Читать книгу Die Braut des Herzogs - Sophia Farago - Страница 5
II.
ОглавлениеEs war am nächsten Morgen, gegen neun Uhr, als Seine Gnaden das Schlafzimmer verließ und gemächlich die breiten Stufen in die Eingangshalle hinabschritt. Er war korrekt für einen Vormittagsbesuch gekleidet. Enganliegende Hosen in zartem Biskuitgelb. Die Jacke aus feinstem Tuch. Die Spitzen seines Kragens waren frisch gestärkt, doch nicht ganz so hoch, wie es die herrschende Mode vorschrieb. So war es Seiner Gnaden möglich, den Kopf zu drehen, ohne die ganze Spitzenpracht zu verderben. Das Halstuch war kaskadenartig geknüpft, die Stiefel spiegelblank poliert. Sein Kammerdiener hatte eine spezielle Rezeptur für die Politur erfunden, und er verwendete Stunden darauf, die Stiefel seines Herrn auf Hochglanz zu bringen. Es war ihm eine Genugtuung zu wissen, daß er die Kammerdiener einiger anderer Herrn der feinen Gesellschaft mit seiner Kunst zur Verzweiflung brachte. Noch so verlockende Bestechungsversuche konnten ihn nicht dazu hinreißen, sein Rezept zu verraten, das er als sein strengstes Geheimnis hütete.
»Man stelle sich vor«, hatte er erst kürzlich der Köchin unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, »der neue Kammerdiener von Lord Greenhood hat mir doch tatsächlich eine sehr ordentliche Summe geboten, wenn ich ihm nur verrate, ob ich Champagner für meine Stiefelpolitur verwende. Natürlich hat er kein Sterbenswörtchen erfahren. Ich würde Seine Gnaden nie derart schamlos hintergehen.«
Wenn der Herzog auch vielleicht etwas von der unverbrüchlichen Treue seiner Dienerschaft ahnte, so verschwendete er weder einen Gedanken an seinen Kammerdiener noch an dessen Stiefelpolitur, als er die Halle seines Hauses betrat. Im Vorbeigehen warf er einen kritischen Blick in den mannshohen Spiegel, entfernte ein Staubkorn vom linken Ärmel und öffnete die Türe zum Frühstückszimmer.
Der Butler war eben dabei, mit einem der Diener den Frühstückstisch zu decken. Nun wandte er sich abrupt um und hätte vor Erstaunen fast das Sahnekännchen fallen lassen. Er faßte sich jedoch rasch und wünschte korrekt einen guten Morgen. Dabei hoffte er, Seine Gnaden habe seinen entgeisterten Blick nicht bemerkt. Doch Wellbrooks ließ sich nicht täuschen:
»Du hast recht, Hindley«, meinte er mit leichtem Schmunzeln, »es ist verdammt früh. Meine Großmutter erwartet meinen Besuch. Sag im Stall Bescheid. Ich brauche meine Braunen in genau einer halben Stunde. Und nun wollen wir einmal sehen, wie mir das Frühstück so früh am Morgen schmeckt.«
Hindley, der den Appetit seines Herrn sowie dessen Abneigung zu warten kannte, beeilte sich, einen der Diener zu den Ställen zu schicken. Dann begab er sich höchstpersönlich in die Küche, um die Köchin von der überraschenden Tatsache in Kenntnis zu setzen, daß der Hausherr umgehend zu frühstücken wünsche.
Zwar war Seine Gnaden auch an anderen Tagen kein extremer Langschläfer. Nur selten verließ er sein Schlafzimmer erst nach der Mittagsstunde, wie es viele Herrschaften von Stand zu tun pflegten. Daß er aber zu so früher Stunde sein Frühstück einnehmen wollte, sorgte in der Küche für Aufregung. Mrs. Rushend, die Köchin, wies ein Küchenmädchen an, rasch den Kessel über das Feuer zu hängen, um Wasser zu wärmen. Dann machte sie sich selbst an das Braten von Eiern und Schinken. Diese Aufgabe konnte sie an keines der Mädchen übertragen. Nur sie wußte, wie Seine Gnaden die Eier bevorzugte und welcher Schinken dafür zu nehmen war. Henry, der erste Diener, trug Platten mit Wurst, Fisch und Tomaten nach oben. Edward folgte mit dem kalten Braten.
»Ich sage Ihnen, Mr. Hindley, das hat etwas zu bedeuten«, meinte die Köchin in wichtigem Ton, als sie Eier und Schinken auf einen vorgewärmten Teller gleiten ließ. »Ohne Grund steht Seine Gnaden nicht so bald am Morgen von seinem warmen Lager auf. Es sollte mich nicht wundem, wenn uns bald eine Vermählung ins Haus stünde.«
Der Butler erlaubte sich ein kleines Lächeln: »Hier versagt Ihr Spürsinn, liebe Mrs. Rushend«, meinte er erhaben. Stolz darauf, die wahren Pläne seines Herrn für diesen Vormittag zu kennen. »Seine Gnaden werden von seiner Großmutter erwartet. Sie wissen doch, wie Lady Addlethorpe ist, nicht wahr?« Es blieb dahingestellt, ob er damit ausdrücken wollte, daß Ihre Ladyschaft immer zu so früher Stunde aufzustehen pflegte, oder ob sie ihre Besucher zu jeder von ihr gewählten Stunde pünktlich zu sehen wünschte und keine Verspätung duldete. Auch dann nicht, wenn es sich um den Herzog von Wellbrooks handelte.
Mrs. Rushend wischte sich ihre Hände an der Küchenschürze ab. »Denken Sie an meine Worte«, sagte sie wissend.
Pünktlich um zehn Uhr fuhr der Wagen des Herzogs vor dem Hause seines Cousins in der Brook Street vor. Gekonnt brachte er seine Braunen vor dem Haustor zum Stehen. Seine Tante Charlotte, die eben ans Fenster getreten war, um durch einen Vorhangspalt die Ankunft ihres Neffen mitzuerleben, registrierte diesen Umstand mit Unmut: »Ein Herzog sollte nicht selbst kutschieren«, sagte sie zu ihrer Mutter, die neben ihr vor dem Kamin saß. »Es schickt sich nicht.«
Trotz des freundlichen Aprilmorgens war ein kleines Feuer entfacht worden. Die alte Dame versuchte soeben vergeblich, ihre Beine in eine bereitgelegte Wolldecke zu hüllen.
»Hilf mir lieber, dieses Ding da über die Füße zu legen«, befahl sie unwillig, »anstatt mir einen Vortrag darüber zu halten, was sich deiner Meinung nach für einen Herzog schickt. Und dann sage diesem Tölpel von einem Diener, daß ich umgehend ein ordentliches Feuer im Kamin sehen möchte. Mit diesem Flämmchen kann man ja nicht einmal ein junges Mädchen wärmen, geschweige denn eine alte, gichtige Frau wie mich. Es sollte mich nicht wundern, wenn mich mein Enkel Charles absichtlich frieren ließe. Vermutlich denkt er, etwas Abhärtung könnte mir nicht schaden, der verhinderte Arzt!«
Sie schnaubte verächtlich und zog sich die Decke bis zur Brust hinauf. Dann wandte sie sich wieder ihrer Tochter zu: »Na, was stehst du noch herum?« fauchte sie. »Julian empfange ich alleine. Ich habe mit ihm zu reden, und was ich zu sagen habe, geht niemanden etwas an. Also geh.«
Derart unfreundlich aus dem Zimmer komplimentiert, machte sich Miss Charlotte auf die Suche nach einem Lakaien. In der Halle begegnete sie ihrem Neffen, der eben im Begriff war, dem Butler zu den Räumen seiner Großmutter zu folgen. Wie immer, wenn sie ihrem stattlichen Neffen gegenüberstand, errötete sie zutiefst und fiel in nervöse Befangenheit. Sie war nun schon weit in den Dreißigern und hatte die Hoffnung auf eine standesgemäße Heirat längst aufgegeben. Man munkelte etwas von einem Verlobten, den sie in ihrer Jugend über alles geliebt haben soll. Die Verlobung sei aus unbekannten Gründen geheimgehalten worden und eines Tages sei der Verlobte durch einen Unfall (oder war es ein Duell?) aus dem Leben geschieden. Lady Addlethorpe tat beide Versionen mit einem verächtlichen Achselzucken ab und sagte, die Wahrheit sei, daß ihre liebe Charlotte, obwohl ein braves Mädchen und ganz bestimmt tugendsam, nie eine Schönheit gewesen sei und bei Gott auch keine mehr werden würde. Darum habe man keine standesgemäße Ehe arrangieren können. Die ein, zwei Anträge, die ihre Tochter erhalten habe, seien von stadtbekannten Mitgiftjägern gekommen. Und man habe es vorgezogen, die Tochter lieber ledig als an der Hand eines Taugenichts zu wissen.
Nun begrüßte sie ihren Neffen mit einem gezwungenen Lächeln und erklärte, um ihn vorzuwarnen, daß Mama nicht bester Laune sei. Dann huschte sie an ihm vorbei, um sich in den Küchentrakt zu begeben.
Der Herzog betrat das Zimmer seiner Großmutter so knapp hinter dem Butler, daß diesem jede Möglichkeit genommen war, ihn anzukündigen. Er beugte sich über Myladys Hand und sagte lächelnd: »Wie fühlst du dich heute morgen, Großmama? Tante Charlotte meinte, du seist nicht gerade bester Laune. Soll ich mich nun fürchten und lieber wieder das Weite suchen?«
»Charlotte ist eine Schwätzerin«, entgegnete seine Großmutter mit einer wegwerfenden Handbewegung und machte sich daran, ihren Besucher eingehend zu betrachten.
»Du siehst gut aus, Julian«, stellte sie schließlich fest und fügte mit süffisantem Lächeln hinzu: »Man sieht dir deinen lockeren Lebenswandel kaum an.«
Die rechte Augenbraue ihres Besuchers schnellte hoch: »Ach, wirklich?« fragte er steif.
Die alte Dame registrierte zufrieden seine Empörung. »Komm, setze dich zu mir. Mit seiner Großmutter streitet man nicht. Und bei mir ziehst du ohnehin den kürzeren.«
Der Herzog lachte auf und ließ sich schwungvoll in einem Fauteuil nieder, der seiner Großmutter gegenüberstand.
»Mir einen lockeren Lebenswandel vorzuwerfen! Jetzt wäre es dir beinahe gelungen, mich aus der Reserve zu locken«, gestand er. »Das passiert mir nicht allzu häufig.«
»Natürlich nicht. Weil du dich mit lauter Leuten umgibst, die dir von vornherein recht geben«, erklärte seine Großmutter. »Du brauchst endlich jemanden, der zu seiner Meinung steht. Der dir widerspricht. Der aufzeigt, wenn du im Unrecht bist. Der dich aus deiner selbstgefälligen Ruhe holt …«
»Um Gottes willen, nein!« rief Seine Gnaden entsetzt.
Da in diesem Augenblick der Diener eintrat, um Holz im Kamin nachzulegen, ließ es Mylady damit bewenden, ihrem Enkel einen strengen Blick zuzuwerfen und sich jeder Äußerung zu enthalten. Dafür wandte sie sich dem Lakaien zu und gab genaue Anweisungen, wie ein ordentliches Feuer zu entfachen sei, da sie sich bei der Kälte, die in dem Raum herrschte, in Kürze den Tod holen würde. Noch dazu, wenn man bedachte, daß im ganzen Haus die Zugluft nur so durch die Ritzen pfiff.
Ihr Enkel beobachtete sie mit stillem Vergnügen und rückte unmerklich seinen Stuhl weiter vom Feuer weg.
Als der Diener seine Aufgabe einigermaßen zur Zufriedenheit des gestrengen Gastes ausgeführt hatte, verbeugte er sich und verließ erleichtert den Raum. Mylady wandte sich wieder dem Herzog zu.
»Wo waren wir stehengeblieben?« wollte sie wissen.
»Du sprachst davon, daß ich jemand brauche, der mir ständig widerspricht, der mir meine Ruhe nimmt und mir, kurz gesagt, das Leben zur Hölle machen soll«, erinnerte er sie freundlich.
»Unsinn!« rief die alte Dame energisch. »Keine Rede davon, daß dir dein Leben zur Hölle gemacht werden soll. Ganz im Gegenteil, eine Bereicherung deines Daseins soll sie sein. Sie soll dich aus deinem Alltagstrott der leeren Vergnügungen herausreißen und dein Leben in sinnvollere Bahnen lenken!«
Der Herzog war höchst amüsiert: »Das klingt ja verlockend«, meinte er mit leichtem Spott. »Nur eines beunruhigt mich, liebe Großmama. Wer ist dieser jemand, von dem du sprichst? Sollte es sich gar um eine Dame handeln? Und vor allem: Welche Funktion hast du ihr in meinem Leben zugedacht?« Sein Ton war leicht vorwurfsvoll geworden, so als hätte ihm seine Großmutter einen unmoralischen Vorschlag gemacht. Diese hatte genau verstanden, was er meinte, und kicherte wie ein junges Mädchen: »Also wirklich, Wellbrooks! Du meinst doch nicht etwa, ich hätte eine neue Mätresse für dich!« rief sie mit nicht ganz ernst gemeinter Entrüstung. »Was denkst du denn von deiner Großmutter, du junger Narr? Nein, nein, deine Mätresse mußt du dir schon selbst suchen. Das heißt …«
Der Herzog war in schallendes Gelächter ausgebrochen: »Du bist wirklich ein Schatz!« brachte er mühsam hervor. »Aber keine Angst, meine Liebschaften suche ich mir in der Tat schon selbst aus.«
»Das wirst du nicht tun!« rief Mylady streng.
»Ach?« fragte der Herzog überrascht. »Du sagtest doch eben …«
»Ich sagte nichts dergleichen!« unterbrach sie ihn und räumte gleich darauf ein: »Und wenn ich es sagte, dann habe ich es nicht so gemeint.«
»Aha«, antwortete ihr Enkel, noch immer belustigt. »Das hätte ich mir denken können. Schade.«
»Schluß jetzt mit dem Unsinn«, fuhr Lady Addlethorpe auf. »Ich sprach von deiner Heirat.«
Der Herzog wurde schlagartig ernst.
»Von meiner Heirat?« wiederholte er ungläubig. »Du schlägst mir doch nicht ernsthaft vor, daß ich heiraten soll?«
»Aber natürlich tue ich das«, erklärte Mylady ruhig. »Genau das ist der Grund, warum ich dich heute kommen ließ. Ich muß zugeben, der Gedanke, daß du dich vermählen solltest, ist mir bereits vor längerer Zeit in den Sinn gekommen. Schließlich wirst auch du nicht jünger, und es wird Zeit, daß du dir Gedanken um deine Nachkommen machst. Und doch wußte ich bisher nicht, wie ich dir diese Idee schmackhaft machen könnte. Gestern abend hast du mir von deinen Problemen erzählt. Und da wußte ich schlagartig, daß eine Eheschließung die Lösung all deiner Sorgen bedeutet. Überlege doch, welche Vorteile du hast, wenn du erst einmal in festen Händen bist: Mit einem Schlag hat die Jagd der heiratswilligen Mädchen auf dich ein Ende. Und du hast eine Frau an deiner Seite, um die du dich kümmern kannst. Überdies wirst du über kurz oder lang einen Sohn haben. Damit ist dein Cousin aus dem Rennen, den du ohnehin nie leiden konntest. Und ich auch nicht«, setzte sie als letzten Trumpf hinzu.
Der Herzog blickte sie lange Zeit schweigend an, tief in Gedanken versunken. Die Idee schien ihm unglaublich, ja geradezu verrückt. Und dennoch, sie war einfach genial.
Er lächelte versonnen: Man nehme eine einzige Frau und durchkreuze damit die Pläne der übrigen. Der Weg würde frei sein für allerlei Unternehmungen, ohne daß ihn aufdringliche Eltern störten. Und dazu konnte man George einen entscheidenden Dämpfer versetzen. Der Bursche war viel zu sicher, daß einst die Herzogswürde auf ihn übergehen würde, und er lebte bereits jetzt auf zu großem Fuß.
Ja, der Plan seiner Großmutter gefiel ihm immer besser, je länger er ihn überdachte. An seine zukünftige Frau verschwendete er keinen Gedanken. Es gab schließlich genügend Vernunftehen, die recht zufriedenstellend verliefen. Da würde sich schon ein passendes Arrangement finden lassen.
»Ja, du hast recht«, sagte er daher. »Ich sollte mich verheiraten.«
Lady Addlethorpe, die ihn mit wachsender Ungeduld beobachtet hatte, hielt überrascht die Luft an. Sie hatte mit Widerspruch gerechnet. Und nun hatte sie mit ihrem Vorschlag ohne lange Diskussion Anklang gefunden. Sie hätte viel darum gegeben, Wellbrooks Gedanken lesen zu können. Zweifel kamen in ihr auf, ob sie ihm tatsächlich das Richtige vorgeschlagen hatte.
»Aber sage doch, liebe Großmama«, fuhr ihr Enkel fort, »du hast dir doch sicher auch Gedanken darüber gemacht, wer als passende Braut für mich in Frage käme. Bestimmt hast du schon ein Mädchen im Auge.«
»Das habe ich in der Tat«, gab Lady Addlethorpe zu.
»Dann sag mir, wer es ist. Denkst du an Miss Stamperford? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, denn du magst ihre Mutter nicht. Wie wäre es mit Christina O’Brian? Oder vielleicht Cousine Linham?«
»Du kennst sie nicht«, unterbrach ihn die Großmutter unwillig.
»Ich kenne sie nicht?« wiederholte Seine Gnaden überrascht.
»Nein, du kennst sie nicht«, bekräftigte Mylady. »Sie lebt zurückgezogen in der Nähe von Bath. Soviel ich weiß, gab sie vor fünf oder sechs Jahren ihr Debüt in London. Aber zu dieser Zeit bist du ja auf dem Kontinent gewesen.«
Der Herzog nickte. »Ist sie standesgemäß?« vergewisserte er sich.
»Aber natürlich«, empörte sich Mylady, »du kannst versichert sein, daß ich sehr gut weiß, was einem Wellbrooks angemessen ist. Besser als so mancher andere.«
»Ist schon gut«, beruhigte sie ihr Enkel. »Ich weiß, daß du mir nie eine unpassende Partie vorschlagen würdest. Aber nun heraus mit der Sprache: Wer ist sie?«
»Ich denke an Miss Olivia Redbridge«, antwortete die alte Dame würdevoll. »Sie ist die älteste Tochter von Lord Redbridge, einem Viscount. Er besitzt ein Landgut in der Nähe von Bath. Keine riesigen Ländereien, aber durchaus passabel. Da ihre Mutter schon vor Jahren gestorben ist, hat Miss Redbridge die Führung des Haushaltes übernommen. Es sind vier oder fünf Geschwister zu versorgen …«
»Also mittellos«, stellte der Herzog nüchtern fest.
Seine Großmutter war nicht sehr erfreut über diese Unterbrechung: »Na ja, nicht gerade mittellos«, protestierte sie. Doch es klang mehr wie ein Eingeständnis.
»Ist sie hübsch?« wollte er wissen.
»Sie ist groß und hat eine tadellose Figur. Ihre Züge sind durchaus einnehmend, die rotblonden Haare …«
»Eine Schönheit ist sie also auch nicht«, unterbrach er sie abermals.
»Sie hat ein erfreuliches Äußeres«, protestierte Mylady nun schon heftiger. »Vielleicht ist sie nicht gerade modisch …«
»Um Himmels willen, das wird ja immer schlimmer!« stöhnte Wellbrooks auf. »Sie ist weder begütert noch schön und überdies altmodisch! Was ist es wohl, was sie dir als passende Gattin für mich erscheinen läßt?«
»Es gibt für eine Ehefrau wichtigere Eigenschaften als Schönheit und Reichtum«, entgegnete Lady Addlethorpe schroff.
»Ach, wirklich?« fragte der Herzog skeptisch.
»Ja, natürlich! Intelligenz, Anmut und Stil. Eine gesunde Portion Hausverstand, die Fähigkeit, ein großes Haus zu führen und an deiner Tafel zu repräsentieren. Ein Herz für Kinder und eine gute Hand für die Dienerschaft …«
»Und das alles hat deine Miss …«, fragte er, amüsiert über den Eifer, mit dem seine Großmutter all diese Tugenden aufgezählt hatte.
»Redbridge«, ergänzte sie. »Jawohl. Sie wäre eine perfekte Herzogin.«
Ihr Enkel sah sie eindringlich an: »Gut«, sagte er schließlich ernst und bestimmt. »Es soll sein, wie du es wünschst. Ich werde dieser Miss Redbridge meinen Antrag machen.«
Der Herzog sah keinen Grund, die Dinge weiter hinauszuschieben. Noch am Nachmittag desselben Tages setzte er seinen überraschten Sekretär davon in Kenntnis, daß er sich zu verheiraten gedenke.
Mr. Jonathan Bactexter war ein ernster junger Mann, der, wenn es nach seinen Wünschen gegangen wäre, die politische Laufbahn eingeschlagen hätte. Er war der jüngste Sohn eines Landpfarrers aus Kent. Die Pfarrei seines Vaters lag in der Nähe der weitausgedehnten Besitzungen von Brooks Hall. Leider hatte er keinen Gönner, der seine politischen Ambitionen hätte unterstützen können. So bewarb er sich um die Stelle eines Sekretärs beim gegenwärtigen Herzog, als dieser, von Spanien zurückgekehrt, befunden hatte, daß er für zahlreiche Arbeiten einer helfenden Hand bedürfe.
Hatte Mr. Bactexter auch anfangs Befürchtungen gehegt, seine hochstrebenden Ideale wären mit dem Lebenswandel eines Mannes der ersten Gesellschaft nicht vereinbar – nur zu bekannt waren die Vergnügungen der Herren aus dem Kreise des Prinzregenten, zu zahlreich ihre Skandale –, so konnte er am Herzog von Wellbrooks keinen Makel erkennen. Seine Gnaden hegte keinerlei Ambitionen, sein Erbe am Spieltisch durchzubringen, er sorgte für eine tadellose Verwaltung seiner Güter, nahm bisweilen sogar seinen Sitz im Oberhaus ein, und sein Privatleben ging so diskret vonstatten, daß er nie in einen ernsthaften Skandal verwickelt war. Der Herzog, der die stille Art seines Sekretärs bald zu schätzen gelernt hatte, betraute ihn mit immer weitreichenderen Aufgaben. Es dauerte nicht lange und Bactexter war ihm unentbehrlich geworden.
»Gestatten Sie, Euer Gnaden, daß ich Ihnen meine Glückwünsche entbiete«, sagte dieser nun mit einer leichten Verbeugung. Die Überraschung über die unerwartete Neuigkeit war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Darf ich fragen, welcher Dame Sie einen Heiratsantrag gemacht haben, Sir?«
Der Herzog, belustigt über die Neugierde seines Sekretärs, antwortete: »Natürlich darfst du fragen, Bactexter. Allerdings habe ich noch keinen Antrag gemacht. Das sollst du für mich erledigen, schriftlich.«
»Sehr wohl, Euer Gnaden«, sagte der Sekretär so ruhig, als sei dieses Ansinnen eine Selbstverständlichkeit. »Die Dame befindet sich nicht in London?«
»Nein, sie lebt auf dem Lande«, bestätigte Wellbrooks, »es handelt sich um Miss Olivia Redbridge.«
Erfreut stellte er fest, daß er den sonst so unerschütterlichen Sekretär immer weiter aus der Fassung brachte. »Schreibe ihr, was du für richtig hältst. Daß der ehrenwerte Julian Antony und so weiter … Kündige mein Kommen für … na, sagen wir Freitag der nächsten Woche an.«
»Aber, Sir. An diesem Abend findet doch der Ball im Carleton House statt. Seine Hoheit, der Prinzregent, wird sicher mit Ihrem Erscheinen rechnen«, wandte Bactexter ein, der alle Termine Seiner Gnaden im Kopf hatte.
»Du hast recht. Dann reise ich am darauffolgenden Montag. Und vergiß nicht, das Schreiben an Lord Redbridge zu adressieren«, sagte sein Herr, sich zum Gehen wendend.
»Ja, Sir, natürlich, Sir«, meinte Bactexter, »und die Adresse?«
Der Herzog, der bereits die Türklinke in der Hand hielt, drehte sich kurz um: »Richtig, die Adresse brauchst du ja auch. Ich habe vergessen, mich danach zu erkundigen. Am besten, du fragst meine Großmutter selbst. Sie befindet sich zur Zeit im Hause meiner Tante Linham in der Brook Street.«
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und ließ den armen Sekretär nun endgültig fassungslos zurück.
Der Herzog fühlte sich, zu seiner eigenen Überraschung, so beschwingt wie schon lange nicht mehr. Je intensiver er über die Idee seiner Großmutter nachdachte, desto anziehender erschien sie ihm. Seine Beweggründe unterschieden sich jedoch deutlich von denen Ihrer Ladyschaft.
Er bräuchte jemanden, der ihm widerspräche, hatte sie gemeint. Das war natürlich Unsinn. Auch wollte er niemanden, dem es gelang, seine kühle Arroganz zu durchbrechen, wie sie es genannt hatte. Wenn sie wüßte, wie lange er gebraucht hatte, um sich dieses Flair zuzulegen, das ihm Schutz bot und gleichzeitig seinen Wünschen Tür und Tor öffnete. Nein, daß ihm seine zukünftige Frau lästig fallen könnte, das würde er, weiß Gott, zu verhindern wissen. Überhaupt, er war gar nicht geneigt, sich zu viele Gedanken um seine unbekannte Braut zu machen. Wichtig waren allein die Folgen, die diese Vermählung, ja bereits die offizielle Verlobungsanzeige in der Gazette, zeitigen würden. Was wird das für einen Aufruhr geben! dachte er amüsiert. Der reiche Wellbrooks, einer der wenigen Herzöge, die zur Zeit im heiratsfähigen Alter waren, vermählt sich mit einem unbekannten Landmädchen. Ja, diese Aufregung würde wirklich eine willkommene Abwechslung im gewohnten Alltag bilden. Das Wichtigste aber war: Er war frei! Er war verlobt und dadurch frei. Ein absurder Gedanke. Aber er stimmte. Er würde sich mit einem Male wieder ungezwungen auf Bällen bewegen können, im Club würde kein Vater mehr von seiner Tochter zu schwärmen beginnen, wenn er in Ruhe die Zeitung lesen oder am Spieltisch sitzen wollte. Es war überwältigend.