Читать книгу Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat - Smilla Johansson - Страница 14
Kapitel 6 - Kjell
ОглавлениеUnerbittlich prasselte der Regen auf die Mannschaft nieder, durchweichte selbst die dicksten Fellumhänge und drang durch die dünne Haut bis in die Knochen. Der starke Wind blähte das Rahsegel, und die wogenden Fluten warfen das Drachenboot auf der aufgewühlten See wild hin und her.
Am Kielschwein sitzend, versuchte er krampfhaft den schwankenden Horizont im Auge zu behalten, um nicht sein karges Frühstück über Bord zu spucken. Es handelte sich bereits um den dritten Sturm, den sie auf ihrer Überfahrt durchquerten. Drei Stürme in zehn Tagen. Selbst für einen Winter wie diesen eine ungewöhnliche Wetterlage, hatte der Kendtmann gesagt, der nun wieder seinen Platz an der Pinne eingenommen hatte und stur den Wassermassen trotzte.
Kjell wickelte sich fester in die schon völlig durchnässte Decke ein und zog die Schultern hoch.
Was hatte er sich nur dabei gedacht, auf diese verfluchte Überfahrt mitzukommen? Hätte er mit dem Aufbruch nicht auch bis zum Frühjahr warten können? Es war ohnehin fraglich, ob sie die Reise überleben würden.
Ein wütendes Schnauben entwich seinen eisigen Lippen, als er daran dachte, was der Herr gesagt hatte. Ohnehin wäre dies der einfachste Weg, sich seiner untreuen, verlogenen und dreisten Männer zu entledigen. Männer, die an der Küste des eigenen Landes vorüberzogen, plünderten und brandschatzten, wenn ihnen nicht passte, was ihr Jarl ihnen bot. Ein Unglück auf hoher See zöge in dieser Situation weit weniger Verachtung nach sich als kaltblütiger Mord, da musste er ihm schon zustimmen.
Schweigend beobachtete er die Männer, die an den Ruderbänken saßen. Ihre kräftigen Muskeln traten deutlich unter der nass glänzenden Haut hervor, spannten und entspannten sich im Rhythmus der Ruderzüge.
Vor und zurück.
Vor und zurück.
Immer wieder.
Obwohl er nicht das Gefühl hatte, sie würden sich merklich von der Stelle bewegen, schien der Kendtmann mit der Arbeit seiner Leute zufrieden zu sein, denn ein grimmiges Lächeln umspielte seine harten Züge.
Kjell schüttelte verständnislos den Kopf.
Hoffentlich, dachte er verbittert, ist dieser verfluchte Sturm bald vorüber.
So langsam wurde ihm immer übler und das Frühstück übte unangenehmen Druck auf seinen Magen aus.
Missmutig schloss er die Augen, versuchte die wild schaukelnden Bewegungen des Schiffes unter ihm mit der Welt in Einklang zu bringen. Erschöpft lehnte er den Kopf zurück an den Mast und fiel in einen unruhigen Schlaf.
»Kjell!«, vernahm er eine helle Stimme über das Toben der See hinweg.
Mühsam öffnete er die Augen und das Erste, was er sah, waren eine beinah ruhige See und klarer blauer Himmel. Sie hatten den Sturm überlebt.
»Kjell Alríksson!«, hörte er erneut seinen Namen. Verwirrt sah er sich um. Sein Diener stand am Vordersteven und winkte ihn zu sich herüber. Ächzend erhob sich Kjell, warf die klamme Wolldecke beiseite und schwankte hinüber zu seinem Diener.
»Was gibt’s denn, Egil?«, fragte er mit rauer Stimme. Die trockene Salzluft verursachte ein Kratzen in seiner Kehle und er dürstete nach Wasser, verbarg dieses Verlangen jedoch vor seinem Huscarl und musterte ihn mit grimmiger Miene.
Egil hob seinen dünnen Arm und deutete auf den Horizont. »Land«, sagte er hoffnungsvoll.
»Land«, wiederholte Kjell flüsternd.
»Wir haben es bald geschafft, Herr. Der Kendtmann sprach davon, dass wir Halvsfjord erreichen, bevor es dunkel wird«, berichtete Egil erleichtert und schüttelte sich das restliche Wasser vom kahlen Schädel.
»Gut, ich bin das Geschaukel auf diesem Ding auch redlich leid«, murrte Kjell. »Ruf unsere Leute zusammen, sie sollen alles fertig machen. Ich will keine Zeit verlieren. Sobald wir anlegen, brechen wir auf!«
Sein Diener nickte eilig und verschwand in dem Gewusel aus Männern.
Unwillkürlich musste Kjell grinsen. Er hatte auch seinem Diener angesehen, dass er erleichtert war, das Schiff alsbald zu verlassen. Nur wenige seiner Männer waren in ihrem Leben zuvor auf so einem großen Schiff unterwegs gewesen. Meistens waren sie nicht weiter rausgefahren, als es nötig war, um die besten Fische und Robben, manchmal auch den einen oder andern Wal zu fangen.
Bei dem Gedanken an seine bevorstehende Aufgabe überkam ihn ein seltsames Gefühl. Es war ungewiss, wie der fremde Krieger den Vorschlag seines Herrn aufnehmen würde und ob er überhaupt dazu bereit wäre, diesen Plan durchzuführen.
Kjell drehte sich um, stützte die tätowierten Hände am Dollbord ab und betrachtete das in der Ferne aufragende Land.
In einem kleinen Dorf an dieser Küste würde sich in den nächsten Tagen sein Schicksal entscheiden und nicht nur das seine, sondern auch das seines Herrn daheim.
Er grinste verschlagen und verschränkte stolz die Arme vor der Brust, während das Schiff weiter der Küste entgegensegelte.