Читать книгу Liebe im Gepäck - Sophie Berg - Страница 8
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Samstag, 19. Juni, 17.30 Uhr, im Nordosten der Stadt
Franziska saß auf ihrem Koffer und versuchte, die Verschlüsse zum Einschnappen zu bringen. Ihre Wangen waren vor Anstrengung gerötet. Einige der dunkelblonden Locken, die sie mit einer Spange locker am Hinterkopf befestigt hatte, hatten sich selbstständig gemacht und fielen ihr über die Augen. Um die Hände nicht vom Koffer lösen zu müssen, blieb ihr nichts anderes übrig, als sie immer wieder aus der Stirn zu pusten. Natürlich hatte sie wieder einmal viel zu viel eingepackt! Dabei war es nur das Allernötigste. Aber für einen Aufenthalt von fast drei Wochen brauchte sie schon so allerlei.
»Na, wer sagt’s denn!« Endlich war es ihr gelungen, die Schnapper ins Schloss zu bewegen und den Koffer fest zu verschließen. Zeit für eine Verschnaufpause. Sie goss frisches Mineralwasser in ihr Glas und schaltete das Radio ein. Gerade klang ein Lied aus. Die letzten Takte der Melodie gefielen ihr. Allerdings hatte sie keine Ahnung, wer es gesungen hatte. Es war ein deutsches Lied. In Frankreich bekam man deutschsprachige Lieder so gut wie nie zu hören. Da waren selbst schon englischsprachige Songs viel seltener zu hören als hierzulande.
»Ich brauche nicht zu sagen, wer das war, Sie haben es sicherlich erkannt: Das war ›Herzkatheter‹, der wohl größte Hit von Seeberstein. Es wird Zeit, dass der gute Mann mal wieder etwas Neues auf den Markt bringt. Vielleicht sollte er sich diese Dame zum Vorbild nehmen: Madonna!« Nach der nasalen Stimme des Moderators folgte die unverkennbare Stimme von Amerikas Superstar.
Franziska hörte, wie unten die Haustür geöffnet wurde. Ihr Vater war nach Hause gekommen.
Seit ihrer Rückkehr wohnte sie wieder in ihrem alten Jugendzimmer ihres Elternhauses. Natürlich war es in der Zwischenzeit verändert worden. Mutter hatte darin ein Gästezimmer eingerichtet. Mit abgelaugten Holzkommoden und einem Bett im Landhausstil, gestreiften Tapeten in Rosa und Creme und duftigen Blümchenvorhängen. Ganz so, wie es ihr gefiel. Ein Stil, von dem sie wusste, ihre Freundinnen würden ihn »entzückend« finden. Franziska liebte es eher schlicht und sachlich. Dennoch, sie war froh, zu Hause Unterschlupf gefunden zu haben. Und die langen Abende mit Papa am Küchentisch hatten viel dazu beigetragen, ihre Pläne in allen Einzelheiten Wirklichkeit werden zu lassen.
Lange würde sie nicht mehr zu Hause wohnen. Jetzt, da Bertrand sich endlich dazu entschlossen hatte, nach Deutschland zu ziehen, jetzt, da er bereits Gespräche mit Maklern vereinbart hat, da war es nach ihrer Rückkehr aus Peking sicher nur noch eine Frage von Wochen und sie würde gemeinsam mit ihrem Verlobten ihr neues Heim beziehen.
Apropos Verlobter, Franziska sah auf ihre Uhr, wo blieb Bertrand? Es war schon früher Abend, und er war immer noch nicht aufgetaucht. Dabei wollte er am Nachmittag hier sein. Franziska suchte nach ihrem Handy.
Wie auf Kommando ertönte im selben Augenblick die Anrufmelodie: »Man in the Suitcase« von The Police.
Franziska stellte ihr Wasserglas ab, überprüfte das Display und drückte auf den grünen Knopf: »Hallo Bertrand! Gerade habe ich mich gefragt, wo du bleibst!«
»Ah, bon jour, mon amour. Wie geht es meinem Engel?«
»Engel«, kam ein Echo aus dem Lautsprecher. Franziska war kurz irritiert, beschloss aber, es zu ignorieren. Wahrscheinlich fuhr Bertrand gerade an einer Bahnstrecke entlang, was die Verbindung störte.
»Bertrand, wo bleibst du? Du wolltest doch am Nachmittag hier sein und mir bei den Reisevorbereitungen helfen.«
»Ah, Chérie«, er hatte schon immer einen Hang zum Theatralischen, »wie könnte ich zusehen, wie du in dein Unglück läufst? Wie könnte ich mich an diesem Unglück auch noch aktiv beteiligen? Du weißt doch, mein Engel, ich hasse es, dass du mich verlässt.«
Franziska schnaubte unwillig: »Von verlassen ist doch gar keine Rede, das weißt du genau. Ich verreise. Bitte fang die alte Diskussion nicht wieder von vorne an. Du kannst mich nicht umstimmen. Es ist nun einmal mein lang gehegter Traum, und ich würde mir wünschen, dass du mich unterstützt.«
»Ein Traum! Ein Traum!« Franziska konnte förmlich vor sich sehen, wie Bertrand seine Hände in die Höhe streckte. »Mein Engel, kannst du nicht träumen wie andere Frauen in deinem Alter auch? Warum bin ICH nicht dein Traum? Warum ist dein Traum nicht ein langes weißes Hochzeitskleid mit Schleier, ein Brillantring an deinem Finger, ein Kind von mir, Chérie?«
»Aber das eine schließt doch das andere nicht aus!« Franziska rollte die Augen: »Irgendwann werde ich mir den Schleier aufsetzen und mit dir vor den Altar treten. Aber warum hast du es so eilig? Ich bin erst fünfunddreißig.«
»Fünfunddreißig! Ich war längst geboren, als meine Mama fünfunddreißig war. Sie war mit fünfunddreißig bereits ganze zehn Jahre verheiratet. Meine beiden Großmütter haben mit zwanzig geheiratet.«
»Das war eine andere Generation, Bertrand. Wie weit hast du noch zu fahren? Ich würde gerne zum Abschied noch einmal richtig schön ausgehen. Schließlich sehen wir uns jetzt fast drei Wochen nicht. Soll ich bei unserem Lieblingsitaliener einen Tisch bestellen?«
Wieder ein deutliches Rauschen in der Leitung.
»Bertrand? Bertrand? Bist du noch dran?«
»Bist du noch dran?«, ertönte es aus dem Handy. Sie hört ihr eigenes Echo.
»Ja, Chérie, hier bin ich, natürlich bin ich hier. Ich habe deine letzten Worte nicht gehört. Hier ist eine Störung.«
»Ich habe dich gefragt, wann du kommst.«
»Ach, jetzt auf einmal brauchst du mich. Als du deinen Plan, all dein Geld mit Koffern zu verpulvern, gefasst hast, hast du mich auch nicht gebraucht.« Sein Tonfall klang beleidigt.
Franziska seufzte. Sie kannte Bertrand lange genug, um zu wissen, dass sie ihn niemals würde überzeugen können. Er war ein interessanter Mann. Er war, wenn er es wollte, ein liebevoller Mann. Er war gut aussehend und sexy. Doch er war auch schwierig. Und konservativ. Er war es von zu Hause aus gewohnt, dass sich eine Frau dem Willen des Mannes unterzuordnen hatte. Frauen mit eigenen Plänen waren ihm suspekt. Die Idee, dass seine Verlobte in China Koffer produzieren lassen wollte, lag jenseits seines Vorstellungshorizontes. Was hatte er in den letzten Monaten und Wochen nicht alles versucht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen! Nicht, dass ihn ihre Pläne nicht interessiert hätten. Ihr technisches Fachwissen und ihre kreativen Ideen hatten ihn immer sichtlich beeindruckt. Schließlich war er selbst Maschinenbauingenieur, also Fachmann genug, um ihre Konstruktionen entsprechend würdigen zu können. Und doch tat er ihre Pläne als Fantasiegebilde ab. Als Träumereien, als sinnlose Vergeudung von Zeit und Geld. Was war denn so schlecht daran gewesen, Autoscheinwerfer zu entwerfen? Und jeden Tag pünktlich nach Hause zu kommen und ihm das Abendessen zuzubereiten? Musste sie denn wirklich mit Sack und Pack aus Frankreich fortziehen, um einem Hirngespinst nachzujagen?
Es rauschte abermals in der Leitung,
»Du musst tun, was du tun musst. Aber denke immer daran, dass es gegen meinen ausdrücklichen Willen geschieht. Wenn du mich wirklich liebst …«
»Das hat doch nichts mit Liebe zu tun, verdammt noch mal. Versuch ja nicht, mich zu erpressen. Also, wann wirst du hier sein?«
Wieder dieses Rauschen.
»Ach, Chérie, ich vermisse dich jetzt schon.«
Bertrand war für seine schnellen Stimmungsschwankungen bekannt. Dennoch brachte er seine Verlobte damit jedes Mal aus der Fassung. Eben noch beleidigt, eben noch erpresserisch, schwenkte er binnen Sekunden auf einen zärtlichen Tonfall um.
»Du brauchst mich nicht zu vermissen, du wirst mir ja in wenigen Minuten gegenüberstehen.«
»Nein, Chérie, das werde ich nicht. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, aus Frankreich wegzufahren.«
»Waaas?«, schrie Franziska ins Handy.
»Aaaas?«, antwortete das Echo.
»Sag, dass das nicht wahr ist! Bertrand, wir sehen uns jetzt drei Wochen nicht, und du willst mir nicht einmal einen Abschiedskuss geben? Ich fasse es nicht!«
»Hier geht es nicht darum, was ich will. Hier geht es ums Prinzip. Wenn du dich schon über meinen Willen hinwegsetzt, dann musst du das alleine tun. Wenn du allerdings beschließt, hier zu bleiben …«
»Niemals!«
»Ja, dann«, Bertrands Stimme klang tieftraurig an ihr Ohr, »pass gut auf dich auf. Chérie. Und vergiss nicht, dein Handy mitzunehmen.«
»Das habe ich doch immer dabei, wenn ich geschäftlich verreise. Ich melde mich sofort, wenn ich angekommen bin.«
»Das will ich doch hoffen! Ich möchte immer wissen, wo du bist. Chérie. Und noch etwas …«
»Ja?«
»Gib mir zur Sicherheit auch die Handynummer deines Rechtsanwalts. Es könnte ja sein, dass du dein Handy verlegst oder dass irgendetwas mit deinem Ladegerät nicht stimmt. Ich könnte nicht gut schlafen, wenn ich nicht sicher sein könnte, dass ich dich zumindest telefonisch immer erreichen kann.«
Franziska klemmte das Handy zwischen Ohr und Kinn ein und blätterte in ihrem Telefonbuch. Sie nannte ihm die Nummer des Rechtsanwalts. »Obwohl ich nicht verstehe, wofür das gut sein soll. Was soll schon mit meinem Handy sein? Bisher hat es immer anstandslos funktioniert.«
»Na ja, sicher ist sicher, Chérie.«
Es klopfte an der Tür.
»Ich muss Schluss machen, Bertrand, meine Eltern erwarten mich. Ich werde Vater bitten, mich morgen zum Flughafen zu bringen. Schade, dass du nicht kommst. Ich hätte dich gern noch einmal umarmt, denn auch für mich ist es nicht so einfach …«
»Wankelmut, dein Name ist Weib.«
Sarkasmus war das Letzte, was sie jetzt brauchte. Franziska hob energisch den Kopf. Wenn er sie nicht verstehen wollte, dann würde er sie auch nicht verstehen. Jedes Wort, das sie sagte, war ein Wort zu viel. Sie wollte allerdings auch nicht im Streit auseinander gehen: »Ich muss jetzt auflegen. Machs gut, Bertrand. Bis in drei Wochen! Pass gut auf dich auf! Ich melde mich.« Dann drückte sie energisch den roten Knopf und öffnete ihrem Vater die Tür.