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V

Sonntag, 20. Juni, 18 Uhr, Flughafen

»Nein, Papa, wirklich, du brauchst mich nicht zu begleiten!« Franziska beugte sich vom Beifahrersitz zu ihrem Vater hinüber und drückte ihm einen kleinen Abschiedskuss auf die Wange. »Ich schaff das alleine. Herzlichen Dank fürs Herbringen.«

Sie stieg aus und öffnete den Kofferraumdeckel. Das Auto stand in zweiter Spur, hinter ihnen bildete sich eine immer länger werdende Schlange von Fahrzeugen. Der Fahrer des nächsten Wagens machte ihr ungeduldige Zeichen. Ein anderer hupte. Franziska beeilte sich, ihren Koffer und die Reisetasche aus dem Auto zu heben, und winkte dann ihrem Vater nach, bis sein dunkelgrüner Kombi hinter der Abflughalle verschwunden war.

So, nun war es also soweit.

Energisch straffte sie die Schultern. Nein, sie war nicht aufgeregt. Nein, sie war ein Profi. Sie würde ihr Ding durchziehen. Franziska musste grinsen. Ein bisschen fühlte sie sich wie in einem Film. Engagierte Geschäftsfrau fliegt nach Fernost. Gerade so, als wäre sie nicht eben noch Papas kleine Tochter gewesen und hätte unter Mutters Blümchenvorhängen geschlafen.

»Ach, hier sind Sie ja, Frau Querulin.« Dr. Rüdiger Sommer, korrekt im grauen Zweireiher, einen hellen Trenchcoat über dem Arm, kam geschäftig auf sie zu. Er schob einen Gepäckwagen mit einem dicken Flugkoffer vor sich her, seinen Aktenkoffer hatte er darüber gelegt.

Sie reichten sich die Hände.

»Am besten, wir verlieren keine Zeit. Da steht schon eine lange Warteschlange vor dem Check-in-Schalter.«

Er machte kehrt, und Franziska beeilte sich, ihm zu folgen.

In der Abflughalle herrschte reger Betrieb. Die Schlange vor dem Schalter der Lufthansa rückte nur langsam vorwärts. Viele der Passagiere waren Chinesen auf dem Heimflug. Sie hatten ihre riesigen Koffer mit Gurten gesichert und schoben voluminöse Plastiktüten als ihr Handgepäck vor sich her. Ein sichtlich nervöser Reiseleiter versuchte, seine deutschen Schäfchen zusammenzutrommeln: »Fredrichs Studienreisen! Fredrichs Studienreisen!«, brüllte er in alle Richtungen und winkte mit den Tickets. Jetzt stand auch noch die Stewardess hinter dem Schalter auf, um ihrer Kollegin bei einem Computerproblem zu helfen.

Dr. Sommer verzog unwillig das Gesicht: »Das kann doch nicht wahr sein! Warum geht denn da nichts weiter? Ich möchte unbedingt noch genügend Zeit für den Duty-free-Shop haben. Ich habe meiner Frau versprochen, ihr Lieblingsparfüm mitzubringen.«

»Wie geht es Ihrer Frau?«, erkundigte sich Franziska rasch, um weitere Unmutsäußerungen zu verhindern.

»Gut. Danke schön. Sehr gut. Unser Junior macht sich bereits stark bemerkbar. Er strampelt wie ein Weltmeister. Kaum zu glauben, dass die Geburt erst in einem Monat stattfinden wird. Ilona, also meine Frau, ist schon kugelrund. Meine Mutter meint, das kann nur ein Sohn werden. Ein richtig prächtiger Bursche.«

Hatten denn Frauen, die Töchter erwarteten, keine kugelrunden Bäuche? Franziska hielt es für besser, nicht nachzufragen. Sie konnte sich einen kleinen Seufzer nicht verkneifen: Wie sollte sie es die nächsten zwei Wochen mit diesem Mann aushalten? Er war eingebildet, humorlos, und er hielt sich für den Mittelpunkt der Welt. Aber er war ihr von der deutschen Handelsdelegation als der Experte für Geschäfte mit China empfohlen worden. Außerdem konnte er perfekt Englisch, was für ihre Verhandlungen unbedingt notwendig war. Die Verträge, die er erstellt hatte, hatten Hand und Fuß, und sie musste ihm zugestehen, dass er an jede noch so kleine Eventualität gedacht hatte. Also, was sollte es: Sie würde die nächsten Wochen schon überstehen. Aua! Ein chinesischer Familienvater hatte ihr seinen voll beladenen Trolley in die Kniekehlen gestoßen.

Das Gedränge um sie wurde immer größer.

»Es ist schauderhaft. Die benehmen sich wie zu Hause. Bei uns in Deutschland geht es zivilisiert zu. Da steht man in Ruhe in der Schlange und drängt nicht von allen Seiten herein. He Sie, hinten anstellen.« Dr. Sommer fasste einen chinesischen Reisenden am Ärmel seines beigen Blousons und schob ihn hinter sich.

In diesen Augenblick klingelte laut und vernehmlich Dr. Sommers Handy. Nach kurzem Zögern ließ er den Mann los, der unverständlich, aber lautstark seine Entrüstung zum Ausdruck brachte. Andere Landsleute mischten sich in die Auseinandersetzung ein.

Der Rechtsanwalt hielt es für besser, sein Handy aus seiner Sakkotasche zu nehmen und sich abzuwenden: »Sommer. Wie bitte? Wer sind Sie?« Er drückte Franziska seinen Trenchcoat in die Hand und steckte einen Finger ins andere Ohr, um seinen Anrufer besser zu verstehen. »Was? So sprechen Sie doch deutlicher, ich verstehe Sie kaum! Jetzt? Aber warum denn? Es war doch vereinbart, dass wir erst in einem Monat … Ja, richtig! Ich bin sofort bei Ihnen. Sagen Sie ihr, sie soll noch warten. Ja, ich weiß, aber sie soll noch warten! Ich komme sofort!«

Franziska, die gerade den kunstvoll bestickten Seidenschal einer chinesischen Mitreisenden bewundert hatte, fuhr herum: Was sollte das heißen, »er kommt sofort«?

Binnen weniger Sekunden wusste sie es: Fassungslos sah sie zu, wie ihr der Rechtsanwalt den Trenchcoat abnahm und ihr dafür sein Ticket in die Hand drückte: »Meine Frau ist ins Krankenhaus eingeliefert worden. Unser Junior hat es besonders eilig. Anscheinend kommt er einen Monat zu früh. Tut mir Leid, Sie werden verstehen, ich muss sofort ins Krankenhaus.«

Franziska nickte automatisch.

»Hier, können Sie bitte auch mein Ticket mitnehmen, wenn Sie Ihres am Schalter zurückgeben? Sollte es Probleme geben, Klage androhen! Ich regle das dann schon.«

»Mein Ticket zurückgeben? Warum sollte ich denn mein Ticket zurückgeben? Braucht denn Ihre Frau auch meinen Beistand?«

»Natürlich nicht! Aber Sie werden wohl kaum alleine fliegen!«

»Aber sicher werde ich das. Ich kann nicht länger warten. Die Verträge müssen unterschrieben werden, damit die Produktion starten kann.«

»Ja, aber wenn es zu rechtlichen Diskussionen kommt …«

»… dann erreiche ich Sie telefonisch in Ihrem Büro. Das ist zwar wegen der Zeitverschiebung vielleicht umständlich, aber sicher machbar.«

»Ja, wenn Sie meinen. Es ist Ihre Entscheidung. Allerdings besteht wahrlich kein Grund zur Sorge. Der Vertrag ist bis ins kleinste Detail ausverhandelt. Da fehlen nur noch die Unterschriften.«

»Eben. Und die zu bekommen, das schaffe ich auch allein. Also, gehen Sie schon. Alles Gute für Ihre Frau.«

»Und mein Ticket?«

»Darum kümmere ich mich.«

»Vielen Dank. Ja, dann werde ich mich beeilen, der Junior will nicht warten. Ungeduldig wie der Papa.«

»Herr Rechtsanwalt, die Unterlagen!«

»Ach, ja, die Unterlagen.«

Er drückte ihr seinen Aktenkoffer in die Hand, hob verlegen grüßend die Hand und eilte mit wehendem Sakko in Richtung Ausgang. Den Gepäckwagen mit dem Koffer schob er vor sich her wie einen Kinderwagen.


Na toll! Da stand sie jetzt. Sie legte den Aktenkoffer auf ihr Gepäck. Noch zwei Stunden bis zum Abflug. Was für ein dramatischer Beginn ihrer Reise. Nun war sie völlig auf sich allein gestellt. Nun ja, nicht wirklich völlig allein: Zum Glück gab’s Joe Kaufmann in Peking. Er würde sie, wie immer, am Flughafen erwarten. Er würde sie überallhin begleiten. Mit seiner Unterstützung würde sie das Geschäft schon durchziehen.

Eine Dame mit hochgestecktem Haar und blauer Uniform ging eiligen Schrittes an ihr vorbei.

»Entschuldigen Sie bitte, wo finde ich denn hier den Ticketschalter?«

Sie folgte dem angegebenen Weg und hatte Glück: Vor diesem Schalter wartete niemand. Sie legte das Ticket auf das Verkaufspult: »Mein Kollege muss dringend den Flug stornieren. Seine Frau bekommt ein Kind, wissen Sie. Jetzt stehe ich da mit diesem Ticket und muss es zurückgeben. Können Sie mir weiterhelfen?«

In diesem Augenblick öffnete sich mit einem Schwung die Drehtür neben dem Schalter, und ein Mann rauschte im Eiltempo in die Halle. Er trug Blue-jeans und eine Lederjacke. Seine dunklen Haare waren kurz geschnitten, an der Stirn mit etwas Gel zum Stehen gebracht. Der Haarschnitt wirkte etwas seltsam, eckig, unharmonisch. Sein großer Koffer, den er hinter sich herzog, verursachte ein lautes Kreischen auf dem Marmorboden. Er steuerte zielsicher auf den Ticketschalter zu, legte seinen Pass auf das Pult und sagte mit ungewöhnlich tiefer Stimme: »Buchen Sie mich auf den nächsten Flug. Egal wohin. Möglichst weit weg.«

Franziska war kurz von ihrem Problem abgelenkt. So etwas war ihr doch noch nie passiert. Sie stand hier. Na gut, sie war nur 1,65 Meter groß, aber doch nicht zu übersehen. Wie kam dieser Mann dazu, so zu tun, als wäre sie nicht da?

Gerade, als sie sich entrüstet bemerkbar machen wollte, nahm ihr der Flughafenangestellte diese Pflicht ab: »Würden Sie sich bitte hinter der Dame anstellen?« Er drückte dem Mann seinen Pass wieder in die Hand.

Dieser war sichtlich überrascht. Er blickte sich um, und erst jetzt schien er Franziska zu entdecken: »Oh, Entschuldigung«, sagte er, und es schien, als wäre er aus einem Traum erwacht, »Sie stehen ja da. Können Sie sich bitte beeilen?«

»Es dauert, so lange es dauert«, sagte der Flughafenangestellte, und nun wusste auch jeder Unbeteiligte, dass er nicht vorhatte, sich über Gebühr zu beeilen.

»Ich fliege erster Klasse, verdammt noch mal.«

Doch auch das änderte nichts an der Einstellung des korrekten Flughafenangestellten. »Das ist schön für Sie, mein Herr.« Er wandte sich an Franziska: »Ich fürchte, wir haben hier ein Problem. So kurzfristig kann ich ein Ticket nur mit Erhebung von Stornokosten zurücknehmen. Wenn Sie einen Augenblick warten, werde ich die Kosten dafür ausrechnen.« Er tippte etwas in seine Computertastatur.

»Mein Flieger geht in knapp zwei Stunden.« Nun wurde auch Franziska ungeduldig. »Den darf ich auf keinen Fall versäumen. Können wir das mit den Kosten nicht anders erledigen? Sie nehmen das Ticket zurück, und wir regeln alles Weitere, wenn ich von der Reise zurückkomme. Sie können auch meine Kreditkartennummer haben …«

»Wohin fliegen Sie denn?«, mischte sich der Mann wieder ins Gespräch.

»Ich muss schon sehr bitten«, sagte der Uniformierte.

»Nach Peking«, sagte Franziska.

Der Mann überlegte: »Peking? Wollen denn jetzt alle nach Peking? Das nenne ich einen witzigen Zufall. Aber, auch gut. Erster Klasse?«

Franziska schüttelte den Kopf: »Business-Class.«

»Business-Class bin ich schon lange nicht mehr geflogen. Interessant. He!«, er wandte sich an den Mann am Schalter, »Sie brauchen das Ticket nicht zu stornieren. Ich nehme es. Sparen Sie sich also die Mühe, und schreiben Sie es auf mich um.«

»So einfach geht das nicht. Dafür muss ich Gebühren erheben …«

»Dann tun Sie das. Hier ist meine Kreditkarte, hier ist mein Pass.« Es klang ruhig, aber bestimmt.

Der Flughafenbedienstete griff nach dem Pass. »Für Peking brauchen Sie ein Visum, Herr … Herr Gerstenberg.«

Er blätterte achtlos den Pass durch und blieb dann erstaunt an einer Seite hängen: »Sie haben ein Visum für Peking. Für mehrere Einreisen im nächsten halben Jahr. Das nenne ich weise Voraussicht.« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Aber ich weiß nicht, ob es der Dame recht ist, so mir nichts, dir nichts, das Ticket umzuschreiben.«

»Der Dame ist es recht. Wenn ich also bitten dürfte!«, sagte Herr Gerstenberg.

Franziska sah ihn von der Seite an: Ein äußerst gut aussehender Mann. Ein seltsamer Haarschnitt. Ein noch seltsameres Benehmen.

Der Flughafenangestellte war deutlich verunsichert. Dennoch: Auch der bestimmteste Tonfall konnte ihn nicht von seiner korrekten Arbeitsweise abhalten: »Es ist Ihnen recht, Frau … äh … Querulin?«

Franziska beeilte sich, ihm dies zu versichern.

»Gut«, der Mann in Uniform nickte, »ich ziehe die Umbuchungsgebühr ab. Und Sie schulden der Dame …« Er nannte eine beträchtliche Summe.

»Meine Kreditkarte, bitte.« Herr Gerstenberg streckte die Hand aus und winkte mit den Fingern, um die Dringlichkeit seiner Bitte zu unterstreichen.

»Der Automat ist direkt gegenüber. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass Sie einen so hohen Betrag auf einmal abheben können.«

»Wollen wir wetten, dass ich das kann?« Mit einem Grinsen wandte sich der Mann um und steckte die Kreditkarte von Matthias Gerstenberg in sein Portemonnaie. Dafür zückte er sein Gegenstück in Platin. Für Seebersteins Kreditkarte gab es kein Limit.

Liebe im Gepäck

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