Читать книгу Die Braut des Herzogs - Sophia Farago - Страница 6
III.
ОглавлениеDer Anblick von Miss Olivia Redbridge, die in flottem Tempo ihr Gig selbst in Richtung Bath kutschierte, sorgte schon lange nicht mehr für Aufsehen. Früher hatten zwar viele gemeint, es schicke sich nicht für ein junges Mädchen ohne Anstandsdame, ja sogar ohne Groom, durch die Gegend zu fahren. Doch da war Olivia noch keine zwanzig gewesen. Inzwischen war sie jedoch dreiundzwanzig Jahre alt und die anerkannte Herrin von Redbridge Manor, so hatte man sich an diesen Anblick gewöhnt. Ungewöhnlich war vielleicht, daß sie seit kurzem ein Paar hübscher Brauner lenkte, die ein anderes Tempo anzuschlagen vermochten als der alte Gaul, mit dem sie bisher ihre Ausfahrten unternommen hatte.
Aber es war überhaupt vieles anders geworden auf Redbridge Manor, seit sich Seine Lordschaft vor vierzehn Tagen ganz überraschend wieder verheiratet hatte. Die neue Lady war eine höchst elegante Dame aus der Stadt und hatte allgemein großes Aufsehen erregt. Man stand ihr anfangs reserviert gegenüber. Schließlich hatten alle Miss Olivia ins Herz geschlossen. Und daß diese nun das Zepter abgeben mußte, das sie sechs Jahre lang mit Bravour geschwungen hatte, konnte sich kaum jemand vorstellen. Darum wollte man zuerst Olivias Reaktion abwarten, bevor man entschied, ob die neue Herrin in der Gegend willkommen war.
Olivia wirkte gutgelaunt wie stets, wie sie dasaß, aufrecht und selbstbewußt. Ihre langen rotblonden Haare waren straff aus dem Gesicht gekämmt und von einem breiten Strohhut beinahe verdeckt. Das Kleid war adrett, wenn auch keineswegs modisch. Es war bis zum Hals hochgeschlossen und am Handgelenk enganliegend. Die Schuhe waren derb, praktisch für Spaziergänge über Wiesen und auf morastigen Feldwegen.
Sie winkte den Bauern auf den Feldern zu, die ihre Arbeit unterbrachen und grüßend ihre Hüte zogen. Neben ihr in einem Korb klapperten einige Gläser mit selbsteingekochter Marmelade, die sie Mrs. Cookridge zu bringen versprochen hatte.
Mrs. Cookridge war eine Freundin ihrer Mutter gewesen. Sie war Olivia in der Zeit nach deren Tod zur Seite gestanden und war auch jetzt noch gerne mit Rat und Tat zur Stelle, wenn Olivia mit ihren Sorgen zu ihr kam. Sie drängte sich jedoch niemals auf und besuchte Redbridge Manor nur auf ausdrückliche Einladung, die Olivia jedoch öfter aussprach.
Sie selbst hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Lady Cookridge jeden Donnerstag zum Tee zu besuchen. Trotz des Altersunterschiedes waren die beiden gute Freundinnen geworden, und es hatte sich auch die Ältere längst angewöhnt, Olivias Meinung vor wichtigen Entscheidungen einzuholen.
Olivia hielt ihr Gig vor dem Haus ihrer Freundin im Zentrum von Bath an und übergab die Zügel dem Diener, der wie jeden Donnerstag um dieselbe Zeit auf sie gewartet hatte. Es war dies das erste Mal nach der Hochzeit ihres Vaters, daß sie das Haus von Mrs. Cookridge betrat. Diese hatte die vergangenen acht Wochen bei ihrer ältesten Tochter in Yorkshire verbracht, um ihr bei der Geburt ihres ersten Kindes beizustehen.
»Meine Liebe, ich freue mich so, dich zu sehen. Wie geht es dir?« fragte Mrs. Cookridge zur Begrüßung. Sie blickte ihren Gast prüfend an, so als wollte sie feststellen, ob die überraschende Vermählung ihres Vaters äußerlich Spuren an Olivia hinterlassen hatte.
»Oh, mir geht es gut, danke«, antwortete Olivia leichthin, küßte ihre Freundin auf beide Wangen und überreichte ihr den Korb mit den Marmeladengläsern.
»Wie nett, daß du daran gedacht hast«, freute sich Mrs. Cookridge. »Deine Marmelade ist wirklich einzigartig. Ich habe noch keine gekostet, die ihr gleichkäme.«
Olivia reichte dem Butler ihren Hut und die Handschuhe.
»Nun erzähle«, forderte sie ihre Freundin auf, »wie geht es deiner Tochter und dem Kleinen?«
»Danke. Emily geht es gut. Zum Glück war es keine schwere Geburt.« Sie schritt in den Salon voran, wo der Tee in einer schweren Silberkanne bereitstand. »Das Baby ist ein hübscher kleiner Kerl. Den Kopf voll dunkler Haare. Sie wollen ihn Alexander nennen, nach seinem Großvater«, erklärte sie stolz und reichte Olivia eine Tasse. »Doch nun zu dir. Ich gestehe, ich konnte es kaum glauben, als ich es erfuhr. Dein Vater hat wieder geheiratet? Lady Sudbury? Du hast mein aufrichtiges Mitgefühl, meine Liebe. Wie ist denn das alles gekommen?«
»Oh, dein Mitgefühl ist verschwendet!« rief Olivia fröhlich. Das setzte ihre Gastgeberin in Erstaunen: »Aber es muß doch schrecklich für dich sein, daß du nun eine fremde Frau Mutter nennen mußt.«
»Ich nenne sie nicht Mutter«, antwortete Olivia mit vor Schalk blitzenden Augen, »ich sage Marilla zu ihr.«
»So sei doch nicht so aufreizend«, forderte die Ältere streng, »du weißt genau, was ich meine. Also bitte, mache jetzt keine Späße und erzähle mir alles der Reihe nach!«
Olivia trank einen kleinen Schluck Tee und schickte sich in das Unvermeidliche: »Also, etwa vor einem halben Jahr lernte Papa Lady Sudbury kennen. Du kannst dich doch noch daran erinnern, daß er, wie jedes Jahr im Oktober, bei Lord Hamsham zur Fasanenjagd eingeladen war. Dieses Jahr weilte auch dessen verwitwete Cousine unter den Gästen. Marilla Sudbury. Du kennst sie doch, nicht wahr?«
»Ja, ich bin ihr in London einige Male begegnet«, erwiderte Mrs. Cookridge. »Aber ich gehöre nicht zu ihrem Bekanntenkreis. Eine hübsche Frau, soweit ich das in Erinnerung habe. Immer nach der neuesten Mode gekleidet.«
Die letzte Bemerkung war etwas abfällig geäußert, was nach einem Blick auf Mrs. Cookridges hagere Gestalt, die in ihrem dezenten dunklen Kleid gar nicht modisch wirkte, nicht verwunderte. Sie legte keinen Wert auf eine elegante Erscheinung, betonte oftmals, daß es Wichtigeres gab als ein aufgeputztes Äußeres, und hatte deshalb auch an Olivias uneleganter Aufmachung nie Anstoß genommen.
»Ja, das ist richtig«, nahm Olivia den Faden wieder auf. »Sie ist eine ausnehmend gutaussehende Dame. Obwohl sie schon Ende vierzig sein muß, denn sie hat einen erwachsenen Sohn, ist kaum eine weiße Strähne in ihrem Haar zu entdecken. Sie kleidet sich außerordentlich geschmackvoll und hat ein so feines, liebenswertes Wesen, daß es kein Wunder ist, daß sich Papa Hals über Kopf in sie verliebte.«
»Aber das klingt ja höchst erfreulich!« rief Mrs. Cookridge aus. Sie war darauf vorbereitet gewesen, ihre Freundin über die einschneidende Veränderung in ihrem Leben hinwegtrösten zu müssen. »Doch ich unterbreche dich. Fahr bitte fort. Er verliebte sich in sie, sagtest du?«
Olivia nickte: »Ja, so muß es wohl gewesen sein. Weißt du noch, wie verwundert ich war, daß Papa so verändert von diesem Jagdaufenthalt zurückkam? Er war nicht mehr so verschlossen wie früher. Vergrub sich nicht mehr den ganzen Tag in der Bibliothek, sondern ging seinen Pflichten auf dem Gut im verstärkten Maße nach. Na, und dann fuhr er öfter nach London. Das hatte er doch seit Mamas Tod kaum noch getan. Ich war natürlich weit davon entfernt zu ahnen, daß hinter all den Veränderungen eine Frau stecken würde. So fiel ich aus allen Wolken, als er vor zwei Monaten, du warst gerade nach Yorkshire abgefahren, erklärte, daß er sich zu verehelichen gedenke. Die Kinder waren natürlich ganz aufgeregt. Keiner von uns konnte sich vorstellen, daß wir nun eine Stiefmutter bekommen sollten. Und der Gedanke, daß Redbridge Manor künftig eine neue Herrin haben würde, daß ich mich wieder unterzuordnen hätte, wie es sich für eine unverheiratete Tochter geziemt, das hat mir anfangs schlaflose Nächte bereitet.«
Sie hielt kurz inne, und ihre Freundin nickte verstehend.
»Am nächsten Nachmittag war es dann soweit: Lady Sudbury sollte zu Besuch kommen. Wir warteten aufgeregt im Salon. Die Kinder hatten ihre besten Kleider angezogen. Mit verstörten, widerwilligen Gesichtern saßen sie in der Runde. Sophia schmollte, und nur ein Machtwort unseres Vaters konnte sie dazu bewegen, diesen Nachmittag nicht auf ihrem Zimmer zu verbringen. Wirklich kein gutes Vorzeichen für die erste Visite der neuen Hausherrin.«
Olivia lachte, als sie sich an diesen Nachmittag erinnerte: »Warum es dann ganz anders kam, kann ich dir beim besten Willen nicht erklären. Marilla hat alle Herzen im Sturm erobert. Vielleicht gelang es ihr, weil wir eine ältere Dame erwartet hatten. Strenger vielleicht. Die sofort versuchen würde, die Erziehung der Kinder an sich zu reißen … Ich weiß es nicht. Marilla hingegen wirkte so jugendlich und zerbrechlich. Gleichzeitig war sie so temperamentvoll und fröhlich. Vater hat wirklich die richtige Wahl getroffen. Sogar unsere Dienerschaft akzeptiert und liebt die neue Herrin. Auch jene, die bereits bei uns waren, als Mama noch lebte. Das mußt du dir vorstellen!«
Sie nahm einen weiteren Schluck aus der Tasse und fuhr fort: »Von diesem Tag an kam sie oft zu uns. Sie freundete sich mit allen Hausbewohnern an. Sie ließ sich von Mrs. Skipton das ganze Haus zeigen, lobte ihre Kochkunst und fragte sie nach einzelnen Rezepten. Sie spielte mit den Kleinen und schmökerte mit Sophia in einigen Ausgaben von La belle Assemblé, die sie aus London mitgebracht hatte. Nach kurzer Zeit konnten wir uns gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne sie gewesen war. Die Hochzeit vor vierzehn Tagen wurde im kleinen Kreise in der alten Kapelle gefeiert. Mein Bruder Gregory war aus Oxford gekommen. Lord Hamsham war der einzige Verwandte, den Marilla eingeladen hatte. Sie ist noch in Trauer um ihre Mutter, mußt du wissen. Das ist auch der Grund, warum die Trauung in aller Stille gefeiert wurde. Im Juni, wenn das Trauerjahr vorüber ist, soll die Eheschließung offiziell bekanntgegeben werden. So lange wollten die beiden mit der Heirat nicht warten. Das kann ich gut verstehen, denn Marilla konnte nicht im Hause eines verwitweten Mannes übernachten, ohne daß es Gerede gegeben hätte. Und die weite Anreise für ihre Besuche und die Aufenthalte in den Gasthöfen waren auf die Dauer doch zu beschwerlich. Die Hochzeit war ein schönes Fest. Wir haben viel gelacht, und es gab keinen, der Marilla nicht in sein Herz geschlossen hätte.«
»Und ihre Söhne?« wollte Mrs. Cookridge wissen. »Waren die nicht eingeladen?«
»Söhne?« wiederholte Olivia erstaunt. »Soviel ich weiß, hat sie nur einen Sohn, Harry. Er ist zur Zeit als Offizier in Belgien stationiert und konnte keinen Urlaub bekommen.«
Mrs. Cookridge dachte angestrengt nach: »Ich kann mich natürlich irren«, sagte sie schließlich. »Soweit ich mich erinnere, gab es da noch einen zweiten Sohn. Möglich aber auch, daß ich da zwei Familien verwechsle.«
Sie blickte Olivia offen ins Gesicht: »Was du mir erzählt hast, klingt alles sehr schön. Aber so erfreulich diese Heirat auch sein mag, für dich ist sie doch eine Katastrophe. Oder denkst du etwa, daß dich die neue Lady Redbridge auf dem Gut weiter frei schalten und walten läßt?«
Olivia lachte etwas wehmütig: »Nein, das ganz gewiß nicht. Sie ist es gewöhnt, ein viel größeres Haus zu führen, als es das unsere ist. Und sie hat bereits begonnen, die Zügel in die Hand zu nehmen. Es hat sich schon so manches verändert, allerdings nicht zum Nachteil. Jetzt, da die finanziellen Mittel vorhanden sind …«
»Ja, Sudbury war immens reich«, unterbrach sie Mrs. Cookridge. »Er hat also seine Witwe wohlversorgt zurückgelassen?«
»Ja, ganz sicher. Ich weiß zwar nicht, wie groß Marillas Vermögen ist, nehme jedoch an, es ist beträchtlich: Für unser Gut ist das natürlich ein Segen. Zumal sich Papa, nach anfänglichem Sträuben, bereit erklärt hat, Marilla für die längst fälligen Reparaturen und Modernisierungen aufkommen zu lassen. Auch die beiden Pferde vor meinem Gig sind aus ihrem Stall. Und für die Kinder ist es auch wunderbar: John kann nun doch nach Oxford gehen, und für die Mädchen wird eine ordentliche Gouvernante bestellt. Du weißt, dafür waren nie genügend Mittel vorhanden.«
»Ja, aber du! Was wirst du tun?« wollte Mrs. Cookridge wissen.
»Ich gehe nach London«, erklärte ihre Freundin zu ihrer Überraschung. »Ich habe an meine Tante Mable geschrieben, du weißt, Mamas Schwester. Ich habe sie gebeten, mich für die Dauer der Saison bei sich aufzunehmen. Heute ist ihr Antwortbrief eingetroffen. Sie schreibt, daß sie sich freue, mich wieder bei sich zu haben. Nun …«, erwog sie leidenschaftslos. »Freuen wird sie sich wohl nicht gerade. Aber es ist nett von ihr, daß sie das schreibt.«
»Das ist wirklich eine gute Nachricht.« Mrs. Cookridge war begeistert. »Auch wenn du mir fehlen wirst, denn ich habe unsere Teestunden immer sehr genossen. Aber für dich ist eine Abwechslung sicher genau das Richtige. Nun, da du deine Pflichten deiner Familie gegenüber losgeworden bist, ist es höchste Zeit, daß du auch einmal an dich denkst.«
Olivia stimmte ihr ohne falsche Bescheidenheit zu: »Ja, das habe ich mir auch gedacht. Nun, da ich die Kinder in guten Händen weiß, brauche ich mir um sie keine Sorgen mehr zu machen. Ich werde also nach London gehen und mir einen Ehemann suchen.«
Als sie bemerkte, daß ihre Freundin über ihre Offenheit überrascht war, meinte sie mit einem Anflug von Bitterkeit: »Du brauchst nicht zu befürchten, daß ich meine Erwartungen zu hoch ansetze. Ich weiß noch genau, wie es vor sechs Jahren war. Und damals war ich immerhin erst siebzehn und noch nicht sitzengeblieben. Und doch war ich ein Mauerblümchen. Jetzt bin ich dreiundzwanzig Jahre alt, altmodisch und ohne Aussicht auf eine stattliche Mitgift. Da kann ich nicht allzuviel erwarten. Doch für einen netten Mann, der mich nicht über Gebühr langweilt, wird es reichen. Glaubst du nicht, meine Liebe?«
Olivia lachte unwillkürlich auf, als sie in das Gesicht ihrer Freundin sah, in dem sich unverhohlener Abscheu spiegelte. »Vielleicht hält ein Witwer um meine Hand an«, fuhr sie fort. »Mit zwei, drei Kindern und einem Landhaus. Dann hätte ich wieder eine Aufgabe, die mir liegt, und das Leben könnte ganz erfreulich werden.«
Sie lächelte tapfer. Doch ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. So ganz ihren Idealvorstellungen schien eine derart biedere Zukunft doch nicht zu entsprechen.