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ОглавлениеIrland, 2012
»Es ist doch vollkommen egal, dass er schwul ist!«, schrie Jamie Harkdale. »Er ist dein Sohn!«
Wütend lief er im Kaminzimmer auf und ab. Das Geräusch seiner Schritte wurde von dem riesigen Perserteppich verschluckt, der das edle Parkett beinahe vollständig bedeckte.
Sein Vater saß unbeeindruckt im Sessel vor dem Feuer, die Füße auf einem mit Samt bespannten Schemel, und zog an einer Zigarre.
»Das ist es nicht, Jamie. Ich hinterlasse doch nicht all das hier einer Schwuchtel.«
»Du sprichst von deinem ältesten Sohn, Vater! Du ekelst mich an.«
»Ich ekle dich an? Und was ist mit Harry? Er treibt es mit Männern. Das nenne ich ekelhaft.«
Nach zwei Jahren in New York war Harry am Tag vor Weihnachten nach Hause gekommen und hatte sich vor seiner Familie geoutet. Jamie hatte seit Langem vermutet, dass sein Bruder Männer bevorzugte, doch für ihn war das nie ein Problem gewesen. Er wusste, Harry würde sich ihnen offenbaren, wenn er die Zeit für reif hielt. Außerdem änderte seine sexuelle Neigung nichts daran, dass er der beste große Bruder war, den es gab. Sowohl Mutter als auch Alice, seine Schwester, dachten wie Jamie – aber Vater war völlig ausgeflippt. Tatsächlich hatte er so lautstark und lang anhaltend getobt, dass Harry am ersten Weihnachtsfeiertag mit dem Helikopter zurück nach Dublin und von dort nach New York geflogen war, nicht willens, die Schmähungen des Vaters länger zu ertragen.
»Ich werde mein Testament ändern. Du wirst als Haupterbe eingesetzt und mein Nachfolger werden, und deinen Bruder werde ich aus meinem letzten Willen streichen.«
Jamie blieb abrupt stehen. »Das kannst du vergessen. Ich will weder deinen Besitz noch deinen Titel. Harry ist der rechtmäßige Erbe.«
»Aber von ihm sind keine Nachkommen zu erwarten.«
»Falls es dir nur darum geht – woher weißt du, dass ich mich fortpflanzen werde? Außerdem – auch schwule Paare können heutzutage Kinder haben.«
»Mach dich nicht lächerlich. Das kommt überhaupt nicht infrage.«
»Ich sage dir hiermit eines, Vater, ich stehe als dein Nachfolger nicht zur Verfügung. Und bevor du den Lebenswandel deines Sohnes verurteilst, kehre lieber vor deiner eigenen Tür!«
Der alte Mann lief dunkelrot an. »Was soll das heißen? Was erlaubst du dir überhaupt?«, brüllte er.
»Ich erlaube mir, festzustellen, dass deine amourösen Ausflüge nicht unbemerkt geblieben sind. Wir wissen doch alle genau, dass kein Rock vor dir sicher ist. Mutter leidet darunter, aber das ist dir anscheinend egal. Sobald eine hübsche Frau in deiner Nähe ist, benimmst du dich wie ein brünstiger Pavian, das nenne ich ekelhaft! Und respektlos der Familie gegenüber obendrein.«
»Das ist mein gutes Recht! Ich bin der Herr des Hauses. Unserer Familie gehört dieses Land seit Jahrhunderten, und das Oberhaupt kann machen, was es will. Wir Harkdales hatten schon immer Mätressen, das ist in unserem Stand etwas ganz Normales, und ich verbitte mir jegliche Kritik deinerseits!«
»In unserem Stand?«, schnaubte Jamie. »Ich pfeife auf unseren Stand. In welcher Zeit lebst du eigentlich?«
»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen! Geh mir aus den Augen, du undankbarer Flegel!«
»Ausnahmsweise füge ich mich dieser Anweisung gerne.« Jamie musste sich sehr beherrschen, um die Tür nicht zu knallen. Ein Schatten huschte in eines der Zimmer, während er die breite Treppe hinaufstapfte, und Jamie wusste, dass einer der Bediensteten an der Tür gelauscht hatte. In dem riesigen Anwesen außerhalb Dublins war eine Vielzahl von Zimmermädchen und Hausangestellten beschäftigt, und irgendwer spionierte immer. Nichts blieb unbemerkt.
Alice und Mutter warteten bereits in seinem Zimmer.
»Wie ist es gelaufen?«
Zwei Paar tiefblaue Augen sahen ihm entgegen und Jamie musste unwillkürlich lächeln. Niemand hätte bestreiten können, dass sie verwandt waren.
Jamies Mutter hatte ihre klassische irische Schönheit, rabenschwarzes Haar und blaue Augen, an ihre Kinder weitergegeben. Doch während Alice und Harry über die Sanftmut ihrer Mutter verfügten, hatte Jamie das hitzige Temperament seines Vaters geerbt. Gottlob jedoch nicht dessen Überheblichkeit und Egoismus.
Jane Harkdale entstammte einem Adelsgeschlecht, das wesentlich älter und wohlhabender war als das von Geoffrey Harkdale, dennoch benahm er sich wie ein Pascha und terrorisierte Familie und Bedienstete.
Jamie setzte sich auf ein Sofa. »Was denkt ihr wohl? Entsetzlich. Er führt sich auf wie die Axt im Walde. Er hat sogar vor, Harry zu enterben.«
»Ich hasse ihn.« Die Worte kamen aus Alice’ tiefstem Herzen. Sie griff nach dem Rotweinglas, das vor ihr auf dem niedrigen Couchtisch stand, und nahm einen großen Schluck.
Ihre Mutter streichelte ihr den Rücken. »Er wird sich schon wieder beruhigen. Immerhin ist Harry der Erstgeborene, und ich kann mir nicht vorstellen, dass euer Vater einen Skandal verursachen wird, indem er ihn enterbt. Außerdem würde sich dann der Grund dafür herumsprechen, und das wird er um jeden Preis vermeiden wollen.«
Nachdem er sich selbst ein Glas Wein eingeschenkt hatte, stand Jamie auf und trat an eines der raumhohen Fenster, die auf den Park hinausgingen.
Sein Zimmer war lang gestreckt, beinahe ein Saal, der im hinteren Teil ein Bett mit vier massiven Pfosten aus dunklem Holz beherbergte und im vorderen Bereich eine Sitzecke um den Kamin. Dazwischen lag so viel Platz, dass Jamie und Harry als Kinder heimlich Fußball auf dem Parkett gespielt hatten – so lange, bis eines Tages eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen war.
Draußen war es stockdunkel, aber die Beleuchtung der Veranda erhellte den mit Raureif überzogenen Rasen.
»Ich werde nach London gehen«, sagte er leise.
»Was?« Alice klang entsetzt. »Das geht nicht! Wir brauchen dich hier! Du kannst uns nicht mit ihm allein lassen!«
»Er ist doch dauernd unterwegs. Die Tage, die er hier verbringt, lassen sich an einer Hand abzählen, Alice.« Er drehte sich um und ging zurück zur Couch. »Ich bin jetzt fünfundzwanzig und habe mein ganzes Leben hier verbracht …«
»Das stimmt nicht, du hast in England studiert.«
»Davon rede ich aber nicht. Ich bin erwachsen und will raus hier. In die Stadt.«
Jane legte Alice beschwichtigend eine Hand auf den Arm, als diese protestieren wollte.
»Lass ihn, Kind, er hat recht. Es ist Zeit, das Nest zu verlassen. Was hast du vor, Jamie?«
»Ich dachte, ich könnte erst einmal bei Cousin George wohnen.«
»Warum nicht in unserem Haus in Mayfair?«
»Vater steigt dort ab, wenn er in London ist.«
Seine Mutter nickte. »Er wird dagegen sein, dass du gehst.«
»Weißt du was? Das ist mir völlig egal! Er interessiert sich doch sowieso nur für sich selbst. Was wir machen, ist ihm entweder gleichgültig, oder er ist dagegen. Ich habe die Nase voll von ihm. Wie er sich Harry gegenüber benommen hat, ist beschämend!«