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VIER

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Ob er nicht doch einmal wieder das Mausen üben sollte? Er ließ sich von den Dornen des Ligusters das Fell kämmen und zausen und legte sich in der Hecke auf die Lauer. Mit dem Kopf auf den Pfoten horchte er auf das Fiepen oder Trappeln einer Maus. Darüber schlief er ein.

Ein Rascheln direkt hinter ihm holte ihn aus einem unruhigen Schlaf. Er zuckte erschrocken hoch und kroch tiefer ins Gebüsch. Das war natürlich die ganz und gar falsche Reaktion, wenn man ein großer Jäger werden wollte. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, drehte sich vorsichtig um und spannte die Muskeln zum Sprung. Zsazsa hatte sich dabei immer ganz flach auf den Boden gepresst und mit den Hinterpfoten ein wenig eingegraben, um besser abspringen zu können, hatte den Hals lang gemacht, das Beutetier angepeilt, und dann …

Es raschelte erneut. Wie ein Pfeil schoss Filou los, überschlug sich einmal, kam verwirrt und mit schmerzendem Kopf wieder auf die Pfoten und wusste ein paar Sekunden lang nicht, wo er war. Klar war nur, dass er sein Ziel gründlich verfehlt hatte. Denn als er sich umdrehte, hockte da ein schwarzes Etwas und schaute ihn aus runden Knopfaugen an. Das Amseljunge hatte den Kopf eingezogen und die Flügel ein wenig ausgebreitet, als ob es sagen wollte: »Sorry, ich kann auch nichts dafür, aber du hattest entschieden zu viel Schwung.«

Filou spitzte die Ohren und betrachtete das Kleine. Es zitterte. Es hatte sicher die Mama verloren, genau wie er. Es war allein, es hatte Hunger, es fror. Es tat ihm unendlich leid.

Vorsichtig zog er sich zurück, um das Amselchen nicht zu erschrecken, Pfote um Pfote, im Rückwärtsgang.

Und dann hatte er die zänkische Stimme Lucrezias im Ohr. »Das ist doch wieder typisch! Aus dem Nest gefallene Vögel sind zum Essen da und kein Fall für Gefühle! Und außerdem – was wirst du mir mitbringen, wenn du nach Hause kommst? Na?«

Nichts. Wieder nichts. Dabei brauchte Lucrezia seine Hilfe! Sie war alt, vielleicht schon zehn Jahre alt, eine Veteranin der Katzengemeinde von Beaulieu, wie sie betonte. Außerdem war sie halb blind und hatte es an der Hüfte. Und an der Galle, weshalb er ihr mit alten Abfällen gar nicht erst kommen durfte. Auch nicht mit Käserinden und Hühnerknochen: die Zähne! Die waren eben nicht mehr so scharf wie früher. Nichts war mehr wie früher, alles ging den Bach runter und würde böse enden. Wenn man Luc so reden hörte, bekam man Angst vor der Zukunft.

Filou hatte viel zu oft Angst – und wenn er ehrlich war, fürchtete er sich am meisten davor, wieder allein zu sein. Sicher, Luc war nicht gerade jemand, dem Nähe wichtig war. Kuscheln mit ihr? Als er es das erste Mal versuchte, hatte sie ausgeholt und ihm die Krallen über die Ohren gezogen, man sah jetzt noch die Kerbe. Spielen? Ganz zu Anfang hatte sie die Ohren gespitzt, als er nach ihr getatzt hatte, und Anstalten gemacht, mit ihm zu raufen. Doch dann hatte sie »Sei nicht kindisch« gezischt, sich umgedreht und weitergeschlafen. Nun – wenigstens war da jemand, den er schnarchen hören konnte, wenn er wieder einmal hungrig und erfolglos nach Hause kam.

Leider schnarchte sie nicht immer. Oft war sie auch wach. Und wenn er nicht wenigstens einen Fischkopf dabei hatte, den der Monsieur ihm manchmal mitleidig zusteckte, während die anderen sich um die besseren Stücke balgten, oder ein Stückchen Schinken, das einem Touristen aus seinem belegten Baguette gefallen war, dann konnte er etwas erleben.

Filou befreite sich aus der Ligusterhecke, hinter der eine ungepflegte Rasenfläche lag. Ein paar Spatzen stiegen lärmend und schimpfend auf, als er vorbeischlurfte. Und schon stand er vor der nächsten Hecke. Steinlorbeer, immergrün und duftend und ohne die Stacheln des Ligusters. Er suchte nach einem bequemen Einstieg und lugte durch die Hecke. Hinter ihr lag der nächste Garten, in dem es duftige Sträucher und schattenspendende Bäume gab. Und am Rande dieses Gartens, auf einer Terrasse vor dem Haus, erblickte er etwas, das eine himmlische Erscheinung sein musste. Oder eine Fata Morgana.

Es leuchtete, es lockte, es schien ihm zuzublinzeln. Er stieg vorsichtig durch die Hecke, ließ sich das Fell von den glänzenden grünen Blättern des Steinlorbeers streicheln und gelangte endlich auf eine samtweiche, vom Morgentau feuchte Wiese, die seinen Pfoten schmeichelte.

Mit angehaltenem Atem hockte er sich hin und konnte nicht fassen, was er sah. Auf der Terrasse vor dem mächtigen Steinhaus stand ein Tisch. Und von diesem Tisch leuchtete und strahlte es herüber, blendete, winkte, lockte ihn. Ein überirdisches Weiß, cremefarben wie schmelzende Butter. Ein Morgenröterot wie zarter Schinken, ein Butterblumengelb wie köstlicher Käse, ein warmer goldener Schimmer wie ein frisches Baguette.

Und dann fielen zu den Farben die Gerüche wie zärtlicher Südwind über ihn her. Das war kein Traum, geboren aus Hunger und Not. Es war alles wirklich, es war alles da, alles, was das Katzenherz begehrte, und es wartete nur auf ihn. Er traute sich kaum vor, fürchtete plötzlich, dass der Käse, der Schinken, die Butter, das Brot Flügel bekämen und sich ärgerlich kreischend erhoben und von dannen flögen. Und lagen da nicht eine Jacke und eine Zeitung auf dem Stuhl, die zu einem Menschen gehörten?

Doch sein Magen interessierte sich nicht für kleinliche Bedenken und schickte ihn vorwärts. Vor dem Tisch zögerte er, aber nur kurz, dann schnellte er hoch und landete sauber auf der Tischkante. Ihm gingen die Augen über.

Er konnte sich unmöglich entscheiden. Dabei musste er sich entscheiden, und zwar schnell! Wer wusste schon, wie lange das Wunder anhielt? Da war der Schinken, der mit einem saftigen Fettrand lockte. Der Käse rief nach ihm mit einem starken, süßen Duft, der seine Barthaare in Schwingungen versetzte. Was sollte er nehmen? Was mit nach Haue bringen? Er musste doch auch an Lucrezia denken!

Du kannst dir hier nicht einfach so die Wampe vollschlagen, ermahnte er sich. Denk an deine Aufgabe! Denk an deine Pflichten!

Und wenn er sich ein Stückchen Schinken sicherte und in einer freundlichen Ecke in aller Ruhe verspeiste? Und dann wiederkäme, um den Käse mitzunehmen? Luc liebte Käse, »Kalzium, Kleiner, das ist gut für meine morschen Knochen. Und die alten Zähne können das noch beißen«, hatte sie geächzt, als er es einmal mit einem köstlich duftenden Fund aus einem Müllbeutel versucht hatte, den die Hunde aufgerissen hatten.

Ihr gelassener Ton hätte ihn misstrauisch machen müssen. Denn blitzschnell gab sie ihm einen Nasenstüber. »Aber diese stinkende harte Käserinde kannst du selber futtern, hörst du?«

Sie war ungerecht. Er hatte doch getan, was er konnte. Denn natürlich hatten sich die Hunde bereits das Beste gesichert. Zugegeben – die Käserinde hatten auch sie verschmäht.

Filou zögerte noch immer, hin- und hergerissen zwischen dem Fressen und der Moral. Deshalb spürte er die Gegenwart des Menschen erst, als es zu spät war. Es war ein Mann. Er kannte Männer, die schrien immer gleich, drohten, traten, scheuchten. Aber der hier blieb ganz ruhig stehen. Doch er betrachtete ihn.

Und das war so gut wie eine Kampfansage. Filou drehte den Kopf weg und sammelte alle Kraft für einen möglichst flotten Abgang. Aber er musste etwas mitnehmen. Er konnte nicht schon wieder nach Hause kommen, ohne Luc etwas mitzubringen.

»Der erste warme Tag, an dem man draußen frühstücken kann, und schon gibt’s Besuch«, sagte der Mann. »Dich hat wohl der Schinken gelockt?« Er trat einen Schritt näher. »Du bist zwar ein hübsches Kerlchen, aber auf meinem Frühstückstisch hast du nichts zu suchen. Also …«

Filou sammelte alle seelische und körperliche Kraft, fuhr mit dem Kopf herum und schnappte zu.

Filou - ein Kater sucht das Glück

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