Читать книгу Hochzeit in St. George - Sophia Farago - Страница 4

I.

Оглавление

»Verdammt, Willowby, Sie haben schon wieder gewonnen!« Immer wenn sich der ehrenwerte Mr. Geoffrey Steanton erzürnte, dann färbten sich seine breiten Wangen rot, und der Schweiß, der ihm von seiner niedrigen Stirn in den Nacken rann, verdarb die Pracht seiner makellos weißen, gestärkten Hemdkragen. In diesem Augenblick war Mr. Steanton nicht nur auf das Äußerste erzürnt, sondern ebenso verbittert und wütend über sich selbst. Er kramte ein großes Taschentuch aus seiner Hosentasche und rieb sich Stirn und Nacken trocken. Warum hatte er sich auch auf dieses Spiel eingelassen? Wie hatte es Hugh genannt? Ein Abend unter Freunden! Mr. Steanton blickte in die Runde. Na, als seine Freunde würde er die hier anwesenden Herren nicht bezeichnen. Außer seinem Gastgeber Lord Hugh Deverell natürlich. Hugh war ein Ehrenmann, dafür konnte er seine Hand ins Feuerlegen. Er war etwa in seinem Alter, Anfang dreißig, und hatte zur selben Zeit die Universität in Cambridge besucht. Dort waren sie zwar nicht wirklich Freunde geworden, aber doch Bekannte, die sich achteten und schätzten. Dennoch war es ein verflixtes Pech gewesen, dass er gerade Hugh in die Arme gelaufen war, als er gestern für einige Tage in die Hauptstadt gekommen war.

Er hatte ein neues Gespann und mehrere Pferde im Tattersall kaufen wollen. Nun war all das Geld, das er für diese Käufe vorgesehen hatte, längst über den Spieltisch gewandert. Mr. Steantons Blick blieb an dem Gesicht seines Gegenübers hängen. Mr. Richard Willowby. Er hatte den Mann nie leiden können, doch noch nie mochte er ihn weniger als gerade eben. Er war ein Tunichtgut, ein Spieler, ein Dandy, der in den Tag hinein lebte, ohne einer einzigen Pflicht nachzugehen. Wie er da saß, lässig in seinen Stuhl zurückgelehnt, das rechte Bein in modischen zartgrauen Hosen neben dem Tisch ausgestreckt! Seine blonden Locken waren in Unordnung, das Halstuch gelockert, die Lippen zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Mit einer fast liebevollen Geste strich er die Münzen, die er gewonnen hatte, ein und stapelte sie, je nach ihrem Wert, zu Häufchen, die sich bereits vor ihm auftürmten. Womit dieser Mann wohl seinen Unterhalt bestritt? Seines Wissens nach hatte sein Vater, der Viscount, bereits das gesamte Vermögen der Willowbys am Spieltisch und mit Frauen durchgebracht. Kaum anzunehmen, dass er seinem Ältesten eine reiche Apanage zahlen konnte. Nun, von dem, was Richard Willowby heute Abend gewonnen hatte, konnte er gut und gerne ein Jahr leben, wenn er sparsam damit umging. Es war allerdings nicht damit zu rechnen, dass er sich großer Sparsamkeit befleißigte. Schade um das gute Geld. Was würde wohl Mama dazu sagen, wenn er ohne das Gespann und mit viel weniger Pferden als geplant nach Kent zurückkehrte? Sie hatte ihm abgeraten, nach London zu fahren. Sie hatte gemeint, dort würden an jeder Straßenecke Gefahren auf ihren Sohn lauern. Mama hatte recht gehabt. Wie immer.

»Noch ein Spiel, meine Herren?«, meldete sich nun eine näselnde Stimme zu Wort. Mr. Steanton schreckte aus seinen Gedanken auf. Lord Peter Bridgegate war der vierte Mann in ihrer Kartenrunde. »Beau Bridge«, wie man ihn in der Gesellschaft für gewöhnlich nannte. Der älteste Sohn des Herzogs von Milster. Ein Adonis, wie man allgemein sagte. Mr. Steanton rümpfte die Nase. Natürlich sah Bridgegate gut aus. Die schwarzen Locken glänzten im Schein der Kerzen, die eng geschnittene, dunkelblaue Jacke betonte die breiten, durchtrainierten Schultern. Dennoch wirkte der Gentleman zu feminin für seinen Geschmack. Die dunklen Augen waren von einem Kranz dichter Wimpern umgeben, die Lippen wohlgeformt, die Nase schmal und gerade. Wie bei einem Mädchen, dachte Mr. Steanton kritisch. Und dann erst das blasierte Gehabe, das Seine Lordschaft an den Tag legte. Die routinierte Eleganz, mit der er seine reich verzierte emaillierte Schnupftabaksdose öffnete.

Die Wanduhr schlug die volle Stunde. Zwei Uhr früh. Spät genug, um aufbrechen zu können, ohne seinen Gastgeber zu beleidigen.

»Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, meine Herren«, sagte er daher und stemmte seine breiten Handflächen auf die Tischplatte, um sich zu erheben. »Es war ein sehr angenehmer Abend. Aber ich muss Sie jetzt leider verlassen. Ich habe morgen einen anstrengenden Tag vor mir.« Sein Gastgeber war ebenfalls aufgestanden.

»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Steanton«, meldete sich Richard Willowby mit spöttischem Grinsen zu Wort. »Was ist mit einer Revanche? Alles oder nichts.«

»Es ist schon spät, Ric«, wandte Hugh Deverell ein. »Ich denke, wir sollten diesen Abend beenden …«

Doch Mr. Steanton hatte sich bereits wieder auf seinen Stuhl zurückfallen lassen. »Einmal abheben, Willowby«, keuchte er. »Gewinne ich, bekomme ich all das Geld, das vor Ihnen auf dem Tisch liegt.«

»Aber sicher«, bestätigte sein Gegenüber gelassen. »Und wenn Sie verlieren, bekomme ich von Ihnen noch einmal den Betrag, den ich heute Abend bereits gewonnen habe.«

Mr. Steanton nickte mechanisch. Daran wollte er nicht denken. Willowby konnte nicht den ganzen Abend das Glück gepachtet haben. Sicher würde er selbst als Sieger aus diesem Spiel hervorgehen. Dann konnte er morgen in aller Ruhe all die Dinge erledigen, deretwegen er nach London gekommen war. Und Mama würde nichts von diesem unglückseligen Abend erfahren.

Beau Bridge stieß einen leisen Pfiff aus. »Jetzt wird es interessant«, näselte er. »Ich wette zehn zu eins, dass Richard verliert. Was meinst du, Hugh?«

Lord Deverell war nicht wohl zumute. Er mochte es nicht, wenn jemand große Summen verlor. Noch dazu in seinem Haus. Allerdings würde Richard eine Aufbesserung seiner Finanzen sicher sehr gelegen kommen. Und wie hätte er das waghalsige Spiel verhindern können, wenn Steanton einverstanden war? »Ich wette nicht«, erklärte er an den Beau gewandt. Dann zog er mit festem Griff an der Klingelschnur.

»Ein neues Paket Karten«, trug er dem Diener auf, der herbeigeeilt war.

Er mischte das frische Paket ausgiebig und legte es dann in die Mitte des Tisches.

»Wer die höhere Karte zieht, soll der Sieger sein. Möchten Sie, dass ich beginne, Steanton?«, fragte Richard Willowby. Mit keiner Wimper verriet er die Aufregung, die auch er verspüren musste, da so viel Geld auf dem Spiel stand. Dafür sah man die Anspannung dem armen Mr. Steanton doppelt an. Der Schweiß begann erneut von seiner Stirne zu perlen, die Hände zitterten.

»Nein, ich möchte beginnen, Willowby, wenn Sie gestatten«, sagte er und griff mit einem Blick auf sein Gegenüber nach der obersten Karte. Mr. Willowby nickte. Die Karte wurde umgedreht. Die Herzdame. Als Mrs. Steanton sie sah, atmete er auf. Es war nicht zu erwarten, dass ihn Willowby übertreffen würde.

Mit gewollt langsamer Bewegung drehte dieser nun die nächste Karte um, und er blickte sie zuerst regungslos nur für sich an. Endlich, als Mr. Steanton schon meinte, seine zum Zerreißen gespannten Nerven würden die Ungewissheit nicht mehr länger ertragen, ließ Willowby sie mit einem lauten Lachen auf den Tisch fallen. Es war der Karokönig.

»Du hättest doch wetten sollen, Hugh«, sagte Lord Bridgegate, der als Erster seine Sprache wiedergefunden hatte. »Unser guter Richard befindet sich zurzeit in einer überwältigenden Glückssträhne. Das ist man von ihm nun wirklich nicht gewöhnt.«

Mr. Steanton sah sich ohne Pferde nach Kent zurückkehren. Sah im Geiste das vorwurfsvolle Gesicht seiner Mama vor sich und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen.

Richard Willowby zählte in der Zwischenzeit die vor ihm aufgetürmten Münzen und nannte ihm schließlich den Betrag, den Steanton ihm schuldete. Es war noch mehr, als Mr. Steanton befürchtet hatte. Nun würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als dem Nachbarn eines der Grundstücke zu verkaufen, die dieser schon lange von ihm haben wollte. Mühsam die Fassung bewahrend, sagte er: »Ich habe nicht so viel Bargeld bei mir, Mr. Willowby. Ich hoffe, Sie akzeptieren meinen Schuldschein? Ich werde das Geld umgehend von meinem Landsitz anfordern. Es kann möglicherweise eine Woche dauern …«

»Wenn es sein muss, auch zwei Wochen«, erwiderte sein Gegenspieler großzügig. »Ich habe es nicht eilig.«

»Vielen Dank, Mr. Willowby«, antwortete Mr. Steanton bitter.

Sein Gastgeber hatte einen weißen Bogen sowie Tinte und Streusand zum Trocknen bereitgestellt. Mit zitternden Fingern griff Mr. Steanton zur Feder. Er war kaum in der Lage, die Worte lesbar zu Papier zu bringen. Zu groß war sein Verlangen, diese Stätte des Unheils und des Lasters endlich verlassen zu können. Als er fertig geschrieben hatte, nahm er sich nicht mehr die Zeit, die Zeilen durchzulesen oder zu warten, bis sie getrocknet waren. Er erhob sich so abrupt, dass er mit voller Leibesfülle am Tisch anstieß. Der Brandy in den halb gefüllten Gläsern drohte überzuschwappen, und hätte Mr. Willowby nicht mit geistesgegenwärtiger Reaktion den Krug in Sicherheit gebracht, so wäre er sicher am Boden zerschellt.

»Ich bringe Sie hinaus«, machte sich der Gastgeber erbötig, der sich ebenfalls erhoben hatte. Grußlos hastete Mr. Steanton aus dem Zimmer.

Als sich die Tür hinter Seiner Lordschaft und seinem aufgebrachten Gast geschlossen hatte, herrschte im Spielzimmer ungewohnte Stille. Lord Bridgegate hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und die langen, wohlgeformten Beine von sich gestreckt. Schweigend und eingehend betrachtete er seine Fingernägel. Richard Willowby begann mit unverhohlenem Vergnügen, das vor ihm gestapelte Geld in seinen Rocktaschen zu verstauen.

»Was für ein öder, langweiliger Abend«, ließ sich der Beau schließlich vernehmen. Auch in Gegenwart seiner engsten Freunde verzichtete er nicht auf seinen nasalen Tonfall. »Wenn ich gewusst hätte, dass unser guter Hugh nichts Besseres im Sinn hatte, als diesen Mr. Nobody einzuladen, wäre ich nicht gekommen. Ich fühle mich nicht wohl in Umgebung von Leuten, denen die Landluft anhaftet. Mir war, als könne man den Stall förmlich riechen.«

»Du bist mir doch nicht böse, wenn ich dir nicht zustimme«, entgegnete sein Freund Willowby und klimperte fröhlich mit einigen Münzen. »Wahrlich ein einträglicher Abend. Und viel amüsanter, als dem armen Alfred seinen letzten Shilling abzugewinnen. Apropos Alfred: Wo steckt der Kerl eigentlich? Mir ist, als hätte ich ihn seit Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen.«

»Influenza«, entgegnete der Beau und griff mit seinen langen, weißen Fingern zum Brandyglas. »Das ist der Grund, warum ich es vorziehe, die Charles Street derzeit zu meiden. Ich habe keine Lust, mich anzustecken. Ich hoffe, dass Alfred in Kürze wieder auf den Beinen ist. Er wollte mich nach Hastings begleiten.«

»Du fährst doch nicht etwa schon wieder zu deinem Vater?«, fragte Hugh Deverell, der eben wieder im Türrahmen erschienen war. Mit resignierender Geste nickte der Beau. »Doch. Nächste Woche. Ich habe vor Tagen ein Schreiben meines alten Herrn erhalten, in dem er dringend mein Kommen wünscht.«

»Was hat denn dieses Mal den Zorn Seiner Gnaden erregt?«, wollte Hugh wissen.

Der Beau zuckte mit den Schultern. »Darüber möchte ich mir nicht den Kopf zerbrechen. Was immer es ist, es ist enervierend. Immer diese langen Fahrten, eingeschlossen in der engen Reisekutsche. Und dann das viele Gepäck, das jedes Mal mitgenommen werden muss. Man glaubt gar nicht, wie viel Garderobe man in wenigen Tagen auf dem Land benötigt. Dabei lasse ich alle topmodischen Jacken, die orientalisch bestickten Westen und die Stiefel mit den weißen Stulpen und den originellen Quasten zu Hause in London, um Papa nicht über Gebühr zu echauffieren. Mein Vater hängt einer nicht ganz zeitgemäßen Gesinnung an, wie ihr wisst …«

»Ich kann dir genau sagen, was deinen alten Herrn diesmal in Rage brachte. Du hättest nicht mit Lady Steverdon schlafen sollen«, stellte Richard Willowby mit einem frechen Grinsen fest.

»Du sei ganz still«, empörte sich der Beau. »Du bist ja schuld daran, dass mich mein Vater mit Verdächtigungen und falschen Beschuldigungen verfolgt.«

»Erstens sind das keine falschen Verdächtigungen, wenn wir ehrlich sein wollen, sondern Tatsachen«, unterbrach ihn sein unverbesserlicher Freund, »und zum Zweiten bin ich sicher nicht schuld, dass dein Vater ständig damit droht, dich zu enterben. Ich bin schließlich nicht sein Informant.«

»Nein, aber dein Vater ist es«, gab Lord Bridgegate anklagend zurück.

»Hast du wirklich mit Lady Steverdon geschlafen?«, meldete sich nun Hugh interessiert zu Wort.

»Warum sollte ich nicht?«, begehrte der Beau auf. »Ich bin ein freier Mensch und ungebunden.«

Richard Willowby konnte sich ein amüsiertes Auflachen nicht verkneifen. »Aber Lady Steverdon ist es nicht«, stellte er fest. »Sie ist verheiratet. Und noch dazu mit einem sehr guten Freund deines Vaters. Kein sehr kluger Schachzug, gerade sie zu deiner Geliebten zu machen, wenn du mich fragst.«

»Ich frage dich aber nicht«, entgegnete Seine Lordschaft in scharfem Ton. »Und überhaupt: Wie soll mein Vater sonst von der Affäre Wind bekommen haben? Steverdon ist bis Ende Mai in Schottland, und dein Vater befindet sich in Winchester.«

»Vater ist seit Jahren in Winchester«, meinte Richard. »Und dennoch gelingt es ihm immer wieder, auf dem neuesten Stand zu sein, was unser beider Leben betrifft.«

Der Beau seufzte vernehmlich. »Wirklich, Ric«, sagte er, »dein Vater ist eine echte Plage. Ich finde, du solltest mit ihm reden. Ja, es ist geradezu deine Pflicht, es zu tun. Er hat keinen Grund, mich bei meinem Papa anzuschwärzen.«

»Du vergisst Eliza, wie hieß sie doch gleich? Eliza Drevenham, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Wer ist denn diese Dame nun schon wieder?«, wollte ihr Gastgeber wissen. »Auch eine von Bridges Geliebten?«

Der so Verdächtigte legte eine seiner schlanken Hände gegen seine Stirn: »Aber das ist doch schon eine Ewigkeit her. Kaum mehr wahr, würde ich sagen. Vergiss doch die alten Geschichten, ich bitte dich.«

»Ich vergess sie gerne«, gestand ihm sein Freund zu. »Aber Vater vergisst sie nicht. Er war einmal sehr verliebt in diese Miss Drevenham. Das muss vor etwa zehn Jahren gewesen sein, wenn ich nicht irre.«

»Erspare uns Details, Richard«, bat der Beau.

Doch sein Freund dachte nicht daran. »Damals war mein Vater noch ein flotter Bursche, liebte das Leben, die Liebe und das Spiel. Ihr wisst ja, dass er in den letzten Jahren prüde und rechtschaffen geworden ist. Nun lebt er zurückgezogen auf Wild Rose Manor und macht sich nur noch durch vorwurfsvolle Briefe bemerkbar. So wie dir dein Vater mit Enterbung droht, Bridge, so droht mir meiner ebenfalls. Natürlich hat mein Vater nicht mehr viel zu hinterlassen. Das meiste, was er je besaß, hat er verspielt oder zu Geld gemacht. Dennoch wäre es schmerzlich für mich. Ich habe ihn in den letzten Jahren nie besucht. Und er kommt nicht mehr in die Hauptstadt, die für ihn plötzlich der Inbegriff alles Verdorbenen und Lasterhaften darstellt. Ich habe meinen Vater schon nicht gemocht, als er noch der wilde Draufgänger war. Aber glaubt mir, Freunde, seit er auf die moralische Linie umgeschwenkt ist, mag ich ihn noch weniger. Falls das überhaupt möglich ist.« Er nahm einen kräftigen Schluck Brandy und blickte gedankenverloren in sein Glas. »Ich möchte bloß wissen, wodurch diese Veränderung bei ihm ausgelöst wurde.«

»Was auch immer es war, ich wünschte, es wäre nicht eingetreten«, sagte Lord Bridgegate mit leidender Miene. »Wenn dein lästiger Vater nicht wäre, dann hätte Papa keine Ahnung, was hier in London gespielt wird. Wenn ich nicht auf der Hut bin, dann bringt er es noch fertig, meinen Papa davon zu überzeugen, das gesamte Vermögen meinem langweiligen kleinen Bruder Jason zu hinterlassen. Wie kommt es überhaupt, dass dein Vater so gut Bescheid weiß? Irgendjemand muss ihn informieren.«

»Was siehst du mich denn dabei an?«, fuhr Richard Willowby entrüstet auf. »Ich wechsle seit Jahren kein Wort mehr mit meinem alten Herrn. Und Briefe schreibe ich schon gar nicht.«

»Ihr wolltet mir die Episode mit dieser Eliza erzählen«, unterbrach Hugh Deverell, der Gastgeber, das Gespräch, das wie so oft in einen Streit der beiden Freunde auszuarten drohte. »Was hat sich damals zugetragen?«

»Eigentlich gar nichts.« Der Beau machte eine wegwerfende Handbewegung. »Rics Vater hatte ein Auge auf die kleine Eliza geworfen. Kaufmannstochter aus Winchester. Sie war damals kaum sechzehn. Er sicher schon über fünfzig. Da konnte ich nicht zusehen …«

»Sie war mindestens schon zwanzig und mein Vater wenig über vierzig«, verbesserte ihn Willowby.

»Richard, du bist manchmal unangenehm penibel«, stöhnte Seine Lordschaft. »Was machen diese paar Jahre denn für einen Unterschied, ich bitte dich.«

»Hast du das Mädchen verführt?«, wollte Hugh Deverell wissen.

»Entführt!«, verbesserte Richard. »Aber er kam nicht weit. Miss Eliza hat ihn mit ihrem Sonnenschirm beinahe bewusstlos geschlagen.«

»Waaas?«, rief Hugh erstaunt. »Die Dame wollte sich nicht entführen lassen? Vom Beau? Du scheinst doch sonst immer Glück zu haben mit deinen unehrenhaften Anträgen, Bridge.«

»Ich wollte Eliza heiraten«, erklärte der Beau würdevoll.

Dafür hatten seine beiden Freunde nur ein lautes Lachen übrig.

»Was ist aus dem Mädchen geworden?«, erkundigte sich Hugh.

Der Beau zuckte die Schultern. »Aus den Augen, aus dem Sinn.«

»Ich dachte, du hattest vorgehabt, sie zu heiraten?«, wandte Richard Willowby spöttisch ein.

»Nachdem sie mich geschlagen hat?«, rief Lord Bridgegate fassungslos. »Das kann doch nicht dein Ernst sein. Zudem hatte ich mir im Fallen eine meiner Westen ruiniert. Feinste chinesische Stickerei …«

»Und nun rächt sich Viscount Willowby, indem er deinen Vater über alle deine Schandtaten informiert?«, vergewisserte sich Hugh.

Der Beau nickte. »So ist es«, stöhnte er, »und ich muss alle naselang die Strapaze einer Heimreise auf mich nehmen.«

»Wann fährst du?«, fragte Richard.

»Etwa in einer Woche, nach dem Ball bei Sally Jersey. Weil wir gerade von Ball sprechen: Sieht man euch morgen auf dem Ball der Greenhoods?«

Hugh lachte. »Also, Richard wirst du dort sicher nicht zu Gesicht bekommen. Ich glaube, du warst schon mehr als zwei Jahre nicht mehr auf einem Ball. Habe ich recht, Ric?«

Mr. Willowby grinste seinen Freund über das Brandyglas hinweg an. »Aber natürlich gehe ich auf den Ball der Greenhoods«, verkündete er und freute sich über die Überraschung, die er mit diesen Worten auslöste.

»Olala. Unser guter Ric wandelt auf Freiersfüßen, wie mir scheint«, näselte der Beau mit unüberhörbarem Spott in seiner Stimme. »Auf welche der Schönheiten hast du denn dein Auge geworfen?«

»Scheint ja wirklich etwas Ernstes zu sein, wenn du dich einer Dame zuliebe sogar auf das Tanzparkett wagst. Du gedenkst doch nicht etwa, dich zu verheiraten?«

»Alt genug wärst du ja«, warf Lord Bridgegate ein. »Zweiunddreißig Jahre und noch immer keinen Erben in die Welt gesetzt.«

»Für mich besteht gar kein Grund, mich in die Netze einer Frau zu begeben«, erklärte Richard großspurig. »Ich brauche auch keinen Erben in die Welt zu setzen, denn ich habe bereits einen. Oder hast du meinen Bruder George vergessen?«

»Wie könnte irgendjemand den guten George Willowby vergessen?«, näselte der Beau, »wo wir doch alle vor Bewunderung erstarren, da es ihm gelungen ist, von eurer Großmutter in Rampstade Palace als Alleinerbe eingesetzt zu werden. Seit ihm die alte Lady im letzten Winter die Freude machte, zu verscheiden, ist dein Bruder einer der reichsten Männer im Lande. Du hättest dich nicht mit ihm zerstreiten sollen, mein Lieber. Dann würdest du nun an seiner Fortune mitnaschen.«

»Ich habe mich nicht mit ihm zerstritten«, wandte Richard ein. »Wir Willowbys sind es gewöhnt, unsere eigenen Wege zu gehen. Seit Mama starb, hält uns nichts zusammen.«

»Bist du ihm böse, weil eure Großmutter ihm den Vorzug gab?«, wollte Hugh wissen.

Mr. Willowby schüttelte den Kopf: »Nein, ich hatte dieselben Chancen wie er. Es lag an mir, sie nicht zu nützen. Ich verspürte einfach keine Lust, mich aufs Land zu verkriechen und um meine gestrenge Großmutter herumzuscharwenzeln. Als ich mich dafür entschied, in London zu bleiben, hatte ich mir die Sympathien der alten Dame restlos verscherzt. Mich wundert nur, dass sie ihren Besitz nicht Cousin Max vermachte. Der war schließlich immer ihr erklärter Liebling.«

»Max? Du meinst Cristlemaine? Der ist doch selbst reich genug«, wandte der Beau ein. »Ist das Leben nicht seltsam? Da besitzt unser guter Richard einen reichen Bruder und einen reichen Cousin, der noch dazu ein Earl ist. Und was macht er daraus? Nichts. Er lebt in einem verlotterten Haus und hat keinen Shilling in der Tasche.«

»Ich habe meine Taschen voller Shilling«, entgegnete sein Freund merkbar gereizt. »Und außerdem habe ich eben kein Talent zum Erbschleichen und Speichellecken …«

»Soll das etwa eine Anspielung auf mich sein?«, fuhr der Beau auf. »Wenn ja, dann ist diese völlig verfehlt. Ich bin kein Erbschleicher, sondern ein Mann, der das Erbe zu verteidigen hat, das ihm von Rechts wegen zusteht. Und was den anderen Vorwurf betrifft …«

Wie immer, wenn ein Streit zwischen den beiden Freunden aufzuflammen drohte, wechselte Hugh das Thema: »Warum wirst du Greenhoods Ball besuchen, Richard?«, fragte er. Die beiden Streithähne waren sofort abgelenkt.

»Du kennst doch Constance Ridley«, sagte Richard, »die Witwe von Brian Ridley.«

Hugh nickte. »Natürlich kenne ich sie. Sie war eines der hübschesten Mädchen, als sie vor Jahren debütierte. Und dann wurde sie von ihrem Vater an den alten Ridley verheiratet. Der sicher dreißig Jahre älter war als sie. Es muss beinahe ein Jahr her sein, dass Ridley starb. Das Trauerjahr müsste in Kürze vorüber sein.«

»Es ist vorbei«, verkündete Richard. »Ich habe Lady Ridley bereits letzte Woche in den Vauxhall Gardens getroffen. Sie ist noch viel schöner geworden, als ich sie in Erinnerung hatte. Das Jahr auf dem Landsitz ihres Vaters in Surrey hat ihr gutgetan.«

»Denkst du daran, ihr einen Antrag zu machen?«, fragte Hugh.

»Warum sollte ich?«, lautete die Gegenfrage. »Ich sagte dir doch schon, dass ich vorhabe, mein Leben als Junggeselle zu beschließen.«

»Ja, was willst du denn dann von ihr?«, wollte Hugh wissen.

»Ja, was will ich denn dann von ihr?«, echote Willowby mit unverkennbarem Spott.

»Richard!«, rief Hugh Deverell entsetzt aus. »Sie ist die Tochter des Earl of Aberfield. Eines der unangenehmsten und einflussreichsten Männer des Königreiches.«

»Ich weiß, dass er ein aufbrausender, alter Esel ist«, entgegnete Mr. Willowby sorglos, »aber ich will schließlich ein Verhältnis mit seiner Tochter beginnen. Nicht mit ihm.«

»Wie man hört, wünscht Aberfield die Verbindung seiner Tochter mit dem Earl of Tremaine«, meldete sich Lord Bridgegate zu Wort. Diese Bemerkung schien seinen Freund nicht von seinem Vorhaben abbringen zu können. Im Gegenteil. »Fein«, sagte er. »Wenn sie wirklich abermals einen Mann heiraten soll, der um vieles älter ist als sie, wird sie sich umso mehr nach einem jugendlichen Liebhaber sehnen.«

»Und dieser jugendliche Liebhaber bist du?«, vergewisserte sich der ehrenwerte Hugh Deverell.

»Sehr richtig«, bestätigte Richard grinsend. »Und nun gehe ich nach Hause. Ich muss morgen Nacht bei Kräften sein. Danke für diesen Abend, Hugh. Er war wirklich äußerst erfreulich. Ich scheine eine wahre Glückssträhne zu haben, die Taschen voll Geld, die reizvollste Frau der Stadt in Kürze in meinem Bett. Herz, was willst du mehr?«

Hätte Richard Willowby in diesem Augenblick geahnt, wie sehr sich in den nächsten sieben Tagen sein Leben verändern würde, seine freudige Zuversicht wäre wohl schlagartig gebremst worden.

Hochzeit in St. George

Подняться наверх