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ОглавлениеEngland, 2015
Wenige Jahre später hatte Jamie Harkdale es geschafft, sich völlig aus dem Schatten des Vaters zu lösen. Zu verdanken hatte er dies den weitreichenden Verbindungen seines Cousins George in der Londoner Gesellschaft, seinem Namen und, nicht zu vergessen, seiner Geschäftsidee.
Das Netzwerk aus Freunden, Kontakten, Unternehmern, Adel, Schönen und Reichen, welches sich ihm schnell erschlossen hatte, organisierte er in einem exklusiven Internetclub, zu dem nur handverlesene Mitglieder Zugang hatten. Der Club umspannte dank des World Wide Webs bald den Globus, und alles, was Rang und Namen hatte, wollte Mitglied im Inner Circle werden.
Wer dabei war, konnte sich sicher sein, zu den vornehmsten Festen und exklusivsten Premieren geladen zu werden. Ebenso konnte man Kontakte zu Investoren und Geschäftspartnern knüpfen, die alle in einer Liga spielten.
Der Inner Circle war das Who-is-who des internationalen Jetsets, zusammengefasst auf einer Webseite und für die Auserwählten überall leicht erreichbar. Firmen überschlugen sich, um auf den Seiten des Circle Werbung schalten zu dürfen, und bald war Jamie allein durch die PR-Einnahmen unabhängig von seinem Trust Fund und damit von seiner Familie. Dazu kamen noch die Inner Circle-Feste und Sportveranstaltungen, bei denen die Mitglieder in amüsantem Ambiente diskret netzwerken konnten.
»Ich finde meine Vorschläge für die neue Webseite sehr gut.« Cheryl, Jamies Assistentin, beugte sich über den Schreibtisch, um auf den Monitor blicken zu können.
Dabei streifte ihre Brust wie zufällig Jamies Schulter.
Er verdrehte die Augen. »Es fühlt sich an wie Plastik, und es ist nicht nötig, mich ständig damit anzustupsen.«
»Es fühlt sich an wie Plastik, weil es Plastik ist, Schätzchen!«, schmollte sie. »Aber sie waren so teuer, dass ich einfach gern jeden an meinem Glück teilhaben lassen möchte.«
Cheryl war eins fünfundachtzig groß, mit einer Figur, für die die meisten Frauen töten würden – wunderschön, langbeinig, mit schwarzem Haar und dunkler Haut. Nur wenige Menschen wussten, dass sie vor ihrer Operation nicht Cheryl, sondern Charles gewesen war. Charles und Jamie hatten dieselbe Universität besucht. Trotz seines Unglücks, im falschen Körper zu stecken, sah Charles die Welt positiv. Er war ein begnadeter Software-Spezialist und fähiger Betriebswirt.
Beide Abschlüsse hätten ihm hochbezahlte Jobs garantiert, wenn die Sache mit seiner Geschlechtsumwandlung nicht gewesen wäre.
Kurz nach Gründung des Inner Circle hatte Jamie die frischgebackene Cheryl deprimiert hinter dem Bartresen eines Clubs angetroffen – und sofort wiedererkannt. Anscheinend war das Mixen von Cocktails die einzige Beschäftigung, die man ihr als Transsexuelle zutraute. Während ihrer Studienzeit hatte sich Charles als Hacker einen gewissen Namen in einschlägigen Kreisen gemacht. Cheryl nahm ihre körperliche Verwandlung zum Anlass, sich von solchen Dingen zu distanzieren. Aber zu dem Zeitpunkt, als Jamie sie wiedergetroffen hatte, war sie finanziell derartig klamm gewesen, dass sie sogar eine Wiederaufnahme dieser Tätigkeit in Erwägung gezogen hatte. Jamie hatte Cheryl vorgeschlagen, Geschäftsführerin seines neuen Unternehmens zu werden, und ihr damit nicht nur eine Karriere geboten, sondern verhindert, dass sie in die Illegalität abglitt, um über die Runden zu kommen. Auch ihrem Können war der Erfolg des Internetclubs zu verdanken.
Sie rekrutierte Investoren und kümmerte sich um die Webseite. Er netzwerkte und entschied über neue Mitglieder.
Für Jamie war Cheryl ein Glücksfall, und für Cheryl war Jamie der Weg zurück in die seriöse Geschäftswelt. Für Außenstehende war der Umgangston der beiden, eine Mischung aus burschikoser Ruppigkeit und trockenem Humor, oft verwunderlich, doch so hörte es sich eben an, wenn sich zwei Jugendfreunde unterhielten.
»Mir gefallen deine Entwürfe auch sehr gut, ich möchte nur nicht, dass irgendwo ein Bild von mir auftaucht.«
»Aber du bist der Boss! Das interessiert die Leute!«
»Die Startseite ist für jeden im Netz einsehbar – ich habe keine Lust darauf, dass alle mein Gesicht kennen und versuchen, über mich in den Club zu kommen. Ich will meine Ruhe haben.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Ach, du alter Brummbär. Sei doch ein wenig offener! Mir würde es nichts ausmachen, wenn gut aussehende Menschen mich ansprechen und einladen, weil sie glauben, es bringt sie in den Inner Circle.«
»Ich weiß. Du würdest eine Flasche Champagner einfordern, dir die Visitenkarte geben lassen und dann die Bewerbung ablehnen!«
»Genau – ich hasse Opportunisten!«
»Weshalb nehmen wir dann nicht ein Bild von dir?«
»Von mir?«
»Ja, du bist der Geschäftsführer.«
»Du meinst, die Geschäftsführerin.«
»Natürlich. Wie konnte ich mich nur so versprechen …«
Cheryl schien nachzudenken. »Das würde dir nichts ausmachen? Nicht einmal falls bekannt wird, wer ich bin?«
»Du bist ein Mensch, Cher. Ob ich dich nun Charles oder Cheryl nenne und ob du einen Satz Brüste oder Haare auf der Brust hast, hat nichts mit der Tatsache zu tun, dass du hier ausgezeichnete Arbeit leistest. Niemand repräsentiert die Firma besser als du.«
Sie strahlte. »Ich danke dir. Also schön. Dann lösche ich dein Bild raus und füge ein Foto von mir auf der Startseite ein. Ich zeige dir das neue Layout, bevor wir es online nehmen.«
Jamie stand auf und ging zur Tür »Alles klar. Ich treffe mich mit George zum Lunch.«
Er nahm den Aufzug und fuhr neunzehn Stockwerke nach unten. Dabei sah er durch die Glasfront des Lifts hinaus aufs Wasser. Es war die richtige Entscheidung gewesen, Geschäftsräume in den Docklands zu beziehen. Der tägliche Arbeitsweg war zwar etwas weiter, aber Jamie liebte die Lage am Canary Wharf. Die modernen Glasbauten wurden hauptsächlich von Banken und großen Firmen genutzt, doch dank seiner guten Verbindungen hatte er es geschafft, sich ein Büro mit fantastischer Aussicht zu sichern.
Unten angekommen, stellte er erfreut fest, dass es warm und relativ windstill war – George hatte sich hoffentlich für einen Tisch auf der Terrasse entschieden.