Читать книгу Hochzeit in St. George - Sophia Farago - Страница 5

II.

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Es begann damit, dass sich seine Schwester unerträglich langweilte. Neben ihren Brüdern Richard und George war Hetty die jüngste unter den drei Geschwistern Willowby. Eine fröhliche, aufgeweckte, bisweilen auch launenhafte Achtzehnjährige. Sie lebte seit dem Tod ihrer Mutter bei der kinderlosen Schwester ihres Vaters und deren Gatten in Brighton. Bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag hatte sie das Institut für höhere Töchter der ehrenwerten Mrs. Lutham in Worthing besucht und ihre Verwandten nur in den Ferien gesehen. Wie jedes adelige Mädchen ihres Alters malte sie sich in dieser Zeit ihr glanzvolles Debüt in der Hauptstadt in den prächtigsten Farben aus. Doch es sollte ein Traum bleiben. Denn seit zwei Jahren wartete sie nun darauf, endlich ihre erste Saison in London verbringen zu dürfen. Vergebens. Immer wieder fanden Onkel und Tante einen Grund, den versprochenen Aufenthalt in der Hauptstadt zu verschieben. Zuerst war eine Reise auf den Kontinent, um Verwandte zu besuchen, wichtiger. Gut, das hatte Hetty verstehen können, und die Fahrt nach Frankreich war ja wirklich ein aufregendes und unterhaltsames Erlebnis gewesen. Im nächsten Jahr jedoch war der Aufenthalt in London wegen des verletzten Knies ihres Onkels verhindert worden. Er war kurz vor dem geplanten Termin vom Pferd gefallen, und für Tante Mable kam es nicht infrage, dass sie den armen Onkel Jonathan alleine ließ, um ihre Nichte nach London zu begleiten.

Das hatte Hetty nur zähneknirschend zur Kenntnis genommen. Und in diesem Jahr schien es lange Zeit so, als würden Onkel und Tante gar nicht auf die Idee kommen, nach London zu fahren. Also hatte Hetty die Initiative ergriffen. Sie begann, von nichts anderem mehr zu sprechen als von ihrem bevorstehenden Debüt. Sie schwärmte ihrer Tante vor, wie amüsant es für sie alle werden würde. Als diese Taktik nichts nützte, verlegte sie sich aufs Betteln, schließlich schmollte sie und war unausstehlich. Gerade als sie dachte, sie hätte ihre Verwandten überzeugt, bekam Tante Mable einen Schwächeanfall. Sie zog sich in ihre Gemächer zurück, und der sofort herbeigeholte Arzt der Familie riet dringend davon ab, dass Mylady die beschwerliche Reise nach London auf sich nehme. Und dann noch der Trubel, der in der Hauptstadt herrschte, die Veranstaltungen, die oft bis in den frühen Morgen dauerten! Keinesfalls sollte sich Mylady mit ihrer schwachen Konstitution diesen Strapazen aussetzen!

Während Hetty enttäuscht die Zähne zusammenbiss und sich verstohlen die Tränen aus den Augenwinkeln wischte, hatte sich die Tante mit befreitem Aufseufzen in ihre Kissen zurückgelehnt. Das war vor gut einer Woche gewesen. Tante Mable hatte sich erstaunlich rasch von ihrem Schwächeanfall erholt. Es ging ihr bereits wieder viel besser, und doch beteuerte sie, dass die Erwähnung des Wortes »London« allein ausreichte, um einen schlimmen Rückfall zu verursachen.

Hetty stand in ihrem Zimmer und betrachtete sich eingehend in dem mannshohen, in einen reich verzierten Holzrahmen gefassten Spiegel. Ihre blonden Locken fielen in leichtem Schwung auf ihre Schultern. Die großen, blauen Augen, auf die sie selbst besonders stolz war, unterstrichen die Zartheit ihres schmalen Gesichts. Sie war wirklich hübsch. Und auch ihre Figur konnte sich sehen lassen. Hetty drehte und wendete sich, um sich in Ruhe von allen Seiten zu betrachten. Sie fand nichts, woran sie etwas auszusetzen gehabt hätte. Es war eine Schande, eine Schönheit wie sie auf dem Lande zu verstecken.

Im Sommer, wenn die vornehme Gesellschaft nach Brighton übersiedelte, wenn das bunte Leben in den Straßen und Plätzen rund um den berühmten Royal Pavilion des Prinzregenten Einzug hielt, dann hatten ihre Verwandten jedes Jahr die Koffer gepackt. Sie waren mit ihrer Nichte nach Rye gefahren, um auf dem Landsitz von Onkels Bruder James den Sommer zu verbringen. Das Haus in der Marine Parade in Brighton wurde zu einem ansehnlichen Betrag stets an dieselbe Londoner Adelsfamilie vermietet. Das so verdiente Geld wurde den bereits angesammelten Ersparnissen dazugeschlagen. Ausgegeben wurde nur das Nötigste. Und so war Hettys Garderobe nicht so umfangreich, wie sie es sich gewünscht hätte. Wenn sie auch zugeben musste, dass sie eine Reihe ganz reizender Tageskleider besaß und das neue Reitkleid im Husarenstil mit Epauletten an den Schultern sogar in der Hauptstadt einen guten Eindruck machen würde.

Letzten Winter, als Großmutter, die Mutter ihrer leider so früh dahingegangenen Mama, in Rampstade Palace gestorben war und ihr Bruder George mit einem Male unermesslich reich geworden war, da hatte sie erwartet, George würde sie zu sich einladen. Er und seine Frau Henrietta, die wie sie selbst Hetty gerufen wurde, würden sie in die Gesellschaft einführen. Aber nichts dergleichen war geschehen. Es war ja wirklich ein dummer Zufall, dass sie einen Tag, bevor sie zu Großmutters Beerdigung abreisen sollte, an Masern erkrankte. Sicher hätte sie George überreden können, ihr Debüt in der Hauptstadt zu geben, wenn sie ihm erst einmal persönlich gegenübergestanden wäre. Aber so war das unmöglich gewesen. Und die Briefe, die sie ihm in sein neues Zuhause nach Rampstade Palace geschickt hatte, waren unbeantwortet geblieben.

Typisch George. Ein freundlicher, liebenswerter Mensch, aber viel zu egoistisch, um an die Zukunft seiner Schwester zu denken. Und schreibfaul war er überdies. Es blieb ihr nichts anderes übrig: Sie musste mit George sprechen. Sicher hielt er sich zurzeit, zu Beginn der Saison, im Haus, das er von Großmutter geerbt hatte, am Londoner Grosvenor Square auf. Dorthin musste sie gelangen. George würde es nicht übers Herz bringen, sie zurückzuschicken. Vor ihrem geistigen Auge erschien ihr Ebenbild in all den bezaubernden Abendroben, die ihr Bruder für sie schneidern lassen würde. Mit all den atemberaubenden Hutkreationen, umringt von einer nicht enden wollenden Schar von Verehrern. Hetty wandte sich energisch vom Spiegel ab. Sie würde nicht länger hoffen und träumen. Sie würde ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Mit raschen Schritten war sie bei ihrer Kommode und nahm eine prall gefüllte Ledermappe aus der obersten Schublade. Erst gestern hatte sie durch Zufall in einer der Lanes, einem der hübschen Gässchen des Ortes, ein Schreibwarengeschäft entdeckt, das eben das Büttenpapier mit dem zarten Goldrand führte, das George verwendet hatte, um ihr und ihren Verwandten den Tod der Großmutter mitzuteilen. Sie hatte einen Bogen davon besorgt. Nun musste sie sich nur noch bemühen, die Schrift so zu verstellen, dass sie der ihres Bruders ähnlich war. Hetty holte sein letztes Schreiben hervor und begann, mit trockener Feder die Schriftzüge nachzuvollziehen. Das erschien ihr nicht weiter schwierig. Zum Glück hatte sie den Briefumschlag aufgehoben. So konnte sie den Eindruck vermitteln, als sei ihr Schreiben tatsächlich aus London gekommen. Sollte es ihr Onkel seltsam finden, dass das Kuvert, obwohl an ihn gerichtet, bereits geöffnet war, so würde sie dies damit entschuldigen, dass sie so gespannt gewesen sei, was George schrieb, dass sie, ohne nachzudenken, den Umschlag geöffnet habe. Sicher würde ihr Onkel diese Neugierde verzeihen. Wenn er es überhaupt bemerkte. So weit war der Plan perfekt.

Schwieriger würde es allerdings werden, ihre Tante davon zu überzeugen, sie ohne Anstandsdame nach London reisen zu lassen. Aber Hetty wäre keine echte Willowby gewesen, wenn sie sich ernstlich Gedanken über dieses Problem gemacht hätte. Zu gegebener Zeit würde sich auch dafür eine passende Lösung finden. Um ein zügiges Schriftbild bemüht, begann sie zu schreiben. Zum Glück konnte sie den Brief kurz halten, denn George war kein Freund langer Worte. Verehrte Tante, verehrter Onkel!, schrieb sie und verglich ihre Schrift mit der ihres Bruders. War durchaus annehmbar. Meine Gattin und ich sind übereingekommen, dass wir, … Hetty stockte, sollte sie »liebe Schwester« schreiben, oder war das zu auffallend? Sie entschied, es bei Schwester Hetty zu belassen, … in die Gesellschaft einführen sollten. Euer Einverständnis vorausgesetzt, ersuche ich Euch, ihr Eure Kutsche zu leihen und sie nach London zu schicken. Für die Kosten des Debüts komme selbstverständlich ich auf. Euer Neffe George. Sie hatte das Schreiben beendet und wollte eben Sand auf das Blatt streuen, als sie Schritte vernahm, die sich ohne Zweifel ihrer Tür näherten. Rasch klappte sie ihren Sekretär zu.

Keine Minute zu früh, denn ihre Tante betrat das Zimmer. In ihrer Rechten schwenkte sie einen zartgelben Briefbogen, in ihrer Linken die Augengläser, die sie seit einiger Zeit zum Lesen benötigte.

»Stell dir vor, mein Kind, wir bekommen Besuch!« Sie stutzte und warf einen erstaunten Blick auf ihre Nichte. »Warum um alles in der Welt sitzt du hier regungslos vor deinem Sekretär? Warst du eben dabei, einen Brief zu schreiben?«

»Nein, nein!«, beeilte sich Hetty zu versichern, »ich wollte nur, ich war dabei …« Es fiel ihr nichts Passendes ein, was sie getan haben könnte. »Wer kommt zu Besuch?«, fragte sie stattdessen. Ihr Interesse war nicht wirklich echt. Onkel und Tante bekamen selten Besuch. Und wenn, dann waren es alte Leute wie sie selbst, die Erholung an der See suchten und sich dazu einige Tage oder Wochen bei ihnen einquartierten. Doch nun musste sie Neugierde vortäuschen, um ihre Tante abzulenken. Das gelang zum Glück.

»Catharine de la Falaise«, erwiderte Tante Mable nun zu Hettys wirklicher Überraschung. »Du kannst dich doch noch an sie erinnern, nicht wahr? Wir haben sie vor zwei Jahren in Frankreich besucht.«

Hetty war aufgesprungen. »Aber natürlich erinnere ich mich an Catharine!«, rief sie aus. »Wir haben eine so schöne Zeit in La Falaise verbracht! Wann kommt sie? Wie lange wird sie bleiben? Wird ihr Gatte, der Marquis, sie begleiten?«

»Aber Henrietta!«, rief ihre Tante aus. Sie nannte Hetty nur dann bei ihrem vollen Namen, wenn sie ernsthaft entrüstet war. »Der Marquis de la Falaise ist vor einem Jahr gestorben. Wir haben dir doch davon erzählt. Wie kannst du das vergessen haben?«

»Oh, jetzt erinnere ich mich. Wie froh muss Catharine sein, dass er tot ist!«

»Henrietta!«, rief Mylady erneut.

»Aber war er denn nicht ein unangenehmer Mensch und noch dazu um so vieles älter als sie?«, wandte Hetty ein.

»Über Tote spricht man nur Gutes«, mahnte Mylady, obwohl sie im Stillen ihrer Nichte recht geben musste. »Nun, da das Trauerjahr sich dem Ende zuneigt, hat Catharine beschlossen, in ihre Heimat zurückzukehren. Der Brief hat geraume Zeit gebraucht, bis er uns erreichte. In der Zwischenzeit hat Catharine sicher bereits die Reise nach Calais angetreten. Sie wird in Kürze das Schiff besteigen, und wir können sie in den nächsten Tagen erwarten. Catharine ist die Nichte meines Mannes, wie du weißt. Die Tochter seiner Zwillingsschwester Samantha, mit der ihn ein sehr inniges Verhältnis verband, bevor sie leider allzu früh verstarb. Dein Onkel ist einer ihrer nächsten Verwandten. Daher wird sie zu uns kommen, bis sie sich entschieden hat, wo sie sich niederlassen wird.«

»Aber sie hat doch einen Bruder«, fiel Hetty ein.

»Sprich in meiner Gegenwart nicht von Milwoke!«, befahl die Tante und griff mit der Hand an ihr angeblich so schwaches Herz. »Ein unmöglicher Mensch. Wie übel er seiner Schwester mitgespielt hat. Ich will gar nicht daran denken. Ich werde sofort Bescheid geben, dass das Rosenzimmer vorbereitet wird. Du kannst dich in der Zwischenzeit umziehen. Wir essen in einer Stunde.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer und ließ ihre Nichte mit klopfendem Herzen zurück.

»Geschafft! Ich habe es geschafft!«, rief diese aus und tanzte in freudiger Erregung, sich ständig um die eigene Achse drehend, durch den ganzen Raum. Catharine de la Falaise war ein Geschenk des Himmels! »Geschafft, geschafft!«, jubelte Hetty immer wieder, bevor sie sich schließlich erschöpft auf ihr Bett fallen ließ. Die erste vage Idee begann rasch Gestalt anzunehmen. Ihre Tante und ihr Onkel hätten nie gestattet, dass sie sich alleine auf die Reise nach London begab. Doch nun war sie nicht länger alleine. Catharine würde sie begleiten! Ihre Tante hatte gesagt, Catharine wüsste noch nicht, wo sie sich niederlassen würde. Aber das beunruhigte Hetty nicht ernsthaft. Wo sonst sollte es eine junge, gut aussehende, vermögende Witwe hinziehen, die endlich ihre Freiheit genießen wollte, wenn nicht in die Hauptstadt? Nun brauchte sie den Brief, den angeblich George geschrieben hatte, nur noch ihren Verwandten unterzujubeln. Am nächsten Morgen würde sie sich neben das Tablett mit der Post stellen, das Mebrough, der Butler, der zugleich Kammerdiener ihres sparsamen Onkels war, stets auf das Buffet im Frühstückszimmer stellte. Dann würde sie so tun, als habe sie das Schreiben eben geöffnet. Nicht mehr lange, und sie würde nach London aufbrechen. Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen machte sie sich daran, sich für das Dinner umzukleiden.

Hochzeit in St. George

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