Читать книгу Auf kurze Distanz - Sören Prescher - Страница 12

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Mit der Fürther Freiheit hatte ihm der Lackmeier bereits eine recht gute Beschreibung für seine nächste Station gegeben. Die genaue Adresse entlockte Mark dem Internet, wo Puls Conception als Agentur für niveauvoll prickelnde Abendgestaltung firmierte. Der Untertitel erinnerte ihn an die aufdringlichen TV-Werbungen einer Partnervermittlung. So ganz artfremd war das Ganze nicht.

Die Fürther Freiheit war ein breiter, gepflasterter Platz in der Fürther Innenstadt, die entweder als Markt- und Veranstaltungsplatz oder so wie heute als riesige Parkmöglichkeit genutzt wurde. Bäume suchte man hier zwar vergebens, aber Felix gab sich auch mit einer Straßenlaterne zufrieden, um dort sein Hinterbeinchen heben zu können. Weiter ging es, vorbei an einer Bankfiliale mit einem Fitnessstudio im Dachgeschoss, zu einem kleinen Seiteneingang desselben Gebäudes. Lediglich ein schmales, unauffälliges Schild wies darauf hin, dass sich im zweiten Stock der Sitz der Agentur befand.

Über das Treppenhaus betraten sie eine gläserne Bürotür, die sie direkt ins Vorzimmer der Firma führte. Ähnlich wie in der Werkstatt vorhin gab es auch hier jede Menge helle Möbel sowie eine Handvoll Grünpflanzen. Dazu ein tiefblauer Teppich, der Seriosität ausstrahlte. Hinter dem Schreibtisch erwartete sie eine rundliche Frau, die Mark von Aussehen und Alter her an Roseanne aus der gleichnamigen Fernsehserie erinnerte.

„Ja, bitte?“, fragte sie über ihre blassrosafarbene Lesebrille hinweg. Auch die Stimme war ähnlich charmant wie die ihres TV-Pendants. Ohne Zweifel war dies die Bulldogge, die Liebel erwähnt hatte.

Marks Dienstausweis beeindruckte die Frau nur unwesentlich. „Was sucht der Fifi hier?“

„Der ist mein seelischer und moralischer Beistand.“

„Sieht gar nicht so aus. Sind Sie beruflich oder privat gekommen?“

Was für eine Frage. „Was würde mich denn privat erwarten?“

„Nichts.“

„Dann ist es wohl doch ein Dienstbesuch. Kennen Sie eine Gabi Brettschneider?“

„Wer soll das sein?“

„Eine Ihrer Mitarbeiterinnen.“

„Sagt wer?“

„Die Lohnabrechnungen in Frau Brettschneiders Wohnung.“

„Dann wird es wohl stimmen.“

„Seit wann war sie bei Ihnen angestellt?“

„Das unterliegt dem Datenschutz.“

„Als was genau arbeitete Frau Brettschneider bei Ihnen?“

„Ich dachte, Sie haben ihre Verdienstnachweise. Da steht doch alles drauf.“ Diese Frau war sogar noch charmanter als der Lackierer vorhin. Im Gegensatz zu ihm schien sie das Thema kälter als kalt zu lassen. Weder die Polizeimarke noch die Fragen hatten sie in irgendeiner Weise beeindruckt. Eine solche Abgebrühtheit kannte Mark sonst nur von Berufsverbrechern, die regelmäßig mit den Behörden zu tun hatten.

„Worum geht es hier denn genau?“

„Frau Brettschneider ist gestern Abend getötet worden.“

Er ließ den Satz einige Sekunden wirken. Das hieß, er versuchte es. Noch immer zeigte sich keine Regung im Gesicht der Bulldogge. „Wie ist es passiert?“, fragte sie in einem Tonfall, als würde sie sich nach einem Elterngeldantragsformular erkundigen.

„Das unterliegt dem Datenschutz“, zitierte Mark. Es fühlte sich an wie ein kleiner Sieg. „Gibt es hier eine Person, die mir weitere Informationen zu Frau Brettschneider geben kann? Im Idealfall jemanden, der sie persönlich kannte?“

Ihr schien ein weiterer Diskretionskommentar auf der Zunge zu liegen. In der letzten Sekunde besann sie sich allerdings eines Besseren. „Leider nicht. Wir haben hier bloß die Verwaltung. Mit den Mitarbeiterinnen haben wir selten Kontakt. In der Regel läuft alles telefonisch oder per E-Mail.“

„Also bestätigen Sie hiermit, dass Gabi Brettschneider für die hiesige Niederlassung von Puls Conception gearbeitet hat?“

Kurzes Zögern, dann: „Das ist ebenfalls vertraulich.“

Natürlich.

„Wissen Sie von Problemen Ihrer Mitarbeiter mit Stalkern oder anderen Übergriffen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Hören Sie, in unserer Branche zählt Verschwiegenheit zu den wichtigsten Attributen überhaupt. Ohne eine richterliche Anordnung kann ich Ihnen streng genommen kaum mehr als die Uhrzeit mitteilen.“

„Nicht mal ein kleiner Hinweis?“

„Es ist kurz nach fünf. So was vielleicht? Ich habe bereits Feierabend. Daher wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend. Falls Sie Interesse an einer unserer Dienstleistungen haben, besuchen Sie doch unsere Website. Dort finden Sie sämtliche benötigten Informationen, geordnet nach Interessen und Namen aller verfügbaren Begleiter und Begleiterinnen.“ Sie schob einen schwarzen, postkartengroßen Flyer über den Tisch. Darauf abgebildet waren ein Mann und eine Frau. Er in einem dunklen Smoking, sie in einem hautengen Partykleid. Beide sahen so aus, als würden sie die eine Tageshälfte auf dem Laufsteg und die andere im Fitnessstudio verbringen. Darunter standen eine kostenpflichtige Service-Nummer sowie die Adresse einer Internetseite.

Mark bedankte sich und gab Felix das Zeichen zum Gehen.

Viele seiner Arbeitstage waren anstrengend, doch der heutige hatte ihn besonders geschlaucht. Vor allem die Gespräche mit Gabis Familie und der Besuch in ihrer Wohnung. Noch immer kam ihm die Situation dermaßen surreal vor, dass sich sein Verstand sträubte, sie zu akzeptieren. Umso mehr freute sich Mark auf zu Hause.

Caro empfing ihn mit einem Lächeln, das auch den hintersten Winkel seiner Seele erhellte und ihm sofort neue Kraft schenkte. Als sie vorschlug, zusammen mit Felix noch ein bisschen durch den Park zu schlendern, zögerte er nicht eine Sekunde. Das Wetter bot sich für einen Spaziergang förmlich an. Abgesehen davon befand sich der Stadtpark praktisch direkt vor der Haustür.

Während der Hovawart skeptisch alles am kreisrunden Neptunbrunnen beschnüffelte, erzählte Mark von seinem Tag. Natürlich nicht die vertraulichen Ermittlungsdetails, aber zumindest gab er Caro einen groben Überblick über seine Aktivitäten, und vertraute ihr an, wie er sich fühlte. Sie war seine Vertraute, sein sicherer Hafen und gleichzeitig das tropische Eiland, nach dem er sich jeden Tag aufs Neue sehnte.

Nachdem sie auch Caros Tagesablauf besprochen hatten, wandten sie sich dem für Mark zweitwichtigsten Menschen auf der Welt zu: dem Baby, von dessen Existenz er bis gestern nicht einmal etwas gewusst hatte. Obwohl es momentan vermutlich kaum größer als eine Erdnuss war, spürte er dennoch, dass es ihr Dasein in Zukunft gehörig auf den Kopf stellen würde. Und das in jeder Hinsicht.

„Denkst du, dass unsere Wohnung groß genug ist?“, fragte er, als sie in östlicher Richtung auf den zurzeit verwaisten Nachtclub PARKS zugingen. „Wir haben zwar ein Kinder- und Gästezimmer, aber darin wohnt ja jetzt auch Felix.“

Sie schmunzelte. „Worüber du dir alles den Kopf zerbrichst. So viel Platz dürften weder Hund noch Kind einnehmen. Am Anfang braucht das Neugeborene eh kaum mehr als eine Wickelkommode und sein Bettchen. Wenn es irgendwann eng wird, können wir uns ja was Größeres suchen. Aber das hat sicher noch anderthalb bis zwei Jahre Zeit. Wer weiß, was bis dahin alles ist. Jetzt stehen uns erst mal acht aufregende Monate bevor. Ich bin gespannt, wie das alles wird, gleichzeitig habe ich aber auch gehörigen Bammel.“

Er lachte auf. „Du hast Bammel? Frag mich mal! Vor zwei Wochen waren wir beide nur ein Pärchen. Jetzt sind wir zu dritt und demnächst zu viert. Das geht auf einmal alles schneller als das Brezelbacken.“

„Nicht dass du kalte Füße kriegst.“

„Ganz sicher nicht. Es sind nur recht viele Veränderungen auf einmal.“

„Was schlägst du vor? Dass wir Felix wieder abgeben?“

„Nein, das ganz sicher nicht. Der gehört jetzt dazu.“ Er warf einen stolzen Blick auf den Hovawart. Gleichzeitig war er selbst verblüfft über diesen Satz. Vor einer Woche wäre der ihm so vermutlich noch nicht über die Lippen gekommen. Es war auch nicht einfach so daher gesagt, sondern exakt das, was er fühlte. Erstaunlich, wie schnell und wie intensiv sich die Dinge innerhalb kurzer Zeit verändern konnten.

Caro hob beeindruckt die gezupften Brauen. „Um es mal frei nach Gisbert zu Knyphausen zu sagen: Die Welt steckt voller Wunder – und du auch.“

Der Nerd in ihm freute sich über das Liedzitat – und Caro wusste, dass er auf derlei Anspielungen stand –, trotzdem brannte ihm etwas anderes im Moment mehr auf der Zunge: „Keiner weiß das besser als ich. Glaubst du, ich hätte das jemals gedacht? Daran siehst du mal wieder, dass das Leben nicht planbar ist. Egal, was wir uns vornehmen, es kommt immer anders.“

„Deshalb einigen wir uns am besten darauf, dass wir in sehr kuriosen Zeiten leben. Mein Partner, der Hundefreund. Meine Güte, so weit sind wir mittlerweile schon.“

Sie mussten beide lachen, und Felix drehte sich irritiert um. Bei ihrem Anblick bellte er vergnügt. Oder zustimmend.

„Apropos Hund“, sprach Mark weiter. „Nachdem der Wuffi nun dauerhaft bei uns eingezogen ist, sollten wir ihn auch offiziell ummelden. Mit dem Vermieter hast du ja vergangene Woche schon gesprochen, aber wenn ich mich recht entsinne, brauchen wir auch vom Amt eine Bescheinigung.“

„Genau. Damit die Stadt auch ja baldmöglichst ihre Hundesteuer einziehen kann. Da kommt wohl der Ordnungshüter in dir wieder durch. Aber keine Sorge, ich habe mich deswegen schon mal erkundigt. Auf der Homepage der Stadtverwaltung kann man sich die Formulare herunterladen oder auf Wunsch sogar online ausfüllen. Das mache ich morgen. Da muss man nur einige Angaben zu Hunderasse und Besitzer machen, und schon läuft der Antrag. Selbst die SEPA-Lastschrift kann man online angeben.“

„In der Hinsicht sind die Beamten schnell, weißt du doch.“

„Nicht nur da.“

Sie zog ihn zu sich heran und gab ihm einen Kuss. Mark schloss genussvoll die Augen und vergaß die Welt um sich herum.

Auf kurze Distanz

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