Читать книгу Filou - ein Kater sucht das Glück - Sophie Winter - Страница 6

ZWEI

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Der Metzger brüllte …

»Wach auf, du Penner!«

… schrie und keifte …

»Wird’s bald, du Faulfell!«

… tobte und fluchte …

»Jetzt reicht’s mir aber, du Versager!«

… sodass Filou vor Schreck vom Fass fiel, seinem Schlafplatz im Keller des Abrisshauses in der Rue Basse, wo er mit seiner Pflegemutter Lucrezia hauste. Die starrte ihn mit gesträubtem Nackenfell und zusammengekniffenen Augen an. »Es wird bald dunkel! Du glaubst wohl, du könntest den ganzen Tag verpennen?«

Filou wusste nicht, wie ihm geschah. Eben war er noch der Liebling Beaulieus gewesen und nun …

»Das könnte dir so passen!« Sie gab ihm eins hinter die Ohren. »Ich habe Hunger!«

»Natürlich«, murmelte er schlaftrunken. »Sicher. Gleich.«

»Sofort!« Diesmal traf sie seine Nase. Filou schrie erschrocken auf. »Und gib nicht immer Widerworte!«

Mit gesträubtem Pelz sauste er zum Kellerfenster, sprang aufs Fenstersims und hinunter auf die Straße, wo er beinahe vor der Schnauze von Yapper, dem Dackel, gelandet wäre. Der glotzte ihn an, als ob er ernsthaft überlegte, sein rosa Strickpüppchen fallen zu lassen, um dies Geschenk des Himmels besser um den Block jagen zu können. Aber Filou war schon auf und davon.

Er der Liebling von Beaulieu? Nur im Traum. Und selbst der hatte als Albtraum geendet. In der tristen Wirklichkeit verteilte der Bäcker Fußtritte und der Metzger Flüche, wenn sich eine der Katzen vor dem Geschäft blicken ließ. Und Isabelle war schön und schüchtern und würde sich niemals trauen, während der Arbeitszeit einen roten Streuner zu kraulen.

Obwohl der Frühling bereits begonnen hatte, war das Wetter an diesem Tag genauso trübe wie Filous Stimmung. Er schlich am Kriegerdenkmal vorbei und wünschte sich, er könnte sich im umzäunten Gärtchen zu Füßen des Monuments unter den Lavendel verkriechen und weiterschlafen. Schlafen und träumen. Am liebsten Träume, die gut ausgingen.

Traurig trabte er die Rue des Fleurs hoch zum Markt. Dort räumte man bereits zusammen. Der Fischstand war schon von sämtlichen Katzen der Umgebung umlagert, die einander eifersüchtig belauerten. Jeder wollte der Erste sein, wenn Monsieur die Reste verteilte. Minou, die große Weiße mit den blauen Augen, die behauptete, eine Heilige aus Birma zu sein – na, höchstens zu einem Achtundachtzigstel, wie Lucrezia zu spotten pflegte. Mimi, schwarz mit weißen Söckchen, auf die sie so stolz war, dass sie auf den Zehenspitzen ging. Mignon mit dem verfilzten grauen Fell – das seien Dreadlocks und total angesagt, behauptete sie. Und die vier schwarzen Riesen, die alle anderen zu terrorisieren pflegten.

Monsieur war berühmt für seine Freigebigkeit. Immer verteilte er den übrig gebliebenen Fisch am Ende des Markttags, wenn die Kunden gegangen waren und er seinen Verkaufsstand gereinigt hatte, weshalb mittwochs Katzen aus der ganzen Umgebung angepirscht kamen.

»Ach, da ist er ja, unser Kleiner, der schönste Kater weit und breit«, zischte Mignon, als Filou versuchte, sich nonchalant neben sie einzureihen. Er neigte unterwürfig den Kopf zur Seite und bot ihr an, ihr das Gesicht zu lecken. Dafür kassierte er die erste Ohrfeige.

»Unser süüüüßes Kätzchen«, schnurrte Minou grinsend, während sie an ihm vorbeitänzelte. Dann zog sie ihm die Krallen über die Flanke. Und so ging das weiter, wo auch immer er Anschluss suchte.

»Bild dir bloß nichts ein, Freundchen.« Mimi, die offenbar kaum noch ausging, seit sie schwanger war, sonst wären ihre Krallen nicht so furchterregend lang. »Dich braucht niemand, verstehst du.«

Ausgerechnet Mimi, die eine räudige Straßenkatze gewesen war, bevor ein paar Touristen sie aufgelesen und ihr bei der Auberge Fleuri eine Lebensstelle als Mauserin organisiert hatten! Seitdem hatte sie das Mausen natürlich nicht mehr nötig. Und wozu waren die vier schwarzen Kampfkater gut, die den ganzen Tag durch den Ort stolzierten, um hier ein Häppchen abzugreifen und dort ein Schwätzchen zu halten und sich mit ihren Heldentaten zu brüsten?

Magnifico, Diabolo, Maurice und Garibaldi: »Groß, schwarz, stark – mehr Kater braucht es nicht«, pflegten die vier Brüder zu sagen. »Also mach dich schlank, Kleiner.«

»Hier! Komm, mein Schöner!« – der Monsieur. »Ja, du! Mit dem feinen roten Fell und den grünen Augen!« Er hielt einen Fisch in der Hand, eine ganze silbrig glänzende Sardine, die er aufreizend hin und her baumeln ließ. Filou versuchte kopflos, nach vorne zu stürmen. »Er meint mich! Lasst mich durch!«

Magnifico knallte ihm eine. Mimi biss ihn ins Ohr. Diabolo trat ihm auf den Schwanz. Minou zog ihm die Krallen durchs Gesicht. Mignon fauchte ihn an. Trotzdem kämpfte er sich vor, ließ sich von Monsieur den Kopf tätscheln, stellte sich wie ein ganz besonders lieber kleiner Kater auf die Hinterpfoten und tatzte nach der Sardine, bis Monsieur sie ihm endlich überließ. Doch als er mit stolz erhobenem Haupt davontraben wollte, rempelte Garibaldi ihn an. Maurice boxte ihm in die Seite. Diabolo stellte ihm ein Bein. Und dann fiel die ganze Meute über ihn her. Von der Sardine blieb nur ihr Duft zurück.

Geschlagen und mit knurrendem Magen hinkte Filou davon. Im Abfall hinter dem Käsestand erwischte er gerade noch ein paar harte Rinden. Müde trottete er nach Hause, um sich die wohlverdienten Prügel von Lucrezia abzuholen. Er hatte es wieder nicht geschafft zu tun, was man von ihm erwarten durfte.

»Wie siehst du denn aus?« Lucrezia lag auf ihrer Kohlenkiste, hatte das rechte Auge einen Spalt weit geöffnet und musterte ihn. »Wo hast du dich wieder herumgetrieben? Mitgebracht hast du mir auch nichts«, brummte sie. »Dabei bin ich wie eine Mutter zu dir.« Sie gähnte und öffnete das andere Auge. »Gibt es denn keine Dankbarkeit mehr heutzutage?«

Filou wartete mit gesenktem Kopf auf eine weitere ihrer Tiraden, aber sie hatte ihm bereits den Rücken zugedreht, streckte sich, zupfte den Sack, auf dem sie lag, zurecht, rollte sich zusammen und war wieder eingeschlafen. Erleichtert schleppte er sich zu seinem Platz auf dem Weinfass und sprang mit letzter Kraft hinauf. Fast wäre er auf der anderen Seite gleich wieder heruntergerutscht. Er ließ sich auf die rechte Flanke fallen, die am wenigsten schmerzte, und begann, behutsam sein verschmutztes und verklebtes Fell zu bearbeiten.

Was glaubst denn du, wie ich wieder aussehe?, hätte er am liebsten zurückgeknurrt. Wie immer! Wie immer nach einem Markttag, auf dem ich etwa fünfhundertunddreiundsechzigmal geohrfeigt, dreihundertundneunundvierzigmal gebissen, zweihundertundzwölfmal gekratzt und mindestens tausendfach verjagt wurde – so, wie sich das anfühlt, dachte er und fuhr mit der Zunge vorsichtig über die Stelle, an der Minou ihn erwischt hatte.

Warum sorgte Luc nicht auch mal selbst für sich? Fürs Anschnauzen hatte sie sich noch nie zu alt oder zu schwach gefühlt. Und auch für ein paar Ohrfeigen war sie biegsam genug, obwohl sie es doch in den Gelenken hatte. Und im Rücken. Und an der Hüfte.

Er stöhnte leise, als er sich mit der Pfote über Kopf und Ohren fuhr. Ihn schmerzte es heute überall.

Wenigstens hatte Lucrezia ihm nicht auch noch eine verpasst – ein unverhofftes Glück im Unglück. Man musste auch für kleine Lichtblicke dankbar sein. Filou seufzte, rollte sich zusammen, legte die linke Pfote über beide Augen und lauschte seinem knurrenden Magen. Morgen war auch noch ein Tag.

Filou - ein Kater sucht das Glück

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