Читать книгу Unter Verdacht - Der vierte Fall für Mark & Felix - Sören Prescher - Страница 10

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Nach dem Besuch bei Julianes Noch-Ehemann hatte Mark genug. Genug von den Ermittlungen und vom heutigen Tag. Müde lenkte er den Passat durch das abendliche Nürnberg, während im Autoradio das Lied Dreams of Flying von Tom Pettys Zweitband Mudcrutch erklang. Obwohl es ein kraftvoller Southern-Rock-Song war, schwang seit Pettys Tod vor ein paar Jahren stets ein melancholischer Unterton in seiner Musik mit. Ein tolles Lied blieb es trotzdem.

Als er daheim zur Wohnung hinaufstieg, spürte er die Erschöpfung bis in die Fußsohlen. Seine Muskeln und sein Rücken schmerzten, die Augen brannten. Hunger hatte er ebenfalls. Wichtiger als das war die Zeit mit Frau und Kind. So leise, wie es allerdings beim Aufsperren der Wohnungstür war, befürchtete er, die beiden könnten bereits zu Bett gegangen sein. Müde genug fühlte er sich dafür jedenfalls.

Er hatte Glück. In doppelter Hinsicht. Beide waren wach und alberten miteinander herum. Caro saß mit angewinkelten Beinen auf dem Sofa und nutzte das Tischchen davor zum Abstützen der Füße. Nathalie lehnte mit dem Rücken gegen Mamas Oberschenkeln und fuchtelte mit den Armen vergnügt durch die Luft.

Ein Bild für die Götter.

Mark gab seinen Ladys einen Begrüßungskuss, bevor er kurz in die Küche verschwand, um Felix und sich etwas zu essen zuzubereiten. Wenig später saß er kauend neben seiner Frau. Es dauerte nicht lang, dann nahm der Hovawart das letzte bisschen Platz auf der Couch in Anspruch.

„Wie war’s?“, fragte Caro, ohne mit dem Herumalbern aufzuhören.

Mark schluckte runter und gab ihr einen kurzen Abriss der vielen Orte, die er heute besucht hatte. Auf Einzelheiten verzichtete er weitgehend, und seine Frau hakte auch nicht weiter nach. Beide wussten, dass er über bestimmte Aspekte seines Berufs nicht sprechen durfte. Meist handelte es sich dabei um unschöne Details, die man als Außensteher eh nicht so genau wissen wollte. Wichtiger als derlei Fakten war Caro ohnehin die Frage, wie es Dominik ging.

„Bisher hält er sich recht gut“, sagte Mark. „Liegt vielleicht daran, dass er noch nicht ganz verinnerlicht hat, wie ernst die Lage ist. Er geht immer noch von einem Missverständnis aus, dass sich auf kurz oder lang aufklären wird.“

„Aber es ist ein Missverständnis!“

„Das versuche ich gerade herauszufinden. Doch das ist gar nicht der Punkt. Nur weil jemand unschuldig ist, bedeutet es nicht, dass er auch freigesprochen wird. Letzten Endes geht es dem Staatsanwalt um Fakten, Motiv und Gelegenheit. Und da sieht es gar nicht mal so gut für Dominik aus.“

„Gar nicht mal so gut ist vermutlich eine ziemliche Beschönigung.“

„Leider ja.“ Mark rieb sich müde über das Gesicht. „Ich werde zwar alles genauestens untersuchen, versprechen kann ich aber trotzdem nichts. Es wird auch nicht jeder normale Mordfall aufgeklärt. Bei den kniffligen ist es noch mal um einiges schwieriger.“

„Denkst du, das weiß ich nicht?“

„Natürlich weißt du das.“

„Dominik weiß das genauso. Jedem ist bewusst, dass du dein Bestes geben wirst. Wie immer.“

„Und wenn das nicht ausreicht?“

„Dann ist das eben so. Keiner wird dir deswegen einen Vorwurf machen.“

Obwohl Mark nicht voll und ganz zustimmen konnte, nickte er. Es machte sowieso wenig Sinn, weiter über diesen hypothetischen Fall zu philosophieren. Er stand noch ganz am Anfang der Ermittlungen, und niemand wusste, was er im Laufe seiner Nachforschungen alles ans Tageslicht fördern würde.

Bevor Caro die angewinkelten Beine einschliefen, nahm er ihr Nathalie ab und machte sich einen Spaß daraus, sie zu kitzeln. Die Kleine jauchzte vor Freude. Die erschöpfte Mutter beobachtete sie einen Moment lang und nutzte die Gelegenheit dann für einen ungestörten Besuch im Badezimmer. Wie Mark wusste, war auch das mit einem Baby alles andere als alltäglich. Vor allem nicht, wenn man – oder in dem Fall vielmehr: frau – mit dem Nachwuchs allein zu Hause war.

Mark spielte mit seiner Tochter, bis diese sich mit ihren winzigen Händen die Augen rieb. Ein deutliches Zeichen. Sie beschlossen, das müde Mädchen in sein Bettchen zu legen. Erfahrungsgemäß dauerte es geraume Zeit, bis sie tatsächlich einschlief. Caro übernahm die Aufgabe, noch ein paar Minuten an Nathalies Seite zu sitzen, weil sie, wenn die Kleine eingenickt war, ebenfalls zu Bett gehen wollte.

Gern wäre Mark ihrem Beispiel gefolgt. Er fühlte sich ausgelaugt wie nach einem stundenlangen Ausdauerlauf. Sein innerer Schweinehund beteuerte ihm mehrmals ziemlich glaubhaft, dass Mark für heute genug getan hätte. Das mochte stimmen. Dennoch gab es noch einiges zu tun.

Er holte sich den Rucksack mit dem Kleinkram aus Dominiks Wohnung und breitete die Sachen vor sich auf dem Wohnzimmertisch aus. Zuerst nahm er sich die Firmenbroschüre von Wurdinger & Reichardt vor. Sein Interesse an Plusenergiehäusern hielt sich allerdings stark in Grenzen. Mit dem Thema konnte er sich genauso morgen früh gut beschäftigen.

Interessanter war der dicke Stapel ausgedruckter Seiten, der sich um verschiedene pseudo-wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien drehte. Es ging um die Unterschiede zwischen Naturzucker und raffiniertem Zucker und wie absichtlich schädlich die industrielle Variante war. Es ging um Aluminiumverpackungen und ihre Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Es ging um den Einfluss von Konzernen auf die Gesellschaft, insbesondere den der Nahrungsmittel- und Energiebetriebe. Angeblich manipulierten und steuerten sie sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens. Anfangs las Mark die Artikel noch aufmerksam. Seine Müdigkeit führte jedoch zu Ungeduld, und am Ende überflog er die Passagen nur noch oberflächlich. Dafür, zu bestimmen, welche von diesen haarsträubenden Behauptungen der Wahrheit entsprachen und was eine fatale Fehldeutung der Fakten war, fehlten ihm so spät am Abend schlichtweg die Nerven.

Also sortierte er die Blätter danach, was für den Fall relevant und was vermutlich irrelevant sein würde. Vom Größenunterschied her kamen dabei zwei ziemlich unterschiedliche Stapel heraus. Und selbst bei dem erheblich kleineren Stapel war Mark bei vielen Seiten unschlüssig, ob sie nicht besser in die andere Kategorie gehörten.

Als er damit fertig war, nahm er sich die USB-Sticks vor. Er begann mit jenen, die in der Schachtel Nummer eins lagen. Drei Sticks später beschlich ihn die Idee, dass sämtliche Numero-Uno-Datenträger dieselben Dateien enthielten. Nach fünf Sticks wusste er es mit Sicherheit. Es waren allesamt Back-ups all der wissenschaftlichen Recherchen, inklusive Videodokumentationen und Audio-Mitschnitten von entsprechenden Vorträgen.

Bei den Sticks mit der Nummer zwei sah es ähnlich aus. Hier befassten sich die Datenträger mit Geheimorganisationen im Allgemeinen und den Pantokratoren im Speziellen. Mit weit mehr als hundert Ordnern und insgesamt über 2.000 Dateien. Um die alle durchzuschauen, verspürte Mark an diesem Abend wenig Muße. Gelinde ausgedrückt.

Hinter Tor Nummer drei verbargen sich persönliche Daten. Das meiste waren mit Datum versehene Ordner mit unzähligen privaten Fotos. Manche der Aufnahmen reichten bis in Dominiks Kindheit zurück und waren eingescannte Versionen von teilweise recht eingedunkelten Fotos. Trotzdem brachte es Mark einige Male zum Schmunzeln, seinen Partner hier als Dreikäsehoch mit traditioneller bayrischer Lederhose oder im verwegenen Cowboy-Look zu sehen. In den Ordnern mit Textdokumenten ging es um behördliche Anschreiben, Bank- und Versicherungsunterlagen. Hier schaute Mark absichtlich nicht so genau hin. Ermittlungen hin oder her, es gab immer noch etwas, das Privatsphäre hieß.

Es war weit nach Mitternacht, als er schließlich den Computer ausschaltete. Zu Beginn seiner Recherchen hatte Felix ihm noch Gesellschaft geleistet. Irgendwann war es selbst dem Hund zu bunt geworden, und er hatte sich auf seine Decke im Kinder- Schrägstrich Gästezimmer verzogen. Mark konnte es ihm nicht verübeln. Im Gegenteil.

Gähnend löschte er im Wohnzimmer das Licht. Ihm graute es vor Nathalies nächstem Hunger-Jammern, das vermutlich bald folgen würde. Kraftlos fiel er auf seine Seite des Ehebetts und schlief nahezu auf der Stelle ein.

Unter Verdacht - Der vierte Fall für Mark & Felix

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