Читать книгу Liebe im Gepäck - Sophie Berg - Страница 7
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Donnerstag, 17. Juni, 11.45 Uhr, Stadtzentrum
Franziska Querulin spiegelte sich im Chrom der polierten Lifttüren und war mit sich und der Welt zufrieden. In ihrer Aktentasche befand sich seit wenigen Minuten die Kreditzusage ihrer Bank, und neben ihr stand ihr Vater und tätschelte ihr mit einer liebevollen Geste erleichtert und voll Stolz den Rücken.
»Mutter wird sich freuen, wenn sie das hört«, sagte er, und sie wusste, dass er wusste, dass sie wusste, dass das nicht stimmte. Es hätte ihn gefreut, wenn seine Frau den Erfolg ihrer Tochter ebenso zu schätzen gewusst hätte wie er. Wenn sie gesehen hätte, wie kreativ, engagiert und begeisterungsfähig ihre Tochter war. Doch Sieglinde Maria Querulin sah nur eines: Sie sah, dass Franziska fünfunddreißig Jahre alt war und noch immer unverheiratet. Und dass ihr einziges Kind in einer Verbindung lebte, die sie eine »wilde Ehe« nannte.
Um ihre Mutter zu beruhigen, hatten sich Franziska und Bertrand de Valleau vor einem halben Jahr verlobt. Sie selbst hatte dieser Idee eher widerwillig zugestimmt. Bertrand war begeistert gewesen. Und ihre Mutter auch. Schließlich war es jetzt offiziell, dass der Freund ihrer Tochter auch ihr Schwiegersohn werden würde. Und sie hatte stolz die Verlobungsbilder allen ihren Freundinnen gezeigt. Waren die beiden nicht ein schönes Paar? Franziska trug ihre dunkelblonden Locken aufgesteckt, ihre Sommersprossen waren unter dem professionell aufgelegten Make-up kaum noch zu sehen. Der Besuch beim Visagisten vor dem Fototermin war Mutters Geschenk zur Verlobung gewesen. Bertrand trug auf den Bildern einen dunkelblauen Clubblazer mit goldenen Knöpfen, das Emblem seines Tennisverbandes auf die Brusttasche gestickt.
»Ja, der liebe Bertrand ist Mitglied in einem der nobelsten Clubs in Paris«, hatte Sieglinde Maria Querulin ihren Freundinnen nicht ganz wahrheitsgemäß zugeflüstert. »Nicht, dass das für uns wichtig wäre. Und das Vermögen seiner Familie, das ganz beachtlich sein soll, ist natürlich für uns auch nicht ausschlaggebend. Wichtig ist einzig und allein, dass unsere Tochter glücklich wird. Und, dass sie mir bald einen Enkel schenkt. Ihr wisst, meine Nebenniere …« Sie hatte diesen Satz in der Luft hängen lassen und wissend in die Runde genickt. Ihre Freundinnen hatten wissend zurückgenickt. Sie waren alles Frauen Anfang sechzig, und jede von ihnen hatte ihr Leiden. Die meisten hatten es im Kreuz, andere litten unter Migräne. Wieder andere spürten die letzten Auswirkungen des Klimakteriums. Sieglinde Maria Querulin hatte vor zehn Jahren eine Entzündung der Nebenniere gehabt. Das machte sie zu etwas Besonderem.
»Weißt du was, Franziska«, ihr Vater blickte auf die Uhr, »wir haben noch etwas Zeit. Ich lade dich auf ein Glas Sekt im Café gegenüber ein. Wir haben wirklich allen Grund, auf dein Vorhaben anzustoßen.«
Heinrich Querulin hob sein Glas. »Auf dich, Franziska. Ich wünsche dir, dass dein Projekt ein voller Erfolg wird!«
»Und auf dich, weil du mir geholfen hast, diese harte Nuss von einem Bankmenschen zu knacken!«
Sie prosteten sich zu.
»Komm gut zurück aus China. Ich bin immer unruhig, wenn du allein unterwegs bist.«
»Papa, ich bin fünfunddreißig. Und außerdem war ich im letzten Jahr bereits zweimal in Peking.«
»Ich weiß. Doch nun wird es ernst. Wenn der Vertrag erst einmal unterschrieben ist, dann wird deine Idee in die Tat umgesetzt. Dann werden 3000 Koffer nach deinem Entwurf produziert. Dann gibt es kein Zurück mehr.«
»Möchtest du denn ein Zurück?«
Heinrich Querulin schüttelte den Kopf: »Aber nein, natürlich nicht! Der Koffer, den du kreiert hast, wird den Markt revolutionieren. Immer mehr Frauen verreisen für ein, zwei Tage oder über das Wochenende. Der Bedarf an einem Koffer speziell für die moderne Businessfrau wird immer größer. Die Nachfrage bei uns im Laden steigt ständig.«
Er nannte sein Geschäft immer noch »seinen Laden«, obwohl dieses bereits Kaufhausgröße erreicht hatte. »Querulin – Koffer und Taschen«, das größte Taschengeschäft der Stadt, eines der größten Taschengeschäfte Deutschlands.
»Es ist schon witzig, dass mich Koffer anscheinend mein ganzes Leben lang begleiten. Schon an der Fachhochschule habe ich einen als meine Abschlussarbeit entworfen.«
»Ja, aber du hast damals auch von der Automobilindustrie geträumt.«
»Und dort bin ich ja gelandet.« Franziska lächelte ihrem Vater zu. »Am Anfang fand ich meinen Job in der Fahrzeugindustrie wirklich interessant. Aber auf Dauer immer nur Rückscheinwerfer zu designen, das war mir dann doch zu langweilig. Darum ist mir die letzten drei Jahre, die ich in Frankreich gelebt habe, der Plan, einen ganz besonderen Koffer zu entwerfen, nie aus dem Kopf gegangen.«
»Du hast dafür eine gut bezahlte Stelle aufgegeben.«
»Ich weiß.«
»Auch wenn dir Tante Marias Erbschaft zur Verfügung steht, du gehst jetzt jede Menge Risiko ein.«
Franziska nippte an ihrem Sekt und grinste: »Das weiß ich allerdings auch.«
Heinrich Querulins stolzes Lächeln verstärkte sich: »Du bist meine Tochter.«
»Und auch das weiß ich.« Franziska gab ihrem Vater einen kleinen Kuss auf die Wange. »Mutter wird wohl nie verstehen, warum ich das alles getan habe. Tante Marias Geld für das Herstellen von Koffern zu verwenden, aus Frankreich wegzugehen, den armen Bertrand allein zurückzulassen …«
Heinrich Querulin hatte das Bedürfnis, seine Frau zu verteidigen: »Deine Mutter möchte nur, dass du glücklich bist.«
»Meine Mutter möchte vor allem, dass ich verheiratet bin«, korrigierte Franziska trocken.
»Das auch.«
Und dann lachten sie beide, und Franziska war wieder einmal froh, ihn zum Vater zu haben. Heinrich Querulin, der ihr zur Seite stand, seitdem sie ein kleines Mädchen war. Der alle ihre Pläne unterstützte, der ihre Ideen kritisch hinterfragte, ihre Gedanken durch seine ergänzte. Und der sie nun, in ihrem großen Traum, bedingungslos unterstützte. Es würde einen Koffer geben. Franziska Querulins Koffer für die moderne Businessfrau. Hergestellt in China nach ihren eigenen Entwürfen. Mit einer speziellen Technik, die sie sich weltweit durch ein Patent hatte schützen lassen, obwohl sie den Verkauf vorerst nur in Deutschland plante. Mit einer integrierten Plastiktasche für Unterwäsche und T-Shirts, aus der man, mit einer einfachen Vorrichtung, die Luft heraussaugen konnte, um so die Wäsche vakuumverpackt und dadurch Platz sparend unterzubringen. Mit einer mechanischen Rollvorrichtung für Kostüme und Hosen, um Knicke zu vermeiden. Und mit einer Kosmetiktasche, die man herausnehmen und aufhängen konnte und in der alle wichtigen Produkte in Miniaturgröße Platz finden würden. Der Name »Querulin« hatte in der Branche einen guten Ruf. Sie hatte ihren Kofferentwurf bei allen wichtigen Kaufhausketten vorgestellt und war auf positive Resonanz gestoßen. Die ersten Aufträge waren bereits im Haus. Nun musste das gute Stück nur noch produziert werden. Vater würde sich um den Vertrieb kümmern. Sie würde nach China reisen, um die Produktion anlaufen zu lassen. Gemeinsam mit ihrem Rechtsanwalt Rüdiger Sommer, der alle nötigen Verträge ausgearbeitet hatte.
»Wann geht dein Flugzeug am Sonntag?«
»Wir haben nur noch Plätze in der Abendmaschine bekommen. Sie startet um 20 Uhr 15. Ich bin dann, wenn man die Zeitverschiebung einberechnet, am Montag um die Mittagszeit in Peking. Ich werde noch am selben Tag meinen Agenten Joe Kaufmann treffen, um mit ihm einige offene Punkte zu klären. Kaufmann ist der Mann, der für mich den Kontakt zum chinesischen Kofferproduzenten Yu Yi hergestellt hat und mit dem ich die Fabrik schon zweimal besucht habe. Unsere Anwälte haben die letzten Details des Vertrages per E-Mail geklärt. Jetzt sollte eigentlich alles unterschriftsreif sein. Aber bei Chinesen weiß man anscheinend nie. Laut Kaufmann müssen wir damit rechnen, dass wir noch mindestens zwei oder drei Tage für Vertragsverhandlungen brauchen.«
»Drei Tage? Obwohl schon alles unterschriftsreif ist?«
Franziska nickte: »Mich wundert das schon längst nicht mehr. Wenn ich eines gelernt habe, dann ist es, dass Effizienz keine typisch chinesische Tugend ist. Und Ungeduld ist etwas, was sie gar nicht verstehen können.«
Erschrocken blickte Heinrich Querulin auf seine Armbanduhr: »Apropos Ungeduld. Deine Mutter wartet mit dem Essen auf uns.« Er machte der Kellnerin ein Zeichen und verlangte die Rechnung.
»Was ist eigentlich mit deinem Franzosen? Siehst du ihn noch, bevor du abfliegst?« Heinrich Querulin hielt seiner Tochter die Kaffeehaustür auf.
Franziska blickte ihn von der Seite prüfend an, als sie auf den Gehsteig hinaustrat: »Du nennst Bertrand wieder einmal ›meinen Franzosen‹. Worüber hast du dich denn diesmal geärgert?«
Ihr Vater machte eine wegwerfende Handbewegung, so als würde er es bedauern, seinen Unmut gegen den zukünftigen Schwiegersohn so klar zum Ausdruck gebracht zu haben: »Ach, es ist noch immer die alte Geschichte. Was soll ich von einem Mann halten, der mir allen Ernstes erklärt, er wolle drei Kinder von meiner Tochter. Und dies deshalb, weil drei Kinder steuerlich besser absetzbar wären als zwei.«
»Du weißt doch, wie Bertrand ist, Papa. Er denkt, das Finanzamt würde ihn noch in den Ruin treiben. Und wer von uns mag schon das Finanzamt?«
»Das war ja noch nicht alles. Weißt du, aus welchem weiteren Grund dein lieber Bertrand drei Kinder möchte?«, wehrte Heinrich Querulin diese halbherzig vorgebrachte Verteidigungsrede ab, »weil ja immer etwas passieren könnte. Und hat man nur zwei Kinder, steht man plötzlich mit einem Einzelkind da. Und er habe – Achtung, Originalton: – keine Lust, mit fünfzig noch einmal nachzuproduzieren.«
Franziska blieb stehen und schnappte nach Luft: »Hat er nicht gesagt.«
»Und ob er das gesagt hat.«
»Dann hat er es nicht so gemeint. Vielleicht war es ein Sprachproblem, Bertrand ist Franzose …«
Heinrich Querulin lachte auf: »Dein Herr Bertrand spricht ebenso gut deutsch wie du und ich. Immerhin ist seine Mutter Deutsche, und er ist zweisprachig aufgewachsen. Denkst du, das habe ich vergessen?«
»Bertrand hat auch seine guten Seiten.«
»Aber sicher hat er die. Sonst wärt ihr nicht schon so lange ein Paar. Komm, steig ein.« Er öffnete Franziska die Wagentür.
»Natürlich sehe ich ihn noch, bevor ich abfliege«, sagte sie, während sie auf dem Beifahrersitz Platz nahm, »er kommt am Samstag zu uns und bleibt anschließend ein paar Tage in der Stadt. Bertrand will sich nächste Woche einige Wohnungen ansehen. Er hat Termine mit namhaften Immobilienmaklern vereinbart. Wie es scheint, habe ich ihn überzeugt, ganz nach Deutischland zu ziehen. Seine Arbeit kann er von jedem Ort der Welt aus erledigen, wo es einen Internetanschluss gibt. Also auch von hier aus.«
»Wie schön.«
Franziska wandte sich mit einem Ruck ihrem Vater zu: »Papa, ich liebe Bertrand.« Sie merkte selbst, wie trotzig ihre Stimme klang.
»Ich sagte ja: wie schön«, entgegnete ihr Vater ebenso trotzig, beugte sich vor und schaltete das Autoradio ein.