Читать книгу Auf den Hund gekommen - Sören Prescher - Страница 7
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Оглавление„Wen nehmen wir uns zuerst vor? Die Dicke, das Brautpaar oder Schäubles Überwachungshund?“, fragte Dominik, nachdem sie einige Meter gegangen waren. Sein Notizbuch schwenkte er arbeitslustig hin und her, so als könnte er es kaum erwarten, eine neue Befragung zu starten.
Mark schaute nachdenklich zu der kleinen Menschentraube auf dem Parkplatz. Es war knapp ein Dutzend Leute. Zwei uniformierte Streifenpolizisten hatten gerade angefangen, sie zu befragen. Dabei mitmischen brauchten sie sicherlich nicht. „Ich würde sagen, wir gehen erst mal rein. Die meisten Leute scheinen eh drinnen zu sein.“
„Von mir aus gerne. Das mit dem Kläffer ist schon etwas verrückt. Wer kommt denn auf so was?“
„Ich finde die Idee gar nicht schlecht. Und das nicht bloß von unserer jetzigen Warte aus betrachtet. Auf manchen Feiern gibt es Einwegkameras. Das ist wahrscheinlich bloß die logische Weiterentwicklung.“
„Und was folgt danach? Implementieren von Kameras direkt unter die Haut?“
„Das würde unsere Arbeit gehörig erleichtern.“
„Jaja. Die Frage ist nur, zu welchem Preis. Ich möchte nicht Tag und Nacht überwacht werden.“
„Wer will das schon?“
„Da wüsste ich einige. Politiker. Polizisten. Selbst manche Arbeitgeber würden allein bei der Vorstellung einen Ständer kriegen.“
Schöne Wortwahl, fand Mark. Als sie den Flur betraten, schlug ihnen ein Schwall abgestandener Luft entgegen. Es roch nach den verschiedensten Gerichten. Die wahrscheinlich fertig gekocht oder gebacken in der Küche standen und vergeblich darauf warteten, serviert zu werden. Mark tat vor allem das Hochzeitspaar leid. Der schönste Tag ihres Lebens hatte sich in einen kompletten Albtraum verwandelt.
Der schmale Gang führte in eine Kurve, und sie folgten einem roten Teppich zum Festsaal. Eine Handvoll Männer und Frauen standen draußen und beobachteten neugierig jeden ihrer Schritte. Keine Sorge, ihr kommt auch noch dran, dachte Mark und lächelte ihnen freundlich zu.
Im Festsaal duftete es nach Kaffee, Kuchen und etwas Süßlichem, das ihn an Zuckerwatte erinnerte. Das fiel ihm als Erstes auf. Erst danach bemerkte er, wie hell es in dem großen Raum war, allerdings nicht wegen der zahlreichen Deckenleuchten, sondern wegen der vielen, mit hauchdünnen weißen Gardinen behangenen Fenstern. Einziges Manko daran: Die Fenster zeigten allesamt auf die entgegengesetzte Richtung des Abhangs und des Hinterhofs. Trotzdem musste das nicht durchweg schlecht sein. Vermutlich hatte man von hier aus einen hervorragenden Überblick, wer auf der nicht weit entfernten Straße vorbeifuhr. Das hieß, sofern man sich bei einer Hochzeitsfeier für so etwas interessierte.
Mark linste an den im vorderen Teil des Saals stehenden Gästen vorbei und scannte die aneinandergereihten Tische dahinter, die zusammen ein gewaltiges U ergaben. Er brauchte nur einen Moment, um die Trauzeugin zwischen den anwesenden Personen auszumachen. Sie war die einzige Frau mit lila Haaren. Noch dazu stand sie direkt neben dem Brautpaar.
Leons Freundin Katrin hatte nicht übertrieben. Die Frau besaß einen Hintern, bei dessen Anblick selbst Rapper Ice-T neidisch geworden wäre und seine Coco in den Wind geschossen hätte.
„My dear Mister-Singing-Club“, murmelte Dominik, dem offenbar das Gleiche ins Auge gestochen war.
Mark ersparte sich einen Kommentar und ging auf die Trauzeugin zu. Das hieß, er hatte die Absicht. Dann stach ihm jedoch etwas anderes ins Auge: In der Ecke zwischen zwei beiseitegeschobenen Tischen mit Hochzeitsgeschenken hatte jemand eine Stoffdecke ausgebreitet. Darauf lag ein Hund.
Der Hund.
Eine Kamera entdeckte Mark allerdings nicht mehr. Er hoffte, dass einer der Streifenpolizisten dafür verantwortlich war.
Apropos verantwortlich: Die dunkle Fellnase lümmelte ziemlich betrübt herum. Was in Anbetracht der Tatsache, dass sein Frauchen ermordet worden war, wenig verwunderlich war. Oder doch? Waren Hunde zu solchen Empfindungen überhaupt fähig? Mark war sich nicht sicher. Er war kein großer Hundefreund, wusste nur, dass die Tiere angeblich kein Fernsehen schauen konnten, weil sie bloß zweidimensional sahen. Ihm fiel auf, dass sich im Moment niemand für den Vierbeiner zuständig fühlte.
Sicherlich kein gutes Zeichen.
Mark dachte da in erster Linie an sich. Es war nicht so, dass er Angst vor dem angeblich besten Freund des Menschen hatte. Eigentlich respektierte er alle Arten von Haustieren (von Schlangen einmal abgesehen), blieb aber trotzdem auf Abstand und war nach jeder Hundebegegnung froh, wenn er weder abgeschleckt noch gebissen worden war.
Auch jetzt drückte er sich lieber mit einigen Zentimetern Abstand an der Nische vorbei und behielt die Decke genauestens im Auge. Dominik entpuppte sich auch diesmal als Haubentaucher und war dermaßen auf das vor ihm befindliche Brautpaar und die Trauzeugin konzentriert, dass ihm der Vierbeiner offenbar nicht mal aufgefallen war.
„Sind Sie Marina Friedlein?“, fragte er an die Frau mit den lila Haaren gerichtet.
„Ja, wieso?“
In bester Columbo-Manier hob er sein Notizbuch und tat so, als würde er auf den Seiten nach einem bestimmten Vermerk suchen.
Mark verdrehte innerlich die Augen. „Ich bin Kriminalkommissar Richter, das ist mein Kollege Waldmayer. Dürften wir uns kurz mit Ihnen unterhalten?“
„Ja, klar.“ Sie atmete schwer und tupfte sich die Augen ab. „Das ist alles so schrecklich. So unfassbar.“
„Sie kannten Sybille Kaiser also gut?“
„Natürlich. Sie war eine Freundin von Steffy und mir.“ Sie schaute in Richtung der Braut, so als müsste sie sich diesen Punkt von ihr bestätigen lassen. Wie auf Stichwort nickte diese zustimmend.
„Wie war denn Ihr Verhältnis zu ihr?“
„Normal, denke ich. Wir haben uns nicht so häufig gesehen. Aber wenn wir zum Beispiel abends zusammen ausgegangen sind, dann hatten wir meist recht viel Spaß miteinander.“
„Nur Sie beide?“
„Nein, in größerer Gruppe. Steffy war auch dabei. Und einige andere Mädels.“
„Wann und wo haben Sie Frau Kaiser heute zuletzt gesehen?“
„Das war hier, im Lokal. Aber wann? Puh …“ Sie blähte die Wangen auf. „Vielleicht so gegen zwei, halb drei?“
„Also nicht lange, bevor sie getötet wurde?“
„Ich … ich weiß nicht, wann sie getötet wurde. Moment mal! Denken Sie etwa, ich hätte was damit zu tun?“
„Im Augenblick denken wir noch gar nichts. Wir sind gerade dabei, den Nachmittag zu rekonstruieren und uns ein eigenes Bild von der ganzen Sache zu machen. Also: Wo genau haben Sie sie zuletzt gesehen?“
„Ich glaube, es war draußen auf dem Flur. Die exakte Uhrzeit weiß ich nicht. Darauf habe ich nicht geachtet. Es war auch bloß flüchtig. Sie telefonierte mit jemandem, und auch ich hatte genug andere Sachen um die Ohren.“
Das mit dem Telefon war ein gutes Stichwort. Bei der Leiche hatte er nichts dergleichen gefunden. Mark nahm sich vor, Nicole später darauf anzusprechen. „Was für Sachen waren das?“
„Alles Mögliche. Organisatorische Sachen. Als Trauzeugin bin ich mit dafür verantwortlich, dass alles glatt läuft.“
„Natürlich. Noch mal die Frage: Was für Sachen haben Sie da gerade zu tun gehabt?“
Die Trauzeugin runzelte die Stirn.
„Ich … äh …“ Sie schien ernsthaft darüber nachdenken zu müssen.
„Wolltest du nicht wegen des Brunnen schauen?“, mischte sich die Braut mit brüchiger Stimme ein. Ihr Make-up war komplett verlaufen, und auch sonst wirkte sie wie ein Häufchen Elend. Wer konnte es ihr verdenken?
Ein erleichtertes, gleichzeitig fast schon verlegenes Lächeln huschte über Marinas Gesicht. „Stimmt, das war es. Fürs Nachmittagsbüffet sollte ein Schokobrunnen da sein. War er aber nicht. Ich habe geschaut, ob der Kerl endlich kommt, und dann versucht, die Firma anzurufen, die den anliefern sollte, aber da ging keiner ran.“
Mark schaute fragend zu Dominik. Dieser kritzelte fleißig in sein Notizbuch. Was auch sonst?
„Und bis wohin sind Sie gegangen, um nach dem Fahrer zu suchen?“, fragte Mark.
„Bloß auf den Parkplatz. Wenn er gekommen wäre, hätte er sicherlich da gehalten.“
„Was ist mit der anderen Einfahrt auf der Rückseite?“
„Es gibt noch eine?“ Sie wirkte sichtlich überrascht.
„Ja, direkt beim Hinterhof. Dort, wo es auch zum Mitarbeitereingang geht. Wäre es nicht logischer, wenn er mit dem Brunnen dort anliefern würde?“
„Ja, schon, aber ... ich wusste nicht, dass es noch eine Einfahrt gibt.“ Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Ein Zeichen dafür, dass sie gerade log? Vielleicht auch der Beweis für das Gegenteil. „Also waren Sie vorhin nur deswegen draußen?“
„Ja …“
„Es heißt, Sie waren ziemlich aufgebracht, als sie wieder reingingen.“
„Na, ist das denn verwunderlich? Da plant man wochenlang, damit alles perfekt läuft, und irgendeine Pfeife macht einem trotzdem einen Strich durch die Rechnung. Sehen Sie, der verfluchte Schokobrunnen fehlt immer noch! Nicht, dass wir ihn noch brauchen würden. Aber bei so was geht es ums Prinzip!“
Sie musste sich sichtlich zügeln, um nicht noch mehr in Rage zu geraten. Immer wieder warf sie entschuldigende Blicke zur Braut, die wieder die Hände vor das Gesicht geschlagen hatte und schluchzte.
„Was haben Sie nach Ihrer Rückkehr hierher getan?“, fragte Mark.
Erneut ein kurzer Blick zur Braut. Doch bevor diese es überhaupt bemerkte, erinnerte sich Marina Friedlein selbst: „Ich habe meinen Frust in Sekt und Apfelschorle ertränkt. Das heißt, ich habe es versucht. Nach wenigen Minuten kam Leon völlig bleich zurück. Dann ging es auf einmal drunter und drüber.“ Sie atmete schwer und tupfte sich ebenfalls einige Tränen weg. Mark wandte sich dem Brautpaar zu. „Entschuldigen Sie bitte, dass wir Sie an Ihrem großen Tag mit so was behelligen müssen. Hätten Sie kurz Zeit für einige Fragen?“
Zustimmendes Kopfnicken von beiden. „Haben Sie schon eine Spur, wer es getan hat?“, fragte die Braut. Dicke Tränen standen in ihren Augen, und ihre Unterlippe zuckte unkontrolliert.
„Dafür ist es viel zu früh“, sagte Mark leise. Gerne hätte er ihr etwas Positiveres berichtet.
„Sie waren vermutlich die ganze Zeit über hier im Saal, oder?“, fragte Dominik.
Wieder war es die Braut, die antwortete: „Eigentlich sogar die meiste Zeit hier am Tisch. Kaum ist ein Gast aufgestanden, kam der nächste, um mit uns anzustoßen. Sie wollten alle mit uns feiern …“ Ein weiteres Schluchzen hinderte sie am Weiterreden.
„Selbst aufs Klo schafft man es kaum“, sagte der Bräutigam, während er ihr tröstend über den Rücken strich. Wahrscheinlich waren seine Worte zur Auflockerung gemeint. Die Braut lachte sogar traurig auf. „Du hast leicht reden. Du könntest ja wenigstens, wenn du wolltest. Ich mit meinem Kleid hingegen – ohne Hilfe läuft da nichts. Im wahrsten Sinne des Wortes!“
„Stimmt!“ Die Trauzeugin schnippte mit den Fingern. „Auf dem Klo waren wir vorhin auch noch kurz. Entschuldigen Sie, das hatte ich vergessen zu erwähnen.“
„Danke für diese Information“, sagte Mark, ohne sich umzudrehen. „Wird selbstverständlich sofort notiert.“ Er blickte zu Dominik, der tatsächlich nach wie vor in seinem Büchlein herumkritzelte.
„Wann haben Sie Frau Kaiser zuletzt gesehen?“, fragte Mark.
Wieder war es die Braut, die zuerst antwortete: „Es war irgendwann hier im Saal. Sie und Holger waren kurz an unserem Tisch, aber ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wann das war.“
„Das war nicht lang nach unserer Ankunft. So gegen eins, halb zwei“, überlegte der Bräutigam. „Was die beiden danach gemacht haben, haben wir nicht mitgekriegt. Wie gesagt, wir hatten ständig Leute um uns herum.“
„Bei Holger handelt es sich um …“, hakte Mark nach.
„Ihren Lebensgefährten. Holger Janssen.“
Das deckte sich mit dem, was Nicole gesagt hatte.
Der Bräutigam zeigte auf einen einige Meter entfernt sitzenden Mann mit kurzen dunklen Haaren, der ein Whiskyglas in der Hand hielt und mit versteinerter Miene vor sich hinstarrte. Selbst die Anwesenheit der Kripo schien er bisher nicht bemerkt zu haben.
„Dann sollten wir uns am besten mit ihm unterhalten“, sagte Mark. „Eine Frage habe ich noch: Uns ist zu Ohren gekommen, dass jemand Frau Kaisers Hund eine Kamera ans Halsband geheftet hat. Haben Sie davon etwas mitbekommen?“
„Oh Gott, wer macht denn so was?“, rief die Braut sofort. Sie wirkte regelrecht entrüstet. „Das kann ja wohl bloß ein schlechter Scherz sein.“
Der Bräutigam hatte bei der Erwähnung der Hundekamera kurz geschmunzelt, wurde jetzt aber sofort wieder ernst.
„Ich fürchte, nicht“, sagte Mark.
„Wir haben davon jedenfalls nichts gewusst. Meine Güte, auf was für Ideen die Leute kommen!“ Die Braut schüttelte den Kopf. „Felix, der arme Hund. Nun ist auch noch sein Frauchen tot.“
Sie schaute bedauernd in Richtung des Hundes.
„Wissen Sie etwas darüber?“, fragte Mark die Brautzeugin, doch die Frau mit den lila Haaren verneinte ebenfalls. Nichts anderes hatte Mark erwartet. „Falls Sie dazu etwas hören sollten oder Ihnen noch andere Dinge einfallen, die uns weiterhelfen könnten …“ Ein weiteres Mal überreichten Dominik und er Visitenkarten und bedankten sich für die Hilfe.
„Ich hätte da noch eine Frage“, begann der Bräutigam. „Hätten Sie was dagegen, wenn wir die Hochzeitsfeier beenden? Nach Feiern ist hier sowieso keinem mehr zumute.“
„Das liegt ganz bei Ihnen. Wir fänden es allerdings gut, wenn fürs Erste alle hierbleiben und Ruhe bewahren würden. Wenigstens bis meine Kollegen und ich mit unserer Befragung fertig sind.“
„Was schätzen Sie, wie lange das dauert?“
„Schwer zu sagen. Einige Stunden bestimmt noch.“
„Sie könnten ja das Essen servieren und dergleichen“, schlug Dominik vor. „Bestellt haben Sie es ja ohnehin. Vielleicht sorgt das für etwas Ablenkung oder Entspannung.“
Die Eheleute schauten ihn an, so als wüssten sie nicht, ob dies als Scherz gemeint war. Als Dominik nichts mehr hinzufügte, ließ sich die Braut auf ihren Stuhl plumpsen und nahm einen großen Schluck aus einem Bierglas. Mark konnte ihr auch das nicht verübeln. Von allen Tagen war ein Todesfall an einem Hochzeitstag vermutlich das Schlimmste überhaupt.
Zögernd gingen sie weiter zum Lebensgefährten. Mark hatte es nicht eilig, ihn zu erreichen. Das Schluchzen der frisch gebackenen Ehefrau hallte noch genug in seinem Ohr wider. Angenehm war das nicht gewesen. Und besser würde es auch jetzt nicht werden. Vor Gesprächen mit Angehörigen graute es ihm immer etwas. Man wusste nie, wie sie mit der Todesnachricht umgingen. Einmal war der Ehemann einer verstorbenen Rentnerin auf ihn losgegangen und hatte versucht, ihn mit sich zu Boden zu reißen. Er hoffte, dass es zu keinem weiteren solchen Erlebnis kam.
„Entschuldigung, sind Sie Holger Janssen?“, fragte Mark daher möglichst behutsam.
Keine Reaktion. Erst als er die Frage wiederholen wollte, drehte sich der Mann schwerfällig um. Vermutlich war er Anfang bis Mitte vierzig, aber der Schock und die Traurigkeit ließen ihn im ersten Moment zehn Jahren älter wirken. Er hatte dunkle Haare mit leichtem Grauschimmer und war von schlanker Statur. Sein eng sitzender Nadelstreifenanzug ließ darauf schließen, dass ihm sein Erscheinungsbild wichtig war. Ein bisschen erinnerte er an den FDP-Chef Christian Lindner. Bloß der Dreitagebart fehlte. „Und Sie sind?“
Sie zeigten die Dienstausweise und stellten sich vor. Holger Janssen nickte seufzend. Er schien sie bereits erwartet zu haben.
„Sind Sie der Lebensgefährte von Sybille Kaiser?“, vergewisserte sich Dominik und nahm wieder seine übliche Schreibposition ein. Die Kugelschreibermine glühte sicherlich schon.
„Der bin – oder besser: war – ich.“
„Mein Beileid zu Ihrem Verlust“, übernahm Mark das Gespräch.
Erneutes Nicken und Seufzen.
„Haben Sie eine Ahnung, wer das getan haben könnte?“
„Natürlich nicht.“
„Hatte Frau Kaiser irgendwelche Feinde? Beziehungsweise stand sie mit jemandem im Streit?“
„Nicht, dass ich wüsste.“
„Wissen Sie, weshalb sie nach draußen gegangen ist?“
„Sie wollte sich kurz die Beine vertreten.“
„Wann war das in etwa?“
„So gegen zwei vielleicht? Ich hab nicht auf die Uhr geschaut.“
„Wirkte sie irgendwie anders als sonst?“
„Nicht wirklich. Ich hatte ihr angeboten, sie zu begleiten. Sie lehnte ab und meinte, sie wäre eh gleich wieder da. Sie bräuchte bloß einen Moment Ruhe.“
Der letzten Satz ließ Mark aufhorchen. „Ist sie davor sehr beschäftigt gewesen?“
„Bloß mit Sekttrinken und im Internet surfen.“
„Was für ein Telefon war es denn?“
„Ein rotes iPhone X.“
„Haben Sie eine Ahnung, wo es sich befinden könnte?“
„Sie hat es mitgenommen. Eigentlich geht sie nirgendwo ohne hin. Ich meine, sie ging. Ist ja jetzt Vergangenheit. Oh Mann, was für eine Scheiße.“
Kopfschüttelnd nahm er einen Schluck aus seinem Whiskyglas.
„Wie hat sie sich verhalten, als Sie das letzte Mal mit ihr gesprochen haben?“
„Wie immer. Sybbi war jetzt auch nicht so die emotionale Frau. An neunundneunzig von hundert Tagen war sie gleich darauf. Sie besaß ein gutes Pokerface, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Was haben Sie gemacht, während Ihre Frau draußen war?“
„Lebensgefährtin, nicht Frau. Wir waren nicht verheiratet. Niemand hätte Sybbi so einfach einen Ring anstecken können. Und meins ist das auch nicht. Die Ehe ist nicht mehr zeitgemäß.“
Und das erzählt er mir auf einer Hochzeit, dachte Mark, sagte aber nichts. Er fand den Mann von Minute zu Minute unsympathischer. Allein die Art, wie er sich bewegte und redete, hatte etwas Aalglattes an sich. Gegen ihn konnte selbst Dominik noch trumpfen.
„Was Ihre Frage betrifft: Ich war eigentlich durchgängig hier. Ich bin mal kurz aufs Klo und einmal zur Bar, um noch ein Bier zu ordern, aber im Großen und Ganzen habe ich den Raum nicht verlassen.“
„Haben Sie sich nicht irgendwann gefragt, wo Ihre Lebensgefährtin so lange steckt?“
Janssen hielt inne und dachte über die Frage nach. „Irgendwann, natürlich. Aber da kam Leon schon in den Saal gelaufen. Ich wusste sofort, dass was nicht stimmte. Als er Sybbis Namen sagte, bin ich zu ihm gelaufen. Und danach weiter nach draußen zu den Büschen. Ich musste es mit eigenen Augen sehen.“
„Sie waren bei ihr?“, entfuhr es Dominik. „Haben Sie sie angefasst?“
„Natürlich nicht. Ich bin doch kein Idiot. Außerdem kamen da gleich noch andere Leute nach und haben mich wieder ins Lokal gezogen. Gegen meinen Willen übrigens. Ich wäre gern bei ihr geblieben, bis Ihre Leute da waren. Das hatte sie nicht verdient, dort so alleine zu liegen.“
„Also haben Sie nichts berührt oder verändert?“, hakte Dominik nochmals nach.
„Nein, sagte ich doch schon. Verdammt noch mal!“
„Bleiben Sie ruhig“, ging Mark dazwischen. Er warf seinem Partner einen mahnenden Blick zu. „Ist Ihnen draußen jemand oder etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“
„Sie meinen, abgesehen von der Leiche? Nein, irgendwie war Sybilles Tod zu dem Zeitpunkt das Einzige, was mich interessiert hat. Ist auch jetzt noch so.“
Das war deutlich. Und ließ Mark kalt. „Was können Sie uns noch über Ihre Lebensgefährtin sagen?“
„Was wollen Sie denn wissen? Sie hat als Immobilienberaterin bei Schiebeck Immobilien gearbeitet und wohnte am Prinzregentenufer.“
„Sie wohnte da? Das heißt, Sie beide hatten keine gemeinsame Wohnung?“
„Genau das. Wir beide hatten mit unseren Jobs genug um die Ohren. Da war das besser.“
„Hatte sie hier Familie?“
„Nein, ihre Eltern und ihr Bruder wohnen oben in Hannover. Oh Gott, die wissen ja noch gar nichts davon! Ich muss sie unbedingt anrufen!“
Hastig tastete er sein Jackett ab.
„Das können wir übernehmen“, schlug Mark vor.
„Nein. Danke. Das mach ich schon.“
„In Ordnung. Was ist mit dem Hund von Frau Kaiser?“
„Felix? Was soll mit dem sein?“
„Offenbar hatte jemand eine Kamera am Halsband des Hundes befestigt.“
„Eine Kamera?“ Einen Moment lang wirkte er perplex, doch ziemlich schnell hatte er sich wieder gefangen und lachte höhnisch. „Nein, darüber weiß ich nichts. Wer kommt denn auf so was?“
„Genau das ist die Frage. Ich nehme an, Sie werden sich zukünftig um den Hund kümmern?“
Ein weiterer Lacher. „Warum sollte ich?“
„Äh …“ Mark fehlten einen Moment lang die Worte.
„Weil Sie ihr Lebensgefährte waren“, übernahm Dominik die Führung. „Das gehört dazu.“
„Von wegen! So eng waren wir auch nicht. Was denken Sie, wieso wir beide unterschiedliche Wohnungen hatten? Manchmal haben wir uns eine ganze Woche lang nicht gesehen. Außerdem mag mich die Töle nicht.“
Welch Überraschung, lag es Mark auf der Zunge.
„Okay. Und wer wird sich sonst zukünftig um ihn kümmern? Familie hat sie hier ja laut Ihrer Aussage keine.“
„Keine Ahnung! Ehrlich gesagt ist das gerade so ziemlich das Letzte, worüber ich mir den Kopf zerbreche.“
„Und worüber zerbrechen Sie sich den Kopf?“, fragte Dominik.
Die beiden Männer funkelten sich grimmig an. Bei so viel überschüssigem Testosteron in der Luft schob sich Mark lieber noch ein bisschen weiter vor seinen Partner. Nicht zu fassen, wie wenig sich die zwei unter Kontrolle hatten. Bei dem trauernden Angehörigen war dies ja noch verständlich. Dominik hingen sollte Profi genug sein, damit so was an ihm abprallte. Sollte.
„Wir danken Ihnen für die vielen Informationen“, verabschiedete Mark sie. Natürlich nicht, ohne auch ihm eine Visitenkarte mit seinen Kontaktdaten zu überreichen. Sein Partner verzichtete. Worüber Holger Janssen vermutlich keine Sekunde lang traurig war.