Читать книгу Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg - Sophie Wörrishöffer - Страница 7

Viertes Kapitel

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Als Lionel erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Ein unbestimmtes Erschrecken war das erste, was er empfand, dann kam blitzschnell die Erinnerung an das geschehene Unglück und liess sein Herz schneller schlagen.

Von draussen öffnete eine Hand die Tür, Philipp kam an seiner Krücke in das Zimmer gehinkt. Er setzte sich auf den Bettrand, mit leiser, liebevoller Stimme tröstete er den Freund, das bleiche, durchgeistigte Gesicht mit den schönen, milden Augen trug einen Ausdruck lebendiger Freundschaft und Treue. „Mein armer Lionel,“ sagte er. „du musst aufstehen und hinabgehen in das Empfangszimmer. Man verlangt dein Zeugnis.“

Lionel sah auf. „Ueber welchen Punkt?“ fragte er.

„Mehrere von den Schwarzen haben behauptet, dass ihr Entlassungsschein ausgeschrieben sei und dass du von der Sache wissest, — so Ralph und die alte Cassy.“

Lionel nickte. „Es ist ein Testament vorhanden, Philipp, ich weiss es. Die Neger sind samt und sonders freie Leute, sie können über ihre Personen verfügen wie du und ich.“

Philipps Gesicht glänzte vor Freude. „O, der gute Onkel Charles! — Und wo ist das Testament, Lionel?“

„Jedenfalls im Schreibtisch des Verstorbenen. Ich werde gleich nachsuchen.“

Sie gingen zusammen in den Parlor, wo schon mehrere Amtspersonen den Knaben erwarteten. Auch Mr. Manfred Trevor war zugegen; sein Gesicht zeigte eine tödliche Blässe, sonst aber keinerlei Aufregung oder Unruhe.

Im Schaukelstuhl sass der Friedensrichter und liess seine Daumen umeinanderkreisen. Er war ein wohlbeleibter, älterer Herr mit einem spöttischen Gesicht und fuchsrotem Haar, das wie ein Kranz die riesige Platte umgab. Auf seiner Farm blühte die Sklavenzucht in üppiger Ausdehnung, er versorgte alljährlich den Markt in der Stadt mit schwarzer Ware und galt als sehr strenger Gebieter.

„Komm einmal her, junger Herr,“ rief er Lionel zu. „Du bist ein Neffe des verstorbenen Mr. Trevor, nicht wahr, mein Sohn?“

„Ja, Sir!“

„Ein Schwestersohn wahrscheinlich?“

Lionels Herz klopfte schneller, eine seltsame Unruhe hatte ihn plötzlich überfallen. „Ich weiss es nicht, Sir,“ versetzte er, „aber — — aber, für so nahe halte ich die Verwandtschaft nicht.“

Hier mischte sich Manfred Trevor in das Gespräch. „Erlauben Sie, mein Herr, ich kenne die Art der vorhandenen Beziehungen. Dieser junge Mensch war meinem teuren verstorbenen Freunde ein ganz Fremder, es liegt keinerlei Blutsverwandtschaft vor.“

„Onkel Manfred!“ rief Lionel. „Um Gottes Willen, was sagst du da? Wer bin ich denn? Wer war mein Vater?“

„Das wirst du in allernächster Zeit erfahren. Jetzt handelt sich’s einzig und allein darum, dem Herrn Friedensrichter möglichst genaue Auskunft zu geben.“

Lionels hübsches Gesicht wurde bald rot, bald blass. „Ich stehe zu Diensten,“ stammelte er.

„Nun, mein Sohn, wer du bist und wie es um deine Verhältnisse steht,“ fuhr der Friedensrichter fort, „das kümmert uns heute noch nicht, du sollst nur eine Frage beantworten. Mehrere Neger, die zum Eigentum des Verstorbenen gehören, behaupten, von ihrem Gebieter freigelassen zu sein, und stützen sich dabei auf dein Zeugnis. Was weisst du von der Sache? Es ist alles Schwindel, nicht wahr? Die Kerle werden ausgepeitscht und damit basta!“

Lionel schüttelte entschieden den Kopf, seine Augen blitzten, seine ganze stattliche Gestalt hatte sich höher aufgerichtet. „Nein, Sir,“ rief er, „die Leute haben recht, Onkel Charles hat in seinem Testamente mich zum Erben von Seven-Oaks eingesetzt und allen seinen Sklaven die Freiheit geschenkt.“

„Was? Ueber zweihundert Sklaven sollten freie Leute sein?“ rief der Friedensrichter zornig. „Hunderttausende hätte Mr. Trevor auf die Strasse geworfen und das in einem Augenblick, wo das Vaterland leidet und darbt!? — Bis ich diese Verfügung schwarz auf weiss sehe, mag ich zu Ehren des Toten nicht daran glauben. Hast du das Testament in Händen, mein Sohn?“

Lionel sah ihn ruhig an. „Nein, Sir,“ versetzte er, „aber ich weiss, dass es vorhanden ist. Erlauben Sie mir, die Dokumente des Verstorbenen zu durchsuchen!“

Er wollte das Zimmer verlassen, aber Manfred Trevor hielt ihn auf. „Soll der junge Mensch allein gehen, Sir?“ fragte er den Friedensrichter.

„Natürlich nicht!“ klang es zurück. „Ich hoffe übrigens von ganzer Seele, dass ein Testament mit so wahnsinnigem Inhalte nimmer gefunden werden möge.“

„Welcher Notar hat es denn aufgesetzt, Bürschchen?“ fragte er, sich schwer aus dem Schaukelstuhl erhebend, „weisst du es?“

„Ja, Sir, der Advokat Mr. Mason!“

„Gilt bei der Armee als verschollen. Und die Zeugen?“

„Zwei Männer, die sich bei der Fahne befinden.“

Der Friedensrichter lächelte. „Nun,“ sagte er, „wir werden ja sehen, wie die Sache steht. Bei der Behörde ist keine letztwillige Verfügung niedergelegt.“

Die beiden von dem verstorbenen Gutsherrn bewohnten Räume wurden gründlich, aber ohne allen Erfolg durchsucht, es fand sich kein Dokument, das Aufschluss gegeben hätte, kein Blatt Papier von Mr. Masons Hand. Der Friedensrichter lächelte schadenfroh.

„Alles Lügen,“ sagte er, „alberne Märchen!“

Und ohne sich weiter um den beleidigten Knaben zu kümmern, ging er davon. Philipp Trevor war der Erbe, dessen Vater als Vormund seines minderjährigen Sohnes einstweilen Herr und Gebieter, — damit basta!

Zu andern Zeiten hätte sich die Sache möglicherweise nicht so leicht gemacht, aber wo gab es in der augenblicklichen, alles beherrschenden Verwirrung der Dinge einen Gerichtshof, der für die Befreiung einer Anzahl von Negern eingetreten wäre? Draussen auf blutiger Walstatt focht man für die Erhaltung der Sklaverei und hier zu Hause sollte man das Gegenteil unternehmen?

Philipp hatte sich Lionel nähern wollen, aber sein Vater rief ihn mit barschem Tone zurück, — wie ein kalter Wind wehte es durch Lionels Seele, er schlich ungehört in den Saal, wo die Leiche aufgebahrt lag, und trat an den Katafalk, um wenigstens einige freundliche Worte mit Ralph zu wechseln, der bei dem Toten wachte.

Traurigen Blickes sah er in das schwarze Gesicht. „Ralph, ich glaube, es kommen jetzt böse Tage für uns alle. Das Testament meines armen Onkels ist nicht zu finden!“

Der Schwarze bewegte immer treulich den Federwedel über dem Totenantlitz seines Gebieters. „Wir müssen es eben ertragen Sir!“ raunte er. „Armer Massa Lionel, für Sie ist es ein schwerer Schlag, — ach, armer Knabe, armer Knabe!“ —

Ein Schauer rieselte durch Lionels Adern. „Du glaubst, dass mich Mr. Trevor jetzt aus Seven-Oaks verbannen wird, Ralph?“

Er hat sich eben dahin geäussert, dass ich der Familie meines Pflegevaters ganz fremd sei, — ist das wahr? Du hast meine Eltern gekannt und musst es am besten wissen.“

Der Neger seufzte, er schüttelte leicht den Kopf. „Ich mag darüber nicht sprechen,“ versetzte er. „Mr. Trevor ist ein harter Herr, — wer weiss, wie viele Peitschenhiebe wir beide bekämen.“

Dunkle Glut färbte das Gesicht des Knaben. „Peitschenhiebe?“ wiederholte er. „Ich? Ralph, wie wäre das möglich?“

Der Schwarze seufzte. „Es sind noch ganz andere Dinge möglich, Massa Lionel. Sie müssen von der Zukunft nicht viel Gutes erwarten, Sir.“

Eine beklemmende Ahnung legte sich wie ein Druck auf Lionels Herz. „Eins sage mir, Ralph,“ bat er, „du kannst es, ohne jemandes Gebote zu übertreten. War mein Vater ein schlechter Mann? Ist mit seinem Andenken irgendeine Schande verknüpft?“

Die Augen des Negers schienen plötzlich heller aufzuleuchten. „Schande?“ wiederholte er. „O nein, Sir, nein, Ihr Vater war ein Ehrenmann, es hat ihm niemals jemand etwas Böses nachgesagt, Sie brauchen sich seiner in keiner Weise zu schämen.“

Lionel atmete leichter, in seinen Zügen löste sich eine unerträgliche Spannung. „Dann ist alles gut,“ nickte er. „Ich danke dir, Ralph.“

„Sie sollten nun ein wenig hinausgehen in den Wald, Sir! Bis nach der Beerdigung wird Mr. Trevor sich um Sie nicht bekümmern.“

„Und nachher mir die Tür zeigen, — ich weiss es wohl, Ralph!“

Er drückte die Hand des Schwarzen und ging hinaus in das leuchtende Sommergrün der Umgebung, so unruhig und traurig wie nie vorher. Jetzt musste er, der bisher ein Sekundaner der Hochschule gewesen war, schon in allernächster Zeit als Knecht auf einer Farm arbeiten, Mr. Trevor würde ihm kein Stück Brot mehr geben wollen.

Eine Regung von Stolz durchflutete sein Inneres. Er hätte auch aus der Hand dieses Mannes keine Wohltat annehmen mögen. Mr. Trevor hasste ihn, das erfuhr er nicht erst heute, — es konnte zwischen ihnen beiden nie ein gutes Einvernehmen geben.

Philipp fand am Nachmittag Gelegenheit, dem Freunde flüchtig ein paar Worte zuzuraunen. „Halte aus, Lionel,“ sagte er, „sieh in jedem Augenblick auf den Tag, wo ich mündig werde, — dann hindert mich niemand, so zu handeln, wie es als fester Entschluss vor meiner Seele steht. Seven-Oaks wird wieder dein Eigentum.“

Lionel lehnte sein kaltes, blasses Gesicht an die Stirn des anderen. „Behalte mich lieb,“ sagte er tief erschüttert, „behalte mich lieb, Philipp! Ich habe auf der weiten Welt keinen Menschen ausser dir!“

Auf Philipps Lippen schien eine bange Frage zu schweben, sein mageres, kränkliches Gesicht hatte alle Farbe verloren, die heissen Hände bebten wie im Fieber. „Lionel,“ sagte er in gepresstem Tone, „ich bitte dich, sprich jetzt die Wahrheit, als ständest du vor Gott! — Hat dir der verstorbene Onkel Charles sein Testament selbst gezeigt?“

„Nein, Philipp, aber er hat mir den Inhalt Wort für Wort gesagt. Dir waren sechzigtausend Dollar bestimmt, mir die Farm und allen Sklaven die Freiheit.“

„Das weisst du ganz gewiss? Es ist kein Irrtum möglich?“

„Keiner!“

Philipp brauchte offenbar einige Zeit, sich zu sammeln. „Weshalb hat er dir aber in diesem Falle nicht gesagt, wo das Testament liegt, mein guter Lionel? Kannst du mir das erklären?“

Der Knabe nickte. „Onkel Charles war im Begriff, mir den Ort zu nennen,“ antwortete er. „Es ist gut versteckt, so lauteten seine Worte, und es ist von grösster Wichtigkeit, dass kein Mensch ausser dir es finde.“

Philipp hustete fortwährend leise vor sich hin, bei ihm ein Zeichen heftiger innerer Erregung. „Weiter!“ bat er, „weshalb erfuhrst du gerade das Hauptsächlichste nicht?“

Lionel wandte sich ab. „Ich bitte dich, verlange von mir keine Antwort auf die Frage, Philipp,“ sagte er in unsicherem Tone.

„Weil es mich schmerzen müsste, den Zusammenhang der Dinge kennen zu lernen?“

„Ich fürchte, — ja!“

„Dann war es in der Nacht vor seinem Tode, als Onkel Charles mit dir sprach? — Im Zelte? Als er alle übrigen schlafend glaubte?“

„Philipp, — du wolltest mir die Antwort erlassen!“

„Ich habe sie bekommen!“ sagte mit bebender Stimme der Krüppel. „Vier Prüfungsjahre liegen vor dir, Lionel, dann bin ich mündig! — O bete, bete, dass Gott mir das Leben erhalte bis dahin!“

Er reichte ihm die Hand und ging. Lionel begann in seinem Zimmer die Bücher zu ordnen. Latein, Griechisch, Mathematik, Litteraturgeschichte, — das war nun alles dahin. Vielleicht würde ihm Mr. Trevor nicht einmal gestatten, sein Eigentum mitzunehmen. Wie ein Prinz hatte er bis dahin gelebt, und über Nacht war er ein Bettler geworden.

Stunden vergingen, während er mit gestütztem Kopfe dasass, eine schlaflose Nacht folgte dem Tage voll Aufregung, und dann kam das Begräbnis. Wagen nach Wagen brachte aus der Stadt das Trauergeleite, die Räume füllten sich mit der vornehmsten Gesellschaft der Umgebung, Offiziere, Gutsbesitzer und Beamte brachten ihre Gaben an Blumen und Kränzen, der ganze Saal schien in einen Garten verwandelt. Am offenen Sarge hielt der Geistliche eine Rede, in der er die Verdienste, namentlich die Menschenliebe des Verstorbenen pries. Dann setzte sich am späten Nachmittag der Zug zu dem mehrere Meilen entfernten Gottesacker in Bewegung.

Die Bestattung sollte bei Fackelschein vor sich gehen, es warteten am Grabe mehrere Gesangvereine und eine Kapelle; der Leichenzug war vielleicht der stattlichste, den die Gegend jemals gesehen. Zunächst hinter dem Sarge fuhren Mr. Trevor und sein Sohn, dann folgte eine unübersehbare Reihe von Kutschen, hinter denen als letzte in dem Zuge die Schwarzen von Seven-Oaks gingen. Unter ihnen an Ralphs Seite befand sich Lionel. Mr. Trevor hatte ihn nicht aufgefordert, sich mit in den Wagen zu setzen, es blieb ihm daher, wenn er überhaupt der Leiche seines Wohltäters folgen wollte, nur übrig, mit den Negern zu Fuss zu gehen.

Leise, immer höher und höher anschwellende Klänge eines Chorales empfingen auf dem geweihten Boden den Sarg; zum Himmel empor stieg in schwarzen Wolken der Rauch der Fackeln, eine dichtgedrängte Menschenmenge liess den Zug vorüberziehen. Zuweilen klang verhaltenes Schluchzen, — arme alte Frauen weinten, Bettlerinnen, denen der Verstorbene aus der reichen Fülle seines Besitzes und seiner Nächstenliebe Wohltat über Wohltat gespendet hatte.

Jetzt sangen die Mitglieder der Gesangvereine, zu denen auch Charles Trevor gehört hatte. Die Träger setzten den kostbaren Metallsarg zu Boden, alles umstand das offene Grab, wunderbar ergreifend brausten die Töne über das stille, nächtliche Totenfeld. Dann trat der zweite Präsident eines Klubs ein wenig vor, um noch ein letztes Abschiedswort dem plötzlich dahingeschiedenen ersten Vorsitzenden desselben nachzurufen. „Möchte der ruchlose Mörder entdeckt werden,“ schloss er, „möchten alle, die heute den treuen und hochgeachteten Mitbürger beweinen, auch Zeugen werden der Strafe, die den Frevler ereilt! Aber selbst, wenn das Dunkel jener Todesstunde niemals gelichtet wird, wenn der Verbrecher auf Erden seiner Strafe entrinnt, so ist ihm diese damit doch keineswegs erlassen. Das Gewissen spricht, ob auch alle anderen Stimmen schweigen, zu ihm mit dem Posaunenschall des letzten Gerichts, um so lauter, je stiller und unangefochtener äusserlich sein Leben dahingeht. Er ist bestraft, er ist verurteilt schon in dieser Stunde, das muss uns, die wir den teuren Toten beklagen, wenigstens einigermassen trösten.“

Der Redner hatte geendet, und unter den Klängen eines neuen Chorals wurde der Sarg in die Gruft hinabgelassen. Einer nach dem andern traten die Herren des Gefolges vor, um eine Handvoll Erde auf die Blumen da unten hinabfallen zu lassen, auch Manfred Trevor bückte sich und nahm etwas Staub vom Boden.

Der Mann war so blass wie eine Leiche, seine Augen blickten starr, der feine Sand rieselte zwischen seinen Fingern auf die Erde, ohne dass er es bemerkte. Er stand wie jemand, der nicht weiss, was der nächste Augenblick ihm bringen werde. Und plötzlich, als er sich über den Rand der offenen Grube vorbeugte, verlor er das Gleichgewicht und stürzte hinab auf den Sarg. Eine Wolke von Sand flog nach, mehrere Kränze wurden gewaltsam zerrissen, — ehe eine Minute verging, hatte der Knecht des Totengräbers eine Leiter herbeigeholt und in die Gruft gestellt, vier oder sechs Hände streckten sich aus und halfen dem halbbetäubten Manne an die Oberfläche der Erde. Man klopfte ihm den Staub von den Kleidern und führte ihn, der vor Schreck nicht zu sprechen vermochte, aus der Nähe des Grabes; dann, als die Herren des Gefolges ihrer Pflicht genügt hatten, kam die ganze Schar der Neger an die Reihe. Wie sie alle weinten und schluchzten, die armen Schwarzen, wie sie die Blumen auf dem Sargdeckel begruben unter der Erde, die als letztes Liebeszeichen hinabfiel in das düstere Haus des Todes!

Zusammengeworfen auf einen Haufen, verglühten die Fackeln und bedeckten mit purpurnem Schimmer rings in weitem Kreise den Himmel. Einer nach dem andern verabschiedeten sich die Gäste bei Manfred Trevor, der zusammengesunken in den Kissen des Wagens kauerte. Er musste jedem ein Dankeswort sagen, musste lächeln, obgleich seine Lippen zuckten, — wie ein Schleier lag es über dem Bewusstsein des aufgeregten Mannes.

Ein böses Zeichen, der Sturz in das offene Grab. Ob er bald dem Vorausgegangenen folgen solle? Jetzt, nun er über Hunderttausende verfügte? Ein Schauer durchrieselte seine Glieder. „Nicht sterben! Nein, nicht sterben!“

Zu Hause auf Seven-Oaks warf sich Mr. Trevor, tödlich erschöpft, in den Schaukelstuhl, trocknete die heisse Stirn und trank ein Glas Wasser nach dem andern. Was hatte der Redner am Schlusse seines Vortrages gesagt: ‚Der Schuldige ist verurteilt, schon in dieser Stunde.’ Er fuhr mit den Fingern durch das Haar. Die unsicher tastende Hand griff in die Brusttasche, um das dort versteckte Dokument zu befühlen, aber wie von einer Schlange gebissen, zog sie sich zurück. Die Tasche war leer.

Der kaum getrocknete Schweiss stand schon wieder in grossen Tropfen auf des erschreckten Mannes Stirn. Sollte er das Paketchen im Hausrock vergessen haben? Ein einziger Sprung brachte ihn zur Wand, er liess sich nicht so viel Zeit, um die Taschen zu untersuchen, sondern drückte und fühlte von aussen, — alles leer! Jedes Haar auf seinem Haupte begann sich zu sträuben. Wo war das Testament?

Er suchte nochmals, er kehrte jede Tasche um, er stürzte in den Schuppen und befühlte alle Polster der Equipage — umsonst, das Dokument war nicht zu finden.

Zu Tode ermattet, kam er wieder in sein Zimmer. Es drehte sich alles mit ihm im Kreise, seine Gedanken arbeiteten nicht mehr, er war wie vernichtet. Das Papier, an dessen Vorhandensein sich die Entscheidung knüpfte, das Papier, welches Tod und Leben in seinem Schosse barg, — es war fort.

Vielleicht in das Grab gefallen?

Ein neues Grauen rieselte durch Mr. Trevors Adern. In das Grab des Mannes, dessen letzten Willen er durchkreuzt hatte? — Streckte der Tote so gleichsam die Hand aus, um ihn auf seinem Wege anzuhalten?

Vielleicht auch lag das kleine Paket auf dem Wege, irgendwo zwischen Gras und Gebüsch, — vielleicht hatte es der Totengräber gefunden. — Bei diesem Gedanken richtete sich Manfred Trevor plötzlich auf. Er musste hinaus, ganz allein und ohne Säumen, kein fremder Blick durfte das Testament sehen.

Ralph bekam die Weisung, sogleich den leichten Wagen zu bespannen, und fünf Minuten später war Mr. Trevor wieder auf dem Wege zum Kirchhof. Nur dort konnte das Paket aus der Tasche gefallen sein, — nur dort. Aber wie viele Hunderte von Personen hatten sich zugleich mit ihm in der Nähe des Grabes befunden! Bettler in Scharen, Kinder, Neger, das Gesindel, welches den vornehmen Beerdigungen nachläuft. Jede dieser Persönlichkeiten konnte das kleine, längliche Paketchen entdeckt und aufgehoben haben. Vielleicht lasen gerade jetzt begierige Blicke den Inhalt, und ein spekulativer Kopf überschlug, wie viel Vorteil für ihn selbst bei der Sache herausspringen werde.

In einiger Entfernung von der Kirchhofspforte liess Mr. Trevor halten und ging zu Fuss den Weg bis an die grüne Hecke, welche das Gebiet des Todes umgab. Das Eisengitter war geschlossen, hier konnte er nicht hinein, er zwängte sich durch eine Lücke in der Hecke und lief zwischen den Leichensteinen zur Eingangspforte; von hier aus verfolgte er den noch ganz mit Blumen bestreuten Weg zum Grabe seines Vetters. Unruhig spähten nach rechts und links die Blicke, unruhig schlug in der Brust das Herz. Wie unzählig viele Füsse hatten in dem losen Sande ihre Spuren zurückgelassen!

Dort lag das Grab, — Manfred fühlte, wie ihm kalte Schauer durch alle Adern rieselten. Er wagte es hinzusehen, — die Grube war bereits ganz mit Erde gefüllt. Jedes Steinchen am Wege schob sein Fuss beiseite, jeden Zweig der umgebenden Gebüsche. Er suchte und suchte, bis ein Schwindel seine Sinne ergriff, — vergebens.

Jetzt gab es nur noch eine einzige Hoffnung, und auch diese schien sehr zweifelhaft. Man musste bei dem Totengräber Erkundigungen einziehen. Wieder ging Mr. Trevor an der Aussenseite der Hecke den ganzen Weg zurück bis zum Häuschen am vorderen Eisengitter; hier klopfte er, um Einlass zu erhalten.

Nach einer längeren Weile öffnete sich ein Fenster zu ebener Erde, eine Männerstimme fragte: „Wer ist da?“

Mr. Trevor trat näher. „Machen Sie einen Augenblick auf, Sir, ich wünsche mit Ihnen zu sprechen und verlange nichts umsonst.“

Der Totengräber beugte sich aus dem Fenster. „Ah!“ rief er, „der Gentleman, welcher in das Grab stürzte!“

Die Haustür wurde geöffnet, und Manfred konnte eintreten.

„Ist Ihnen ein kleines, in Wachstuch eingeschlagenes Paket eingeliefert worden?“ fragte er. „Ich glaube, es hier verloren zu haben.“

„Wo? Bei dem unglücklichen Zufall am —“

„Nein, ich hatte es später noch in der Hand. Aber beim Einsteigen in den Wagen, — es ist mir, als sei mein Rock an der Tür hängengeblieben. Sollten Sie wirklich nichts gefunden haben?“

„Nichts, Euer Ehren, ich schwöre es!“

Manfred fuhr mit der Rechten über die Stirn. „Das ist mir sehr fatal,“ sagte er heiser, — „es waren Briefe in dem Paket, Dinge, die nur für mich selbst einen Wert besitzen, aber doch — —“

Und er schüttelte den Kopf, wie es schien, unfähig, noch ein Wort hervorzubringen. Der Totengräber sah ihn an. „Wissen Sie auch ganz gewiss, dass das Päckchen nicht in die Grube gefallen ist, Euer Ehren? Morgen mache ich dem Geistlichen eine Meldung, erwirke die Erlaubnis, das Grab wieder zu öffnen und den Sarg herauszunehmen, dann kann —“

Manfred unterbrach zum zweitenmale den dienstfertigen Mann. „Ich sage Ihnen ja, dass ich das Päckchen noch auf dem Wege zur Equipage in der Hand hielt, Sir! — Guten Abend jetzt, hier ist eine Kleinigkeit für Ihre Mühe.“

Mit müden Schritten ging Mr. Trevor zum Wagen und liess sich ächzend in die Polster der Equipage fallen. Ihm graute vor dem Gedanken an eine nochmalige Eröffnung des Grabes, — die alte Furcht, die alten Zweifel umgarnten schon jetzt wieder seine Seele. Er sah allerlei Amtspersonen die Gruft umstehen und sah, wie die Spitzhacke des Totengräbers in das Paket hineinfuhr, um es gänzlich zu zerreissen. Die Papiere quollen heraus, die Namenliste der Schwarzen, Mr. Masons, des Notars Amtssiegel! —

Kalter Schweiss trat auf seine Stirn. Nein, nein, um keinen Preis durfte das Grab wieder geöffnet werden. Mr. Manfred wollte schon morgen den schwersten, kostbarsten Stein kaufen und hinausbringen lassen, so eine Granitplatte, die den ganzen Raum überdeckt, — sie wiegt ihre tausend Pfund, sie ist von unberufener Hand nicht so leicht zu entfernen. —

An dem Morgen, der auf diese Nacht folgte, hatte Jack Peppers, der Trapper, sich verabschiedet, und Lionel begleitete ihn eine Strecke Weges über die Farm hinaus. Der Knabe seufzte, als er dem ehrlichen Burschen zum Lebewohl die Hand reichte. „Könnte ich mit Ihnen in die Wälder ziehen, Peppers,“ sagte er. „Hätte ich irgendeinen bestimmten Beruf! — So, wie ich jetzt lebe, kann es unmöglich länger bleiben.“

Der Trapper wandte sich ab. „Das wird es auch schwerlich, Sir! — Ich habe mit Bezug auf den Tod des ermordeten Mr. Trevor meine Aussagen vor dem Richter gemacht, das war alles, was ich für Sie tun konnte, — so viel wie nichts, fürchte ich. Sie müssen eben die Prüfung ertragen und hoffen, dass Ihr Recht doch eines Tages zur Geltung kommen werde. Gott sei mit Ihnen, junger Herr!“

Sie trennten sich mit freundschaftlichem Händedruck, Lionel kehrte zur Farm zurück. Ein Hausdiener brachte ihm den Befehl, sogleich in Mr. Trevors Arbeitszimmer zu erscheinen. Auch Ralph wurde herbeigerufen.

„Sir,“ flüsterte der Schwarze, indem er die Hand des Knaben ergriff und fast krampfhaft drückte, „mein armer Massa Lionel, jetzt kommt das Unglück, jetzt bricht es herein. Gott der Allmächtige stehe Ihnen bei!“

„Möchte mich Mr. Trevor doch noch heute gehen heissen,“ murmelte Lionel, „ich werde schon Arbeit finden. Dieser Zustand des Hangens und Bangens ist unerträglich.“

Er klopfte. Mr. Trevors Stimme rief in herrischem Tone: „Herein!“ — Dann öffnete sich die Tür, um den Knaben und den Neger eintreten zu lassen. Am Fenster des Zimmers stand Philipp, wie es schien, einem erhaltenen Befehle gehorchend, blass und unruhig, mit nervös zuckenden Händen; er begrüsste Lionel nur durch einen schnellen Blick, dann sah er vor sich hin wie jemand, der eine böse Botschaft erwartet.

Mr. Trevor sass am Schreibtisch, sein Gesicht war fahl wie eine graue, verwitterte Wand, in den Augen glühte ein spöttisches, schadenfrohes Leuchten.

„Da bist du ja, Lionel,“ sagte die harte, unfreundlich klingende Stimme. „Du wolltest erfahren, wer deine Eltern gewesen sind, nicht wahr?“

Lionel fühlte die Schläge seines Herzens bis in den Hals hinauf. „Ich bitte um Auskunft, Sir!“ sagte er ruhig.

„Die soll dir werden. Dein Vater war Malcolm Forster, der Sklave eines Farmers in Kentucky, deine Mutter das Kammermädchen Jane, die Sklavin des verstorbenen Mr. Charles Trevor; — so, nun kennst du das Geheimnis deiner Geburt.“

Ein Schrei durchdrang die Stille des Zimmers, Philipp hatte ihn ausgestossen. „Vater! — O, um Gotteswillen, Vater!“

„Du schweigst!“ befahl Mr. Trevor.

Lionel hatte keinen Laut hervorgebracht; so sehr er sich auch bemühte, seine Fassung äusserlich zu bewahren, so wenig gelang ihm das in diesem verhängnisvollen Augenblick. Als er endlich sprach, bebte seine Stimme vor Erschütterung.

„Meine Eltern waren Quarterons, Sir?“

„Beide, ja!“

„Und nicht frei, nicht —“

„Beide das Eigentum weisser Herren!“

Lionel strich über seine Stirn, als werde es ihm plötzlich zu heiss. „Demnach bin ich ein Sklave, Sir? — Ihr Sklave?“

„Der meines Sohnes, ja!“

„O Lionel,“ rief Philipp, „Lionel, du wirst immer nur mein Bruder sein!“

Mr. Trevor liess den Einwurf unbeachtet. „Der Neger Ralph ist aus Kentucky mit meinem verstorbenen Verwandten, Mr. Charles Trevor, hierhergekommen,“ fuhr er fort, „ihm sind alle diese Verhältnisse aus der Erinnerung bekannt, er kann dir daher das Gesagte bestätigen und mir zugleich bezeugen, dass du, wie alle Farbigen auf Seven-Oaks, meines Sohnes Eigentum bist.“

Lionel nickte. „Machen wir es kurz, Sir,“ sagte er, alle seine Kräfte zusammenraffend, todesblass, aber ruhig. „Sie wollen mich verkaufen?“

Philipp fuhr plötzlich auf. „Nein!“ rief er, „nein, das soll nie geschehen! Vater, Vater, du kannst unmöglich in meinem Namen ein empörendes Verbrechen begehen wollen!“

Mr. Trevor lächelte kalt. „Ich bin dein Vormund,“ versetzte er, „und als solcher dem unmündigen Knaben keine Rechenschaft schuldig. Der ganze Bestand an Farbigen wird morgen in der Stadt zur Auktion gebracht, — also natürlich auch der Sklave Lionel. Ich ziehe es vor, in Richmond weisse Dienerschaft zu halten.“

Philipp trat an der Krücke seinem Vater näher. „Du wirst diesen Entschluss nicht ausführen!“ rief er mit funkelnden Blicken.

„Ich werde einen Schlingel, der sich gestattet, mich hofmeistern zu wollen, mit Ohrfeigen bestrafen, — merke dir das, mein Bürschchen!“ Dann deutete er zur Tür. „Ralph und Lionel,“ sagte er, „ihr könnt jetzt gehen. Du, Ralph, sagst den Leuten, dass sie sich sämtlich in Bereitschaft halten, morgens neun Uhr den Weg zur Stadt anzutreten. Seine persönlichen Kleidungsstücke darf jeder mitnehmen, weiter natürlich nichts.“

„Ja, Sir!“

Ralph zog den halb bewusstlosen Lionel mit sich fort und aus dem Hause. Während Mr. Trevor und sein Sohn Auge in Auge einander gegenüberstanden, während sie unbelauscht harte und erschütternde Worte wechselten, suchte der Neger den Knaben nach Möglichkeit zu trösten. „Es ist ja anzunehmen, dass Sie ein erträgliches Leben bekommen, Sir! — lassen Sie nur nicht gleich den Kopf hängen. Vielleicht kauft Sie ein Advokat oder gar ein Richter, um den teuren weissen Schreiber zu ersparen. Ein Sklave, der die Hochschule besucht hat, wird wahrhaftig nicht alle Tage gefunden, Ihr Los ist daher weit günstiger als das Ihrer Genossen.“

Die Worte wirkten auf das verwundete Innere des Knaben wie eine heilkräftige Medizin. Alle diese Armen, die verheirateten Leute, welche nun von den Ihrigen getrennt werden sollten, die Väter und Mütter, deren Kinder man verkaufen wollte, — waren sie nicht viel, viel unglücklicher als er selbst, dessen Jugend wenigstens jedes körperliche Ungemach leichter ertrug, dessen höhere Bildung ihm eine bessere, angenehmere Beschäftigung verhiess?

„Komm, Ralph,“ sagte er rasch, „wir wollen die Armen trösten!“

Auf dem Hofe sahen ihnen schon unruhige, angstvolle Gesichter entgegen. Die böse Botschaft hat Flügel, sie war auch hier ihrem Träger vorausgeeilt.

„Sprich, Ralph, sprich nur!“ erklang es um ihn her. „Was ist beschlossen? Wann werden wir verkauft?“

Und als er es ihnen mitgeteilt hatte, da brach der Jammer los. Die Frauen rangen die Hände, sie weinten laut, jede einzelne hatte einen besonderen Grund, weshalb sie glaubte, ganz unmöglich vertrieben werden zu können.

„Meine Kinder haben den Husten!“ rief eine. „Die kleinen Lieblinge würden sterben, wenn man sie aus ihren Betten nehmen wollte.“

„Und unsere Sachen?“ fragte ein Mann. „Mr. Trevor hat uns Tische und Stühle, Betten und Schränke geschenkt, in jeder Wohnung ist sogar eine Uhr. Sollen wir das alles verlieren?“

Ralph wandte sich ab. „Ich fürchte, ja, meine Freunde!“

„O, Massa Lionel, Massa Lionel, bitten Sie für uns!“

Der Knabe und Ralph sahen einander an. Niemand von den Negern ahnte, was der Vertraute des toten Gebieters von jeher gewusst hatte, ja als es nun bekannt wurde, da schien die traurige Tatsache den Armen am Geiste das eigene unselige Schicksal nur noch zu erschweren. Sie kamen und küssten die Hände des Knaben, sie weinten bitterlich. „O, Massa Lionel, Massa Lionel, das ist zu schrecklich, zu betrübend!“

Eine Verwirrung, eine Trostlosigkeit ohnegleichen hatte sich der ganzen Schar bemächtigt, einige schnürten ihre Kleidervorräte in Bündel, so gewissermassen das Einzige umklammernd, was sie aus Erden ihr Eigentum nannten, während die Männer meistens in dumpfem Groll beisammenstanden und das Unglück widerstandslos über sich hereinbrechen liessen.

Ralph zog den Knaben mit sich in seine Hütte. „Kommen Sir, Sir,“ sagte er, „vielleicht ist dieser Abend der letzte, den wir miteinander verleben. Sie wollten von ihren Eltern hören, — ich habe sie beide gekannt. Meines Herrn Besitztum und das der Familie Forster stiessen aneinander — Sie wissen ja doch, dass der Sklave keinen Familiennamen führt, sondern nach dem seines Eigentümers genannt wird —, nun wohl, auf der einen Plantage lebte als eine Art von Gesellschafterin der Tochter des Hauses, ein Mittelding zwischen Dienstbotin und Vertrauten die hübsche Quarterone Jane, — Ihre Mutter, Sir! Mein Gebieter war damals ein junger Mann, der Miss Forster, die Tochter seines Grundnachbarn, zu heiraten wünschte und daher auf der Farm ihres Vaters viel verkehrte. So kam es, dass auch Malcolm, sein Oberaufseher, manches Mal hinüberritt und, wie sich die jungen Herrschaften ihre künftige Heimstätte einrichteten, auch seinerseits daran dachte, die zierliche Jane zum Weibe zu erhalten. Mr. Trevor hatte, leutselig wie er war, nichts dagegen einzuwenden, auch Miss Forster, die Eigentümerin des Mädchens nicht, aber der alte Gentleman, Mr. Forster, machte beinahe einen Strich durch die Rechnung, er wollte unter jeder Bedingung den jungen Malcolm kaufen, während mein Gebieter ebenso dringend wünschte, ihn zu behalten. Der Sklave hatte die Aufmerksamkeit des alten Herrn Forster in hohem Grade erregt, weil er ein besonders tüchtiger Landwirt war, dem die Bestellung der Felder, die Pflege der Herden und so weiter, ganz allein übertragen werden könnte; Mr. Forster als gänzlich gelähmter Mann musste alles fremden Leuten in die Hände legen, und so klammerte er sich mit dem Eigensinn des Alters an den Gedanken, gerade diesen Sklaven als Eigentum zu erlangen. Malcolm sollte sein Verwalter werden. Alle Beteiligten suchten meinen Gebieter zum Nachgeben zu bewegen. Er wollte keinen Menschen verkaufen, darin ist er seinen Grundsätzen bis in den Tod treu geblieben, aber er liess sich auf Malcolms eigene Bitte bestimmen, diesen dem alten Mr. Forster zu schenken, und so wurde denn die Doppelhochzeit mit Glanz und Jubel gefeiert. Es vergingen Jahre, in denen der Herrschaft sowohl wie den Sklaven das Glück mit immer gleicher Treue zu lächeln schien, — dann brach das Verhängnis herein. Unter den Negern unseres Haushaltes erschien der Typhus; die junge Frau Trevor ging in Begleitung ihres Mannes von Hütte zu Hütte, um die Kranken zu pflegen, dabei wurde sie angesteckt, übertrug den gefährlichen Stoff auch auf ihre beiden Kinder und starb, während diese mit dem Tode rangen. Mein armer Gebieter musste alles, was er liebgehabt hatte, auf einmal verlieren, während auch das Lebensglück Ihrer bis dahin so zufriedenen Eltern in schrecklicher Weise zerstört wurde.“

Lionel horchte auf. „Mein Vater starb?“ forschte er.

„Nein, Sir, es war etwas anderes. Der alte Mr. Forster hatte schon längst das Zeitliche gesegnet, und an seiner Stelle verwaltete die Farm sein einziger Sohn, ein Lebemann, der bis dahin nichts verstanden hatte, als die Einkünfte des Gutes in den grossen Städten zu verschleudern. Er kannte von der Landwirtschaft nichts, und so kam es denn, dass zwischen ihm und Malcolm jeden Augenblick neue Streitigkeiten ausbrachen, bis sich der junge Mr. Forster eines Tages so weit vergass, seinen Sklaven einen Betrüger zu nennen. ‚Hund!’ schrie er ihn an, ‚du stiehlst mir die Hälfte des Ertrages, du bist ein Spitzbube, den ich auspeitschen lassen werde!’“

Lionel ballte die Faust. „Und das liess sich mein Vater bieten?“ rief er.

„Leider nein, Sir! Er schlug seinem Beleidiger die Reitpeitsche um die Ohren, er, der Sklave, dem Gebieter!“

Lionels Augen funkelten vor Freude. „Bravo!“ lief er. „Bravo, mein armer Vater, ich hätte es gemacht wie du!“

Ralph wiegte den Kopf. „O Sir, Sir, die Heftigkeit tut nimmer gut! Mr. Forster sann auf Rache, er liess seinen Sklaven weder peitschen, noch in das Gefängnis werfen, aber er verkaufte den, dessen ganze Seele an Frau und Kind gefesselt war, heimlich nach Brasilien. Erst als sich an dem Geschehenen nichts mehr ändern liess, erfuhr Mr. Trevor, wo der unglückliche Malcolm geblieben war, er machte seinem Schwager eine heftige Szene und setzte sogleich alle Hebel in Bewegung, um den Verbannten zurückzurufen, aber vergebens. Malcolm war kurz nach der Ankunft in jenem heissen Lande gestorben, und so liess sich natürlich für ihn nichts mehr tun. Wie ich schon neulich sagte, — die arme Missis Jane folgte ihrem Manne bald in das Grab, und so standen Sie selbst nun als sechsjähriges Bürschchen ganz allein in der Welt oder hätten doch auf Erden keinen Freund gehabt, wenn nicht Mr. Trevor in seiner Herzensgüte für Sie eingetreten wäre. Damals war ihm die Stätte, an der er Frau und Kinder so jäh verloren hatte, einigermassen unheimlich geworden, die Bilder der glücklichen Vergangenheit standen immer vor seiner Seele und liessen die Gegenwart nur um so trostloser erscheinen, er verkaufte daher das Gut und ging ganz aus Kentucky fort, um hierher nach Seven-Oaks überzusiedeln. Nur Sie und ich haben ihn begleitet, nur ich wusste, dass der kleine Bursche mit dem blonden Haar und der weissen Haut doch in seinen Adern einen Tropfen afrikanischen Blutes trug. Mr. Trevor liebte Sie, die Waise, wie ein eigenes Kind, je länger, desto inniger, er wollte Ihnen sein ganzes Eigentum hinterlassen, Sir! Seven-Oaks gehört Ihnen, und wenn auch jetzt die Bosheit siegt, wenn Sie bestohlen und in das Elend gestossen werden, so ist das doch nicht für immer. Der Tag kommt, an dem das Recht triumphiert, davon bin ich fest überzeugt!“

Lionel drückte ihm die Hand. „Meine armen Eltern!“ sagte er. „Wie mag mein Vater gelitten haben! Fortgeschleppt bei Nacht, gebunden wie ein Opfertier! — O Ralph, Ralph, muss nicht der Rächer auferstehen, um dem schwarzen Volke zu helfen?“

„Amen, Sir! Amen!“ — —

Lionel Forster, der Quarteron. Eine Geschichte aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg

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