Читать книгу Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg - Sophie Wörrishöffer - Страница 8

Fünftes Kapitel

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Die letzte Nacht, die letzte für Lionel auf Seven-Oaks war vorüber, Vogelstimmen begrüssten den Morgen.

Es schlug sieben; Mr. Trevor ging rastlos in seinem Zimmer auf und ab, er wagte es nicht, an das Fenster zu treten, er liess den Kaffee, welchen ihm Toby brachte, unberührt. Sonderbar, mitten im heissen, südlichen Sommer schlich ein Frostgefühl durch alle seine Adern.

Dann wurde ihm gemeldet, dass die neue, weisse Dienerschaft aus der Stadt angekommen sei. Draussen auf dem Hofe hatten sich unterdessen die Schwarzen in Gruppen zusammengefunden, Mütter mit ihren Kindern, Greise am Stock oder geführt von andern, eine traurige Versammlung, deren Weinen die Luft ringsumher erfüllte. Immer wieder traten die Frauen in ihre Hütten und besahen zerrissenen Herzens die bescheidene Einrichtung, welche so lange ihr Eigentum gewesen. Der verstorbene Gebieter hatte jedem schwarzen Mädchen, sobald es heiratete, eine Aussteuer geschenkt, dem Burschen aber ein Stück Land überlassen, ein Schaf und eine Ziege aus der Herde, damit konnten sie für sich selbst wirtschaften, konnten sich kleine Annehmlichkeiten verschaffen, bunte Kleider, Spiegel und was sonst ein Negerherz erfreut. Wer sollte alle diese geliebten Schätze nach ihnen besitzen?

Jetzt öffnete sich die Eingangspforte, einer der neuen weissen Diener erschien mit einem Manne, dessen gemeines Aeussere den Emporkömmling verriet. Er trug halb städtische, halb ländliche Kleidung, einen Filz mit der Kokarde der Konföderierten, hohe Wasserstiefel und eine Reitpeitsche, mit der er gewohnheitsmässig fortwährend in der Luft herumfuchtelte. Jetzt trat er den vor Schreck verstummten Schwarzen näher und überflog musternd die einzelnen Gruppen.

„Wenn ich früher gelegentlich mal nach Seven-Oaks kam“, rief er lachend, „und anfragte, ob nicht ein Geschäft mit schwarzem Fleische zu machen sei, dann hätte mich wohl der verstorbene Mr. Trevor am liebsten mit den Hunden vom Hofe hetzen lassen, — jetzt haben sich die Zeiten geändert. Vorwärts Leute! Notieren Sie mir die Kopfzahl, Saunders.“

Während der Sklavenhändler noch hie und da ein paar gelähmte oder sonst schwache Alte in brutaler Weise ausschied, kam auch Lionel herab auf den Hof, und der Mann mit der Reitpeitsche bemerkte ihn sofort. „Aha, da ist der Sklave mit der Hochschulen-Physiognomie! Komm einmal her, mein Sohn! was kannst du denn ausser deinem Latein und Griechisch, he? — Brot essen, nicht wahr?“

Er lachte wohlgefällig über das, was er für einen Witz hielt, und Saunders stimmte sogleich mit ein. Lionel würdigte den brutalen Menschen keiner Antwort, er liess es ruhig geschehen, dass er wie ein Tier untersucht wurde.

Dann fuhr der Wagen des Sklavenhändlers vor, und die Schwarzen wurden zu vier und vier mit Stricken zusammengebunden. „Vorwärts!“ befahl der Händler.

Als einer der ersten im Zuge ging Lionel. Als sie an dem Hause vorüberschritten, sah er zu den Fenstern hinauf.

Ob er nicht den Freund seiner Kindertage noch zum letztenmale wiedersehen würde?

Alle Scheiben waren verhüllt, wie ausgestorben lag das Haus. Lionel ahnte im Herzen, was wirklich vorging, — Philipp drückte, vom Fieber geschüttelt, den Kopf in die Kissen seines Bettes und schluchzte bitterlich. —

Langsam bewegte sich der Zug der Sklaven durch den heissen Sommermorgen. Der Händler gebrauchte vom Wagen herab rücksichtslos die Peitsche, aber nur auf Augenblicke wurde dadurch der Marsch beschleunigt, Frauen und Kinder konnten nicht so schnell gehen, wie es der ungeduldige Mann verlangte.

Als die Stadt in Sicht kam, war es zwei Uhr nachmittags. Der Händler hatte schon vorher durch Plakate an den Strassenecken den bevorstehenden ausserordentlichen Verkauf bekanntmachen lassen, es konnte ihm daher an Angeboten nicht fehlen.

Lionel sah ängstlich umher. In dieser Stadt war er acht Jahre lang zur Schule gegangen, die grössere Hälfte der Bewohner kannte den Erben von Seven-Oaks, dem reichsten Gute der Umgegend, — und heute stand er hier als Sklave.

Es erforderte eine feste Willenskraft, ein unerschütterliches Gottvertrauen, um nicht dem jähen Wechsel der Geschicke an Leib und Seele zu erliegen.

Aus der nächsten Strasse näherte sich dem Zuge ein schlanker Knabe in Lionels Alter, blass und verstört, mit ausgestreckter Hand; er brachte kein Wort hervor, aber was seine Seele empfand, das zeigten deutlich die Tränen in den unnatürlich ernst blickenden Augen.

„Hermann!“ flüsterte Lionel. „Wie freut es mich, dass ich dich wiedersehe!“

Der Knabe bewegte die Lippen, aber auch jetzt versagte seine Stimme, er warf nur beide Arme um Lionels Nacken und küsste ihn mit der ganzen Innigkeit des Schmerzes, dann trat er zurück und liess den Zug der ermüdeten Schwarzen an sich vorüber.

Vor dem Auktionslokal standen Kopf an Kopf die Käufer in grosser Anzahl. Auf Seven-Oaks gab es unter den Negern keine Säufer und Diebe, das wusste die ganze Umgegend; alle Schwarzen waren getaufte Christen, guterzogene Leute, denen weder ein bescheidener Schulunterricht noch die spätere Anleitung zu allerlei Arbeiten gefehlt hatte, — man drängte sich also, um diese wertvollen Besitzstücke einander streitig zu machen. Auch Herr Neubert befand sich unter den Anwesenden, er trat zu dem langjährigen Schulfreunde seines Sohnes und begrüsste ihn voll tiefer Erschütterung.

„Mein armer Lionel, wie sehr beklage ich es heute, kein reicher Mann zu sein! Bei Gott, wenn ich über tausend Dollar zu verfügen hätte, so würde ich Ihnen die Freiheit erkaufen, aber wo nichts ist, Lionel, da hilft kein noch so guter Wille.“

Der Knabe drückte ihm dankbar die Hand. „Herr Neubert, ich weiss ja, wie gut Sie es meinen, Sir! Vielleicht schenkt mir der Himmel ein erträgliches Los!“

Der Kaufmann dämpfte seine Stimme noch mehr. „Es ist unser Friedensrichter, welcher Sie zu kaufen gedenkt, Lionel, ich weiss es. Mr. Dunkan, findet es sehr schlau und sehr begreiflich von Ihnen, dass Sie die Farm durch eine erfundene Geschichte an sich zu bringen gedachten, er meint nur, Sie hätten etwas vorsichtiger zu Werke gehen müssen, kurz, sein Urteil über Sie geht dahin: ‚Er ist ein verdammt schlauer Kopf, ein energischer Kerl, den ich mir zunutze machen werde.’ — Ob Sie da einen Betrug versucht haben oder nicht, das gilt ihm ganz gleich. Es kommt nun für Sie nur darauf an, sich mit Ihrem künftigen Gebieter so zu stellen, dass Ihre körperliche Freiheit so wenig wie möglich beschränkt wird, dass Sie zuweilen eine Abendstunde oder einen Sonntagnachmittag für sich behalten und zwar, um in mein Haus zu kommen oder mich und Hermann irgendwo zu treffen. Sie wissen, weshalb!“

Lionel wurde bald rot, bald blass. „Sie denken an die Flucht, nicht wahr, Sir?“

„Natürlich. Ich bin heute hier, um Ihnen zu sagen, dass alles unter der Hand vorbereitet wird und dass wir nicht aus der Stadt fortgehen, ohne Sie mit uns zu nehmen. In etwa vier Wochen ist, gefällt’s Gott, die Abreise möglich.“

Er schüttelte Lionel die Hand und ging. Mittlerweile hatte die Auktion begonnen. Man riss sich um die Ware, es wurden hohe Preise erzielt, das Geschrei der unglücklichen Frauen hallte von allen Punkten des Marktplatzes wider. Wer einen Knecht oder einen Arbeiter brauchte, der kaufte ihn, ohne gleich die Frau mit bezahlen zu können, wer eine Köchin suchte, der hatte vielleicht keine Gelegenheit, vier oder fünf Kinder derselben in seinem Hause unterzubringen, — und so wurden in vielen Fällen ganze Familien ohne Schonung auseinandergerissen.

Dann erschien die stattliche Gestalt des Friedensrichters, und alles machte dem gestrengen Herrn ehrerbietig Platz. Mehrere der besten Schwarzen waren für ihn ausgehoben, — niemand wagte es daher, durch neue Gebote den Preis hinaufzutreiben, man hielt sich einstweilen zurück und flüsterte nur in Gruppen miteinander.

Jetzt bestieg die alte Cassy mit gefesselten Händen den verhängnisvollen Block. In einer roten Jacke, in weisser Schürze und mit einer ungeheuren Haube auf dem Kopfe sah die erschrockene Frau komisch genug aus, ein Hagel von spöttischen Bemerkungen flog ihr entgegen. Erst als Mr. Dunkan zum Block trat, entstand allgemeines Schweigen.

„Diese vortreffliche Tante war Hofköchin von Seven-Oaks, nicht wahr, Sir?“ fragte er den Sklavenhändler. „Und man speiste da gut, ich weiss es aus Erfahrung. Sagen wir hundert Dollar, Sir!“

Der Händler lächelte gelassen. „Euer Ehren sind, wie es scheint, heute in ganz besonders heiterer Stimmung,“ sagte er.

„Weil ich mir die rotjackige Alte zulegen will? Hm, es scheint, dass das Beste schon verkauft ist. Sie haben da nur noch einige halbwüchsige Burschen, nicht wahr?“

„Zu dienen, Euer Ehren! Den jungen Menschen, von dem in diesen Tagen alle Welt spricht, den Lionel. Ein hübscher Bursche, denke ich, als Diener wie geschaffen für ein vornehmes Haus.“ Dann rief er mit lauter Stimme: „Nummer sechsundneunzig, der Sklave Lionel!“ — und als sich dieser gehorsam näherte, befahl er in herrischem Tone: „Sprich gleich einmal lateinisch, Bursche! dieser Herr gebietet es dir.“

Der Friedensrichter lachte hell auf. „Sage mir lieber, wie in Richmond deine Zeugnisse beschaffen waren, mein Bürschlein,“ bemerkte er. „In welcher Klasse sassest du?“

„In Obersekunda, Euer Ehren. Meine Zeugnisse liegen sämtlich in Seven-Oaks.“

„Schön, schön, du bist also imstande, deine Muttersprache fehlerlos zu schreiben, das ist etwas. — Nun, Mr. Brown, ich will einmal ein übriges tun. Elfhundert Dollar für Lionel und die heulende Alte da.“

„Zweitausend, Euer Ehren!“

„Keinen Cent mehr als elfhundert.“

Der Händler hob die Arme zum Himmel. „Und das für einen Sklaven, der lateinisch versteht! Hundert Dollar mehr, Euer Ehren!“

„Keinen Cent!“

Der Händler warf mit einem brutalen Stoss die alte Köchin vom Block. „Euer Ehren geben mir bei Kauf und Verkauf so manchen Dollar Verdienst,“ sagte er seufzend, „da muss ich denn heute ein Auge zudrücken. Marsch mit dir, Alte, jetzt gehörst du Seiner Ehren, dem Herrn Friedensrichter! Und du auch, Lionel. Küsst Eurem gütigen Gebieter die Hand!“

Mr. Dunkan wehrte ab. „Schicken Sie mir das Frauenzimmer ins Haus, Sir! — Du kommst mit mir, Lionel, ich will dir deine Instruktion jetzt gleich erteilen.“

Lionel ging schweigend neben seinem Gebieter durch die Strassen und musste sehen, dass aus allen Fenstern die Leute ihn angafften, als sei er ein wildes Tier, das der Marktschreier zur Schau stellt.

„Mein Schreiber sollst du werden, Lionel,“ sagte der Friedensrichter. „Für die Morgenstunden brauche ich dich im Büro, nachmittags wird dir Mrs. Dunkan diese und jene Beschäftigung im Hause anweisen. Wie du dich bettest, so schläfst du natürlich! Sind meine Schwarzen gehorsam und fleissig, so haben sie es gut, ich gebe ihnen dasselbe, was meine Tiere erhalten, ausgiebige Verpflegung, warmes, trockenes Unterkommen und gütige Behandlung, — im entgegengesetzten Falle tüchtige Peitschenhiebe. Weisst du nun, wie die Dinge stehen?“

„Ja, Euer Ehren!“

„Gut, dann trachte, dir meine Zufriedenheit zu erwerben. Für heute kann dich Mrs. Dunkan ganz allein behalten, ich habe noch eine Fahrt über Land.“

Das grosse Haus, welches er in einer freiliegenden, neueren Strasse der Stadt bewohnte, war jetzt erreicht, und der würdige Friedensrichter betrat die Vorhalle, um seinen eben gekauften Sklaven zuerst den verschiedenen Familiengliedern vorzustellen. Noch ehe das eigentliche Erdgeschoss sie aufnahm, tönte schon eine gereizte Frauenstimme den Ankommenden entgegen. „So, Dunkan, also du hast den Sklaven doch gekauft? Du hast es getan, obgleich ich dir dringend abriet?“

Der Friedensrichter räusperte sich mehrere Male. „Meine liebe Mary,“ versetzte er, „du brauchst von dem jungen Menschen keinerlei Notiz zu nehmen, du —“

„Komm herein, Dunkan, komm herein! Ich will dir zum zwanzigsten Male auseinandersetzen, weshalb der Sklave in unserem Hause nicht bleiben darf. Vielleicht wirst du dann doch endlich auf meine Worte hören.“

Der Friedensrichter verschwand eiligst; er wünschte gewiss lebhaft, die Auseinandersetzung mit seiner erzürnten Gemahlin den Ohren Lionels zu entziehen; ohne eine Silbe der Erklärung oder weiterer Befehle liess er den jungen Menschen stehen und ging davon.

Kaum eine halbe Minute später erschien die Dame des Hauses auf dem Flur, eine blasse, kränkliche Frau mit vergrämtem Gesicht und tiefliegenden Augen. „Was machst du hier?“ rief sie heftig. „Sklaven haben in der Vorhalle nur zu erscheinen, wenn sie gerufen werden.“

Und dann zerrten die mageren Hände heftig an einem Glockenstrange. „Prue, Prue, wo bist du? — Niemals ist die Person zur Stelle, wenn man ihrer bedarf!“

Aus der Küche kam mit eiligen Schritten eine Negerin, deren schwarzes Gesicht die lebhafteste Furcht verriet. „O Jesus, Missis, was gibt es denn?“

Die Dame fuhr mit dem Taschentuche über die Stirn. „Nimm diesen jungen Menschen mit dir, Prue, der Herr hat ihn heute gekauft, — für die nächsten Tage bleibt er hier, du musst ihm also Beschäftigung geben. Schnell, schnell, ich habe keine Zeit!“

Prue riss die Augen auf. „Der junge Herr da!“ stammelte sie. „O Missis, Missis, die zarte Haut, die blauen Augen. Missis will die alte Prue foppen, — das ist doch kein Nigger!“

Die Augen der kranken Frau schienen Feuer zu sprühen, sie zitterte am ganzen Körper. „Ein Sklave ist er, Prue, ich sage es dir, ein Sklave ist er, trotz seiner weissen Haut. — Gleich nimmst du ihn mit und lässt ihn Kartoffeln schälen.“

„Ja, Missis, ja! — Komm, Bursche!“

Die Negerin ging voraus, und Lionel folgte ihr. Er biss die Zähne zusammen, — fremde Blicke sollten nicht über ihn triumphieren, sollten die blutenden Wunden seines Inneren nicht sehen.

Eine Tür öffnete sich, Prue schob ihren neuen Schützling auf den Hof hinaus. Hier lagen rechts und links in einer langen Reihe die Wohnungen der Sklaven. Jede Familie hatte ihre mit einer Nummer versehene Hütte, in der sie schlief, während die Mahlzeiten in einem grossen Bretterschuppen abgehalten wurden. Von Freistunden oder Sonntagen war in diesem Hause überhaupt nicht die Rede, das hatte Lionel vorher schon gewusst. Man sah keine Gruppen spielender Kinder, hörte kein Singen oder Pfeifen, es war alles still wie in einem Gefängnishofe.

„Da ist der Brunnen,“ sagte Prue, „und hier ein Eimer. Hole Wasser, mein Junge!“

Als Lionel den Befehl vollzogen hatte, gab sie ihm ein Messer und einen Korb voll Kartoffeln. „So, nun setze dich dorthin und schäle die Früchte. Sollst du denn nicht mit den übrigen auf dem Felde arbeiten, oder wirst du gleich wieder verkauft?“

„Ich weiss es nicht, gute Frau!“

Prue sah, wie ungeschickt Lionel das Messer handhabte, und machte sich bei dieser Entdeckung eilends aus dem Staube. Die Missis hatte befohlen, den neuen Sklaven Kartoffeln schälen zu lassen, — jetzt mochte sie es auch selbst verantworten, wenn er die ganze Mahlzeit verdarb.

Lionel seufzte in sich hinein. Frühmorgens Abschreiber, nachmittags Küchenknecht, — das war eine trostlose Aussicht.

Ein Schatten fiel auf den Kartoffelkorb, und als Lionel den Kopf erhob, gewahrte er die langaufgeschossene, etwas schlotterige Gestalt eines Knaben von seinem eigenen Alter. Der junge Mensch hatte beide Hände in den Taschen, er gähnte laut und schüttelte sich dann wie eine nass gewordene Katze. „Guten Tag!“ sagte er nach einer Pause.

„Guten Tag, Mr. Dunkan.“

„Woher kennst du mich?“ fragte in hochmütigem Tone der andere.

„Wir waren, soviel ich weiss, in den beiden Unterklassen der hiesigen Schule ganz gute Kameraden, Mr. Benjamin!“

Der junge Mensch sah etwas verlegen drein. „Das mag sein,“ versetzte er leichthin, „man entsinnt sich nicht jedes kleinen Jungen. Wie heisst du denn überhaupt?“

Und als Lionel seinen Namen genannt hatte, schüttelte er den Kopf. „So heisst doch kein Nigger! Man nennt sie Pompejus oder Nero oder Achilles! — Ueberdies, wie kommst du zu dem Namen Forster? Ich habe Verwandte in Kentucky, die so heissen, und die nächstens hierherkommen; sie würden es sich sehr verbitten, dass ein Sklave ihren Familiennamen führt. Bist du vielleicht einmal der Sklave einer Familie Forster gewesen?“ fuhr Benjamin fort.

„Ich war noch niemandes Sklave, Sir!“

Der Sohn des Friedensrichters lächelte spöttisch. „Ja, ich vergass, du lebtest in Richmond, warst Sekundaner. Der frühere Besitzer von Seven-Oaks, Mr. Trevor, muss doch ein kolossaler Esel gewesen sein, dass er an einen Nigger so viel Geld verschwendete.“

Das Blut stieg heiss in Lionels Wangen, dennoch beherrschte er sich und schwieg.

Benjamin genoss in vollen Zügen den ruhmlosen Sieg. „Hast du Legitimationen?“ fuhr er fort. „Kannst du beweisen, dass du Forster heisst?“

„Seiner Ehren dem Herrn Friedensrichter werde ich die Beantwortung dieser Frage nicht schuldig bleiben, Sir.“

„Wohl aber mir?“ lachte Benjamin. „Das ist klug von dir, Bursche. Wie käme auch ein Nigger zu Legitimationspapieren? — Pferde und Hunde haben keine, weshalb also Sklaven?“

Lionel wechselte die Farbe. „Da sind freie Menschen besser daran!“ nickte er. „Schon als achtjährige Kinder erhalten sie Osterzeugnisse, in denen häufig genug zu lesen ist: ‚Konnte wegen Trägheit und Ungeharsams nicht mit versetzt werden!’“

Benjamins Augen sprühten Funken. „Du,“ zischte er, „willst du Prügel haben?“

„Als ob du mir welche geben könntest!“

„Das wollen wir gleich sehen!“

Messer und Schemel flogen durch die Luft, die Kartoffeln rollten über den Hof, und die beiden jungen Kampfhähne rangen miteinander, bis beide, aufeinander losschlagend, am Boden lagen.

In der Haustür erschien unglücklicherweise in diesem Augenblick Frau Dunkan. „Hilfe! Mörder! Hilfe!“ schrie sie sogleich voll Entsetzen. „Der Unmensch würgt mein armes Kind!“

Sie stürzte hinaus auf den Hof, der Friedensrichter kam hinter ihr her und riss die Kämpfenden voneinander. „Was geht hier vor?“ rief er voll Erstaunen. „Sprich, Lionel!“

„So?“ schluchzte seine Frau, „den Sklaven fragst du? — Aber freilich, der arme Benjamin ist der Sündenbock für alles, was geschieht; du bist ein Rabenvater, Dunkan, du —“

„Still!“ gebot der Friedensrichter. „Lionel, ich erwarte deine Antwort.“

„Mr. Benjamin hat mich auf das unerhörteste gereizt, Euer Ehren! Er nannte den Verstorbenen Mr. Trevor einen Esel, er sagte, dass Sklaven mit Pferden und Hunden auf gleicher Stufe ständen, — das konnte ich nicht ertragen.“

Der Friedensrichter zuckte die Achseln. „Seine gewohnte Art!“ sagte er. „Der Bursche ist die Plage meines Daseins!“

Er wollte sich abwenden, aber seine Frau hielt ihn am Arme fest. „Soll der Sklave nicht bestraft werden?“ stiess sie hervor.

„Nein, meine Liebe. Was hatte Benjamin mit ihm zu schaffen? Der Schlingel läuft zwecklos den ganzen Tag umher, nascht und faulenzt und steckt sich hinter seine Frau Mama, wenn ihn jemand nur schief ansieht. Geh’ fort!“

Benjamin schlich davon, während seine Mutter ihn tröstete und voll Angst fragte, ob er verletzt sei.

Der Friedensrichter sah den beiden nach, dann wandte er sich zu seinem neuen Sklaven. „Derartige Szenen dürfen nicht wieder vorkommen,“ sagte er nachdrücklich. „Du sollst Frieden halten, denn es ist wahrhaftig um des Burschen willen schon Streit genug im Hause. Jetzt sammle die Kartoffeln in den Korb und dann verschwinde, lass dir von dem Aufseher deinen Schlafplatz zeigen. Morgen früh bist du pünktlich um sieben Uhr im Büro.“

Und seufzend ging der geplagte Mann davon.

Lionel wandte sich, um nach irgendeiner Richtung den gepflasterten Hof zu verlassen, da ertönte aus einer der Sklavenhütten ein scharfer Pfiff, so dass Lionel unwillkürlich aufsah. Ein halb wie ein Weisser gekleideter Mulatte winkte ihm. „Du, komm einmal hierher!“

Lionel gehorchte. Der Mulatte deutete auf einen buntgestreiften Kattunanzug nebst grobem Strohhut und einem Paar schwerer Lederschuhe. „Da ist dein Zeug,“ sagte er. „Mrs. Dunkan befiehlt, dass du es gleich anlegst und mir deine Sachen gibst, — sie sollen an arme Leute verschenkt werden. Jede Woche einmal musst du die Sachen waschen, das merke dir, denn für Schmutzflecke gibt es Peitschenhiebe.“

Lionel hob die beiden ihm zugewiesenen Kleidungsstücke vom Boden auf.

„Sind Sie der Oberaufseher?“ fragte er.

„Jawohl: Sammy, der Mann mit der Lederpeitsche! Ich schlage auch auf anderen Besitzungen, Missis leiht mich aus gegen Entgelt.“

„Also Sie selbst sind auch Sklave?“

„Gewiss. Freie Nigger gibt es hier wohl sehr selten, sie gehen alle nach dem Norden.“

Und Sammy schlenderte davon, während Lionel den feinen hechtgrauen Sommeranzug, die Leinenwäsche und den Panamahut ablegte, um das lächerliche, blau und rot gestreifte Kostüm des Haussklaven anzulegen. Das war eine schwere Stunde, eine Aufgabe, welche die Kräfte unseres unglücklichen Freundes beinahe überstieg, — er, der immer wie ein Gentleman aufgetreten war, sollte jetzt mit unverhüllter Brust und nackten Füssen einhergehen, er sollte weder feine Manschetten, noch Taschentuch oder Kravatte wiedersehen. Auch der Spiegel fehlte dem Gemache, das zwanzig oder dreissig numerierte Betten enthielt, — Lionel schlich zaghaft hinaus, um wenigstens die freie Luft an seiner heissen Stirn zu fühlen. Ob es sich wirklich ertragen lassen würde, das Leben als Sklave?

Von der Strasse her kam ein kleiner Junge ihm entgegengelaufen. „Du, du, der Neger draussen vor dem Eingange will mit dir sprechen, — sieh, das hat er mir gegeben!“

Ein schmutziges Kinderhändchen öffnete sich vorsichtig, und glückstrahlende Blicke sahen auf die zwei Cents, welche darin lagen. „Siehst du! Nun kann ich mir Bonbons kaufen!“

Der kleine Bursche rannte wieder fort, und Lionel spähte hinaus, um zu erfahren, wer ihn zu sprechen wünsche. Am Gitter stand Ralph und streckte beide Hände aus, sein ehrliches Gesicht war voll Trauer, seine Stimme bebte. „Ich komme, um Ihnen Lebewohl zu sagen, Sir! — O, grosser Gott, dass ich meinen jungen Herrn in diesem Anzuge sehen muss!“

Lionel nahm die schwarzen Hände in seine beiden und umschloss sie fest. „Lass das, Ralph,“ sagte er, „denke auch nicht an mich. Bist du verkauft, Alter?“

Ralph nickte. „Ja, Sir, — nach Karolina, weit weg auf eine Pflanzung.“

„So werden wir ganz getrennt!“ rief Lionel. „Es fällt Schlag auf Schlag!“

„Ich wollte Ihnen Lebewohl sagen, Massa Lionel! Toby und ich bleiben zusammen.“

„Grüsse ihn, den treuherzigen Jungen! — Und dann sage mir, Ralph, wie hiess in Kentucky die Farm der Forsters? Es kommen nächstens Verwandte des Friedensrichters von dort her zum Besuch, — möglicherweise ist es dieselbe Familie.“

Ralph nickte. „Sicherlich, Sir. Der Herr Friedensrichter war gelegentlich nach Seven-Oaks zu Tisch geladen; Mr. Trevor sagte, dass noch zwischen ihnen eine Art von Verwandtschaft bestehe.“

„Wie hiess die Farm?“ wiederholte Lionel.

„Parkers-Place, nach ihrem ersten Besitzer. Der Herr, welcher hierher zu kommen gedenkt, wird Mr. Nathanael Forster sein, derselbe Mann, den Ihr unglücklicher Vater mit der Reitpeitsche schlug. Gott gebe nur, dass das nicht etwa für Sie Böses bedeute, Massa Lionel!“

„Torheit!“ lächelte der Knabe. „Ich werde dem Manne aus dem Wege gehen, aber, wenn es die Umstände so fügen sollten, dass ich ihm feindlich gegenüberstehe, auch nicht weniger Mut beweisen als vordem mein armer Vater.“

Ralph seufzte. „Ein Advokat hat den Auftrag, Seven-Oaks zu verkaufen, Sir. Mr. Manfred Trevor reist mit seinem Sohne heute noch nach Richmond, er will lieber die Ernte auf dem Halme verderben lassen als länger in dieser Gegend leben. Nur einige Weisse bleiben des Viehes wegen auf der Farm zurück.“

Lionel war blass geworden. „Seven-Oaks in fremden Händen!“ sagte er leise. „Ach, Ralph, wenn das Testament zum Vorschein käme, wenn für uns Unglückliche ein Wunder geschähe!“

„Zu seiner Zeit!“ flüsterte der Neger. „Zu seiner Zeit, Sir. Und nun adieu! Ich habe mich heimlich fortgestohlen.“

„Adieu, Ralph! Gott behüte dich alle Zeit! Wie heisst der Ort, an den du gehst?“

„Das weiss ich nicht, Sir. Mein Gebieter ist nicht persönlich anwesend, er lässt sich eine Partie Sklaven durch einen Zwischenhändler schicken.“

Lionel wandte sich ab, es wogte und gärte in seiner Seele so stark, dass ihm keine Worte mehr zu Gebote standen, aber die Augen sprachen beredt, die zuckenden Lippen sagten mehr als alle Sätze. Noch einmal lagen die Hände ineinander, vielleicht zum letzten, ewigen Lebewohl, dann ging Ralph die Strasse hinab, und Lionel kehrte zum Hofe zurück. Zwischen ihm und dem Herrenhause stand ein dichtes, die Veranda von den Wohnungen der Schwarzen trennendes Gebüsch, er konnte also selbst nicht gesehen werden, während anderseits der weite Hof frei vor seinen Blicken dalag. Durch eine am anderen Ende desselben befindliche Eingangstür kamen gerade jetzt in langen Zügen die Neger von den Baumwollfeldern nach Hause, jede Person trug ihren Korb auf dem Rücken, Männer wie Frauen, jede setzte ihn ab an der grossen Wage, welche unter einem Dache auf dem Hofe stand und an der jetzt zwei Aufseher die gepflückte Baumwolle wogen, um festzustellen, ob der betreffende Arbeiter seine Schuldigkeit getan habe oder nicht.

Auch Sammy, der Mann mit der Peitsche, befand sich auf dem Hofe, er schleppte eine Bank aus dem Schuppen herbei und schwang das Prügelinstrument sausend durch die Luft, dann wartete er mit verschränkten Armen, als werde auch für seine Tätigkeit der geeignete Augenblick kommen.

Lionel trat näher hinzu, eine unangenehme Ahnung hatte sich seiner Seele bemächtigt; auf dem Pflaster dieses Hofes schien die Prügelstrafe eine gewohnte, täglich wiederkehrende Verrichtung.

„Scipio hat abermals drei Pfund Baumwolle zu wenig,“ rief der Aufseher. „Zwanzig Hiebe, Sammy, du weisst ja schon!“

„All right!“ tönte es von der Bank her.

Scipio bat mit gefalteten Händen um Gnade. Der Mann war alt, seine Glieder gekrümmt, das Haar weiss, das Augenlicht getrübt. „Ich kann die Kapseln nicht so genau mehr sehen,“ jammerte er, „Erbarmen, Sammy, Erbarmen! Auch du wirst einmal ein halbblinder Greis sein!“

Der phlegmatische Mulatte zuckte die Achseln. „Mach’s kurz, Scipio, das Geschrei kann dir gar nichts nützen. Ueberdies siehst du auch, dass ausser dir noch andere Leute bedient werden wollen.“

Er zog den kreischenden Alten mit einem kräftigen Ruck zu sich und warf ihn auf die Bank. Die Peitsche wirbelte durch die Luft, um scharf auf den Rücken des Opfers niederzufallen, ein durchdringendes Geschrei tönte über den Hof, grauenvoll genug, um Lionels innerste Seele erbeben zu lassen.

Nach rechts und links schlüpften die Neger, deren Körbe richtig befunden worden waren. Solange die entsetzliche Bank auf dem Hofe stand, fühlte sich niemand sicher, die armen Geschöpfe zitterten, sooft sie mit ihrer Last die Pforte erreicht hatten. Es ging auf der Besitzung des Friedensrichters streng nach Wahrheit und Gerechtigkeit, es wurde kein Sklave ohne Grund geschlagen, aber auch keinem die Strafe erlassen; wer faul gewesen war, erhielt Peitschenhiebe, das wussten alle und ergaben sich in ihr Schicksal.

Lionel ging in den halbdunkeln Raum, wo die unverheirateten Männer schliefen und warf sich auf das saubere, aber sehr harte Bett, welches ihm Sammy angewiesen hatte. Nicht weit von ihm lag Scipio und krümmte sich ächzend in unerträglichem Schmerz. Ein jüngerer Schwarzer, sein Sohn, legte ihm Wasserpolster auf die Wunden.

Lionel bedeckt das Gesicht mit den Händen. Zum erstenmale, seit das Unglück über ihn hereingebrochen war, weinte er glühende Tränen der Verzweiflung.

Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg

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