Читать книгу Auf kurze Distanz - Sören Prescher - Страница 11

5

Оглавление

Von Gabis Wohnung aus hatte Mark gesehen, dass es hinter dem Wohnblock einen breiten Grünstreifen gab, ideal für kurze Gassigänge geeignet. Während sich Felix einen Spaß daraus machte, einfach mal nur Hund zu sein und zwischen den Bäumen und Büschen herumzuflitzen, rief Mark im Präsidium an. Was mit Gabis Laptop unter dem Arm gar nicht so leicht war. Nach dem zweiten Klingeln nahm Dominik den Hörer ab. „Wer stört?“

Eine ziemlich dreiste Art, ein Gespräch anzunehmen, noch dazu klang es so, als hätte er mit vollem Mund gesprochen. „Hier ist Mark, ich ...“

„Weiß ich doch“, unterbrach Dominik ihn. „Hab deine Nummer im Display erkannt. Ich bin auch gerade erst wieder da. Die Abstimmung mit den Kunstfuzzis hat sich ewig hingezogen. Jetzt hab ich Kohldampf wie ein Vegetarier in der Schnitzelstube.“

Diese Aussage ergab zwar überhaupt keinen Sinn, war aber trotzdem typisch für seinen Partner. Mark war klug genug, nicht darauf einzugehen. „Könntest du mir einen Gefallen tun?“

„Klaro. Es gibt fast nichts, was ich in meiner verspäteten Mittagspause lieber täte. Geht es um den neuen Fall?“

„Genau. Überprüfe mal bitte, ob es weitere Morde nach ähnlichem Muster gibt.“

„Kein Problem.“ Lautes Tastaturklackern war durchs Telefon zu hören. „Die Ermittlungen laufen offenbar schleppend an.“

„Kann man so sagen. Zwei laue Spuren habe ich, ansonsten ist bisher alles ziemlich unverdächtig.“

„Okay“, antwortete Dominik seltsam passiv, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders. Deshalb ersparte sich Mark auch weitere Ausführungen, sondern wartete ab, bis der Kollege die Ergebnisse der Abfrage lieferte: „Messerstechereien kommen in Nürnberg und Umgebung zwar gelegentlich vor, allerdings sind vorwiegend Männer betroffen. Die Vorgehensweise und Hintergründe sind auch völlig andere. Also eher Streit in der Kneipe und/oder unter Besoffenen. Nichts, was dir bei deinen Ermittlungen irgendwie weiterhelfen würde. Es könnte natürlich sein, dass die tote Frau bloß die Aufwärmübung eines Serienmörders ist und noch weitere Morde dieser Art folgen, aber darauf wetten würde ich nicht. Der Fall sieht eher nach einem schiefgelaufenen Raubüberfall aus. Was sind denn das für laue Spuren, die du erwähnt hast?“

Er hatte also doch zugehört. „Vielleicht ein neuer Lover, vielleicht was Berufliches. Mal sehen.“

„Hast du die Familie nach deren Alibis gefragt? Eventuell lief ja was in Richtung Ehrenmord oder so.“

„Ausgeschlossen. Die Eltern sind über siebzig, und der Bruder ist eher gechillt als alles andere.“ Kurz überlegte er, Dominik zu bitten, ihm noch einige Informationen über die Escort-Agentur herauszusuchen, entschied sich jedoch dagegen. Es gab Recherchen, die man eindeutig selbst übernahm. Man musste sich den Kollegen gegenüber ja auch nicht unnötig aufdrängen.

„Gechillt ist relativ, wie wir wissen“, fuhr Dominik fort. „Es ist auch noch gar nicht lange her, da gab es einen Fall, wo ein Mann seine Cousine umgebracht hat.“

„Jaja. Sag mir lieber, ob die Spurensicherung oder Rechtsmedizin schon ihren vorläufigen Bericht geschickt hat.“

„Auf deinem Schreibtisch liegt nichts. Und ich habe von den Kollegen heute auch noch keinen gesehen.“

Das hatte er befürchtet. Um Dominik nicht ganz ohne zusätzliche Arbeit zurückzulassen, gab er ihm die Namen von Gabis Familie, ihrem Ex und ihren Nachbarn und bat ihn, sie durch die polizeiinternen Datenbanken zu jagen. Außerdem bat er ihn um eine generelle Funkzellenortung im Gebiet um den Tatort herum. Eine ziemlich undankbare, aber ungemein wichtige Überprüfung, um zu sehen, was sich alles für Handys zur ungefähren Tatzeit in der Nähe aufhielten. Das Mühsame daran war nicht, an die vielen Mobilfunknummern zu kommen, sondern abzugleichen, welche davon einem Vorbestraften mit ähnlicher Deliktgeschichte und damit einem möglichen Verdächtigen gehörten.

Nach dem Telefonat prüfte er übers Smartphone vorsichtshalber noch einmal sein E-Mail-Postfach. Auch da waren keine Berichte eingegangen. Die Rückmeldungen der Streifenpolizisten, die die Anwohner rund um den Tatort befragen wollten, standen ebenfalls noch aus. Das war bedauerlich, aber nicht zu ändern.

Die Rollner Straße war eine kilometerlange Hauptstraße, die sich von den nördlichen Randgebieten bis fast zum Zentrum, dem Vestnertorgraben an der Kaiserburg, zog. Vom Namen her war Mark die Baier Autowerkstatt ein Begriff, obwohl er selbst noch nie dort gewesen war. Er wusste ungefähr, auf welcher Höhe sie sich befand, und wurde nicht enttäuscht. Die Werkstatt lag ziemlich weit im Norden, in einem Industriegebiet, nicht weit von dem Edeka-Markt entfernt, den Annette Silberstein erwähnt hatte.

Er parkte in einer freien Lücke direkt vor dem Eingang und betrat zusammen mit Felix das Gebäude. Drinnen erwarteten ihn Stechpalmen und Glasvitrinen, dazu der typische Werkstattgeruch von Schmieröl, abgestandenem Kaffee und Raumspray. Fast erwartete er, gleich auf einen rundlichen Mechaniker im schmutzigen Blaumann zu treffen. Stattdessen saß hinter den komplett weißen Büromöbeln eine winzige junge Frau mit Pferdeschwanz, die bestimmt noch keine zwanzig war. Vermutlich die Auszubildende.

Als Mark ihr seinen Dienstausweis zeigte und nach Roland Liebel fragte, schien sie noch weiter zu schrumpfen. Sowie sie den Vierbeiner an seiner Seite bemerkte, war es bei ihr vollends aus. Blass und fahrig zeigte sie auf die Tür zu ihrer Linken, offenbar einem Herzinfarkt nahe.

Meine Güte.

Im Raum hinter der Tür befand sich die eigentliche Werkstatt. Drei Leute waren hier an einem grüngelben Beetle und einem lila Hyundai auf den Hebebühnen zugange, aber nur auf einen Mann traf Annette Silbersteins Beschreibung zu. Von Lackierarbeiten sah Mark nichts, aber vermutlich war der Mann nicht bloß zum Malern, sondern auch zum Reparieren angestellt. Gabis Nachbarin zufolge war er mit den Händen ja recht geschickt.

„Sind Sie Roland Liebel?“, fragte er den hageren Mann mit den dunklen Haaren. Vom Alter her dürften sie sich in ziemlich ähnlichen Fahrwassern aufhalten, allerhöchstens war er Anfang vierzig.

„Bin ich. Und Sie?“ Nebenbei wischte er sich die schmutzigen Hände an einem mindestens ebenso schmutzigen Putzlappen ab.

Mark wies sich aus. „Kennen Sie eine Gabi Brettschneider?“

„Ja, was ist mit ihr?“

„Sie ist gestern Abend gestorben.“

„Ach, du Kacke. Was ist passiert?“

Er erzählte es ihm. Roland nickte mehrmals, als würde er ihm die Vorzüge einer neuen Waschmaschine erklären. Während andere weinten und zusammenbrachen, reagierte er auf die Todesnachricht, gelinde ausgedrückt, recht nüchtern. Doch zumindest unterbrach er den ohnehin zwecklosen Reinigungsversuch. Gerade als Liebel zu seiner Antwort anhob, setzte einer seiner Kollegen den Akkuschrauber an dem koreanischen Wagen an.

Liebel gab ihm einen Wink, ihm zu den Werkbänken zu folgen. Hier war es zwar ruhiger, dafür hing ein intensiver Geruch von Farbe und Verdünnungsmitteln in der Luft, der Felix sichtlich nervös machte. Skeptisch schnupperte er an dem breiten Regal mit den bestimmt dreißig Farbdosen darin und kratzte mit den Pfoten an den Dosen herum.

„Da unten stehen einige giftige Lösungsmittel. Ich würde den Hund nicht daran lecken lassen“, warnte Liebel Mark, ohne die Miene zu verziehen.

Es klang aber nach einem guten Ratschlag. Mark zog Felix an der Leine zurück und ermahnte sich selbst, dass dies kein Hundespielplatz war. Die Polizeivergangenheit des Vierbeiners kam eben doch immer wieder durch und ließ ihn alles beschnüffeln, was chemisch war. Schade eigentlich, dass der Hovawart nicht auf das Aufspüren von Drogen trainiert war. An manchen Orten wäre das auch bei Mordermittlungen ein großer Vorteil.

„Wann haben Sie Frau Brettschneider das letzte Mal gesehen?“, fragte Mark mit Papier und Stift in der Hand. Schreiben würde allerdings nicht einfach werden, weil Felix nach wie vor prüfend herumlief und an der Leine zog.

„Das ist Wochen her. Keine Ahnung, wann genau.“

„Seither gab es keinen Kontakt?“

„Ein paar Handy-Nachrichten haben wir ausgetauscht und einige Male telefoniert. Aber gesehen haben wir uns schon länger nicht mehr. Das ist der Sinn einer Trennung, meiner Meinung nach.“

„Wie lange waren Sie beide zusammen?“

„Ein bisschen mehr als drei Monate.“

„Weshalb haben Sie sich getrennt?“

Es war ein komisches Gefühl, jemanden zu treffen, der ebenfalls mit Gabi liiert gewesen war. Obwohl sie beide sich nicht kannten, besaßen sie technisch gesehen trotzdem buchstäblich eine gemeinsame Vergangenheit. Sie hatten dieselbe Haut berührt, dieselben weichen Lippen geküsst.

Liebel runzelte die Stirn. „Ist das nicht ein wenig indiskret?“

„Nicht unbedingt. Wir brauchen das für unsere Unterlagen, zum Abklären sämtlicher Fakten.“

Das schien ihn zu überzeugen. „Wir waren zu unterschiedlich. Das fing schon bei den Interessen an: Sie mag Sushi, ich Griechisch. Sie Rockmusik, ich eher House und R’n’B. Sie wollte im Urlaub möglichst weit weg, ich war mit der Ostsee zufrieden. Auf Dauer hätte das nicht funktioniert.“

Ansichtssache, fand Mark. Sicherlich konnte man nicht in jeder Hinsicht mit dem Partner übereinstimmen, aber diese Gründe klangen oberflächlich und vorgeschoben. Trotzdem konnte er es Liebel nicht verdenken. Mark wusste nicht, ob er es hätte akzeptieren können, wenn seine Freundin beruflich mit anderen Männern ausging. Dass es dabei um Gabi ging, machte es noch bizarrer. Als sie beide zusammen gewesen waren, war an so was nicht mal zu denken gewesen. Oder hatte er nur nichts davon mitbekommen?

„Haben Sie eine Ahnung, ob Frau Brettschneider aktuell mit jemandem liiert war?“, fragte er, um zum Thema zurückzukehren.

Liebel zog verächtlich die Oberlippe hoch. „Wieso sollte ich? Wie gesagt, wir sind getrennt.“

Was für ein Herzchen. Man wollte ihn am liebsten in die Arme schließen. Oder erwürgen. Mark schluckte eine spitze Bemerkung herunter.

„Wo waren Sie gestern Abend?“

„In der Werkstatt.“

„Kann das jemand bezeugen?“

Liebel schüttelte den Kopf. „Die anderen sind schon früher gegangen, aber ich habe da drüben noch den Beetle zu Ende lackiert. Das hat ’ne ganze Weile gedauert. Bestimmt bis zehn oder so. Danach hab ich mich daheim in die Badewanne gelegt, weil mir der Rücken wehtat und ich versuchen musste, die beschissenen Farbspritzer abzukriegen.“

Mark schaute zu dem Wagen auf der Hebebühne. Der grün-gelbe Lack des Käfers schimmerte in der Tat sehr neu. Einige Stellen um die Radkappen, Türgriffe und Spiegel herum waren mit Folie abgeklebt. Das sah nach einem Alibi aus. Um sicherzugehen, zückte Mark sein Handy und knipste Fotos von allen Seiten des Autos. So hatte er zumindest den aktuellen Stand der Lackierungsarbeiten festgehalten. Anschließend sprach er mit den beiden anderen Werkstattleuten. Beide bestätigten, dass, als sie gestern gegen 19 Uhr gegangen waren, ihr Kollege noch schwer beschäftigt gewesen war. Mark notierte sich die Namen und die Uhrzeit, bevor er sich wieder Roland Liebel zuwandte.

„Was wissen Sie über den Beruf von Frau Brettschneider?“

„Den Hostessenjob?“ Er sah ihn einen Moment lang durchdringend an. „Das ist nicht unbedingt was zum Jubeln. Ich meine, ich bin ja ein moderner Mensch und so, aber das war mir auf Dauer dann doch etwas zu heftig. Wenn ich mit einer Frau zusammen bin, will ich nicht, dass sie sich mit anderen trifft. Und von wegen nur essen gehen. Alles Quatsch, da sind noch ganz andere Sachen gelaufen. Sie hat es zwar immer abgestritten, aber ich bin doch nicht von gestern. Wenn die Kohle stimmt, ist alles drin. Allein der Gedanke …“ Er schüttelte den Kopf und ließ den Rest des Satzes ungesagt.

„Was können Sie mir über ihren Arbeitgeber sagen?“

„Meinen Arbeitgeber?“

„Nein, den von Gabi … Brettschneider.“

„Puls Konzept. Oder so. Haben ein Büro in Fürth, bei der Fürther Freiheit. Ist aber wirklich bloß das Büro und nicht mehr. Die Escorts werden Sie da nicht finden.“

„Das heißt, Sie waren dort?“

„Ja, einmal. Wollte mir den Laden anschauen. Lohnt sich aber nicht. Dort sitzt bloß die Buchhaltung oder so was. Und am Eingang hockt so ’ne fette Bulldogge, die die ganzen Perversen abwimmelt.“

Mark lag eine weitere Bemerkung auf der Zunge, die er jedoch lieber für sich behielt.

Er zog Felix an der Leine zu sich, als es den Hund wieder in Richtung der Chemikalien zog.

„Wie hatte sich denn Frau Brettschneider über ihre Arbeit geäußert? Gefiel sie ihr, oder gab es irgendwelche Probleme?“

„Sie hat zwar nichts davon erwähnt, aber alles sonnig war da sicherlich nicht. Wie auch? Wer weiß, auf was für Typen sie sich da einlassen musste. Da war bestimmt nicht jeder ein Richard Gere.“ Er sprach es aus wie Ridschorrrd Gierrr.

„Hatte sie irgendwelche Freundinnen oder Freunde unter den … äh … Kolleginnen?“

„Keine Ahnung, Mann. Ehrlich gesagt haben wir dieses ganze Thema eher gemieden. Sie wusste, dass mir das nicht so gefällt, und hat den ganzen Mist für sich behalten. Man hat es bloß an ihrer Miene gesehen, ob es ein guter oder schlechter Abend war.“

„Was meinen Sie mit schlechter Abend? Gab es irgendwelche Zwischenfälle? Wurde sie mal verletzt?“

„Nicht, dass ich wüsste oder was gesehen hätte. Wäre mir was aufgefallen, hätte ich dem Wichser schon gezeigt, was ’ne Harke ist.“

„Davon bin ich überzeugt.“ Mark reichte ihm eine der Visitenkarten und verabschiedete sich. Er war froh, als Felix und er die Werkstatt verlassen konnten. Selten zuvor hatte er einen derart unsympathischen Menschen getroffen. Liebel konnte selbst Holger Janssen, Dominiks Erzfeind aus dem vorherigen Fall, in den Schatten stellen. Die bloße Vorstellung, dass sich Gabi auf einen solchen Kotzbrocken eingelassen hatte, erschien ihm surreal. Sie hatte etwas Besseres verdient. Und das in jeder Hinsicht.

Auf kurze Distanz

Подняться наверх