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Narcissus

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(Franz von Stuck, ca. 1926, Öl auf Leinwand, 64x60cm, Privatbesitz)

»Henriette!«, rief der gepflegte Herr und sprang von seinem Platz im Café Kupferkanne auf, um sie mit Küsschen auf beide Wangen sowie anschließendem Handkuss zu begrüßen. »Du siehst toll aus. Das Landleben auf Rieding scheint dir zu bekommen.«

»Danke, Dezi, das ist irrsinnig lieb von dir. Ja, meine Eltern und ich haben uns gut arrangiert, seitdem ich wieder nach Hause gezogen bin. Der alte Kasten ist groß genug, um sich nicht dauernd gegenseitig auf die Füße zu treten, und wenn die Buben Semesterferien haben, kommen sie immer gerne heim. Aber wie lang ist es her, wann haben wir uns zuletzt gesehen?«

Dezi hieß eigentlich Carl Decimus von Klockheim und war nicht nur Hetties Cousin dritten Grades über eine gemeinsame Urgroßmutter, sondern seines Zeichens auch Staatsanwalt in Hamburg.

»Das muss wohl bei der Hochzeit von Anselm und Sabrina gewesen sein, vor gut einem Jahr.«

»Stimmt.« Er wartete, bis Hettie sich gesetzt hatte, nahm dann ebenfalls wieder Platz und winkte der Bedienung. »Soviel ich gehört habe, hängt der Haussegen bei Cousin Anselm allerdings schon schief. Überrascht mich nicht, wenn ich ehrlich sein darf, die zwei passen überhaupt nicht zueinander. Was magst du trinken?«

Hettie bestellte ein Kännchen Assam-Tee und sah sich in dem individuell und sehr künstlerisch eingerichteten Café um. Sie liebte die Kupferkanne. Bisher war sie bei all ihren Aufenthalten auf Sylt so oft wie möglich hierhergekommen. Bei schönem Wetter war der Garten mit Ausblick geradezu paradiesisch. Aber am besten gefiel es Hettie, wenn der Regen gegen die Scheiben prasselte und sie, so wie jetzt, drinnen in einer der gemütlichen Ecken und Nischen sitzen konnte.

»Ich bin natürlich sofort vom Festland rübergekommen, als ich von dem Diebstahl gehört habe, um zu sehen, ob ich dir irgendwie beistehen kann. Eine wirklich unangenehme Sache.« Er griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand, als sie sich gerade die Zuckerdose nehmen wollte, und drückte sie. Dabei fielen Hettie seine perfekt manikürten Fingernägel auf. Überhaupt war Carl Decimus ein extrem gepflegtes Exemplar der Gattung Mann. Ein zweifelsohne fähiger Friseur hatte sein braunes Haar ganz zart golden gesträhnt, sodass es beinahe natürlich wirkte. Der Teint war gebräunt, ein wenig zu sehr für diese Jahreszeit und Hetties Geschmack, und seit Neuestem trug er einen modischen, kurz getrimmten Bart – vor einem Jahr bei besagter Hochzeit war er noch glatt rasiert erschienen, erinnerte sich Hettie.

»Das ist nett, Dezi, und du könntest wirklich etwas für mich tun. Der Kommissar, der sich um die Aufklärung des Diebstahls kümmern soll, ein gewisser Herr Bruns, macht nicht gerade einen motivierten Eindruck.«

Eine von Carl Decimus‘ exakt gezupften Augenbrauen hob sich. »Kriminalkommissar Nanne Bruns? Der ist aber ein sehr fähiger Beamter. Ein richtiges Nordlicht noch dazu, also der kennt die Menschen hier. Ich habe läuten hören, er will aufs Festland versetzt werden, daher wird er sich wohl anstrengen, um Erfolge vorweisen zu können.«

»Hm, mag sein, dass er einfach nur eine lethargische Ausstrahlung hat. Jedenfalls wäre es toll, wenn man ihm begreiflich machen könnte, wie überaus wichtig ein schnelles Auffinden des Gemäldes ist.«

Er zwinkerte ihr zu. »Verstehe. Ich werde es ihm unmissverständlich verdeutlichen.«

Hettie trank ihren Tee aus und goss sich neuen nach. »Ach ja, und dann ist da noch etwas. Du weißt ja, vier Augen sehen mehr als zwei, daher habe ich einen Privatdetektiv beauftragt, der ebenfalls nach meiner Sünde sucht. Ich hoffe, die Polizei legt ihm keine Steine in den Weg.«

»Solange er den Beamten nicht auf die Füße tritt …«

»Angeblich ist er ein absoluter Profi. Wie gesagt, mir geht es einzig und allein darum, mein Eigentum zurückzuerhalten. Du kennst doch auch viele Leute hier auf der Insel, wo du so oft in deinem Ferienhaus bist. Was weißt du denn über einen gewissen Roger Theissen?«

Bevor er antwortete, bestellte sich Carl Decimus eine weitere Tasse Kaffee. Dann lehnte er sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Früher habe ich ein paarmal mit ihm Tennis gespielt. Seit er damit aufgehört hat, treffe ich ihn eher selten. Seine Frau Maike stammt aus einer Hamburger Industriellenfamilie und gibt bei den beiden den Ton an. Roger hat in der Firma ihres Vaters gearbeitet. Er tut zwar so, als wäre er unglaublich wichtig, besonders seit er der Vorsitzende der Kunstfreunde Sylt geworden ist, aber in Wirklichkeit hat er bei Maike nicht viel zu lachen.«

»Würdest du ihm zutrauen, dass er Die Sünde gestohlen hat?«

Carl Decimus lachte kurz auf. Dabei bewegte sich nur sein Mund, der Rest des Gesichts blieb unbewegt. Hettie drängte sich der Verdacht auf, er könnte bei seinem straffen Teint mit Botox nachgeholfen haben. Ihre Cousine Luise hatte früher bei Familientreffen immer behauptet, Carl Decimus wäre der mit Abstand hübscheste Junge unter all den zahlreichen Cousins. Er war in der Folge zu einem gut aussehenden Mann herangewachsen, der auf seine äußeren Attribute mächtig stolz war. Mit Mitte vierzig wurde er anscheinend unentspannt. Anders war sein übertriebener Erhaltungsaufwand nicht zu erklären. Hettie dachte schuldbewusst daran, dass sie ihren Haaransatz erneut nachfärben musste.

»Auf keinen Fall. Für so etwas fehlt Roger der Mut, er ist nicht der Typ, der klaut.«

»Er wollte das Bild unbedingt haben und hat mich schon mit Angeboten bombardiert, bevor er es überhaupt gesehen hatte. Allerdings waren seine Preisvorschläge lachhaft. Daher scheint es mir nicht so weit hergeholt, dass er es sich auf diese Weise beschafft hat.«

»Wenn Roger Die Sünde kaufen will, muss er sich dafür von Meike das Geld geben lassen. Und die wird ihm ihr Limit mitgeteilt haben. Trotzdem halte ich es für absolut ausgeschlossen, dass er das Gemälde gestohlen hat. Unter uns gesagt, Roger Theissen ist ein Weichei. Apropos, magst du was essen? Die machen hervorragende Omeletts hier. Ist es schon zu spät für ein zweites Frühstück?«

Nach dem Treffen zeigte sich draußen gerade die Sonne und Hettie spazierte durch den kleinen Ort. Sie mochte Kampen mit seinen blitzsauberen Straßen, den hübschen Reetdachhäusern und der berühmten Whiskymeile, besonders dann, wenn kaum etwas los war, wie heute. So konnte sie gemütlich an den Juwelierläden und Boutiquen vorbeischlendern und in Ruhe die Auslage in den Schaufenstern bewundern.

Überrascht stellte Hettie fest, dass es sogar hier, mitten in Kampen, an der Hauptstraße eine Detektei gab. Matthias Behrens fiel ihr ein und sie hoffte, dass er so gut war, wie Karoline behauptet hatte.

Sylter Sündenfall

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