Читать книгу Unter Verdacht - Der vierte Fall für Mark & Felix - Sören Prescher - Страница 7
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ОглавлениеDie Justizvollzugsanstalt Nürnberg lag gut einen Kilometer westlich vom Stadtzentrum, nicht weit von den Pegnitzwiesen entfernt. Früher hatten die Insassen von ihren Fenstern aus einen Blick auf die Hauptverkehrsstraße und Teile des grünen Flussufers werfen können. Inzwischen versperrte ein wuchtiger, mehrstöckiger Neubau der Feuerwehrwache die Sicht. Vermutlich sehr zur Freude der Häftlinge.
Der JVA-Komplex selbst teilte sich in zwei abgetrennte Bereiche mit separaten Eingängen: zum einen das normale Zuchthaus, erreichbar über die Mannertstraße, zum anderen die Untersuchungshaft in der Bärenschanzstraße, direkt neben dem Nürnberger Justizpalast. Mark kannte zwar beide Areale, betrat jedoch vorwiegend das der U-Haft.
Wie üblich meldete er sich im Eingangsbereich an und wurde vom wachhabenden Beamten mit Namen und Ausweisnummer erfasst, bevor er Handy und Autoschlüssel abgeben musste. Hätte er seine Dienstwaffe bei sich getragen, wäre sie ebenfalls hier verwahrt worden. Nach unzähligen Besuchen im U-Haft-Bereich wusste Mark um das gesamte Prozedere und hatte allein aus dem Grund seine Pistole gleich im Präsidium gelassen.
Ein uniformierter Vollzugsbeamter mit breitem Schnauzer und lockigem Haupthaar führte ihn in den Besucherraum, der dank seiner zwei Fenster und des länglichen Tisches an die Miniaturform eines Klassenzimmers erinnerte. Es roch nach Reinigungsmittel und Schweiß.
Der Aufseher verabschiedete sich mit den Worten, dass es nicht lang dauern würde, bis der Häftling zu ihm gebracht wurde. Mark nickte dankend und nutzte die Wartezeit, um Notizbuch und Kugelschreiber vor sich auf dem schweren Holztisch bereitzulegen. Wenig später ging die Tür wieder auf, und Dominik betrat in Begleitung des Schnurrbartmannes den Raum.
Statt Handschellen und Gefängniskleidung trug er sein normales Straßenoutfit. Das war zwar etwas verknittert. Doch so sah der werte Kollege auch an anderen Tagen aus. Dennoch war ihm auf den ersten Blick anzusehen, dass nicht alles seinen üblichen Gang lief. Sein Gesicht war ungesund blass und zeigte dunkle Augenringe. Außerdem wirkte Dominik erschöpft, als wäre er in den vergangenen Stunden ohne Unterlass verhört worden. Und das nicht gerade auf die zimperliche Art und Weise. Beim Anblick seines Partners tanzte sich trotzdem sofort ein Lächeln in Dominiks Mundwinkel.
„Dich kann man auch keine sechseinhalb Wochen alleine lassen“, begrüßte Mark ihn, nachdem Dominik ihm gegenüber Platz genommen hatte. Es war beinahe so wie an ihrem Doppelschreibtisch im Büro. „Wobei, es waren nicht mal sechseinhalb Wochen. Du hast uns ja zwischendurch zweimal daheim besucht.“
Dominiks Lächeln wurde breiter und wanderte schief nach rechts. „Eigentlich hatte ich ja gehabt, dich heute mit der Familie in den Zoo einzuladen, aber dann haben mir die Jungs von der Internen dazwischengefunkt. Ein richtig unfairer Haufen ist das.“
„In der Regel sind sie das nicht grundlos. Also: Was zum Geier ist passiert?“
„Nichts ist passiert! Ich bin reingelegt worden.“
„Ich will gar nicht wissen, wie oft diese Sätze in dem Raum schon gefallen sind.“
„Bei mir ist es die Wahrheit. Ich habe die Frau nicht umgebracht. Das wäre auch vollkommen unlogisch. Sie war meine heiße Spur zu den Pantokratoren. Mein Ticket in den inneren Bereich.“
„Stattdessen darfst du dich jetzt hier im inneren Bereich rumtreiben. Dass du Juliane Gerboth kennst, wissen wir beide. Seit mindestens April letzten Jahres. Außerdem hast du das schon bei der Internen zugegeben.“
„Aber nur weil ich jemanden kenne, heißt das nicht, dass ich ihn umlege. Oder sie. Ich hab auch schon dem Oberbürgermeister die Hand geschüttelt. Und der erfreut sich meines Wissens bester Gesundheit.“
„Was hast du gestern Abend gemacht? Die Rechtsmedizin schätzt, dass die Frau zwischen halb zehn und halb elf getötet wurde.“ Mark griff nach seinem Stift und machte sich bereit, mitzuschreiben.
„Houston, hier haben wir vielleicht ein kleines Problem: Ich war gestern in der Gudrunstraße. Zwar nicht unmittelbar vor dem Haus der Toten, aber schon ziemlich in der Nähe und mit gutem Blick auf den Eingang. Aber ich habe niemanden gesehen, der zu der Zeit dort ein- und ausgegangen ist.“
„Du hast direkt davorgesessen und nichts mitgekriegt?“
„Wie gesagt, nicht direkt vor dem Haus.“
„Das ist jetzt nebensächlich. Bei deinem Glück gibt es bestimmt mehrere Zeugen, die dich dort gesehen haben.“
„Das … na ja … könnte sein. Ich hab mich zwar auch bei meinen Rundgängen möglichst unauffällig verhalten, aber ganz unsichtbar kann ich mich natürlich nicht machen. Trotzdem: Ich war es nicht. Ich hab die Alte nicht mal angerührt.“
„Wie erklärst du dann, dass deine Fingerabdrücke in der Wohnung gefunden wurden?“
„Das ist ganz einfach: Weil ich dort vor Kurzem mal drin war.“
Mark blieb vor Schreck die Luft weg.
Sein Partner hingegen blieb gelassen. „Selbstverständlich nicht, als sie zu Hause war. Bin ja nicht blöd. Ich hab mich auch bloß kurz umgesehen, ob es irgendwelches belastendes Material gibt. Mist, ich wünschte echt, ich hätte dort ein paar Wanzen angebracht, so wie ich es überlegt hatte. Dann wüssten wir jetzt genau, was passiert ist.“
„Bist du irre? Wenn die Spurensicherung die gefunden hätte, würdest du noch tiefer in der Scheiße stecken.“
„Noch mehr geht doch gar nicht.“
Damit hatte er vielleicht recht. Mark atmete tief durch, um sich zu sammeln. „Wann genau warst du in der Wohnung?“
„Am Samstagabend. Da war Juliane Gerboth mit einer Freundin im Kino und hat sich den neuen Di-Caprio-Film angeschaut.“
„Ich will gar nicht wissen, woher du das weißt.“
„Ich bin ihr gefolgt, was denn sonst? Hat auch keiner mitgekriegt, genauso wenig wie dass ich in der Wohnung war. Ansonsten hätte man die Frau ja auch schon in dieser Nacht umlegen können. Wäre vom Timing her noch besser gewesen. Das mit gestern Abend hätte nämlich gewaltig schiefgehen können. Bin ja schließlich nicht jede Nacht dort. Und auch nie sehr lang. Nur wenn ich an was dran bin und hoffe, so auf eine heiße Spur zu stoßen.“
Mark seufzte und starrte auf die weißen, fleckenlosen Wände hinter Dominik. „Ich weiß, ich werde die Frage bereuen, aber woran genau bist du denn aktuell dran?“
Dominik hielt inne und schaute sich ernsthaft verstohlen im Raum um. Diese Reaktion kam ziemlich spät, nachdem sie sich schon eine Weile unterhielten. „Es geht um Einflussnahme. Bei städtischen Gewerbe- und Baumaßnahmen. Da werden einige Firmen und Personen bevorzugt. Ich glaube, das sind alles Pantokratoren, um die es da geht.“
„Vielleicht ist es einfach nur die gute alte Vetternwirtschaft. Es muss nicht alles mit deiner geheimen Handwerksgilde zu tun haben. Aber genug davon. Lass uns lieber noch mal auf die Überwachungen zurückkommen. Ist dir in den Tagen und Wochen davor jemand aufgefallen, mit dem sich Juliane Gerboth getroffen oder vielleicht sogar gestritten hat?“
„Sie geht zweimal am Tag mit einer Nachbarin joggen. Morgens und abends. Gelegentlich trifft sie sich mit Kollegen aus ihrer Firma auf einen Absacker. Ein-, zweimal waren auch welche bei ihr daheim. Wer weiß, was die da getrieben haben. Die sollten wir – Respektive du – als Erstes unter die Lupe nehmen. Apropos: War bestimmt nicht einfach, Olaf davon zu überzeugen, dass du den Fall kriegst, oder? Wie hast du überhaupt davon erfahren? Immerhin bist du noch in Elternzeit.“
„Ehrlich gesagt hat er mich angerufen und gefragt, ob ich das übernehmen will. Jan wurde ja wegen Befangenheit genauso abgezogen wie du.“
„Ach, Scheiß Vorschriften. Verdammte Internen. An der ganzen Sache siehst du deutlich, dass ich hier an was Großem dran bin. Ansonsten hätten sie sich nicht so viel Mühe gegeben, mich mundtot zu machen.“
„Wer sind denn ,sie‘? Die Internen Ermittler?“
„Nein, die doch nicht. Das sind bloß stupide Befehlsempfänger. Die blicken das alles doch gar nicht. In dem Fall konnten sie nicht anders, sondern mussten mich aus dem Verkehr ziehen. Daran merkst du, wie weit der Einfluss der Eliten reicht. Diese Bonzen – alles ein verschworener Haufen. Einer von denen hat das mit meinen Nachforschungen mitgekriegt und dann seine Beziehung spielen lassen. Genauso läuft es das immer ab. One hand washes the other.“
„Jaja, du klingst wie dieser alte Leonard-Cohen-Song: Jeder weiß, dass die Würfel gezinkt sind und die Bank immer gewinnt. Dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.“
„Ist ja auch so. The world is bad. Der gute Leonard hat das schon in den Achtzigern gewusst. Gott hab ihn selig. Aber wir kommen vom Thema ab. Nach den Kollegen solltest du dir unbedingt die Nachbarn genauer anschauen. Ist ja auch logisch: Wenn ich niemanden ins Haus habe gehen sehen, wäre es naheliegend, dass der Mörder mit im Gebäude wohnt.“
„Oder es gibt einen Hintereingang.“
„Den gibt es zwar, doch der führt bloß zu einem abgesperrten Hinterhof. Und wenn du da über die Mauer kletterst, gelangst du bloß zum Hinterhof vom Nachbargrundstück. Auch da wären wir wieder beim Punkt Hausbewohner. Eventuell hatte die Gerboth ja ’nen Lover in dem Block, mit dem sie sich verkracht hat. Gibt es ja immer wieder.“
„Das werde ich natürlich überprüfen“, sagte Mark, ohne von seinem Block aufzuschauen. Bisher hatte er zwei Seiten mit Notizen beschrieben. Und noch immer war er mit seiner Befragung nicht durch. „Von wann bis wann warst du gestern Abend bei deiner Überwachung?“
„Lass mich mal überlegen: In der Arbeit raus bin ich kurz nach sechs. Dann war ich noch kurz am Dönerstand, um mir was zwischen die Kiemen zu schieben. Danach bin ich zur Panto-Dame gefahren. Das muss so gegen sieben, viertel acht gewesen sein. Geblieben bin ich bis halb, dreiviertel elf. Also nach dem Todeszeitpunkt. Deswegen ist mir das Ganze ja so rätselhaft.“
„Du hast vorhin gesagt, dass du manchmal eine Runde gedreht hast. Was genau hast du damit gemeint?“
„Na ja, du kennst das doch mit den Überwachungen. Ab und zu muss man sich die Beine vertreten und frische Luft schnappen. Vor allem wenn es draußen so scheiße kalt wie jetzt ist. Außerdem wird man träge und müde, wenn man bloß rumsitzt.“
„Wie oft hast du deine Runde gedreht? Und wie weit hast du dich vom Haus entfernt?“
„So über den Daumen gepeilt drei- oder viermal. Eigentlich bin ich immer bloß bis zum Ende der Straße und zurück gelaufen.“
„Mhm … ich hab jetzt zwar die Straße nicht direkt vor Augen, aber das klingt so, als wären das mehr als bloß fünfzig Meter. Das heißt, theoretisch gesehen könnte in der Zeit jemand zum Hauseingang gegangen sein, ohne dass du es mitbekommen hast.“
„Theoretisch ist alles möglich. Aber es wäre schon ein sehr großer Zufall, wenn ausgerechnet in dem Moment jemand hinter mir hergelaufen wäre. Da würde ich eher darauf tippen, dass sich einer heimlich angeschlichen und hinter den Autos abgewartet hat, bis ich mal kurz außer Sicht war.“
„Auch so könnte es gewesen sein. Es ist also durchaus möglich, dass jemand ohne dein Wissen ein- und ausgegangen ist. Okay, notiert. Das lässt einiges an Spielraum zu. Wie erklärst du eigentlich, dass eine Medikamentenverpackung und Stofffasern, die mit dir in Verbindung gebracht werden können, neben der Leiche gefunden wurden?“
„Darüber grübele ich auch schon. Das mit den Fasern ist einfach. Die stammen vermutlich von meinem grauen Wintermantel. Der fusselt ordentlich. Ich möchte nicht ausschließen, dass ich am Samstag dort was davon verloren habe. Bei der Verpackung hingegen … kann eigentlich nicht sein, dass die mir da aus der Tasche gefallen ist. Ich hab mir gestern Abend nach dem Döner noch so ein Tablettchen eingeworfen. Meine Erkältung ist zwar fast weg, aber der Doc meinte, ich soll das Antibiotikum komplett aufbrauchen. Vielleicht ist das aber auch gar nicht meine Verpackung, nur eine ziemlich identische, auf die meine Fingerabdrücke aufgetragen wurden. Das geht ratzfatz. Im Internet gibt es Hunderte Anleitungen für so was.“
„Weißt du eigentlich schon, wann du dem Haftrichter vorgeführt wirst?“
Er schüttelte den Kopf. „Nichts Genaues weiß man nicht. Wie ich die Brüder kenne, werden die die Frist ganz ausreizen und mich erst morgen vor den Kadi zerren. Dann haben sie mich auf jeden Fall einen Tag weg von der Straße. Wahrscheinlich sogar länger, wie die Beweislage gerade aussieht.“
„Ich werde schauen, was ich für dich tun kann. Hast du schon einen Anwalt eingeschaltet?“
„Jein. Die Polizei hat zwar einige externe Kanzleien an der Hand, die auf Probleme von Ermittlern spezialisiert sind, aber ich weiß nicht, ob ich denen trauen kann. Ich glaube, da verlasse ich mich lieber auf einen meiner Spezis. Der kennt sich mit den Finten und Tücken der Obrigkeit aus.“
„Die Obrigkeit ist hier erst mal egal, Dominik! Es geht um ein Strafverfahren. Man will dich wegen Mordes anklagen. Und selbst wenn man es auf Körperverletzung mit Todesfolge runterstuft, stehen dir immer noch eine ganze Menge Jahre im Kittchen ins Haus. Deinen Job wärst du bei einer Verurteilung auf jeden Fall los.“
„Denkst du, das wüsste ich nicht? Doch darum geht es hier gar nicht. Das hier ist ihr Spiel, verstehst du? Ich hab mich auf einen Tanz mit dem Teufel eingelassen. Da bin nicht ich es, der den Takt vorgibt. Ich kann bloß schauen, dass ich die Melodie verinnerliche und die nächsten Schritte im Voraus erahne. Ich kenne diese Leute und weiß, worum es denen in Wirklichkeit geht. Für die ist bei einer Lüge nicht erwischt zu werden das Gleiche, wie die Wahrheit zu sagen. Würde mich nicht wundern, wenn ich heute oder morgen Besuch in meiner Zelle kriege. Von einem Men in Black, der mir ein unmoralisches Angebot macht: Ich halte von nun an die Füße still, und im Gegenzug lässt man diese dumme Anklage fallen.“
Mark zählte innerlich bis zehn. Was sollte man auf einen solchen Vortrag erwidern? Am besten gar nichts. Stattdessen fragte er sich, ob sein Partner den Ernst der Lage nicht erkennen wollte oder ob er es nicht konnte. Dominik stand das Wasser bis zum Hals, und er fabulierte über geheime Machenschaften und obskure Verschwörungen.
Obwohl ein solches Verhalten typisch für Dominik war, hätte Mark ihn trotzdem am liebsten am Kragen gepackt und ordentlich durchgeschüttelt, damit ihm das Hirn wieder an die richtige Stelle rutschte.
Er tat nichts dergleichen, sondern blätterte stattdessen noch einmal seine Aufzeichnungen durch. Ihm fielen keine weiteren offenen Fragen sein. Im Laufe der Ermittlungen würde sich das ändern, aber für den Moment war er fertig.
Trotzdem widerstrebte es ihm, Dominik hier allein zurückzulassen. Es tat Mark in der Seele weh, seinen Freund und Partner in U-Haft und mit einer drohenden Anklage auf den Schultern zu wissen. Wie würde es ihm an diesem Ort ergehen? Wie würde er sich anderen Insassen gegenüber verhalten? Im Moment war er zwar gesondert untergebracht, aber niemand konnte garantieren, dass das auf Dauer so bleiben würde. Es gab so viele Unklarheiten, die Mark die Kehle immer mehr zuschnürten. Den Kloß herunterzuschlucken war schwierig, wenn nicht gar unmöglich.
„Kannst du mir einen Gefallen tun?“, fragte Dominik mit leiser Stimme.
„Klar, welchen denn?“
„Kannst du dich bitte in meiner Wohnung umschauen und gewisse Informationen von dort verschwinden lassen? Den Schlüssel für den Notfall hast du ja. Das ist genau so ein Notfall. Du sollst auch nichts vernichten, sondern die Sachen bloß beiseiteschaffen und dafür sorgen, dass kein anderer meine Unterlagen findet. Ich will nicht ausschließen, dass die Internen oder die Pantokratoren meine Bude filzen. Und wir wollen denen ja nicht noch zusätzliche Munition liefern, oder?“
Mark starrte Dominik fassungslos an. Das, worum ihn sein Partner hier bat, war eine Manipulation beweiskräftiger Daten, unter Umständen das Entfernen von Beweismitteln. So etwas war nicht nur illegal, die Internen Ermittler reagierten äußerst allergisch auf derartige Einmischung. Das war genau das, was Nicole vorhin mit ihrer Warnung, dass Mark aufpassen sollte, sich nicht die Finger zu verbrennen, gemeint hatte. Andererseits verstand er die Bredouille seines Kollegen. Manches von dem, was Dominik in seiner Freizeit sammelte, war wirklich heikles Material. Wenn das jemand fand, würde es ihm eine zusätzliche Schlinge um den Hals legen. Eine weitere Anklage wegen Nachstellung wäre das Geringste seiner Probleme. „Ich werde mal schauen, was ich tun kann“, sagte Mark daher leise und unverbindlich.
„Danke, Mann. Für alles.“
Einen Moment lang sahen sie einander schweigend an. Sie beide wussten, dass sie viel für den jeweils anderen tun würden. Wie weit diese Loyalität reichte, würde sich bald zeigen.
Keiner von ihnen wollte, dass der jeweils andere ging. Um den Augenblick des Abschieds hinauszuzögern, schwatzten sie über Caro und das Baby, über Dominiks Unterbringung und am Ende sogar über Erlebnisse im Präsidium. Alles war besser als Stille oder zum normalen Leben zurückzukehren. Viel zu schnell tauchte jedoch der Vollzugsbeamte wieder auf und sagte, dass es für Dominik an der Zeit wäre, in seine Zelle zurückzukehren. Niedergeschlagen schaute Mark seinem Partner hinterher und verließ dann mit hängenden Schultern das Gefängnis.
Die Last der Eindrücke und Gedanken wog schwer auf Mark. Er brauchte einige Zeit, um zu verarbeiten, was er in den vergangenen Minuten und Stunden erfahren hatte. All die früheren Besuche in der U-Haft kamen ihm seltsam und irrelevant vor, wenn er daran dachte, dass es jetzt sein Freund und Kollege war, der hinter Gittern saß und auf seinen Termin beim Haftrichter wartete. So etwas musste man erst einmal verdauen.
Passend dazu lief während der Rückfahrt im Autoradio das Americana-Lied What have I done to help von der Band Jason Isbell and the 400 Unit. Allein der Titel besaß Symbolcharakter. Noch dazu war die Melodie so eingängig, dass sie ihn bis ins Präsidium hinein begleitete.
Sein Weg führte ihn direkt in den ersten Stock. Er fragte sich, ob Nicole entgegen ihrer Prognose zum Arbeiten gekommen war oder ob Felix sie ordentlich auf Trab gehalten hatte. Was, wenn der Hund auf einmal ein dringendes Bedürfnis verspürt hatte? Oder wenn der Hunger übermächtig geworden war? Oder wenn der Hovawart tatsächlich die ganze Zeit über nicht von Nicoles Seite gewichen war und gekrault werden wollte?
Als er ihr Büro betrat, verstummten die Bedenken auf einen Schlag. Felix lag ausgestreckt auf dem Boden neben dem Schreibtisch, während Nicole an ihrem Platz saß und kräftig in die Tasten haute. Zwischen den Zähnen hielt sie einen gelben Bleistift, den sie bei Marks Anblick sofort entfernte. Auch der Hund war augenblicklich auf den Beinen und eilte mit einer Sehnsucht zu seinem Herrchen, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen.
Nicoles Begrüßung fiel da deutlich sparsamer aus: „Ah, da bist du ja wieder. Wie war’s?“
„Seltsam. Ist nicht leicht, jemand Bekanntes im Knast zu besuchen. Vor allem wenn es ein Polizist ist, noch dazu nicht irgendeiner.“
„Das glaube ich gern. Wie geht es Dominik?“
„Er hält sich ganz gut. Deutlich gefasster als manch anderer in der Situation.“
„Da kommt ihm wahrscheinlich die langjährige Berufserfahrung zugute. Jeder Bulle kennt das Prozedere und weiß, was es damit auf sich hat. Der einzige Unterschied ist diesmal, dass er auf der anderen Seite der Gitterstäbe sitzt.“
„Hoffen wir mal, dass er es halbwegs gut wegsteckt“, sagte Mark kurz angebunden. Er verspürte wenig Lust, noch länger über dieses bizarre Thema zu reden. „Wie lief es hier?“
„Alles molto bene. Keinerlei besondere Vorkommnisse. Felix ist ein echt lieber Kerl.“
Die Erwähnung seines Namens ließ den Hund aufhorchen. Ein Grund, von Herrchens Seite zu weichen, war es jedoch nicht. Dafür taten dessen Streicheleinheiten vermutlich viel zu gut.
Nach kurzem Small Talk dankte Mark seiner Kollegin für die Hilfe und machte sich auf den Weg zu seinem eigenen Schreibtisch. Da es dort weder im digitalen noch im analogen Posteingang etwas Neues gab, wurde es bloß eine kurze Stippvisite, bevor sie mit dem Passat in Richtung Südstadt aufbrachen.