie auf dem kurzen Weg zu unserer Hütte ein wenig herumschnuppern konnte. Sie lief sofort los und hüpfte in Richtung Waldrand, wo sie offenbar irgendetwas Interessantes roch.

»Na schön, dann geh eben«, rief ich ihr nach. »Anscheinend ist meine Gesellschaft schrecklich. Wer könnte es dir verübeln?«

Nachdem ich eine Stunde lang versucht hatte, den Rauchgeruch aus all meinen Sachen zu entfernen, beschloss ich, in die Stadt zu fahren. Mal sehen, was man in dem kleinen Ort für Klamotten kaufen konnte. Aber eigentlich ging es gar nicht um die Kleidung, das war mir klar. Zoey hatte recht behalten, ich sehnte mich nach Gesellschaft. Der umwerfende, aber gemeine Nachbar hatte eines ganz deutlich bewiesen: Nicht nur, dass er nicht mit mir ins Bett wollte, er war offensichtlich nicht einmal an einer Freundschaft mit mir interessiert. Dass er nicht mit mir ins Bett wollte, damit konnte ich leben. Aber ich konnte nicht leugnen, dass ich einen Freund gut gebrauchen konnte.

Vielleicht finde ich in der Stadt ja nicht nur Klamotten, sondern auch neue Freunde.

Bei dem Gedanken musste ich ein wenig lächeln. Aber als ich nach meinem Autoschlüssel suchte und nach draußen ging, fiel mein Blick automatisch auf Jakes Hütte. Offensichtlich war ich masochistisch veranlagt.

Wendungen des Schicksals: Körper & Seele

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