Читать книгу Hochzeit in St. George - Sophia Farago - Страница 8

V.

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Es war am darauffolgenden Tag erst gegen einundzwanzig Uhr, als sie das Haus des Viscounts Willowby, das von Hettys ältestem Bruder Richard bewohnt wurde, erreichten.

Ein Rad der Kutsche war unterwegs auf der Landstraße in ein Schlagloch geraten, das der Frost des vergangenen strengen Winters in der Fahrbahn hinterlassen hatte. Mit deutlich vernehmbarem Krachen war die Achse gebrochen, und die Kutsche hatte sich zur Seite geneigt. Glücklicherweise war sie jedoch nicht umgestürzt, und beide Damen konnten das Fahrzeug nach einer Schrecksekunde unverletzt verlassen.

Simon, der Kutscher, hatte die Pferde ausgespannt und sich den Schaden mit skeptischem Blick besehen. »Ohne einen Schmied ist da nichts zu machen«, verkündete er düster. Er bat einen vorbeikommenden Bauern, ihn auf seinem Fuhrwerk bis ins nächste Dorf mitzunehmen. Es vergingen beinahe zwei Stunden, bis er endlich mit dem Handwerker an die Unfallstelle zurückkam. Hetty und Catharine, die trotz ihrer warmen Umhänge froren, gingen neben dem Fahrzeug auf und ab und warteten ungeduldig, bis die Arbeit beendet war. Dann fuhren sie zum nächsten Gasthaus, um sich am offenen Kamin der Gaststube aufzuwärmen und mithilfe eines heißen Getränks die Kälte zu vertreiben. Die Fahrt bis zur Stadtgrenze war dann ohne weitere Probleme verlaufen. Dort jedoch hatte sich deutlich bemerkbar gemacht, dass Simon kaum jemals in der Hauptstadt gewesen war. Er verirrte sich trotz des Stadtplanes, den ihm sein Herr mitgegeben hatte und der ausgebreitet neben ihm auf dem Kutschbock lag. Oft musste er stehen bleiben, um nach dem Weg zu fragen. Der rege Verkehr, der auf den Straßen herrschte, brachte seinen Gleichmut ins Wanken. Zudem war es dunkel geworden, und die Gaslaternen wiesen nur schemenhaft den Weg. Er war schließlich schweißgebadet, als er das Fahrzeug endlich in der Mount Street vor einem der hohen, schmalen Häuser zum Stehen brachte. Catharine war zum Umfallen müde, während Hetty vor Aufregung kaum still sitzen konnte.

»Ich bin so neugierig, unser Haus wiederzusehen. Ich habe es seit Mamas Tod nicht mehr betreten. Ob es wohl mein altes Kinderzimmer noch gibt? Ach, Catharine, ich freue mich so schrecklich, hier zu sein!« Sie lächelte ihrer Begleiterin voller Vorfreude zu, und Catharine lächelte zurück. Sie wunderte sich selbst, wie gut das Einvernehmen zwischen ihr und Hetty wieder geworden war. Es schien, als habe das Mädchen etwas an sich, das es einem unmöglich machte, ihm längere Zeit böse zu sein.

»Mach dir keine Sorgen über unseren Aufenthalt. Ich bin sicher, dass Richard eine Lösung findet. Ich habe doch auch eine Möglichkeit gefunden, Brighton zu entfliehen! Mit einem guten Trick, nicht wahr? Und Richard ist noch viel trickreicher als ich.«

Dem konnte Catharine nichts entgegenhalten.

Als der Wagen zum Stehen gekommen war, sprang Simon ab und öffnete den Schlag. Catharine entstieg dem Kutscheninneren und warf einen kritischen Blick auf die schlichte graue Fassade. Was sie wohl hier erwarten würde?

»Ist es nicht hübsch?«, fragte Hetty neben ihr. »Ich habe das Haus immer geliebt. Es erinnert mich an die glücklichen Tage mit Mama.« Sie eilte die kleine Treppe empor und betätigte energisch den Türklopfer. »Es ist so schön, wieder nach Hause zu kommen!«

Es dauerte geraume Zeit, bis die grüne Eingangstür geöffnet wurde. Ein kleiner, untersetzter Mann in einer abgetragenen grauen Uniform erschien im Türspalt. Das Gesicht mit den kleinen, dunklen Knopfaugen und einem auffallend breiten Mund blickte ihnen abweisend entgegen. »Sie wünschen?«, erkundigte er sich nicht eben freundlich.

»Aber Kermin!«, rief Hetty Willowby entrüstet. »Sag bloß, du erkennst mich nicht mehr!«

Tiefes Erstaunen trat in seine Züge. »Miss Hetty!«, rief er aus. »Ich wusste nicht, dass Sie in London sind. Kommen Sie doch herein! Ihr Bruder ist ausgegangen. Ich erwarte ihn nicht vor dem Morgengrauen zurück.« Er hatte die Tür aufgerissen und lud die Schwester seines Herrn mit weit ausladender Geste ein, einzutreten. Hetty drehte sich zu ihrer Begleiterin um. »Das ist Kermin. Er war einer der Diener auf Wild Rose Manor und hat mir das Reiten beigebracht, nicht wahr, Kermin? Nun ist er hier als Butler meines Bruders.«

»Butler ist gut«, wandte der Diener ein, und ein Lachen überzog sein breites Gesicht »Ich bin hier alles, Madam. Butler, Kammerdiener, Koch, Lakai – Nicolas Kermin zu Ihren Diensten.«

Catharine schenkte ihm ein müdes Lächeln, als sie ihn begrüßte.

»Das ist Madame de la Falaise. Eine gute Freundin von mir. Wir beide werden heute hier übernachten.«

Falls der Diener von dieser Mitteilung überrascht war, so ließ er sich nichts anmerken. Doch wahrscheinlich war er nicht überrascht. Er kannte die Willowbys. Sie waren berühmt für ihre außergewöhnlichen Einfälle. Hetty gab dem Kutscher einen Wink, mit dem Gepäck zu folgen, und betrat die Eingangshalle.

»Dunkel ist es hier«, stellte sie fest. »Warum brennen nur zwei Kerzen in den Leuchtern?«

»Ich habe nicht mit Gästen gerechnet«, stammelte der Diener verlegen.

Catharine blickte sich um. Es schien nicht, als wäre der Hausherr sehr begütert. Kein Teppich schmückte den blanken Marmorboden. An den Wänden zeugten weiße Flächen davon, dass hier vor nicht allzu langer Zeit Gemälde gehangen haben mussten. Wahrscheinlich hatte sie Hettys Bruder zu Geld gemacht.

»Kerzen sind teuer, Hetty«, sagte sie daher.

Kermin atmete auf. »So ist es, Mylady«, stimmte er zu, froh, jemanden gefunden zu haben, der die Lage so schnell durchschaute.

»Wo ist denn der große Kronleuchter hingekommen?«, wollte Hetty mit einem skeptischen Blick zur Decke wissen.

»Der Kronleuchter?«, wiederholte Kermin. »Den hat Ihr Herr Papa schon vor Jahren entfernen lassen.«

»Du meinst, er hat ihn verkauft?«, vergewisserte sich Hetty. »Mir hat der Leuchter nie gefallen. Als Kind hatte ich stets Angst, er würde herunterfallen und mich unter sich begraben. Sicher hat er einiges eingebracht.« Sie wandte sich an ihre Begleiterin, um voller Stolz zu verkünden: »Wir Willowbys sind doch wirklich eine schreckliche Familie, nicht wahr?« Darauf wusste Catharine keine Antwort. »Ich werde ins Obergeschoss laufen und Zimmer für uns aussuchen. Ist Mamas Zimmer unverändert? Gibt es mein Kinderzimmer noch?«

Kermin hatte sichtlich Scheu, die fremde Lady in das obere Geschoss zu lassen. »Gehen Sie bitte vor, Miss Hetty. Sie kennen sich doch sicher noch aus«, sagte er daher. Er öffnete die Tür zum angrenzenden Salon. »Wenn Sie inzwischen Platz nehmen wollen, Mylady. Ich werde sofort Feuer im Kamin anzünden.«

»Das ist eine gute Idee!«, rief Hetty aus. »Wirklich, Catharine, setz dich auf die grüne Garnitur …« Sie warf einen Blick in den Raum.

»Aber wo ist denn die grüne Garnitur hingekommen?«, fragte sie.

»Sag bloß, Richard oder Papa haben auch die Möbel verkauft? Da steht ja nur ein Lehnstuhl. Ich habe noch nie ein so leeres Zimmer gesehen. Und warum musst du das Feuer anfachen? Gibt es sonst keinen Diener im Haus?«

»Es gibt Rosie, das Zimmermädchen«, erklärte Kermin. »Sie geht mir auch in der Küche zur Hand. Aber sonst haben wir keine weiteren Diener. Der Lehnstuhl ist wirklich bequem, Mylady«, wandte er sich wieder an Catharine, bevor er zum Kamin trat, um einige Buchenscheite aufzuschichten. Mit geübter Hand brachte er rasch ein wärmendes Feuer zustande. »Ich werde Rosie anweisen, Tee zu bereiten, wenn es Ihnen recht ist Zu essen haben wir leider nicht sehr viel im Haus.«

»Wir haben unterwegs zu Abend gegessen«, warf Hetty ungeduldig ein. »Komm jetzt, Kermin. Ich kann es kaum erwarten, die oberen Räume wiederzusehen.«

»Rosie kommt gleich«, erklärte Kermin mit entschuldigendem Lächeln und einem Seitenblick auf Hetty. Dann verbeugte er sich förmlich und folgte dem Mädchen in die Halle hinaus. Catharine rückte den Lehnstuhl nahe ans Feuer. In ihren schweren schwarzen Mantel gehüllt, lehnte sie sich im Sessel zurück und betrachtete schläfrig die kahlen Wände des leeren Raumes. Wohin war sie da bloß geraten?

Richard Willowby hatte um sechs Uhr das Haus verlassen. Er war allerbester Laune. In Gedanken summte er eine kleine Melodie vor sich hin, die ihm seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Constance Ridley hatte ihn zum Dinner eingeladen. Ihr Vater, der gestrenge Earl of Aberfield, war für einige Tage aufs Land gefahren. Sie fühlte sich so schrecklich einsam alleine in dem großen Haus in der South Audley Street. Richard grinste. Nun, er würde dafür sorgen, dass sie nicht mehr einsam war. Zumindest in den nächsten Nächten.

Die Vorarbeit, die ich geleistet habe, dachte er, mit sich selbst zufrieden, zeigt ihre Wirkung. Sie würde ihm in den Schoß fallen wie eine reife Frucht. In den Vauxhall Gardens vor gut vierzehn Tagen hatte ihr Flirt begonnen. Beim Ball von Lady Linham hatte er seine Fortsetzung gefunden. Sie hatten zwei Tänze zusammen getanzt Und dann hatte sich Constance von ihm nach Hause bringen lassen und gestattet, dass er seinen Arm um ihre Schultern legte, um sie zu wärmen. Die Blicke, die sie ihm dabei zugeworfen hatte, ließen berechtigte Hoffnungen in ihm keimen. Zwei Tage später lud er sie zu einer Ausfahrt in den Hydepark ein, und auch bei den Abendveranstaltungen der darauffolgenden Tage hatten sie tiefe Blicke getauscht. Dass Constance ebenso oft in Gesellschaft des Earl of Tremaine gesehen wurde, störte Richard nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil: Wenn es Constance darauf abgesehen hatte, den um vieles älteren, aber auch um vieles vermögenderen Earl zu heiraten, dann würde sie nie auf den Gedanken kommen, er, Richard, würde je um ihre Hand anhalten. Es war die Wahrheit gewesen, als er seinen Freunden sagte, er habe nicht die Absicht, sich zu vermählen. Er genoss das Leben als Junggeselle, war niemandem Rechenschaft schuldig. Und überdies ließ sich das Leben eines alleinstehenden Mannes von Gewinnen am Spieltisch finanzieren. Nicht jedoch das Leben von Frau und Kindern. Es war reizvoll, sich Constance als Geliebte vorzustellen. Doch keineswegs als die Frau, mit der er sein ganzes Leben verbringen wollte. Er wusste ja bereits bei ihren kurzen gemeinsamen Ausfahrten nicht, worüber er mit ihr sprechen sollte. Heute Vormittag war eine zartviolette Karte abgegeben worden, mit der Constance ihn zu dem kleinen Abendessen einlud. Ein Bote wartete auf Antwort, und er hatte mit Freuden die Einladung angenommen. Nun würde er noch rasch seinen Club aufsuchen, bevor es Zeit war, sich in die South Audley Street zu begeben.

Da es noch früh am Abend war, waren erwartungsgemäß noch nicht viele Herren anwesend. Richard Willowby übergab eben Umhang, Hut und Handschuhe in die Obhut des Lakaien, als Paul Greenhood auf ihn zutrat, um ihn zu begrüßen. »Tremaine ist dir zuvorgekommen«, sagte er lachend und bemühte sich nicht, die Schadenfreude zu verbergen.

Richard warf einen kritischen Blick in den mannshohen Spiegel. Er konnte von seiner Erscheinung wirklich angetan sein. Die zartgelben Beinkleider zum dunkelblauen Rock waren der letzte Modeschrei. Zufrieden wandte er sich seinem Bekannten zu. »Wobei ist er mir zuvorgekommen, Paul?«, fragte er. Die Schadenfreude war ihm nicht entgangen. »Hat er dich zum Duell gefordert wegen deines losen Mundwerks? Was ich ja schon immer tun wollte.«

»Du wirst dich hüten, mit mir einen Kampf zu beginnen. Ich boxe seit Neuestem in Jacksons Boxclub«, entgegnete Mr. Greenhood und hob zur Untermauerung beide Fäuste vors Gesicht.

»Ich bin beeindruckt«, erwiderte Richard gut gelaunt. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir uns aus dieser zugigen Halle in die Clubräume begeben? Ich finde es nicht gerade gemütlich hier draußen.«

»Aber natürlich, lass uns hineingehen. Dort steht Tremaine mit stolzgeschwellter Brust neben dem Kamin. Er kann dir seinen Triumph persönlich ins Gesicht schleudern.«

»Ah, Willowby«, sagte der Earl auch schon, als er der beiden Männer ansichtig wurde. »Wie geht’s, mein Freund?« Er ließ seinen Brandy gedankenverloren in einem schweren Kristallglas kreisen und schenkte Richard ein spöttisches Lächeln.

Oha, dachte dieser, wenn der Earl mich seinen Freund nennt, ist etwas im Busch. Normalerweise geruhte Seine Lordschaft ihm keinerlei Beachtung zu schenken.

»Mir geht es hervorragend, Sir«, antwortete er betont höflich. »Ich hoffe, von Ihnen dasselbe zu hören.«

»Mir geht es noch besser, Willowby«, bemerkte Seine Lordschaft, »noch viel besser.«

»Mylord ist gestern beim Earl of Aberfield gewesen«, warf Greenhood ein, der das Geheimnis nicht mehr länger für sich behalten konnte. Nun verstand Willowby. Tremaine hatte um Constances Hand angehalten. Und wie es schien, war er erhört worden. Nun, ihm sollte es recht sein.

»Dann darf man wohl gratulieren, Sir.«

»So ist es, Willowby. So ist es«, erwiderte Tremaine, enttäuscht, weil sein junger Widersacher seinen Erfolg ohne sichtliches Entsetzen hinnahm.

»Lady Ridley wird außer sich sein vor Freude«, legte Greenhood noch eins drauf, in der Hoffnung, dadurch Willowbys gute Laune anzukratzen.

Tremaine räusperte sich und sagte mit einer Spur Verlegenheit: »Ich habe bei Aberfield um die Hand von Lady Ridley angehalten. Und er hat mir seine Zustimmung zu dieser Verbindung erteilt. Mein Gespräch mit Mylady wird morgen Nachmittag stattfinden. Ich zweifle jedoch nicht an seinem Ausgang. Ich darf, wenn Sie mir gestatten, dies so frei auszudrücken, sicher sein, dass mir die schöne Constance ihre Zuneigung geschenkt hat.«

Richard Willowby dachte mit Vergnügen an die Einladungskarte in seiner Brusttasche und beeilte sich, seinem Gegenüber zuzustimmen.

Dabei konnte er sich ein schadenfrohes Grinsen nur mit Mühe verkneifen.

Hochzeit in St. George

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