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Wind und Welle

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(Franz von Stuck, 1928, unvollendet, Öl auf Leinwand, 100x68cm, Privatbesitz)

»Gnädige Frau, Sie sehen hinreißend aus! Wie eine moderne Tilla Durieux.« Das nordische Näseln von Roger Theissen klang zwar sonor, aber irgendwie erinnerte Hettie der Vorsitzende der Stiftung Kunstfreunde Sylt an Theo Lingen, den Schauspieler. Vielleicht weil er auch ähnlich runde, leicht hervorstehende Augen hatte? Oder nach hinten gegeltes Haar?

»Wie bitte?«

»Tilla Durieux, eine österreichische Schauspielerin. Sie stand Franz von Stuck Modell für die Circe, eines seiner berühmtesten Werke.«

»Ach so. Und Sie finden, ich sehe so aus?« Verwirrt bedankte sie sich für das Kompliment – vermutlich war es eines – und ließ sich an seinem Arm durch den Ausstellungsraum führen. Noch war der Kunstfrühling Sylt nicht eröffnet, lediglich Stiftungsmitglieder durften vorab schon einmal die Preziosen bewundern. Unangefochtener Stargast war natürlich Die Sünde, auf die alle gespannt warteten. Theissen enttäuschte die Anwesenden mit der Ankündigung, er werde das Werk bis zur offiziellen Eröffnungsfeier unter Verschluss halten. Er selbst hatte sich begeistert davon gezeigt, es ausgiebig studiert und dann im Tresor des Stiftungsgebäudes verstaut.

»Wie er mit Licht und Schatten gespielt hat, beeindruckend, finden Sie nicht?«

»Wie bitte?« Hettie hatte kurz nicht aufgepasst und keine Ahnung, was Theissen meinte.

»Von Stuck. Das Gemälde.«

»Ach so, ja«, sagte sie brav, »stimmt.«

»Ich verehre Franz von Stuck über die Maßen. Wussten Sie, dass er für sein Werk Dissonanz selbst Modell stand?«

Soweit Hettie sich erinnerte, zeigte dieses Bild zwei Faune: einen kleinen Jungen, der anscheinend wenig harmonisch auf einer Panflöte blies, und einen Erwachsenen, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Ohren zuhielt. Er wird sich wohl kaum als Kind verewigt haben, dachte sie, und sagte laut: »Ach wirklich? Sah er sich denn als Faun?«

»Der Meister konnte sein, was er wollte.« Theissens Antwort erinnerte Hettie an einen Teenager, der von seinem Idol schwärmt. »Er fertigte verschiedene Studien für das Gemälde an, Fotografien von sich in Pose, nackt auf einem Stuhl sitzend.«

»Hielt er sich dabei auch die Ohren zu?«

»Aber ja, meine Liebe, ganz richtig!« Begeistert referierte Roger Theissen weiter und Hettie fragte sich, mit welcher ihrer Äußerungen sie ihn wohl dazu ermutigt hatte. Höflichkeit war nicht immer von Vorteil, entschied sie. Dennoch nippte sie geduldig an ihrem Proseccoglas und lächelte freundlich all den fremden Gesichtern zu, die ihr vorgestellt wurden. Gerade stand ein unrasierter Herr vor ihr, mit ausgreifender Stirnglatze, schulterlangem Grauhaar und einem Paisleyschal um den Hals – sicher ein Künstler, dachte sie –, der ihr die Hand schüttelte.

»Schimmelreiter?«, wiederholte er nachdenklich ihren Namen. Heute hatte noch niemand den unvermeidlichen Witz über Theodor Storms Novelle gemacht, deswegen rüstete sich Hettie für eine Entgegnung. Doch der alte Kalauer blieb aus. Stattdessen machte sich so etwas wie Resignation auf dem Gesicht des Mannes breit.

»Das ist Professor Kollenbosch«, half Theissen. »Er hält den Lehrstuhl für Malerei an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und verbringt seine vorlesungsfreie Zeit hier auf der Insel.«

»Schimmelreiter«, wiederholte Kollenbosch noch einmal, was Roger Theissen offensichtlich auf die Nerven ging, denn er zischte den Professor regelrecht an: »Ja, Henriette Schimmelreiter. Aus Bayern. Ihr gehört Die Sünde. Das wissen Sie doch!«

Nach einigen Floskeln bemühten Smalltalks rückte sich Kollenbosch seine kreisrunde, mit einem übertrieben dicken braunen Rahmen ausgestattete Brille auf der Nase zurecht und verabschiedete sich. Er schien ein wenig tüdelig zu sein. Theissen zog Hettie weiter zu einem wohlbeleibten und über und über mit Schmuck behängten Paar, das er als Ehepaar Harmsen vorstellte. Jens und Georg Harmsen.

Insgeheim befand Hettie, dass die Mitglieder der Kunststiftung ein interessanter Mix waren. Im direkten Vergleich war die oberbayerische Kunstszene geradezu spießig. Wer hätte gedacht, dass die Nordlichter so progressiv waren?

Jens und Georg entpuppten sich als äußerst amüsante Gesprächspartner, bei denen Hettie gern stehen blieb. Sehr zum Verdruss von Roger Theissen, der wohl allen Ernstes vorgehabt hatte, sie jedem einzelnen Anwesenden vorzustellen – was sie hiermit verweigerte. Schließlich gab er es auf und setzte seine Begrüßungsrunde allein fort.

Nach einer weiteren halben Stunde blickte Hettie verstohlen zuerst auf ihre Uhr, dann ans andere Ende des Raums, wo sich Theissen gerade aufhielt.

»Falls Sie sich absetzen wollen, zeige ich Ihnen den Hinterausgang«, flüsterte Georg Harmsen verschwörerisch. Er war mindestens fünfzehn Jahre jünger als sein Ehemann und sah beinah aus wie einer dieser Puttenengel, mit Pausbacken und einem fröhlichen Gesicht.

Ertappt spürte Hettie, wie sie rot wurde. »Ich dachte nicht, dass der Sektempfang so lange dauert. Ehrlich gesagt, habe ich noch nicht einmal meine Sachen ausgepackt, weil Herr Theissen schon auf mich gewartet hat.«

»Roger kennt keine Gnade, wenn es um seinen Lieblingskünstler geht. Dabei gibt es außer Bildern und Skulpturen auch ein richtiges Leben, das scheint er gerne zu vergessen. Er ist besessen von der Kunst und besonders von Franz von Stuck.«

»Bei dem Drachen, den er zu Hause hat, sei ihm das verziehen.« Jens Harmsen kicherte boshaft, wobei sein Doppelkinn lustig mitwippte, und ignorierte den strafenden Blick seines Mannes.

»Kommen Sie.« Die zwei hakten Hettie unter und zogen sie in einen Nebenraum, der auf den Flur hinausführte. »Er sieht gerade nicht rüber, das ist Ihre Chance.«

Dankbar ging Hettie mit den beiden. Nach der Anreise und dem anstrengenden Empfang stieg ihr der Prosecco schnell zu Kopf. Gegessen hatte sie auch noch nichts. Sie würde sich auf dem Weg zum Ferienhaus irgendwo ein vorgezogenes Abendessen zum Mitnehmen besorgen und dann gemütlich die Füße hochlegen. Der Strandspaziergang würde warten müssen, draußen war es windig und regnerisch und sie fühlte sich erschlagen. Immerhin musste sie für die offizielle Ausstellungseröffnung am nächsten Tag wieder fit sein. Nur leider kam es gar nicht erst dazu.

Sylter Sündenfall

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