Читать книгу Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg - Sophie Wörrishöffer - Страница 5
Zweites Kapitel
ОглавлениеPhilipp und Hermann sassen schon auf dem Wagen. Man gelangte glücklich zur Plantage, wo der Hausherr den wohlbekannten Schulkameraden seines Pflegesohnes mit Gruss und Handschlag willkommen hiess; dann wanderte das Kleeblatt zunächst hinab in den Hof, um die Tiere zu besehen.
Eine seltsame Erscheinung kam ihnen dort entgegengeschritten. Ein ledernes Hemd, ebensolche Beinkleider und hohe Schaftstiefel bildeten den Anzug eines schlanken, noch jugendlichen Mannes, dessen Brust mit blitzenden goldenen und silbernen Medaillen geschmückt war. Im breiten schwarzen Ledergurt steckte das Jagdmesser, daneben sechsläufige Drehpistolen, deren blanke Griffe im Sonnenlicht funkelten. Eine Kugelbüchse und ein grauer Filzhut von gewaltigem Umfange vervollständigten diese achtunggebietende Ausrüstung. Zwei Jagdhunde, jedem Blick, jeder Handbewegung gehorchend, begleiteten den hübschen, stattlichen Jäger.
„Jack Peppers, der Trapper!“ rief Lionel. „Willkommen auf Seven-Oaks, Sir!“
Der Fremde dankte höflich. „Ist Mr. Charles Trevor zu sprechen?“ fragte er. „Ich möchte ihm gern eine Mitteilung machen.“
„Ueber eine Jagd, Sir? Sind Antilopen in der Gegend?“
„Besseres! Viel Besseres!“
„Doch unmöglich ein Jaguar?“
Der Trapper nickte. „Ein schwarzer noch dazu, ein Bestie wie ein Königstiger.“
Lionel klatschte vor Freude in die Hände. „Wo? mein guter Jack! Wo? Wird man zu Pferd die Stelle erreichen können?“
„Ganz bequem,“ versetzte der Jäger. „Die Raubkatze ist jedenfalls durch die Truppenbewegungen an der Grenze hierher verschlagen worden; sie hat ihr Lager im Röhricht an den grossen Sümpfen, da wo der Waldsaum den See streift.“
„Onkel Charles ist nur vor Tisch auf ein Stündchen davongeritten, um nach dem Weizen zu sehen. Ganz gewiss nimmt er schon morgen die Jagd auf. Wie glücklich wäre ich, wenn meine Kugel den Jaguar erlegte!“
Wenige Minuten später kam Mr. Charles nach Hause, der Trapper wurde vorgelassen und musste seinen Bericht wiederholen. Auch Manfred Trevor horchte hoch auf. „Ein Jaguar? Und unten in der Wildnis an den unübersehbaren Sümpfen? — sollte das eine Treibjagd geben?“
„Gewiss!“ rief der Gutsherr. „Ich kann fünfzig bis achtzig Schwarze stellen!“
Die Nachricht kam wie eine wahre Freudenbotschaft in das Haus; schon in aller Frühe des nächsten Tages sollte der Jagdzug beginnen, die Dienerschaft musste gleich das Zelt des Gebieters instand setzen, die Pferde auswählen, Vorräte zusammenpacken und Waffen putzen, alle Hände waren in fieberhafter Tätigkeit.
„Hast du eine gute Kugelbüchse für mich, Charles?“ fragte Manfred Trevor. „Ein armer Stadtgelehrter besitzt dergleichen nicht, wie du wohl weisst. Das heisst,“ setzte er schnell hinzu, „wenn du überhaupt gestattest, dass ich dich zur Jagd begleite!“
„Manfred, — welche Frage! Da in der Waffenkammer hängen Dutzende von Büchsen aller Art, suche dir eine aus und behalte sie gleich ein für allemal zum Andenken an mich.“
Die Farbe auf dem Gesicht des andern wechselte unaufhörlich. „Danke! Danke!“ sagte er hastig. „Wenn du es also gestattest, werde ich mich gleich heute nachmittag ein wenig einschiessen, — drüben im Walde. Man muss doch das Ding zu handhaben wissen. Wie ist es denn,“ setzte er gleich darauf hinzu, „nimmst du auch die beiden Knaben mit? Philipp muss natürlich zu Hause bleiben.“
„Das ist wohl leider nicht anders möglich, aber Lionel und Hermann können uns ja sehr gut begleiten.“
Manfred schwieg, indem er aus dem Fenster in den Hof hinabsah; es schien, als tobe in seiner Seele ein Kampf. Endlich ergriff er die im Waffenschrank ausgesuchte Kugelbüchse und begab sich nach kurzem Abschied hinaus in den Wald hinter dem Hofe. Hier befestigte er ein Kartenblatt an den Stamm einer Eiche und lud dann die Büchse.
Er zielte und schoss — aber seine Hand hatte so heftig gezittert, dass die Kugel weit an der Karte vorüberflog.
„Gut, dass du nicht schon den Jaguar vor dir hattest, Onkel!“ rief hinter dem Schützen eine jugendliche Stimme, und Lionel erschien auf der Lichtung, um mit einer Büchse, die er von der Schulter nahm, sekundenlang zu zielen und dann das Herz aus der Karte herauszuschiessen. „Hurra, getroffen! Jetzt bist du dran, Onkel Manfred!“
Dieser sah aus, als sei ihm ein Gespenst begegnet. Dann aber raffte er sich gewaltsam auf, und Hand und Auge waren plötzlich fest geworden. Der Schuss krachte, und die Kugel flog in das Loch, welches die Stelle des Herzens auf der Karte bezeichnete; noch zwei, drei andre folgten, dann sah Mr. Manfred Trevor spöttischen Blickes hinüber zu dem Pflegesohne seines Vetters. „Ich werde den Jaguar, wenn er mir zum Schusse kommt, nicht fehlen,“ sagte er in sonderbar bedeutsamem Tone. „Vorhin mag mir etwas ins Auge gekommen sein.“
Dann wandte er sich ab und schritt ohne Gruss davon.
Lionel sah ihm betroffen nach. „Onkel Manfred hasst mich,“ dachte er, „aber warum nur? Ich habe ihm nie etwas zuleide getan.“
An diesem Abend drehte sich das Gespräch am Herrschaftstische nur um den Jaguar. Erst zweimal während der zehn Jahre seines Hierseins hatte der Gutsherr eine Jagd auf das aus Virginien fast ganz verdrängte Raubtier mitmachen können, aber beide Male war es zufällig einem andern Teilnehmer der Partie zum Schusse gekommen, so dass es auf der Plantage keine Fussdecke gab, die aus einem selbsterbeuteten Pelz angefertigt worden wäre, — morgen vielleicht sollte der scheckige Räuber Mr. Charles Trevor vor die Flinte kommen. Der leidenschaftliche Jäger wollte endlich neben den Geweihen zahlloser Hirsche und Antilopen, neben ausgestopften Vögeln und Schlangenhäuten das bunte Fell des Jaguars sehen.
Mr. Manfred allein schien die freudige Spannung nicht zu teilen, von der alle andern bewegt waren. Bitterer Groll nagte an seinem Herzen, während seine Blicke zwischen Mr. Charles und Lionel verstohlen hin und hergingen. Sein eigener Sohn, der gesetzlich nächste Erbe von Seven-Oaks, schien nichts zu gelten, während dieser Fremde, ein Sohn der verachteten farbigen Rasse, volle Kindesrechte genoss und sich mit der Sicherheit des verwöhnten Lieblings im Hause bewegte. Ihm war Seven-Oaks zugedacht, das unterlag keinem Zweifel. Alle diese endlos gedehnten Fruchtfelder, diese Scharen von Sklaven, die nach Hunderten von Köpfen zählenden Herden und stattlichen Gebäude, — alles sollte Lionel erben.
„Manfred,“ sagte der Gutsherr, „woran denkst du so lebhaft?“
Der Angeredete fuhr auf. „Ich?“ stammelte er. „Ich? — Nichts! Nichts!“
„Du sahst aus, als wolltest du einen Todfeind erwürgen, Manfred!“
Mr. Trevor zuckte die Achseln. „Ich dachte an den Jaguar!“ stiess er hervor.
Am andern Morgen herrschte reges Treiben auf dem Hofe. Jack Peppers erschien mit dem Lederanzug und den beiden steifen ledernen Schutzvorrichtungen gegen Schlangenbisse, wie er sie vom Sattel herabhängend trug. Sein kleines sehniges Pferd, der „Robber“, tänzelte vergnügt, die blanken Waffen blitzten im Sonnenlicht. Zwei Packpferde wurden beladen, die schwarzen Treiber versammelten sich, und zuletzt erschienen auch die Herren, denen sich noch einige eilends aus der Stadt herbeigerufene Offiziere anschlossen. Nur Philipp blieb zu Hause, aber mit dem freundlichsten Gesicht und dem neidlosesten Herzen, er wünschte seinen Freunden eine fröhliche Jagd und glückliche Heimkehr; dem Gutsherrn reichte er noch zuletzt die Hand. „Leb wohl, Onkel Charles, viel Vergnügen!“
„Danke, mein guter Junge,“ klang es zurück. „Morgen nachmittag sehen wir uns wieder!“
Dann ritt er mit den übrigen davon, ein schöner, stattlicher Mann auf der Höhe des Lebens, ruhig in sich und glücklich, geliebt von allen, die ihm nahestanden. Sein vornehmes, das offenste Wohlwollen ausdrückendes Gesicht war leicht gebräunt, zwischen den Lippen dampfte die Zigarette, über den breiten Schultern hing am Lederriemen die Kugelbüchse, und munter und lustig umbellten die Rüden das tänzelnde Pferd.
Zunächst führte der Weg durch die Felder und Wiesen von Seven-Oaks, dann über eine steinige Ebene und zuletzt in den Wald hinein, dessen tausendjährige Stämme, von Ranken und Blumen umflochten, hoch in die Luft emporragten.
Es dämmerte bereits, als der Platz erreicht war, den Peppers für das Nachtlager bestimmt hatte. Hohe Felswände umgaben im Halbkreis ein kleines Tal, das mit laubreichen alten Bäumen bestanden war; hier konnten die Zelte aufgeschlagen werden, hier sollten Pferde und Gepäck bleiben, bis die Jagdgesellschaft mit dem Fell des erbeuteten Jaguars zurückkehrte, man liess sich häuslich nieder und errichtete zum Schutz gegen die Moskitos ein Feuer aus grünem Holz, an dem die Neger Kartoffeln in der Schale brieten.
„Denken Sie nicht, dass das Raubtier hierherkommen könnte?“ fragte Mr. Manfred Trevor den Trapper. „Es wäre doch möglich, wie?“
„Ganz unmöglich, Sir,“ versicherte Jack. „Der Jaguar begibt sich nicht in die Tiefe der Wälder, er bleibt am liebsten da, wo hohes Schilf steht.“
Mr. Trevor antwortete keine Silbe, er nahm seine Wolldecke, hüllte sich hinein und schien zu schlafen, während die übrigen um das Feuer sassen und von der bevorstehenden Jagd plauderten.
Bald aber verstummte jedes Gespräch, Jack Peppers und auch Mr. Charles Trevor schienen zu schlummern, nur Lionel lag noch wachend und sah mit hellen Augen zum Sternenhimmel empor. Seine Phantasie beschäftigte sich noch immer mit dem Jaguar. Wenn es ihm möglich war, auf irgendeine Weise die Bestie dem geliebten Onkel in die Schusslinie zu treiben, so sollte das sicherlich geschehen, — Mr. Trevor wollte so gern die Jagdbeute selbst erobern!
„Lionel!“ flüsterte neben ihm eine Stimme.
Er wandte den Kopf. „Onkel Charles?“
„Wachst du noch, mein Junge? — Komm, rücke ein wenig näher, aber lass die andern schlafen, — ich möchte einen Augenblick mit dir plaudern.“ Und der Gutsherr von Seven-Oaks legte den Arm um die Schultern seines Pflegesohnes und zog ihn voll Zärtlichkeit nahe zu sich heran. „Eigentlich bin ich ein ganz leichtsinniger Mensch,“ sagte er flüsternd, „ich mache mir deinetwegen heute abend heimliche Vorwürfe, Lionel.“
„Mein Gott, Onkel Charles, — aus welchem Grunde?“
Der Gutsherr wiegte den Kopf. „Hm, schon mancher Mann ist gesund und fröhlich aus dem Hause fortgegangen, um niemals wiederzukehren, — das könnte auch mir geschehen, und dieser Gedanke macht mir Sorge, Lionel, deinetwegen. Du wärest verloren, ein unglücklicher Mensch! — Ob wohl alle unsere Genossen schlafen?“
„Ich glaube es,“ versetzte der Knabe, seltsam durchschauert von dem Tone seines Wohltäters. „Was wolltest du mir sagen, Onkel Charles?“
„Als meine Frau und meine beiden Kinder in einem einzigen Jahre starben, da warst du ein kleines Bürschchen, — so recht eigentlich das letzte menschliche Wesen, welches mir Gott noch gelassen. Ich habe mein ganzes Herz an dich gehängt, Lionel, ich erziehe dich zum Gentleman und hinterlasse dir, wenn mich Gott abruft, meine Farm mit allem, was dazu gehört.“
Lionel fuhr auf. „Nein, Onkel Charles,“ flüsterte er, „nein, das darf nicht geschehen. Philipp ist dein gesetzlicher Erbe.“
Der Gutsherr lächelte. „Philipp bekommt sechzigtausend Dollar, das ist ein Vermögen, von dessen Zinsen er leben kann. Seven-Oaks dagegen bleibt dein, unter Brüdern wäre es schon seine halbe Million wert, aber wenn die Konföderierten den Sieg behalten und das Land im Preise steigt, so kannst du getrost noch hunderttausend hinzurechnen.“
Lionel schüttelte den Kopf. „Philipp würde mich nicht mehr liebhaben!“ sagte er. „Onkel Charles, bitte, vermache uns beiden die Farm, ihm und mir, wie es geschehen würde, wenn wir z. B. Brüder und deine eigenen Söhne wären.“
Mr. Trevor hob die Hand. „Dein Vorschlag zeugt von einem grossmütigen Herzen, mein guter Junge, er macht dir alle Ehre, aber zwei Gebieter für dasselbe Eigentum — nein, nein, das geht nicht, Lionel. Philipp würde überhaupt gar nicht dauernd auf dem Lande leben wollen, und endlich ist auch mein Testament in aller Form Rechtens vorhanden, — eben daher bin ich ja heute abend so unruhig. Mr. Mason, der Notar, ist als Offizier in den Krieg gezogen, die beiden Zeugen gleichfalls; vielleicht kommt keiner von ihnen jemals zurück.“
„Und darüber wolltest du dir heute schon Sorgen machen, Onkel Charles? Du, der noch dreissig und mehr Lebensjahre vor sich hat?“
Mr. Trevor schüttelte den Kopf. „Niemand kennt die Stunde, in welcher er abberufen wird,“ versetzte er in ruhigem Tone. „Und nun höre, was ich dir sagen will, mein Junge! Das Testament ist in meinen Händen geblieben, anstatt bei dem Friedensrichter niedergelegt zu werden, Mr. Mason hielt es so für besser, weil die Freibriefe sämtlicher Sklaven mit darin enthalten sind, — etwas, das in unseren Tagen böses Blut machen könnte. Sobald ich gestorben bin, muss das Dokument den Behörden vorgelegt werden, es darf um keinen Preis in eine andere als nur deine Hand gelangen, mein Junge! Darum sollst du erfahren, an welchem Orte ich es geborgen habe. Vorher versprich mir, keinem Menschen von dem, was ich dir jetzt sagen werde, eine Mitteilung zu machen!“
Lionel reichte ihm stumm die Hand, er war unfähig zu sprechen.
M. Trevor hob den Kopf. Ehe er dem Knaben an seiner Seite die bedeutungsschwere Mitteilung machte, beugte er sich ein wenig nach links hinüber, um in Manfreds blasses Gesicht zu sehen. Schlief der Mann mit dem ruhelosen Blick und dem scheuen, sonderbar verstörten Wesen?
Eine Sekunde nur, dann wandte sich der Gutsherr plötzlich ab. Mr. Manfred Trevor, sein Vetter, lag ohne Bewegung, wie ein Mensch, der fest schläft, aber dennoch war diese äussere Ruhe nur Schein, die Augen standen weit offen, und unversehens, ganz unerwartet hatte Charles Trevor ihren glühenden, leidenschaftlich erregten Blick aufgefangen. Zwar fielen die Wimpern augenblicklich herab, aber trotzdem wusste der Gutsherr, dass sein Vetter sich jedes gesprochenen Wortes erinnern würde, dass er auch jetzt noch unter der Maske des Schlafenden angestrengt lauschte, — ein unangenehmes Gefühl durchfröstelte sein Herz.
„Jetzt nicht,“ flüsterte er in das Ohr seines Pflegesohnes. „Schlafe, Lionel, schlafe, — wir sprechen uns morgen.“