Читать книгу Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat - Smilla Johansson - Страница 7

Prolog

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Es war dunkel. Düstere Nacht hatte sich über das kleine Dorf an der Küste gelegt. Das blaue Tuch des Nachthimmels war nur mit wenigen hellen Lichtern bestückt, deren schwaches Leuchten nicht bis zum Boden durchzudringen vermochte. Beinah friedlich klang das leise Plätschern der schäumenden Wellen, die ans Ufer brandeten – doch diese Nacht war alles andere als friedlich.

Noch immer sah sie den rot glühenden Schein des knisternden Feuers, noch immer fühlte sie die sengende Hitze auf ihrer nackten Haut, noch immer zerkratzte der beißende Rauch ihr die ausgedörrte Kehle und noch immer hörte sie den Lärm der Schlacht. Hörte das nur allzu vertraute Geräusch von aufeinanderschlagendem Metall, wenn die Gegner zusammenprallten.

Selbst hier, am Rande des vollständig zerstörten Dorfes, legte sich der metallische Geschmack von Blut auf ihre Zunge, dröhnten die Schreie der Sterbenden in ihrem Kopf.

Erneut ergriff Panik von ihr Besitz; Angst schloss sich wie eine eiserne Faust um ihr Herz und drohte es ihr in der Brust zu zerquetschen.

Angst. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde sie sich dieses Gefühls bewusst. Zum ersten Mal begriff sie, dass sie machtlos war. Dass die Götter sie verlassen hatten.

Ein anderes Gefühl erkämpfte sich ebenfalls einen Platz in ihrem Herzen, als sie das reetgedeckte Dach des Langhauses in Flammen aufgehen sah.

Schuld. Es war ihre Schuld, dass das Lager eines Freundes nun über ihr Volk herfiel und tat, was nur die Männer des Nordens in Perfektion vollbringen konnten. Rauben, morden, plündern, brandschatzen und über allem: zerstören.

Ein scharfer Stich traf sie in der Brust, als das lichterloh brennende Dach einstürzte und weitere Leben mit in den Tod riss. Einen Tod, für den sie sich allein verantworten musste.

Ihre Schuld. Sie schmeckte die Bitterkeit dieser Worte auf der Zunge, als die Erkenntnis erneut ihr Bewusstsein eroberte.

Ihre Schuld, dass sie nach erst zwei Sommern wieder einem feindlichen Angriff ausgeliefert waren. Ihre Schuld, dass die Menschen, die sie liebte, nun zu Dutzenden den Weg in die heiligen Hallen antraten. Ihre Schuld, dass sie alles verloren, was sie sich hier an der Küste des Grünen Landes erkämpft hatten. Ihre Schuld, dass seine Krieger nun nach ihrem Leben trachteten. Und nach dem ihres Kindes.

Wie sollte sie nur mit dieser Schuld leben, falls sie denn würde überleben können? Wie sollte sie ihrem Kind später diese Schmach erklären? Wie sollte sie ihr Leben in dieser Situation noch retten?

Sie konnte es nicht.

Ein eisiger Windhauch wehte weitere grauenvolle Klänge der stetig tobenden Schlacht herüber und riss die junge Frau gewaltsam aus ihrer Starre.

Ihr blieb keine andere Möglichkeit; dies war der einzige Weg, also musste sie es versuchen.

Mit zügigen Schritten, darauf bedacht, sich so weit wie möglich im Schatten zu halten, kehrte sie der Schlacht den Rücken und schritt auf das nahe Ufer zu. Dabei drückte sie das Bündel aus Leinen so fest an ihre Brust, dass sie dachte, das Kind darin würde aufwachen und zu schreien anfangen.

Schnell lockerte sie ihren Griff und legte die letzten Schritte rennend bis zum Schiff zurück.

Der große Drachenkopf am Vordersteven jagte ihr bei Weitem keine Angst mehr ein, war sie doch schon viele Male auf dem Schiff mitgefahren.

»Seid Ihr so weit, Herrin?«, fragte eine tiefe Stimme ein kleines Stück über ihr.

Der Mann, der am Dollbord stand und auf sie hinabsah, wirkte angespannt. Tiefe Furchen hatten sich in sein Gesicht geschlagen, der hellblonde, mit grauen Strähnen durchzogene Bart starrte vor angetrocknetem Blut, die grauen Augen blickten stumpf und ausdruckslos auf sie hinab.

Unwillkürlich lief der jungen Frau ein kalter Schauder über den Rücken und sie musste heftig schlucken, bevor sie ihm entschlossen zunickte. Er streckte ihr die Hände entgegen und forderte stumm das Bündel aus ihren Armen.

Es kostete sie all ihre Willenskraft, der Aufforderung nachzukommen. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, konnte sie sich von dem kleinen schlafenden Gesichtchen abwenden und legte mit klopfendem Herzen das Bündel in seine starken Arme.

Der Krieger nahm es wortlos in seine linke Hand, die eher einer riesigen Pranke glich, und bot ihr die freie Rechte an, um ihr ebenfalls hinaufzuhelfen.

Und in diesem Moment schien die Zeit stillzustehen. Der Bruchteil eines Wimpernschlags wurde so lang wie ein ganzes Menschalter auf dieser Weltenscheibe.

»Nein.« Ihre Stimme klang heiser und brüchig und sie war sich nicht sicher, ob er sie über das Pfeifen des Windes und den Lärm der Schlacht hinweg überhaupt hörte.

Ohne dass sie eine Regung auf seinem blutverschmierten Gesicht erkannte, ließ er die Hand sinken. Sein Blick ruhte weiterhin auf ihr.

»Sie wollen nur mich. Mein Leben ist es, das sie begehren.« Mit diesen Worten kehrte die Kraft in sie zurück und die Zeit nahm wieder ihren Lauf.

In ihrem Inneren kam eine Flut an Gefühlen auf, als sie den heißen Schein des Feuers, der über den Hütten des Dorfes lag, auf ihrem Gesicht spürte: verletzter Stolz, Rachsucht und Wut über ihr Schicksal. Und sie wusste nicht, welchem sie sich zuerst hingeben sollte.

»Ich werde mich ihnen nicht kampflos entgegenstellen«, sprach sie mit fester Stimme. »Sie sollen lernen, was es heißt, gegen eine Göttin der Nordlande zu kämpfen!«

Pure Entschlossenheit und reiner Wille sprachen aus ihr, und es fühlte sich an, als hätte sie mit ihrem Kind, das nun in den Armen des Kriegers ruhte, ihre größte Schwäche abgelegt, auch wenn die Sehnsucht ihr bereits jetzt das Herz zerriss.

Er nickte knapp und wandte sich von ihr ab. Nach wenigen Schritten jedoch drehte er sich ihr erneut zu, zurückgehalten von ihrer Stimme. Zart und sanft klang sie diesmal, und sie sprach fast leiser als das nächtliche Säuseln des Windes.

»Versprich mir, dass du sie mir zurückbringst, eines Tages.«

Er drehte sich noch einmal um und ihre Blicke trafen sich. »Haltet immer ein wachsames Auge auf den Horizont«, sagte der Krieger und schaute mit finsterer Miene auf selbigen, wo soeben die ersten blassen Strahlen über den Rand des schäumenden Meeres krochen.

Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat

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