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Die Geschichte vom Hunde- und vom Schlaukopf

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In Kambodscha gibt es die in Europa gänzlich unbekannte Tradition des Steigenlassens von Musikdrachen… passend dazu eine Geschichte mit Thon Chej, dem Till Eulenspiegel Kambodschas. Der Name bedeutet sehr frei übersetzt „reicher Sieger“. Geschichten mit Thon Chej sind in Kambodscha seit jeher sehr populär.

Man ist der Meinung, dass die Musikdrachen namens Khleng Ek um 400 vor Christus entstanden und als eine Art von Gebet um Regen und gute Ernte fungierten. Da die Drachensaison mit der Trockenzeit im November, aber nie vor dem Wasser-Festival beginnt, ist es wohl auch eine Art von Erntedank. Nun haben die Bauern Zeit, um auf den abgeernteten Feldern Drachen steigen zu lassen. Ein mächtiger Khleng Ek kann bis zu vier Meter breit sein und muss von bis zu fünf Personen geflogen werden. Es gibt auch Berichte, dass französische Soldaten auf die Drachen schossen, da sie der Meinung waren, es handle sich um seltsame Vögel. Und auch Pol Pot schien kein gutes Verhältnis zu den singenden Fluggeräten gehabt zu haben, denn er ließ verlautbaren, dass ein auf einem Hausdach landender Drachen Unglück über die Familie bringen würde. Mit einem Einsturz des Hauses und dem Tod der Bewohner war unbedingt zu rechnen.

Es war einmal… oder auch nicht… aber ganz sicher lange vor unserer und unserer Ahnen Zeit… ein chinesischer Kaiser. Ein ganz mächtiger Kaiser, der alles hatte, was sich ein Mensch auf Erden nur wünschen kann: Geld, Geld, Gold, Edelsteine, hervorragendes Essen, exquisite Kleidung, demütige Untertanen, ein großes Reich, eine mächtige Armee und noch vieles mehr, was mir im Moment aber nicht einfällt. Wie dieser Kaiser geheißen hat, fragt ihr mich? Ja, wie wollen wir ihn nennen. Ich glaube, er hat Wu geheißen. Warum Wu? Dazu komme ich gleich. Denn der gute Wu hatte nicht nur Macht und Geld, sondern er hatte auch einen Hundekopf. Jawohl, einen Hundekopf. Wu. Wu. Wu, der mit dem Hu… Hu… Hundekopf, spotteten die Kinder heimlich auf den Straßen von Beijing… aber nur, wenn sie niemand beobachtete, denn für Kaiserspott gab es nicht nur nichts zu essen sondern ganz fürchterliche Schläge von den Eltern.

Man kann sich gut vorstellen, dass Kaiser Wu kein sehr glücklicher Mensch war. Wer möchte schon gerne mit einem Hundekopf leben? Ich weiß ja nicht, wie es mit euch aussieht, aber ich nicht. Und so war es kein Wunder, dass der Wu trotz seiner Macht und seines Reichtums noch keine Frau gefunden hatte. Unser trauriger Kaiser Wu mit dem Hundekopf. Und so kam es, dass Wu seine einzigen glücklichen Momente beim Verzehren von Unmengen von Essen fand. Nicht einer, nicht zehn, nicht hunderte, nein tausende Köche werden es wohl gewesen sein, die sich um Wu’s Glück kümmern mussten. Da war es nicht verwunderlich, dass Wu nicht nur einen Hundekopf, sondern auch einen gewaltig fetten Körper darunter hatte. Was wiederum seiner Suche nach einer Frau nicht sehr zuträglich war. Lassen wir aber unseren Kaiser Wu einmal in seinem Reich und in seinem Elend zurück und reisen wir weit, weit in den Süden… in das damals mindestens so mächtige Reich der Khmer.

Hier lebte ein recht gebildeter Mann namens Thon Chej ziemlich glücklich und zufrieden. Aber der Wind des Schicksals sollte ihn bald in den kalten Norden wehen. Irgendwie scheint unser Held Thon Chej den Unwillen des Khmer-Königs erregt zu haben. Auf jeden Fall war er so verärgert, dass er Thon Chej aus seiner schönen warmen kambodschanischen Heimat ins kalte chinesische Exil schickte. Thon Chej war natürlich einige Zeit lang sehr traurig und litt in der Fremde unter fürchterlichem Heimweh, aber langsam legte sich sein Schmerz und er begann, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Thon Chej war nicht nur ein gebildeter Mann sondern auch ein guter Koch. Und so begann er mit der Produktion und dem Verkauf von Num Banh Chok. Was das ist? Das sind kambodschanische Nudeln. Fadennudeln, um genau zu sein. Und so etwas kannte man damals gar nicht im chinesischen Reich. Jawohl, Thon Chej hatte mit seiner scharf-würzigen Num Banh Chok-Suppe eine Marktlücke entdeckt und den Geschmack der chinesischen Massen getroffen. Warum dem so war? Dazu müsst ihr wissen, dass Beijing vor allem im Winter bitter kalt werden kann… und Thon Chej’s raffiniert arrangierte Suppen weckten in den Beijingern die Erinnerung an den Sommer, an laue Mondnächte und an generell bessere Zeiten. Und so war es kein Wunder, dass man in ganz Beijing nur in den höchsten Tönen über das Aroma, den Geschmack und die Finesse der Thon-Chej-Suppen sprach.

Doch kehren wir zurück zu unserem traurigen Kaiser Wu. Sein Hundekopf hatte ihn bewogen, den Befehl auszugeben, dass niemand, aber auch gar niemand seinen Hundekopf sehen dürfte. Die Geschichten rund um den Kaiser Wu kamen natürlich auch unserem berühmten Nudelkocher zu Ohren. Anfangs gab er nichts auf das Geschwätz seiner Kunden, aber in einer besonders bitterkalten Beijinger Nacht wurde der Wunsch, in sein Heimatland Kambodscha zurückzukehren, übermächtig… und ein waghalsiger Plan reifte in ihm…

Da traf es sich gut, dass Kaiser Wu, Wu mit dem Hundekopf, in einer besonders traurigen Phase wütend nach neuen Essensgenüssen rief, um seinen Weltschmerz wenigstens ein wenig zu betäuben. Und drohend rief er seinen vor ihm herumkriechenden Untertanen zu, dass Blut, viel Blut, fließen würde, wenn nicht ein wenig Ab­wechslung auf den Tisch käme. Unsere tausend Köche liefen wie aufgescheuchte Hühner durch die Kochhallen, wälzten dicke Bücher, schlugen sich gegenseitig verwegene Rezepte vor… um sie anschließend als sinn- und nutzlos zu verwerfen und versanken schlussendlich in eine erschöpfte Resignation… sich den bevorstehenden Tod in den buntesten Farben ausmalend. Es wird wohl eine einfache Küchenmagd oder ein Heizbube gewesen sein, der die Kochprofis auf die in China bisher komplett unbekannten Fadennudeln des Thon Chej aufmerksam machte. Und da keiner der tausend China-Köche Num Banh Chok zubereiten konnte, so war es nur natürlich, dass Thon Chej persönlich in den Verbotenen Palast kommen musste, um ihnen das Nudelrezept von Nudeln, die die Erinnerung an den Sommer, an laue Mondnächte und an generell bessere Zeiten wachzurufen vermochten, zu verraten. Ob Kaiser Wu irgendwann bessere Zeiten hatte? Wir können nur hoffen, dass ihn zumindest seine Mutter geliebt hatte.

Doch zurück zu Thon Chej. Der konnte sein Glück kaum fassen, als er von der Einladung in den Palast und seiner Aufgabe hörte, dem Kaiser eine Nudelsuppe zu kochen. Denn nun konnte er seinen gewagten Plan in die Tat umsetzen. Aber was war sein Plan? Er wollte den Kaiser so sehr beleidigen, dass der ihn, so wie der Khmer-König, des Landes verweisen würde. Er durfte Kaiser Wu aber auch nicht so sehr beleidigen, dass der ihn einen Kopf kürzer zu sehen wünschte. Eine gefinkelte Sache also. Außerdem war unser Thon Chej ein ziemlich neugieriger Kerl und wollte wissen, wie so ein Mensch mit einem Hundekopf aussehen würde.

Und so kam es, dass unser vorwitziger Kambodschaner den China-Köchen das Märchen erzählte, dass nur er, und nur er, in der Lage sei, Kaiser Wu die Suppe so zu verabreichen, wie es im fernen Khmer-Reich üblich sei.

Kaiser Wu hatte es seinen Untertanen ja leicht gemacht, dass sie sein Hundegesicht nicht sehen konnte. Er saß tagein-tagaus auf ein­em unendlich hohen Thron, dem sich die Diener und Dienerinnen nur kriechend und mit dem Kopf nach unten nähern durften. Thon Chej ließ den Kaiser nun wissen, dass seine Nudeln nur folgendermaßen gegessen werden durften, wollte man die gesamte Geschmacksbreite und alle ihre Nuancen erfahren. Zuerst müsse sich der Esser nach hinten beugen, den Kopf so weit wie nur möglich in den Nacken legen und den Mund bis zum Anschlag aufreißen. Dann würde er, und nur er, die von ihm zubereiteten Nudeln aus der Schüssel fischen und sie langsam von oben in den sperrangelweit offenen Mund gleiten lassen. Dann wäre es wünschenswert, dass der liebliche Kaiser, so sprach Thon Chej schelmisch lächeln, maximal drei Mal kauen würde, bevor er, Thon Chej, einen Löffel Suppe nachschütten würde und Kaiser Wu dann endlich schlucken dürfe. So, und nur so, würde Num Banh Chok in seiner Heimat von den höchsten Herrschern zu sich genommen werden.

Wie wir uns alle vorstellen können, war Kaiser Wu von der Vorstellung gar nicht angetan, dass er sich vor einem ihm fremden Menschen so füttern lassen solle… und noch weniger behagte ihm die Vorstellung, dass nach Jahrzehnten wieder einmal ein anderer Mensch sein Hundeantlitz sehen solle.

Lange überlegte Kaiser Wu hin und her, aber schlussendlich siegte seine Neugier, wie denn diese wundersame Nudelsuppe schmecken würde, dass er den Forderungen von Thon Chej zustimmte.

Wir alle haben natürlich schon begriffen, dass Thon Chej diese Geschichte nur erfunden hatte, um einen ausgiebigen und genauen Blick in das Hundegesicht werfen zu können… und um eine Beleidigung auszusprechen, die ihn wieder in seine geliebte Heimat bringen würde.

Endlich war der Moment gekommen, dass Thon Chej in den kaiser­lichen Palastküchenhallen seine berühmte Nudelsuppe zubereitete, sie in eine Porzellanschüssel gab, zwei Stäbchen und einen Porzellanlöffel dazulegte und sich vor den kaiserlichen Thron begab. Kaum sah Kaiser Wu unseren wagemutigen Koch, da legte er sich im Thron weit zurück, warf den Hundekopf in den Nacken, riss den Mund weit auf… und wartete auf die himmlischen Genüsse, die da kommen sollte. Thon Chej kletterte den kaiserlichen Stuhl hinauf und konnte sich ein Lachen kaum zurückhalten. Der dicke Kaiser sah aber auch zu komisch aus, wie er da im Thron lag und seinen Mund wie ein Verdurstender weit aufriss. Leider kam unser armer Kaiser Wu nicht in den Genuss der himmlischen Nudeln, denn kaum stand Thon Chej neben ihm, da murmelte er so laut, dass es Wu einfach hören musste: „Der Kaiser von China hat ja einen Hundekopf – ganz im Gegenteil zum Khmer-König, der ein so wunderbar lächelndes Gesicht wie ein Vollmond hat!“

Als Kaiser Wu das hörte, da wurde er furchtbar wütend, schlug dem Koch die Schüssel aus der Hand und brüllte in seinem seelischen Schmerz: „Gefängnis! Ins Gefängnis! Ins kälteste Gefängnis Beijings mit diesem Hund! Er hat es gewagt ins kaiserliche Gesicht zu blicken und mich zu beleidigen! Ins Gefängnis!“

Tja, der Plan von Thon Chej war wohl gescheitert… und eine Rück­kehr ins ferne Kambodscha wohl für den Rest seines Lebens ausge­schlossen. Er saß nun in einem Gefängnis, in dem es bitter kalt war. Um nicht zu erfrieren, ärgerte Thon Chej seinen Mitgefangenen immer wieder so sehr, bis sich dieser auf ihn stürzte und beide miteinander zu ringen begannen. So konnten sie sich so warm halten, dass sie der Kälte nicht erlagen.

Der handwerklich sehr geschickte Thon Chej nutzt außerdem seine Zeit, um kleine Tonfiguren anzufertigen. Baumaterial hatte er ja genug, denn sein Zellenboden bestand ausschließlich aus gefrorener Erde. Dazu musste er aber auf sein Material urinieren, um es formbar zu machen. Die so gefertigten Statuen gab er durch die Gitterstäbe einem kleinen chinesischen Jungen, der sie gegen Bambusstücke und ein wenig rotes Papier eintauschte. Und aus diesen Materialien baute sich der arme und frierende Thon Chej einen Khleng Ek – einen kambodschanischen Musikdrachen. Diesen Drachen zwängte er nun jede Nacht durch die kalten Gitterstäbe seines Gefängnisses hindurch und ließ ihn in den nächtlichen Winterhimmel über dem kaiserlichen Palast steigen, wo der Drache sein trauriges Lied von einem Leben in wärmeren Gefilden anstimmte.

Der sowieso schlecht schlafende Kaiser Wu konnte nun überhaupt keinen Schlaf mehr finden, denn das monotone „tu-tu“ ließ ihn in eine tiefe Depression fallen. Schwere Schatten legten sich über das sowieso schon dunkle Gemüt von Wu. Tu-tu. Tu-tu.

Schlussendlich ließ er seine weisesten Weisen und seine klügsten Astrologen zu sich kommen, um zu erfahren, ob dieses tu-tu eine tiefere Bedeutung hätte. Und seine Weisen und Astrologen antworteten ihm folgendermaßen: „Ehrenwerter Kaiser Wu, es ist ein Lied von einem Vogel mit einem schlechten Omen. Und dieser Vogel wird jede Nacht so lange sein trauriges Lied ertönen und über Beijing wehen lassen, so lange ein kambodschanischer Weiser im Gefängnis sitzt.“ Und sie informierten ihren Kaiser auch darüber, dass dieser Weise aus seinem Land verwiesen worden wäre. Und dann ließen sie ihren Kaiser mit dem Hundegesicht noch wissen, dass der Schatten des Unglücks erst mit der Abreise dieses Weisen vom Volk und der Stadt und natürlich auch vom ehrenwerten Kaiser Wu verschwinden würde.

Kaiser Wu befahl nun sofort die Freilassung von Thon Chej und ließ sich diesen seltsamen Vogel zeigen, der ihm so viele traurige nächtliche Stunden bereitet hatte und einen so großen Schatten von Unglück über sein Volk werfen konnte. Und der weise Thon Chej sprach: „Ehrenwerter Kaiser Wu, ich werde diesen Vogel in seine Heimat zurückbringen, damit er für euer Volk keine Gefahr mehr darstellt. Sein Name ist Khleng Ek“.

Als Kaiser Wu diese Worte hörte, da war er sehr erleichtert. Doch nun packte ihn erneut die Neugier und er wollte einen Blick auf einen so mächtigen, nächtlichen Vogel werfen. Und so brachte Thon Chej seinen Drachen ins kaiserliche Gemach und erklärte ihm alle Einzelheiten. Und Kaiser Wu war sehr erstaunt, als er hörte, dass dieser „Vogel“ mit seinen Hörnern singen konnte. Nun, da die Gefahr gebannt war, wollte er den Vogel ein letztes Mal singen hören, denn der traurige Gesang des Drachens erinnerte ihn sehr an sein eigenes trauriges Schicksal. Und so stieg Khleng Ek erneut in den chinesischen Himmel und lies sein Lied ertönen!

Thon Chej aber machte sich mit hundert Männern und ebenso vielen Frauen als Reisebegleitung und unzähligen Gastgeschenken auf, um nach langen Jahren der Abwesenheit wieder in seine Heimat Kambodscha zurückzukehren.

Und seit diesen Tagen gibt es sowohl in Kambodscha als auch in China Drachen, die dem endlosen Himmel Farbtupfer verleihen.

Mythen, Märchen und Legenden aus Kambodscha

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