Читать книгу Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat - Smilla Johansson - Страница 13

Kapitel 5

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»Ich kann mich nicht mit ihm einlassen, ich habe Angst vor ihm«, flüsterte Linea und trieb den hölzernen Kamm erneut in die Schafswolle.

Sie war froh, sich nach dem langen Gespräch mit Valdarr am Vorabend nun einfachen, beinah belanglosen Dingen wie dem Verarbeiten der Wolle zuwenden zu können, und ihre Freundin Jella war ihr dankbar für die Hilfe.

Jella, der man noch deutlicher als Magnus ansah, dass sie nicht hierhergehörte, war eine der Sklavinnen in Skogbyen. Sie war zwar nur wenige Sommer älter als Linea, unterschied sich aber sonst in sämtlichen Äußerlichkeiten von ihr. Jellas blasse Haut, ihre rehbraunen Augen und die dunkelbraunen Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten, waren unter den Menschen des Nordens schon immer auffällig gewesen. Gerade wegen ihres Standes als Sklavin schenkten ihr deshalb viele von Rutmars Kriegern mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlichen Sklavinnen. Und obwohl Linea es sich anders gewünscht hätte, lebte Jella zusammen mit den anderen Sklaven in einem eigens für sie errichteten Haus auf der anderen Seite des großen Platzes.

Die Nähe zum Langhaus des Jarls und zur Methalle waren erheblich von Vorteil, wenn einer der Männer nach einem Sklaven verlangte. Und gerade nach Jella verlangten die Männer oft. Nicht ausschließlich wegen ihrer gut ausgeprägten weiblichen Vorzüge, sondern vor allem auch, da sie für eine Frau überdurchschnittlich groß und kräftig war und als Sklavin so manch schwere körperliche Arbeit besser verrichtete als einer der älteren männlichen Sklaven.

Obwohl die junge Frau ihr als Sklavin untergeordnet war, behandelte Linea sie nicht von oben herab. Sie waren gute Freundinnen, und Linea hatte sich schon oft hierher zurückgezogen, wenn sie im Streit mit Valdarr, Hákon oder Magnus gewesen war.

»Du musst«, sagte Jella schlicht. Ruhig hatte sie Lineas Erzählung gelauscht, die ihr nun alles berichtete, was sie am Abend von ihrem Ziehvater erfahren hatte.

Entsetzt schaute Linea ihre Freundin an. Wie konnte sie das nur so leicht hinnehmen?

Jella sah kurz von ihrer Arbeit auf und strich sich nachdenklich über die feine Narbe auf ihrem Nasenrücken. »Deine Wut und Enttäuschung über den Verrat und die Geheimnisse, die dein Vater vor dir hat, kann ich verstehen. Wer könnte das besser als ich?«

Das stimmte. Jella war um ihr Leben betrogen worden. Nur ungern erinnerte sich Linea an die Geschichte, die ihr Jella erzählt hatte.

Der Weg, auf dem sie als Sklavin hierhergekommen war, war das Schrecklichste, was sich Linea vorstellen konnte. Fortgegeben von der eigenen Mutter, damit ihre Familie daheim von den Angriffen der Nordmänner verschont blieb. Ihre Mutter hatte Jella als Sklavin den Männern mitgegeben, ohne etwas für sie zu verlangen, geschweige denn, um sie zu kämpfen. Linea wollte sich gar nicht ausmalen, wie sich ihre Freundin damals gefühlt haben musste. Sie war noch ein Kind gewesen, keine fünf Sommer alt.

»Ich weiß, dass du das nicht von mir hören willst, Linea. Aber Valdarr hat recht.« Jella kämmte weiter stumm die verknotete Wolle aus und wartete auf eine Antwort.

Linea starrte ihre Freundin mit aufgerissenen Augen an, als hätte sie ihr mit der bloßen Hand eine geknallt. Zumindest von ihr hatte sie sich Zuspruch erhofft.

Doch Jella war eine Sklavin und hatte sich schon früh damit abgefunden, zu tun, was man ihr befahl, den Kopf einzuziehen und wortlos zu gehorchen. Linea wusste, wie hart Widerworte oder Verweigerungen bestraft wurden. Den Anblick von Jellas Rücken, der ein Abbild ihrer früheren Begegnungen mit dem Lederriemen war, würde Linea wohl nie wieder vergessen. Zu sehr hatte sich das wirre Muster der weißen Narben in ihr Gedächtnis gebrannt.

»Ich sagte ja nicht, für wie lange«, riss Jella sie aus ihrer Starre.

»Für wie lange? Was soll das denn bedeuten?«

Ein freches Grinsen huschte über das Gesicht der jungen Frau und ihre so seltenen braunen Augen begannen merkwürdig zu funkeln. »Der Jarl ist auch nur ein Mann«, raunte sie verschwörerisch. »Und ob Jarl oder nicht, untersteht er genauso den Gesetzen des Königs und muss den Entscheidungen des Things Folge leisten.«

»Worauf willst du hinaus?«, fragte Linea unsicher. »Er wird wohl kaum dem Thing die Bitte vortragen, ein Mädchen wie mich zum Weib zu nehmen, und auf ihre Zustimmung hoffen. Jella, versteh doch, er kann mit mir machen, was er will! Ich gehöre ihm bereits, genau wie du!«

Diese letzten Worte klangen hart aus ihrem Mund, und Linea schlug sogleich die Hand davor, als sie bemerkte, wie es sich für Jella anhören musste.

»Verzeih mir, das …«, setzte sie zu einer Entschuldigung an, aber ihre Freundin unterbrach sie.

»Ich weiß, wie du das gemeint hast, und doch verstehst du nicht, was ich dir versuche zu erklären.«

Die Wolle lag längst vergessen zwischen ihnen auf dem lehmigen Boden der Hütte, in der sie zum Glück gerade allein waren.

Jella stöhnte genervt. »Ich will dir vor Augen führen, dass auch Rutmar an die Gesetze gebunden ist und eben nicht alles tun und lassen kann, wie es ihm beliebt. Wenn du erst mal bei ihm bist, diese Verbindung mit ihm eingehst, bleibt dir trotzdem eine Möglichkeit, ihn wieder loszuwerden.« Ein freches Grinsen umspielte ihre blassen Lippen und in einer diebisch anmutenden Geste rieb sie sich die rauen Hände.

»Welche?«, hauchte Linea und ihre Stimme klang seichter als eine Sommerbrise.

»Durch eure Verbindung enthebt er dich dem Stand der Thrall. Als sein Weib gehörst du zu der oberen Schicht unserer verkorksten Gesellschaft. Du hast Rechte und darfst sie wahrnehmen. Und Rutmar selbst besorgt sie dir!« Das Grinsen auf ihrem Gesicht wurde noch breiter. Genugtuung spiegelte sich in ihren Augen. »Du kannst ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen, Linea«, fuhr sie unbeirrt fort. »Sollte er dich schlecht behandeln, hast du das Recht, vor das Thing zu treten und eine Auflösung der Verbindung zu fordern. Du wärest frei, könntest gehen, wohin du willst, dich einem anderen Mann zuwenden, einem, der dir wirklich was bedeutet.«

Linea ließ die herausfordernde Anspielung ihrer Freundin achtlos fallen und beugte sich stattdessen ein kleines Stückchen vor, um ja kein Wort Jellas zu verpassen.

»Was muss ich dafür tun?«

»Du musst die Zustimmung der Familie haben und die Mitglieder des Things überzeugen, dass eure Verbindung von den Göttern nicht unterstützt wird und dadurch zum Scheitern verurteilt ist«, antwortete Jella.

Linea sank enttäuscht zurück und lehnte den Kopf gegen die Wand. Ein hohles Lachen entwich ihrer Kehle und sie verschränkte die Arme vor der Brust. Betrübt senkte sie ihren Blick auf den Boden. »Ich habe keine Chance«, resignierte sie. »Wie soll ich die Zustimmung des Things erhalten? Rutmar ist die rechte Hand des Großkönigs. Er hat viel zu viel Einfluss, als dass die Mitglieder gegen ihn stimmen würden. Und was die Familie angeht, die würden sich ihr eigenes Grab schaufeln, wenn sie gegen Rutmar aufbegehrten. Selbst Hákon wird mich hassen, wenn ich erst mal seinem Vater gehöre. Bei Oðins Raben, ich wäre dann so etwas wie seine Stiefmutter! Das ist doch krank!«

Der Gedanke an Hákon kam ihr ganz unvermittelt in den Sinn. Was die Verbindung zwischen ihr und seinem Vater für ihre Freundschaft bedeutete, hatte sie bisher überhaupt nicht berücksichtigt. Es machte alles nur noch schlimmer.

Wie soll ich Hákon je wieder ansehen, wenn sein Vater mich …

Verzweiflung trieb ihr erneut Tränen in die Augen, aber Linea machte sich nicht die Mühe, sie zurückzuhalten.

Jella runzelte die Stirn. Sie schien Linea helfen und das Beste für sie aus dieser Misere herausholen zu wollen, aber gleichzeitig zu merken, dass Linea nicht ganz unrecht hatte.

»Was ist mit Rutmars Bruder?«, fragte die Sklavin hoffnungsvoll.

Linea sah mit verheulten Augen zu ihr auf und wischte sich mit dem Ärmel über das tränennasse Gesicht. »Du meinst Sven?«

Jella nickte und griff nun wieder nach der Wolle, wohl damit ihre unruhigen Finger etwas zu tun hatten.

Linea schüttelte verzweifelt den Kopf und senkte erneut den Blick. »Ich denke nicht, dass ich ihn auf meine Seite ziehen kann. Er lebt seit mehreren Sommern mit seinem Weib Sigrid zusammen und es scheint nicht so, als würde sich das alsbald ändern«, sagte sie leise.

»Aber er hasst seinen Bruder«, erwiderte Jella drängend. »Ich habe gehört, in ihrer Kindheit muss es einen unheimlich blutigen Mord am Jarl, ihrem Vater, gegeben haben und Sven hat Rutmar nie verziehen, dass sein jüngerer Bruder sich das Recht der Erbfolge beim Thing erschlichen hat. Ich denke, er wäre bereit, vieles dafür zu geben, um seinen rechtmäßigen Platz als Jarl von Skogbyen einzunehmen.«

»Das mag vielleicht in ihrer Kindheit mal so gewesen sein«, erwiderte Linea, während sie die Wolle zu Strähnen drehte. »Aber Sven ist mittlerweile Jarl von Irastatt, Jella. Skogbyen hat zwar eine direkte Anbindung an den Fjord, ist aber im Vergleich zum größten Handelszentrum in dieser Region ein klägliches Nichts.« Sie suchte den Blick ihrer Freundin. »Sven hat es, freiwillig oder unfreiwillig, der Machtgier und der Ungeduld seines Bruders zu verdanken, dass er nun in einer besseren Position dasteht als Rutmar selbst. Deswegen verstehen sich die beiden seit Jahren auch wieder viel besser.« Linea ließ die Wolle fallen und fuhr sich frustriert durch die rotblonden Haare. »Im Gegensatz zu Rutmar ist Sven in den Augen des Königs ein Nichtsnutz und hat nur deshalb eine Position im Thing inne, weil Rutmar, nachdem er bekommen hatte, was er wollte, den König einst darum bat, Sven ebenfalls ein Dorf zu unterstellen. Das hat mir Hákon einmal erzählt.« Sie sah Jella mutlos an. »Nein, ich habe keine Chance, von ihm loszukommen, wenn das Ritual vollzogen wurde. Denn selbst wenn Sven mir helfen würde, wäre ich immer noch nicht frei und Rutmar würde mich zeit seines Lebens tyrannisieren.«

Jella seufzte. »Linea«, setzte sie an und senkte die Stimme, sodass selbst Linea mit ihren guten Ohren sie kaum verstand. »Es gibt nur eine Möglichkeit, wie du von ihm loskommst und frei bist, deine Reise nach Vinland anzutreten.«

»Ich kann nicht fliehen, Jella. Begreif das doch bitte! Er würde mich finden, noch ehe ich die nächste Stadt erreiche, und dann …« Sie biss sich auf die Unterlippe.

Nein, was er dann mit ihr machen würde, daran wollte sie erst recht nicht denken. Unverwandt blickte sie in die dunklen Augen ihrer Freundin und musterte sie ganz genau.

Hatte Jella ihr wirklich zur Flucht raten wollen? Oder gab es da noch etwas anderes?

Ihr war, als würde die junge Frau mit den dunklen Haaren mit sich hadern, einen inneren Kampf führen, ob sie ihr etwas Bestimmtes offenbaren sollte oder nicht.

Linea konnte nicht abschätzen, welche Seite den Kampf gewonnen hatte, als ihre Freundin nach ihrer Hand griff und sie fest drückte.

»Linea«, flüsterte sie jetzt ganz leise, »Rutmars Tod ist die einzige Lösung für dich.«

Schlagartig gefror Linea das Blut in den Adern. Benommen sank sie rückwärts an die Bretterwand und starrte ihre Freundin mit offenem Mund an. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein!

»Bei Lokis dreimal verfluchten Lügen, Jella! Weißt du, was du gerade gesagt hast? Das ist Hochverrat, dafür wird dein Kopf rollen, wenn dich jemand hört!«, entfuhr es ihr, noch ehe sie daran denken konnte, wo sie sich befanden.

Erschrocken blickte sich Linea zu der Tür in ihrem Rücken um, doch da war niemand. Sie waren immer noch allein.

»Aber es stimmt«, nuschelte die Sklavin kleinlaut. »Du hast keine andere Wahl. Eben hast du die beiden Möglichkeiten, die ich dir bot, ausgeschlagen und entkräftet, als würde es dich keine Mühe kosten. Es bleibt dir allein dieser Weg. Nur wenn er in keiner Weise mehr Einfluss auf dich hat, bist du frei!«

Linea schüttelte vehement den Kopf, ihre Nackenhärchen stellten sich auf und kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn.

Das ist Wahnsinn. Wenn ich ihn töte, werde ich nie frei sein. Ich werde vermutlich noch während derselben Fackel hingerichtet.

Panik kam in ihr auf, als sie wieder den entschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Freundin sah. Jella meinte es tatsächlich genau so, wie sie es gesagt hatte. Linea sollte Rutmar töten.

»Ich kann ihm doch nicht einfach ein Messer in den Rücken rammen oder ihm die Kehle aufschlitzen. Das schaffe ich nicht!«, wehrte Linea sogleich ab.

»Dann musst du jemanden finden, der es für dich tut«, antwortete die Sklavin.

Linea schnaubte verächtlich, dann lachte sie laut auf. Es klang verbittert, herzlos, und viel zu klar hallte es durch die Hütte.

Was für eine dumme Idee!

Nie im Leben könnte sie jemanden finden, der zu solch einer Tat bereit wäre. Das eigene Leben hing davon ab und im schlimmsten Fall auch das Leben der ganzen Familie, falls man denn eine hatte.

»Und wen soll ich deiner Meinung nach fragen?«, sagte Linea und ihre Stimme troff nur so vor Bitterkeit.

Jella kämmte weiter die Wolle auf ihrem Schoß, ohne Linea anzusehen. »Magnus würde es für dich tun.«

Das Lachen erstarb. Urplötzlich durchbohrte Linea Jella mit einem scharfen Blick und ihre Stimme war leise, klang geradezu bedrohlich. »Lass Magnus aus dem Spiel!«, zischte sie und starrte die Sklavin ihr gegenüber grimmig an. »Ich werde ihn da nicht mit hineinziehen.«

»Er ist doch schon …«, wollte Jella aufbegehren, schluckte jedoch im letzten Moment die Worte hinunter und nickte. »Du hast recht«, sagte sie stattdessen und fixierte den Kamm in ihrer Hand.

Genauso schnell, wie Lineas Zorn sie übermannt hatte, verschwand er auch wieder und ihre Stimme wurde weich, während sie ihre Hände fest in die Wolle krallte. »Ich kann ihn nicht mit meinen eigenen Händen töten, Jella. Und ich werde nicht zulassen, dass Magnus oder Hákon es für mich tun.«

Die Sklavin atmete tief durch. Linea beobachtete, wie sich ihr Ausdruck veränderte. In ihren Augen glitzerte es. Eine merkwürdige Schärfe lag darin, wilde Entschlossenheit.

Linea lief es eiskalt den Rücken hinunter.

Ihre Freundin ließ die Wolle fallen und beugte sich vor, bis Linea ihre geflüsterten Worte hörte. »Ich kenne jemanden, der dir helfen kann.«

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