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FÜNF

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Er wollte mit einem eleganten Satz vom Tisch springen und sich davonmachen. Stattdessen hätte er fast das Gleichgewicht verloren. Denn er hatte nicht den Käse, sondern eine viel größere Beute erwischt. Seine Zähne hatten sich ins Ficelle verirrt, und er verdankte es nur seiner Panik, dass er es schaffte, das elend lange Ding Richtung Gebüsch zu zerren. Kurz durchzuckte ihn der Gedanke, dass er das Brot nie im Leben am Stück zurück in den Keller würde schleppen können. Außerdem aß Luc Brot nur im Notfall: die Zähne. Und das fehlende Kalzium.

»He!«, rief der Mann. »Mein Frühstück!«

Doch Filou hatte sich bereits in die Hecke hineingekämpft, die Zweige und Blätter legten sich schützend um ihn, nur sein roter Schweif hing noch draußen – und mindestens zwei Drittel des ellenlangen Brotes. Er drehte sich um und zog und zog, obwohl er damit rechnen musste, dass ihm seine Beute wieder entrissen wurde.

Doch der Mann machte keine Anstalten, ihm zu folgen oder gar nach dem Brot zu greifen. Er gab vielmehr ein Geräusch von sich, das Menschen machen, wenn sie etwas lustig finden. Der Mann lachte und lachte und lachte.

Filou aber fand das alles überhaupt nicht komisch. Er hockte völlig außer Atem in der Steinlorbeerhecke und stellte strategische Überlegungen an. Das Brot musste zerteilt werden, damit es leichter zu transportieren war. Danach musste er sich ein paar gute Argumente für Luc ausdenken. Doch er hatte keine Ahnung, welche gesundheitsfördernden Eigenschaften man französischem Weißbrot andichten konnte. Gut für die Zähne war es gewiss nicht. Aber half es vielleicht gegen schlechte Laune?

Eins nach dem anderen, ermahnte er sich. Als Erstes musste er das Ficelle handlich machen. Er würde es durchbeißen müssen, selbst wenn er dabei die Hälfte essen musste. Er biss mitten hinein in das golden gebackene Brot. Es krachte, wie Mäuseknochen, nur trockener. Und es schmeckte köstlich.

Er biss und zerrte und kaute und schluckte, bis sein Kopf ganz schwer war. Nur für ein kleines Weilchen legte er ihn auf die Pfoten, zwischen die beiden Kanten, die vom Ficelle übrig geblieben waren.

Nach einigen Stunden wachte er von heftigen Bewegungen in seinen Gedärmen auf. Hastig kroch er aus der Hecke in den Nachbargarten und erleichterte sich in einem Kasten mit feinstem Sand, den die Bewohner neben eine Kinderschaukel platziert hatten. Man dachte hier offenbar auch an die Bedürfnisse von Katzen, dachte Filou dankbar. Dann trabte er zurück zur Hecke, nahm den einen der beiden Brotkanten zwischen die Zähne und machte sich auf den Weg zurück zum heimischen Keller.

Als Zsazsa noch für ihn sorgte, wohnten sie auf einem lichten Dachboden in einem Kinderwagen, in dem auf weichen Kissen eine Plastikpuppe gelegen hatte, bis Zsazsa sie beiseiteschob, damit Platz war für sie und ihn.

Luc hielt schon das für einen Fehler. »Verwöhnt hat sie dich. Verpimpelt. Bei mir gibt’s das nicht!«

In der Tat. Luc lebte in einem finsteren Loch – in einem in den Fels gehauenen Keller unter einem leerstehenden Haus. Oben hausten Fledermäuse, unten Skorpione. Wenn es regnete, quoll die Nässe aus dem Felsen und verwandelte den Raum in einen Eiskeller. Außer modrigem Stroh, ein paar bleichen Schafsknochen, einer verrosteten Schaufel und zwei ausrangierten Weinfässern gab es nichts da unten – halt, doch: den Thron, auf dem Luc zu ruhen pflegte, eine mächtige Kohlenkiste, auf deren Deckel sie sich aus Lumpen ein Nest gebaut hatte.

Nun, es war nicht gemütlich, aber wenigstens eine Art von Zuhause, dachte Filou und machte sich flach, als er sich in der Ruelle des Camisards seinem persönlichen Ort des Schreckens näherte. Der Schrecken wohnte hinter einem Gartenzaun aus kräftigem Drahtgitter und hatte ihn bereits gewittert: Der schwarze Dobermann warf sich knurrend gegen das Gitter. Geifer spritzte aus dem spitzen Maul mit den gefletschten Zähnen. »Lasst mich dieses rote Miststück greifen und zerfleischen«, schien sein heiseres Bellen zu sagen.

»Du kannst mir gar nichts«, murmelte Filou und trabte tapfer weiter. Aber die Angst senkte sich mit Eiseskälte in sein Herz. Eines Tages würde das Gartentor offenstehen. Eines Tages wäre da ein Loch im Zaun. Eines Tages käme der Hund in einem Riesensatz über den Zaun geflogen. Eines Tages stünde er vor ihm.

Und dann Ende Gelände, dachte Filou, bog um die Ecke und bremste abrupt.

Vor ihm lauerte schon die nächste Gefahr. Die Zwillinge. Maxim und Manon, Herrchen und Frauchen von Dackel Yapper. Die Kinder der Schneiderin. Der Schrecken der Straße. Und es gab keine Fluchtmöglichkeit. Vorsichtig näherte er sich den beiden, die oben auf der Treppe ihres Hauses saßen, des einzigen Hauses in der finsteren Gasse, das frisch verputzt war und leuchtend rot gestrichene Fensterläden hatte. Sie schienen irgendetwas zu ihren Füßen zu betrachten und hin und her zu schubsen. Das erinnerte ihn an einen der schlimmsten Momente seines jungen Lebens.

Zsazsa hatte ihm Vertrauen in alle Kreaturen beigebracht – und ihn gelehrt, dass sogar Bienen und Hornissen seine Freunde sein konnten, wenn er nicht nach ihnen schlug. Menschen, insbesondere kleinen, sollte er sich freundlich und zutraulich nähern. Daran hatte er sich auch bei den beiden Kindern gehalten, als er ihnen das erste Mal begegnet war.

Sie hatten »Minouminou!« gerufen und ihm ihre kleinen schmutzigen Hände hingehalten. Vertrauensvoll war er zu ihnen gelaufen. Als er nah genug war, hatte Maxim ihn am Schlafittchen gepackt, sodass er sich nicht rühren konnte, und ihn hoch gehalten. Als er hilflos über dem Bordstein hing, sah er, womit sie gespielt hatten: mit einem zitternden, halbtoten Mauersegler. In diesem Moment wusste er, er sollte das nächste Opfer sein. Wenn Zsazsa damals nicht herangeschossen wäre, ein fauchendes, wütendes Etwas mit weit ausgefahrenen Krallen, die sie Maxim ins erschrockene Gesicht zu schlagen drohte, wäre er gewiss einen schrecklichen Tod gestorben.

Solange sie noch lebte, hatten die beiden Teufelsbraten Zsazsa rachsüchtig verfolgt. Und danach ihn, wann immer sie ihn sahen.

Jetzt hatten sie ihn gesehen.

»Guck mal!«, rief Manon. »Die kleine rote Flohfalle!«

»Was hat denn das räudige Vieh im Maul?« – Maxim. »Brot! So ein Dieb! Fang ihn!«

Und wieder rannte Filou um sein Leben.

Filou - ein Kater sucht das Glück

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