Читать книгу Wendungen des Schicksals: Höher und Weiter - Sloane Kennedy, Lucy Lennox - Страница 12
Kapitel 7
ОглавлениеZach
Gerade war ich nach einem späten Abendessen mit meinem Kumpel Tag, bei dem ich mehr über das Flugtrainingsprogramm erfahren hatte, ins Hotel zurückgekehrt, als auf meinem Telefon eine Nachricht von einer unbekannten Nummer einging.
Komm zu Ghetti’s und regle das. Er ist sturzbesoffen und will sich nicht von mir nach Hause bringen lassen. Er sagt, er will flachgelegt werden, „auch wenn es nicht mit einem Ranger ist“. Das ist alles deine Schuld, also bring es verdammt noch mal in Ordnung.
Eine weitere Nachricht von derselben Nummer kam eine Sekunde später.
Arschloch.
Es folgte ein Foto von Lucky in den Armen irgendeines Penners in einem Club. Mein Magen verkrampfte sich in einer komischen Kombination aus Wut und Nervosität.
Ich erinnerte mich an das Ghetti’s. Es war eine der Bars in der Nähe der Uni, in der die Barkeeper es mit gefälschten Ausweisen wahrscheinlich nicht so genau nahmen. Das würde erklären, wie ein Zwanzigjähriger es geschafft hatte, sich so gründlich volllaufen zu lassen, besonders in der letzten Woche der Abschlussprüfungen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Und was hatte sich Minna dabei gedacht, ihn sich derart betrinken zu lassen? Er könnte verletzt werden. Er könnte ausgenutzt werden.
Die Wut kochte in mir hoch, als ich die Tür des Hotelzimmers wieder hinter mir zuschlug und zu meinem Wagen rannte. Alles, woran ich denken konnte, war der große Fremde, der sich zu Lucky hinunterbeugte, um ihn auf den Mund zu küssen, und das ließ mich rotsehen. Wenn Lucky fünf Jahre gewartet hatte, um jemanden zu küssen …
Nicht irgendjemanden, dich, unterbrach mich meine innere Stimme.
Ich stieß einen wüsten Fluch aus. Auf jeden Fall sollte Lucky, egal wen er küsste, es verdammt nochmal nicht in einer beschissenen Bar tun, wenn er zu betrunken war, um sich am nächsten Tag daran erinnern zu können. Sein Mund war von der Sorte, die man genießen sollte … und wertschätzen.
Verlangen mischte sich in die Wut, als ich den Gang einlegte und aufs Gaspedal trat.
Reiß dich zusammen, Zach.
Irgendwie schaffte ich es, meine Gedanken von Luckys Lippen loszureißen und mich auf die Aufgabe, die vor mir lag, zu konzentrieren. Seit der vergangenen Woche, als Luckys Auto beschädigt worden war und er unfreiwillig das Vorhandensein einiger Notizen erwähnt hatte, hatte ich versucht, herauszufinden, wer ihn belästigte und warum. Trotz meines Versprechens, es nicht zu tun, hatte ich also die meiste Zeit der letzten Woche damit verbracht, Lucky zu folgen oder vor seiner Wohnung zu warten, um sicherzugehen, dass sich niemand an ihn heranwagte. Aber ich hatte nicht den Mut gehabt, ihn selbst noch einmal anzusprechen.
Wahrscheinlich, weil ich auch so schon auf einem schmalen Grat wandelte. Hätte Luckys Telefon in jener Nacht nicht geklingelt, als er mir gestanden hatte, dass er darauf gewartet hatte, dass ich ihn küsste, hätte ich ihn mit Sicherheit gekostet. Zum Teufel, wahrscheinlich hätte ich ihn direkt da an der Wand genommen.
Dann noch einmal im Bett.
Ich hätte ihn in allen erdenklichen Stellungen und auf alle möglichen Arten gevögelt und selbst danach hätte ich wahrscheinlich nicht mehr aufhören können.
Lucky hatte keine Ahnung, was für ein Monster er da geweckt hatte. Seine Süße, seine Unschuld, wären durch das, was tief in mir verborgen war, befleckt worden.
Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich bereits unter Beweis gestellt hatte, dass er physisch bei mir nicht sicher war.
Seit ich Lucky angegriffen hatte, als er mich in seinem Bett geweckt hatte, wurde ich jede Nacht von Albträumen geplagt. Die Realität holte mich aus meinen Träumen erst zurück, wenn es längst zu spät war und Luckys lebloser Körper unter dem meinen lag. Ich konnte immer noch hören, wie er heiser meinen Namen geflüstert hatte, als mein Arm ihm den Sauerstoff abgeschnitten hatte.
Scham erfüllte mich, wenn ich daran dachte, was ich getan hatte. Danach hatte ich versucht, Jake anzurufen, während ich Lucky zur Arbeit gefolgt war, aber ich war nicht mutig genug gewesen, es durchzuziehen. Stattdessen hatte ich Lucky aus der Ferne beobachtet und versucht, mir einzureden, dass ich damit nur meinem Bruder und seinen Freunden einen Gefallen tat.
Dies war der erste Abend, an dem ich mich dazu gezwungen hatte, Lucky nicht zu beschatten, und das auch nur, weil Tag darauf bestanden hatte, dass wir uns trafen, damit wir die Einzelheiten meines neuen Jobs durchgehen konnten. Zweifellos hatte mein Freund nur sehen wollen, wie es mir ging, da ich zwischen den Einsätzen sehr viel Such- und Rettungsarbeit geleistet hatte. Während des gesamten Essens hatte ich gelächelt und gelacht, aber sobald Tag mit seiner Frau und seinen Kindern weggefahren war, hatte mein Körper heftig zu zittern begonnen. Ich hatte mir vorgenommen, in mein Hotelzimmer zurückzukehren und mich volllaufen zu lassen. Aber Minnas Nachricht hatte das geändert.
Meine Gedanken schweiften zurück zu Luckys vermeintlichem Ex, Davis. War er derjenige, der Lucky dazu gebracht hatte, heute Abend etwas trinken zu gehen? Ich war immer noch nicht davon überzeugt, dass Davis nicht derjenige war, der Luckys Auto beschädigt hatte. Alles, was ich über den Jungen in Erfahrung bringen konnte, war, dass er genau das war, was er zu sein schien: ein verwöhntes, reiches Kind, das glaubte, seine Scheiße würde nicht stinken. Davis Teasley stammte aus Castle Pines, Colorado, einer wohlhabenden Country-Club-Gemeinde südlich von Denver, wo sein Vater mit Immobiliengeschäften ziemlich erfolgreich war. In seiner Vergangenheit schien es keine Anzeichen für Ärger zu geben, aber das hieß nicht, dass Menschen sich nicht ändern können.
Ich fuhr in eine Lücke am Bordstein vor der Bar, parkte direkt dort im Halteverbot und ging hinein. Der Laden war voller College-Studenten. Ich bezweifelte, dass auch nur eine Person dabei war, die nur annähernd so alt war wie ich. Der Lärm war ohrenbetäubend und überall rempelten mich Leute an. Als ich Lucky schließlich fand, befand er sich genau dort, wo er auch auf dem Foto gewesen war: gefangen in den Armen eines muskulösen Sportlers, dessen Bizeps den Saum seines T-Shirts zu sprengen schien.
Die Hände des Mannes waren überall auf Lucky, und es war offensichtlich, dass Lucky es genoss. Erst sah es so aus, als wolle sich der größere Mann zu Lucky hinunterbeugen und ihn küssen, aber dann schüttelte er den Kopf, grinste und zog Lucky stattdessen von der Tanzfläche in Richtung des Hintereingangs der Bar. Anscheinend war er nicht nur auf einen Kuss aus. Die Sportskanone wollte stattdessen eine Nummer im Backstage-Bereich.
Mit einem Kerl, der sturzbetrunken und nicht in der Lage war, zuzustimmen.
Meinem Kerl.
Ich verfluchte den abwegigen Gedanken und die falsch verdrahteten Schaltkreise in meinem Gehirn, die mich wohl hatten vergessen lassen, dass Lucky kein Kerl, sondern nur ein Junge war, das todsicher nicht mir gehörte. Ich ballte die Fäuste, während Lucky dem Mann fröhlich aus dem Raum folgte.
Fuck. Auf gar keinen Fall.
Während ich ihnen hinterherlief, hörte ich noch undeutlich Mins Stimme, die mir etwas nachrief. Aber nichts und niemand konnte mich in dem Moment davon abhalten, das zu verhindern, was sonst gleich passieren würde.
Möglicherweise hätte ich an Xander und Bennett denken sollen. Daran, wie sie ausrasten würden, wenn sie herausfänden, dass sich jemand anschickte, ihren Sohn auszunutzen. Aber mein Kopf war immer noch in diesem abgefuckten „Mach-keine-Gefangenen“-Modus.
Das ist mein verdammter Kuss, Arschloch. Meiner.
Ich biss die Zähne zusammen und schob mich an einem Paar vorbei, das die Tür blockierte. Als ich in den schummrigen Flur kam, sah ich mehrere kleinere Gruppen von Leuten – junge Frauen, die kichernd im Kreis saßen und auf ein Handy starrten; ein Paar, das sich an der Wand vor der Herrentoilette küsste und anschmachtete, und einen älteren Mann, der abseits des lauten Lärms telefonierte.
Aber keinen Lucky.
Ich riss die Tür zur Herrentoilette auf und sah nur Fremde an den Pissoirs. Beide Kabinentüren standen weit offen und die Toiletten waren leer. Als ich auf den Flur zurückkehrte, bemerkte ich, dass neben den Frauen eine Tür offenstand, durch die kühlen Abendluft hineinwehte.
Sobald ich nach draußen trat, sah ich sie. Sah, wie die Sportskanone Luckys Schwanz von außen durch seine Jeans rieb, während Lucky seinen Kopf gegen den rauen Ziegelstein des Gebäudes gelehnt hatte. Im schwachen Licht einer nahestehenden Straßenlaterne konnte ich seinen geschwungenen, langen, blassen Hals sehen. Seine Finger umschlossen das Handgelenk des Mannes, aber er machte keine Anstalten, die Hand wegzuschieben. Wenn überhaupt, dann versuchte er wahrscheinlich, sie an Ort und Stelle zu halten, während der Kerl ihn betatschte. Luckys Augen waren geschlossen und für einen winzigen Moment überlegte ich, ob ich ihm den Spaß wirklich vermiesen sollte. Zweifellos amüsierte er sich, zweifellos wollte er hier in dieser Gasse stehen und von einem x-beliebigen Studenten befummelt werden.
Aber einen Sekundenbruchteil später war es mir scheißegal, was er wollte. Ich erinnerte mich an den leichten Stolperer, den er gemacht hatte, als der Mann ihn von der Tanzfläche gezogen hatte. Ich erinnerte mich an das alberne, aufflackernde Grinsen, mit dem er bewiesen hatte, dass er wahrscheinlich genauso betrunken war, wie Min behauptet hatte.
„Lucky“, brüllte ich und erschreckte sie damit beide zu Tode. Die Sportskanone sprang zurück und starrte mich verwirrt an, bevor er wieder Lucky ansah. Lucky drehte seinen Kopf zu mir, ohne ihn jedoch von den Backsteinen zu lösen. Durch die Bewegung richteten sich seine dunklen Haare zu einem Wirbel auf. Ich glaubte, ein unbestimmtes Gefühl in seinen Augen aufblitzen zu sehen, aber es verschwand genauso schnell, wie es aufgetaucht war und das gleiche alberne Grinsen wie zuvor verzog seine vollen Lippen.
„Zachary. Was tust du denn hier?“ Er drehte sich zu der Sportskanone um. „Zach ist hier. Ist er nicht wahnsinnig sexy? Aber sag’s ihm nicht.“ Luckys Grinsen verschwand und machte zusammengezogenen Augenbrauen und einer gerunzelten Stirn Platz. „Wir wollen auf keinen Fall, dass er merkt, wie sehr wir ihn mögen, auch wenn er meinen Stachel anschwellen lässt.“
Mein Herz zog sich zusammen.
Die Augen des Sportlers huschten wieder zwischen uns hin und her. „Kumpel, ich wusste nicht, dass er einen Freund hat.“
„Hat er auch nicht“, gab ich zu, während Lucky gleichzeitig erklärte: „Habe ich auch nicht.“
Der Mann lachte und trat mit erhobenen Händen einen Schritt von Lucky zurück. „Widersprüchliche Signale, Bruder. Drama ist nicht so mein Ding. Ich finde, du bist eine Zuckerschnute, aber ich mag auch mein eigenes Gesicht. Weißt du, was ich meine?“
Luckys betrunkenes Grinsen erschien wieder. „Schon gut, Rafe. Er ist nicht so gemein, wie er aussieht. Er hat Teddybär-Boxershorts mit kleinen rosa Herzen drauf, aber pssst. Er weiß nicht, dass ich sie gesehen habe.“
Den letzten Teil flüsterte er und legte ihm den Finger an die Lippen, wobei er sich fast selbst unters Kinn pikte. Das Gesicht des Sportlers wurde sanfter. Er streckte seine Hand aus, um Luckys Finger wegzuziehen, bevor er sich zu ihm beugte, um ihn auf die Wange zu küssen. Es kostete mich all meine Selbstbeherrschung, mich nicht auf ihn zu stürzen und ihn von Lucky loszureißen.
Dann trat er wieder einen Schritt von Lucky zurück und bedeutete mir mit einer Geste, näherzukommen. „Ich nehme an, wenn du ihn so gut kennst, dass er über deine Bärenshorts Bescheid weiß, kann ich darauf vertrauen, dass du ihn sicher nach Hause bringst?“
Hitze stieg mir ins Gesicht. Ich hatte eine Erklärung für die lächerlichen Unterhosen, aber die wollte ich diesem Kerl nicht liefern. „Ja, ich bin ein Freund der Familie.“
Der Kerl sah aus, als hätte sich damit ein Puzzle zusammengefügt. „Ist das dein Ranger, Schnuckelchen?“
Luckys Stirn legte sich in Falten. „Nein, er ist nicht mein Irgendwas. Meine Nervensäge, vielleicht. Mein verdammter Anstandswauwau, offensichtlich. Mein …“ Er seufzte und schien den Faden zu verlieren.
Ich überwand meine Wut lange genug, um dem Kerl die Hand zu reichen. Und obwohl ich ihn am liebsten verprügelt hätte, weil er mit jemandem rumgemacht hatte, der zu betrunken war, um zu wissen, was er tat, war mir klar, dass er genauso besoffen war. „Danke. Brauchst du einen Uber oder so?“
„Nee, ich gehe wieder rein und tanze weiter.“ Er zerzauste Luckys Haare und war weg.
Lucky warf mir einen bösen Blick zu. „Blockcocker.“
Mein Schnauben überraschte mich selbst. „Ich glaube, das Wort heißt Cockblocker, und du bist überhaupt nicht in der Verfassung, um …“
Er hob eine Hand, um mich zu unterbrechen. „So wahr mir Gott helfe, wenn du mir einen Vortrag über Ei-Einvernehmlischkeit und Alk… Alk… Alkoholkonsum hältst, dann werde ich …“ Ihm fiel das passende Wort nicht ein, also beendete er den Satz einfach mit einem bedrohlichen Knurren. Oder vielmehr mit dem, was er für ein bedrohliches Knurren hielt.
Es war aber eher ein niedliches Knurren, wie es ein Teddybär machen würde. Ich muss gelacht oder ihm einen Blick zugeworfen haben.
„Sieh mich nicht so an.“
„Wie denn?“, fragte ich und griff nach seiner Hand. Er ließ es zu, ohne sich zu wehren und ich führte ihn um das Gebäude herum zu der Stelle, wo ich das Auto geparkt hatte. Ich versuchte angestrengt, nicht darauf zu achten, wie stark sich seine Hand in meiner anfühlte. Nicht zart oder weich, nur … stark.
„Als wäre ich ein Kind, gottverdammichnochmal.“ Seine Worte verwischten. „Ich hatte schon Sex!“ Er sprach laut genug, um die Aufmerksamkeit der nahestehenden Studenten zu erregen, die im Vorgarten eines großen Hauses feierten. Sie johlten und beglückwünschten ihn und einige hoben ihre Gläser hoch, um ihn anzufeuern.
Lucky vergrub sein Gesicht mit einem verlegenen Stöhnen an meiner Brust. „Das war nicht gut“, murmelte er in mein Hemd.
Bevor ich mich beherrschen konnte, legte ich meinen Arm um ihn und drückte ihn an mich, wobei ich das kurze Gefühl seines Körpers an meinem genoss. Genau wie seine Hand fühlten sich auch seine Schultern anders an, als ich vermutet hatte. Als könnten sie viel mehr tragen, als ich je gedacht hätte. Und während sich die Haut seines Bizepses unter meinen Fingern heiß und seidig anfühlte, waren auch die schlanken, definierten Muskeln dort nicht zu übersehen.
Er ist tabu, ermahnte ich mich.
Dieses Argument überzeugte mich nur fünfzehn Sekunden lang, denn als ich meinen Wagen erreichte und mich vorbeugte, um Lucky die Tür zu öffnen, wählte er diesen Moment, um sich zu mir umzudrehen und seine Stirn an meine Brust zu drücken. Für das Abendessen mit Tag und seiner Familie hatte ich mich ein bisschen schick gemacht und trug ein Hemd mit Knöpfen, die ich am Hals offengelassen hatte. Das Ergebnis war, dass Luckys volle Lippen nur wenige Zentimeter von meiner nackten Haut entfernt zu liegen kamen.
Ich ertappte mich dabei, dass ich meinen Arm um Luckys Taille legte. Ich redete mir ein, dass das nicht dazu diente, ihn dort zu festzuhalten, wo er war, sondern um ihn zu stützen, falls seine Knie nachgaben.
Meine innere Stimme beschimpfte mich als gottverdammten Lügner, aber ich ignorierte sie.
Lucky seufzte laut und presste sich noch dichter an meinen Körper. Fast wäre ich auf der Stelle gekommen, als er seine Nase gegen mein Brustbein drückte und tief einatmete.
„Du riechst wie der Wald“, murmelte er schläfrig. „Mein Lieblingsort ist der Wald.“ Seine Worte waren immer noch undeutlich, aber sein Griff war fest und das Gefühl seiner Finger, die sich um meine Schulterblätter legten, stürzte meine Sinne ganz ins Chaos.
„Es tut mir leid“, sagte er nach einer kurzen Pause.
Unwillkürlich streichelte ich mit meiner freien Hand über sein Haar. Der Lärm aus dem Club drang bis auf die Straße. Hinter uns spazierten Jugendliche in verschiedenen Stadien der Trunkenheit über den Bürgersteig, aber wir hätten genauso gut die einzigen beiden Menschen auf dem Planeten sein können, so wenig schenkte ich dem ganzen Treiben meine Aufmerksamkeit. „Was tut dir leid?“
Lucky schmiegte seine Nase an meine Brust. Als er diesmal meinen Duft einatmete, strichen seine Lippen über meine heiße Haut.
„Alles“, entgegnete er mit einem Seufzer. „Weihnachten, dass ich dich verscheucht habe …, dass mein Stachel immer anschwillt, wenn du in meiner Nähe bist.“
Ob es daran lag, dass er das Wort Stachel benutzte, oder an der hochdramatischen Art, wie er es sagte, so als sei es das absolut Nervigste auf der Welt, wusste ich nicht. Aber ich musste kichern. Ich ließ mein Kinn auf seinen Kopf sinken und schlang beide Arme um ihn. „Du hast mich nicht verscheucht, Lucky“, erwiderte ich. Das stimmte nur teilweise, aber ich konnte ihm nicht sagen, warum ich wirklich gegangen war. Ich konnte ihm nicht beichten, dass ich, auch wenn er mich nicht vertrieben hätte, beängstigend nahe daran gewesen war, ihn zu verfolgen, ihn für mich zu beanspruchen.
Ihn auszunutzen.
„Für mich war’s einfach Zeit, weiterzuziehen“, murmelte ich. „Es hatte nichts mit dir zu tun“, log ich.
Er schwieg so lange, dass ich tatsächlich dachte, er sei eingeschlafen, aber dann flüsterte er: „Ich wünschte, du könntest mich mögen, Zach. Auch wenn es nur ein bisschen wäre. Und wenn es nur so wäre wie bei unserer ersten Begegnung.“
Trotz der eindringlichen Worte klang Luckys Stimme flach und emotionslos. Irgendwie war das noch beunruhigender als seine Überzeugung, dass ich ihn nicht mochte.
„Was meinst du damit?“ fragte ich. „Ich kann dich gut leiden.“ Innerlich krümmte ich mich, sobald ich meine eigenen gönnerhaften Worte hörte. Krampfhaft versuchte ich, das Richtige zu sagen, überlegte, was ich sagen und wie ich meine Aussage zurücknehmen konnte, ohne ihm die Wahrheit zu sagen – dass ich ihn viel mehr als gut leiden konnte –, aber meine Stimme gehorchte mir nicht. Meine Kehle war wie zugeschnürt und mitten auf meiner Brust schien sich ein Betonklotz niedergelassen zu haben. Das letzte Mal, als ich einem anderen Menschen gegenüber irgendeine Art von Gefühl gestanden hatte, hatte mich das fast zerstört. Ich konnte … würde es nicht noch einmal tun.
Lucky war so ruhig, dass ich wieder dachte, ja sogar hoffte, er sei eingeschlafen, aber dann schubste er mich vorsichtig weg. Er widersetzte sich kaum, also wäre es ein Leichtes gewesen, ihn festzuhalten. Beinahe hätte ich das auch getan, denn ich wollte das Gefühl und den Druck seines Körpers nicht aufgeben, aber dann murmelte er: „Bitte, Zach, mir wird schlecht.“
Ich ließ ihn soweit los, dass er sich von mir wegdrehen konnte. Er bückte sich und kotzte in den Rinnstein. Ich ließ meine Hand so gut es ging auf seinem Rücken liegen und griff dabei in meinen Wagen, um meine Wasserflasche aus der Konsole zwischen den Vordersitzen zu holen. Als das heftige Würgen aufhörte, vermied Lucky meinen Blick. Die Tränen, die ihm über das Gesicht liefen, waren jedoch nicht zu übersehen. Obwohl ich sie auf das Erbrechen schieben konnte, konnte ich nicht anders, als mich zu fragen, ob einige dieser Tränen vielleicht aus einem ganz anderen Grund flossen. Ich gab Lucky das Wasser und versuchte, meinen Blick abzuwenden, um ihn nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen, während er sich den Mund ausspülte. Da vibrierte mein Handy in meiner Tasche. Ein kurzer Blick auf das Display zeigte eine Nachricht von Minna.
Wo bist du? Hast du ihn?
Meine Antwort war kurz und bündig. Ja. Draußen.
Lange bevor ich sie erhielt, wusste ich, wie ihre Antwort lauten würde, und ich schalt mich selbst dafür, dass ich bereits wusste, was ich ihr wiederum antworten würde, als ihre SMS tatsächlich eintraf. Ich musste nicht einmal darüber nachdenken, und das war ein Problem.
Ein verdammt großes Problem.
Ich bin gleich draußen und bringe ihn nach Hause.
Meine Finger schwebten über der Tastatur, während ich einen verstohlenen Blick auf Lucky warf. Er lehnte mit dem Rücken an der Seite meines Trucks und sah völlig fertig aus. Aber er weigerte sich, mich anzusehen. Stattdessen starrte er nach rechts ins absolute Nichts.
„Bereit zu gehen?“, fragte ich ihn.
Er fragte nicht, wohin, und er fragte auch nicht nach Minna oder seiner Wohnung oder nach sonst irgendetwas. Er nickte nur. Ich wollte glauben, dass es an seinem unbedingten Vertrauen in mich lag, dass ich auf ihn aufpassen würde, aber ich wusste, das war es nicht.
Er war fertig. Einfach fertig. Und ich hatte keinen Zweifel daran, dass ich die Ursache dafür war.
Ich half Lucky in den Wagen und schnallte ihn an. Weder machte er Anstalten, mir zu helfen, noch beachtete er mich in irgendeiner Weise. Seine müden Augen starrten aus der Windschutzscheibe. Ich schloss die Tür und ging zur Fahrerseite des Wagens. Als ich auf meinen eigenen Sitz gestiegen war und das Fahrzeug gestartet hatte, war Luckys Kopf zur Seite gesunken und seine Augen geschlossen.
Das Klingeln meines Telefons erinnerte mich an die letzte Nachricht von Minna.
Ich warf Lucky noch einen Blick zu und sagte mir, dass es das Richtige war, ihn mit seiner Freundin nach Hause zu schicken.
Das war das Richtige.
Aber das tat ich nicht.
Stattdessen tippte ich schnell eine Nachricht an Minna und drückte auf Senden, bevor ich den Gang einlegte und vom Bordstein wegfuhr.
Nehme ihn mit. Er wird dir morgen früh eine SMS schicken.