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WARUM 40 FRAGEN? EIN VORWORT

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EINE FRAGE wird mir bei der Vor- oder Nachbereitung von Reisen und nach Vorträgen immer wieder gestellt: „Welches Buch empfehlen Sie?“ Die Liste der bemerkenswerten Publikationen ist lang, aber kaum jemand findet in der Geschäftigkeit des Alltags Zeit für die Lektüre mehrerer Bücher. Die meisten suchen eine Publikation, die umfassend, fundiert und verständlich Orientierung bietet. Dieses Buch enthält Fragen, die mir Touristen und Pilger während meiner langjährigen Tätigkeit als Reiseleiter wiederholt gestellt haben. Das inhaltliche Spektrum ist dementsprechend breit und reicht vom Nahost-Konflikt bis hin zum jüdischen Witz. Mein Ziel ist es, Fakten zu vermitteln, Zusammenhänge aufzuzeigen und Klischees aufzubrechen.

Die Motive jener, die nach Israel reisen, sind sehr unterschiedlich: Manche kommen als fromme Pilger, denen vornehmlich an den christlichen heiligen Stätten gelegen ist. Andere sehen sich als „kulturell Interessierte“. Für sie ist die Religion oft zur religiösen Kultur geschrumpft, die Glaubensdecke ist womöglich dünn geworden und von vielen Fragezeichen begleitet. Nicht selten suchen sie im Land der Bibel den naiv-vertrauenden Glauben ihrer Kindheit oder eine Bestätigung dafür, warum sie sich von ihrer Kirche distanziert haben. Das eine ist nicht, das andere sehr leicht zu entdecken.

Immer wieder reisen Menschen auch aus politischen Gründen. Sie wollen ihre Solidarität mit einer der beiden Gruppen des Konflikts bekunden. Ihr bevorzugtes Interesse gilt Orten, an denen arabische Selbstmordattentäter viele Juden getötet haben, oder auch den Flüchtlingslagern der Palästinenser. Auch wenn ihr Interesse vordergründig profan und politisch ist, so wollen sie doch die prominentesten Adressen der Religionsgeschichte besuchen: die Grabeskirche, die Westmauer, die großen Moscheen, Betlehem …

Was auch immer der Grund für eine Reise ist – für alle stellt sich der Besuch des Landes als „geistiges Abenteuer“ dar. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, Bilder, die sie aus den Tagen ihrer frühen Kindheit von den biblischen Orten in sich tragen, mit der Realität in Einklang zu bringen. Plötzlich ist der Stall der Geburt Jesu kein Stall mehr, sondern eine Höhle. Und der Garten Getsemani, der Ort der Verhaftung Jesu am Ölberg, ist kein lauschiges Wäldchen, sondern nur eine Gruppe von 16 Bäumen. Und selbst die stammen nicht aus der Zeitenwende, sondern wurden von Kreuzfahrern gepflanzt. Man sieht: Die eigenen Vorstellungen erfüllen sich im Land der Bibel oft nicht.

Dazu kommt bei Pilgern die Frage, welchen Stellenwert die Bibel für sie hat. Sind die Psalmen doch mehr als bloß eine wunderbare Dichtung? Und ist das Hohelied der Liebe, in dem es heißt „ein Beutel Myrrhe ist mein Geliebter, der zwischen meinen Brüsten ruht“ (1,13) nicht doch anders zu lesen als nur eine Allegorie des Verhältnisses Jesu zu seiner Kirche? Darf dieses Lied, das König Salomon als Verfasser zugeschrieben wird, erotische Literatur sein, voll Lebensfreude und Zärtlichkeit? Man kann das Land der Bibel bereisen und nur bestätigt sehen, was man auch zu Hause schon gewusst hat. Man kann sein Wissen aber auch erweitern. Das ist einem lebendigen Glauben geschuldet.

Dieses Land ist uns allen irgendwie Heimat und doch hat es viele Seiten an sich, die uns fremd sind und uns verunsichern – etwa: Wie gehe ich mit dem zeitgenössischen Judentum um, das seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und von allen nachfolgenden Päpsten als göttliche Offenbarungsreligion gehandelt wird? Wie bringe ich diese biblische Sicht in Einklang mit meinem Solidaritätsgefühl, das ich den unter dem Konflikt stark leidenden Palästinensern entgegenbringe? Manche Reiseleiter machen es sich einfach und unterscheiden zwischen den „guten Juden“ in biblischer Zeit und den „bösen Israelis“ der Gegenwart. Das ist schlichtweg falsch.

Schon an diesen wenigen Fragen erkennt man: Israel ist ein ewiges Verwirrspiel des Intellekts und auch der Gefühle. Vor allem dann, wenn man erkennen muss, dass die maschinelle Menschenvernichtung der Shoa nicht nur ein Aspekt der jüdischen Geschichte, sondern auch einer der österreichischen und der deutschen ist. Nach dem Besuch der Holocaust-Memorialstätte Yad Vashem habe ich des Öfteren Gespräche geführt, die sehr persönlich waren: „Was hat mein Vater, der an der Ostfront eingesetzt war, gewusst? War er aktiv an Judenerschießungen beteiligt? Gesprochen hat er über seine Zeit im Krieg jedenfalls nie, sondern die verlorenen Jahre immer nur mit dem Satz zusammengefasst: ,Es war eine schwere Zeit.‘“ Solch ein Resümee lässt viele Deutungen zu.

Ich wiederhole mich, wenn ich sage: Israel ist ein geistiges Abenteuer, ein, wenn man ihn nur zulässt, bereichernder Prozess, der mit einer einzigen Reise freilich nicht beendet ist. Darum sollten Sie verstehen: Auch eine noch so fundiert geführte Tour kann nie der Endpunkt, sondern immer nur der Ausgangspunkt für weitere Fragen sein – egal ob im Bereich des Glaubens oder in der Politik.

Ich war als Student in Jerusalem sehr orientierungslos. Ich hatte arabische Freunde und jüdische. Beide Seiten waren sehr nett, sehr hilfsbereit, sehr kumpelhaft. Zu beiden fühlte ich mich hingezogen, während diese mehr oder weniger strikt gegeneinanderstanden. Lange Zeit hatte ich ein schlechtes Gewissen der jeweils anderen Gruppe gegenüber. In diesem Schlamassel meiner Gefühle suchte ich Rat. Und zwar bei dem Benediktiner Laurentius Klein, mittlerweile verstorbener Abt der deutschen Benediktinerabtei Dormitio Mariae am Berg Zion. Seine Antwort lautete: „Weißt du, je länger ich im Land bin, desto weniger durchblicke ich die politischen Zusammenhänge. Wenn du aber unbedingt eine Antwort hören willst, dann sage ich dir: Mit dem Herzen bin ich oft auf der Seite der Araber, mit dem Kopf aber auf der der Israelis.“1 Diese Antwort ist wahrscheinlich die beste, die ich jemals zum Konflikt gehört habe. Wohl aber auch die schwierigste, weil sie sich unserem Streben nach eindeutigen Kategorisierungen entzieht. Dabei wünschen wir so sehr, Gutes und Böses, Recht und Unrecht klar erkennen zu können. Stattdessen zwingt uns Israel in einer offenen Gedankenwelt zu leben, in der es eben nicht immer nur eine einzige richtige Antwort gibt. Es ist ein Land, in dem man mit Antworten auf Fragen überrascht wird, die man gar nicht gestellt hat.

Israel zwingt seine aufmerksamen Besucher auch in neue Kategorien der Geschichtsbetrachtung. Eines der ältesten Völker der Erde, das wunderbare Leistungen für die Welt erbracht hat – die Idee des Eingottglaubens und der Nächstenliebe und vieles andere mehr –, steht vor der Frage: „Wird es diesen Staat, den einzigen sicheren Hafen für Juden auf der Welt, für unsere Kinder oder Enkelkinder noch geben?“ Eine Frage, die sich in Europa niemand von seinem Land zu stellen braucht. Solch eine permanente Bedrohung lässt Menschen nachdenklicher, aber auch lebensfroher werden. Das ist wohl auch der Grund, warum so viele junge Menschen aus Europa für ein paar Tage nach Tel Aviv fliegen, um dort die Intensität des Lebens in besonderer Weise zu spüren.

Israel wirft Fragen über Fragen auf. Warum aber sind es in diesem Buch ausgerechnet 40? Die Zahl 40 spielt in der Bibel eine große Rolle. 40 Tage dauerte die Sintflut, 40 Tage war Mose auf dem Berg Sinai, um die Gesetzestafeln in Empfang zu nehmen, 40 Jahre dauerte die Wüstenwanderung des Volkes Israel von Ägypten ins gelobte Land, 40 Tage und 40 Nächte ging der Prophet Elias in schwerer Niedergeschlagenheit zum Berg Horeb, 40 Tage fastete Jesus, um sich auf seine Sendung vorzubereiten. Die Zahl 40 steht immer für einen Zeitraum, der eine Wende, eine Umkehr und einen Neubeginn ermöglicht. Ich wünsche mir, dass die Leserin, der Leser nach der Lektüre der 40 Antworten Israel mit neuen Augen sieht. Niemand erwartet eine unkritische Jubelstimmung, aber sehr wohl fundierte Urteile, die keine oberflächlichen Vorurteile mehr sind. Das ist es, was Israel verdient. Nicht mehr und nicht weniger.


Israel

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