Читать книгу Auf den Hund gekommen - Sören Prescher - Страница 8
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Оглавление„Leute gibt’s”, sagte Dominik, nachdem sie sich einige Schritte entfernt hatten. Er warf einen Blick über die Schulter, der vermutlich nicht viel Liebe enthielt.
„… die gibt’s gar nicht”, beendete Mark den Satz. „Du bist offenbar ziemlich leicht aus der Fassung zu bringen.”
„Normalerweise nicht. Aber es gibt Leute, da kann ich nur sehr schwer ruhig bleiben.”
„Ja, kenne ich.”
„Auf jeden Fall haben wir schon einige recht interessante Aussagen bekommen. Glaubst du der Trauzeugin? Das mit dem Schokobrunnen ist zwar ärgerlich, aber ist man deswegen gleich so angepisst?“
„Kommt auf die jeweilige Person drauf an. Wie wir gemerkt haben, haben manche eine ziemlich kurze Zündschnur.“
Sie umrundeten den Tisch, und Mark sah, dass weiter vorn eine Handvoll uniformierter Kollegen die Gäste im Saal befragte. Die zwei von vorhin waren ebenfalls darunter. Genau wie die anderen Streifenpolizisten notierten auch sie alles fleißig auf ihren Notizblöcken. Nicht weit von ihnen entfernt unterhielt sich der Bräutigam mit einem rundlichen Mann hinter der Bar. Vermutlich ging es dabei um das Abendessen.
„Servus, Kollegen“, begrüßte Mark nochmals die beiden Uniformierten von vorhin. „Habt ihr schon was?“
„Leider nein“, antwortete die Frau. „Von den Leuten draußen ist keinem was aufgefallen. Hier drinnen sind wir noch nicht besonders weit. Wir melden uns, sobald wir was haben.“
„Ich habe vielleicht was“, mischte sich ein anderer Streifenpolizist ein. Er war Ende vierzig, mit kleinem Wohlstandsbauch und Haaren nur noch am Hinterkopf. Mark kannte auch ihn vom Sehen her. „Auf dem Parkplatz kam vorhin eine Frau namens Theresa Dittmann auf uns zu.“ Er zeigte auf eine ältere Dame mit Dauerwelle und dunkler Hornbrille, die an einem der hinteren Tische direkt neben dem Fenster saß. „Sie ist die Tante des Bräutigams und extra für die Hochzeit aus Thüringen angereist.“
„Hat sie den Mord beobachtet?“, fragte Mark.
„Das nicht, aber sie hat uns einen Camcorder gegeben.“
Allein der Satz genügte, dass Marks Herz einen Schlag aussetzte. Danach klebte er dem Polizeimeister förmlich an den Lippen: „Sie meinte, die Kamera hatte jemand an dem Hund befestigt. Wer das war, weiß sie nicht. Sie hat den Hund bloß zu seiner Decke gebracht und ist dann mit dem Gerät zu uns gekommen.“
„Und wo ist es jetzt?“
„Wir haben es der Spurensicherung übergeben.“
„Gute Idee“, lobte Dominik. „Hat Tantchen noch was erzählt?“
„Nicht wirklich. Sie war die ganze Zeit über im Saal.“
„Fragt sie bitte noch mal, ob der Lebensgefährte der Toten, das ist der Mann da hinten in dem dunklen Nadelstreifenanzug, auch die ganze Zeit über hier war.“ An seinen Partner gewandt fügte er hinzu: „Ist nur so eine Ahnung.“
„Wie du meinst.“ Er konnte es kaum erwarten, zu Nicole zu kommen. Mit zügigen Schritten verließen sie daher den Gasthof. Draußen lugte Mark ungeduldig nach allen Seiten. Auf dem Hinterhof waren nur die Spusis in den weißen Overalls beschäftigt. Vorne bei den Autos im Eingangsbereich war sie ebenfalls nicht.
„Da ist sie!“ Dominik zeigte auf den Abhang vor ihnen. Ein Stück abseits vom Auffindeort stand Nicole und unterhielt sich mit drei ihrer Kollegen. Als sie die beiden auf sich zulaufen sah, beendete sie das Gespräch und kam ihnen entgegen.
„Ich hoffe, es geht nicht um den Leichnam. Der ist gerade abtransportiert worden.“
„Nein. Ein Streifenpolizist hat euch einen Camcorder übergeben?“
„Richtig. Aber den haben wir noch nicht auf Spuren untersucht.“
„Das ist im Moment auch erst mal zweitrangig. Habt ihr euch die Aufnahmen darauf schon angeschaut?“
„Natürlich. Vorhin. Bei Kaffee und Kuchen.“ Nicole verdrehte die Augen. „Entschuldige bitte, wir hatten ein bisschen was anderes zu tun.“
„Ist doch kein Thema. Wo habt ihr die Kamera?“
Sie führte sie zu einem der Einsatzwagen an der offiziellen Grundstückseinfahrt, wo die rothaarige Kollegin gerade etwas auf einem Klemmbrett notierte. Sie brauchte glücklicherweise nur wenige Sekunden, um das Gerät zwischen den anderen gesicherten Beweismitteln zu finden. Es war verpackt in einen durchsichtigen Plastikbeutel, den sie an Nicole weiterreichte, die mit ihrer behandschuhten Hand auch sofort in die Tüte griff und den Camcorder herauszog. Es ging alles ziemlich zügig – und war Mark trotzdem nicht schnell genug. Seine Ungeduld wuchs mit jedem Atemzug.
Die Kamera war von irgendeiner asiatischen Billigmarke, von der er noch nie gehört hatte. Aber sie war zumindest neu genug, dass kein Band zurückgespult werden musste, sondern die Aufnahmen direkt auf einer SD-Karte gespeichert wurden. Die nach wie vor drinnen steckte, wie sich Nicole vergewisserte.
„Das ist alles so aufregend.“ Dominik rieb sich freudig die Hände. „Wie bei dem neuen Star-Wars-Film vor ein paar Jahren. Den ich übrigens nie gesehen habe.“
Und warum erzählst du es dann, fragte sich Mark. Er mochte die Krieg-der-Sterne-Filme. Nicht fanatisch, aber gelegentlich Yoda, Luke und Han wiederzusehen gehörte zum Leben einfach dazu.
Mit einem leichten Schmunzeln startete Nicole die Aufnahme, und alle drei rückten näher zusammen, um auf dem kleinen Kamera-Bildschirm möglichst viel erkennen zu können.
Wer dem Hund den Camcorder umgehängt hatte, sahen sie leider nicht. Die Aufnahme startete gleich mit einem Spaziergang über den Flur des Gasthofs.
Nach nur wenigen Augenblicken verknotete sich Marks Magen, und er war froh, dass das Display kaum größer als eine Visitenkarte war. Die Kamerabilder waren – Überraschung! – allesamt ziemlich verwackelt. Selten ruhte das Bild länger als einen Atemzug an einer Stelle. Wie sie darauf irgendwas Genaueres erkennen sollten, war ihm ein Rätsel. Schon jetzt bedauerte er die Jungs von der Technikabteilung, die sich hier vermutlich von Frame zu Frame würden durchkämpfen müssen.
Sie verfolgten, wie Felix über den Flur in den Festsaal rannte. Das meiste, was die Kameralinse dabei einfing, waren Hosenbeine und Schuhe. Dazu ein regelmäßiges Hundekeuchen, vermischt mit gelegentlichem Lachen und gedämpften Stimmen.
„Ich glaube, ich spule mal ein bisschen vor“, sagte Nicole und tat es, ohne ihre Zustimmung abzuwarten. Mark war es nur recht. Er hatte genug damit zu tun, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten. Auch Dominik sah ziemlich grün im Gesicht aus und drehte den Kopf öfters mal zur Seite.
Der anscheinend nimmermüde Felix flitzte weiter durch den Festsaal, ließ sich streicheln und necken, verharrte aber nirgendwo länger. Offenbar war er auf der Suche nach etwas – oder jemandem. Aber Sybille Kaiser hatte auch Mark bisher nirgendwo entdeckt. War sie zu dem Zeitpunkt bereits tot?
Nein, war sie nicht.
Durch eine bloß angelehnte Tür schlüpfte der Hund in einen Nebenraum, bei dem es sich offenbar um einen weiteren, heute jedoch ungenutzten Festsaal handelte. Er schlängelte sich vorbei an Mineralwasser- und Bierkästen, lief unter übereinandergestellten Tischen hindurch und sprang schließlich auf eine Sitzbank, die vor den Fenstern stand. Fenstern, die auf den Hinterhof zeigten.
Den späteren Tatort, wie Mark sofort realisierte.
Draußen standen zwei Personen. Eine Frau mit dunkler Strumpfhose und lila Kostüm. Sybille Kaiser. Mark erkannte die Kleidung sofort. Er hielt vor Anspannung den Atem an. Bei der Person daneben handelte es sich vermutlich um einen Mann. Zumindest waren ein Paar Lackschuhe und schwarze Hosen zu erkennen.
War das ihr Mörder?
Felix bellte und kratzte an der Scheibe, um auf sich aufmerksam zu machen. Keiner der beiden achtete auf ihn. Unter dem Gekläffe glaubte Mark, die gedämpfte Stimme einer Frau zu hören. Was sie sagte, war nicht zu verstehen.
Lang dauerte die Unterhaltung nicht mehr. Sybille Kaiser wandte sich ab, sodass die Person in der Hose hinter ihr stand. Plötzlich verkrampften sich Sybille Kaisers Beine. Wurde die Frau bloß festgehalten, oder wurden sie gerade Zeugen des Mordes?
Eher Letzteres.
Uff.
Völlig unvermittelt verließen die Frau ihre Kräfte. Sie taumelte kurz, dann sackte sie zu Boden. Wieder waren bloß die Beine zu sehen.
Verdammt!
Felix bellte wie verrückt. Er kratzte an der Fensterscheibe. Winselte. Knurrte.
Nichts davon änderte etwas.
Als der regungslose Körper aus dem Bild gezogen wurde, sprang der Hund von der Bank und eilte zur Tür. Die mittlerweile ins Schloss gefallen war.
Scheiße!
Wie verrückt bellte, winselte und kratzte er daran. Zunächst ohne Reaktion. Minutenlang passierte nichts anderes. Dann endlich hörte jemand die Laute und öffnete die Tür. Ein weiteres Paar schwarzer Hosenbeine kam ins Bild. Zumindest für den Bruchteil einer Sekunde. Der Hund schoss wie ein Pfeil auf den Flur hinaus und hetzte von da aus zum Ausgang.
Die Kamera wackelte so stark, dass Mark für einen Moment die Augen schließen musste. Als er sie öffnete, hatte Felix gerade den Parkplatz hinter sich gelassen. Er lief zielgerichtet zu den Büschen, wo sein Frauchen bereits regungslos lag. Genauso, wie Leon Beyer sie bald darauf gefunden hatte.
Nein! Nein! Nein! Wo war der Mörder hin? Von ihm fehlte jede Spur.
Kaum hatte Felix die Frau erreicht, schnüffelte er an ihr. Stieß sie mit dem Kopf an. Berührte sie mit den Pfoten. Sie reagierte nicht, und dem Hund dämmerte offenbar, dass sie das nie wieder tun würde. Leise winselnd blieb er einige Sekunden neben dem Leichnam sitzen, so als müsste er die Tragödie erst richtig begreifen.
Danach fuhr er herum und eilte den Abhang hinauf zum Parkplatz. Vom Eingang her sahen sie jemanden auf den Hund zukommen. Obwohl auch das ziemlich verwackelt war, glaubte Mark, Leon Beyer zu erkennen. Felix dachte nicht daran anzuhalten und stürmte weiter zum Festsaal. Hier lief er bellend hin und her, um so die anderen Gäste auf sich aufmerksam zu machen. Einige Leute knieten sich neben ihm nieder und versuchten ihn zu beruhigen.
Keine Chance.
Felix lief bellend weiter. Schließlich kniete sich eine ältere Frau mit Brille neben ihm nieder. Die Tante des Bräutigams. „Ganz ruhig“, sagte sie mit besänftigender Stimme. „Was hast du denn? Du zitterst ja ganz arg. Was ist los? Komm, wir gehen zu deiner Ecke.“ Das taten sie schließlich auch.
Die Rentnerin blieb einige Zeit bei ihm, streichelte ihn und redete beruhigend auf ihn ein. „Was hast du denn hier?“, fragte sie nach einer Weile und betrachtete die Kamera. Gleich darauf endete die Aufnahme.
„Menschenskinder, wir haben tatsächlich den Mord auf Band“, stöhnte Dominik.
„Der Hund ist der Hauptzeuge“, sagte Nicole.
Mark griff sich fassungslos an den Kopf. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
„Ich glaube, es ist an der Zeit, sich mal mit dem Hund zu unterhalten“, sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit. Noch immer huschten ihm die Kameraaufnahmen wie spukende Geister durch den Kopf. Der Mord. Der Hund. Die vielen verwackelten Bilder. Das alles war so intensiv und direkt gewesen. Normalerweise rekonstruierten sie das Geschehene im Nachhinein. Das Video war eine ganz neue Erfahrung.
„Klingt prinzipiell nach einem guten Plan.“ Dominik runzelte die Stirn. „Aber wie willst du das tun? Bist du so was wie Doktor Doolittle oder dieser Hundeflüsterer?“
„Haha, guter Witz. Weder noch. Hier gibt es sicher jemand Kompetentes, der uns dabei helfen kann. So schwer wird das schon nicht sein.“
„Und was genau soll dir der Hund erzählen? Wie der Täter aussah oder wie er gerochen hat?“
„So was in der Art. Sachdienliche Hinweise kann man auf vielerlei Hinsicht liefern.“
„Ich wünsch euch viel Glück dabei“, sagte Nicole und reichte den Beutel mit der Kamera an ihre Kollegin zurück. „Ich geh dann mal wieder zurück zu meinen Leuten. Ist ja nicht so, als hätten wir nichts zu tun.“
„Eine Frage noch“, sagte Mark. „Habt ihr am Tatort oder bei der Leiche zufälligerweise ein Handy gefunden?“
„Nicht, dass ich wüsste. Von welcher Marke soll es denn gewesen sein?“
„Ein rotes iPhone X.“
„Sagt mir nix. Ich frage aber gerne mal die Kollegen danach.“ Sie winkte noch kurz und ging zu ihren Leuten auf der Wiese zurück. Mark schaute ihr einen Moment lang hinterher und machte sich dann ebenfalls auf den Weg.
„Hab ich schon erwähnt, dass ich eine Hundehaarallergie habe?“, fragte Dominik, als sie den Parkplatz erreichten. „Sobald ich in die Nähe der Tiere komme, fangen meine Augen zu jucken an. Und im Hals kratzt es dann auch.“
„Mit anderen Worten: Du willst kneifen?“ Er setzte eine bedauernde Miene auf, öffnete innerlich aber bereits die erste Sektflasche.
„Nein, überhaupt nicht. Ich wollte dich bloß vorwarnen, dass ich nachher vielleicht etwas neben der Spur sein könnte.“
Oh bitte, liefere mir doch nicht immer solche Vorlagen. Mark biss sich auf die Zunge, bevor er antwortete: „Danke für die Vorwarnung. Du kannst dich ja im Hintergrund halten. Ich mach das schon. Irgendwie.“
Im Festsaal schaute er sich nach den Streifenpolizisten um. Sie waren noch immer mit der Befragung der Gäste beschäftigt. Hinter ihnen begann das Personal des Gasthofs damit, an den Wandtischen das Buffet anzurichten. Offenbar war der Bräutigam ihrem Ratschlag tatsächlich gefolgt. Das passte hervorragend. So bekamen die Anwesenden zumindest einen angenehmen Grund für ihre weitere Anwesenheit. Allerdings bezweifelte Mark, dass von den sicherlich köstlichen Sachen auch nur die Hälfte verspeist werden würde. Nicht hier und nicht heute.
„Kennt sich von euch jemand mit Hunden aus?“, hakte er vorsichtshalber bei den uniformierten Kollegen nach. Die Antwort, die er bekam, war überall die Gleiche: Kopfschütteln.
Nichts anderes hatte er erwartet.
„Du kannst ja die Tante des Bräutigams fragen“, schlug Dominik vor.
„Ganz tolle Idee.“
„Oder du rufst die Kollegen von der Hundestaffel an. So was habt ihr in Nürnberg doch auch.“
„Hab ich auch schon überlegt. Aber das dauert mir zu lange. Da probiere ich es erst mal selbst. Hilfe anfordern kann ich später immer noch.“
„Sagte er, bevor er gebissen wurde.“ Dominik grinste frech.
„Vielen Dank, solche Kommentare sind äußerst hilfreich.“
Er atmete tief durch, um seine Nervosität zu vertreiben. Sein Herz raste, und er bekam feuchte Hände. Warum musste ausgerechnet er einen Fall wie diesen bekommen? Er, der mit Hunden nichts am Hut hatte. Die anderen Polizisten allerdings ebenso wenig.
Jammern hilft nichts, sagte er sich daher und rieb sich entschlossen die Hände. Dann ging er – wenn auch nicht übermäßig schnell – auf die Ecke des Saals zu, in der er den Vierbeiner vorhin gesehen hatte.
Felix lag noch immer auf seiner Decke, den Kopf auf den gewaltigen Pfoten ruhend. Einen Moment sah es aus, als würde er an den Krallen nagen. Er hatte dunkelbraunes, fast schwarzes Fell mit einigen blonden Flecken an Hals, Bauch und Beinen. Sein Körper war fast so groß wie der eines Schafs. War es bloß Einbildung oder wirkten seine hellbraunen Augen nach wie vor traurig? Als sie ihn erreichten, hob er nicht mal den Blick. Wahrscheinlich waren an diesem Nachmittag einfach schon zu viele Zweibeiner an ihm vorbeigelaufen. Weshalb sollte es diesmal anders sein?
Weil ein Mord passiert ist, beantwortete Mark seine eigene Frage. Er suchte die Hundeecke mit seinen Blicken sorgfältig ab. Auf dem Tisch befanden sich eine Packung mit Trockenfutter und eine lederne Hundeleine. Letzteres war wichtig. Vorsichtig griff er danach und stopfte sie in die Jackentasche, bevor er neben dem Tier auf die Knie ging. Sein Herz wummerte wie nach einer kilometerlangen Verfolgungsjagd. Die ihm im Augenblick weitaus lieber gewesen wäre.
„Hallo, Felix“, sagte er leise.
Keine Reaktion. Erst als Mark die Hand nach ihm ausstreckte, reckte er den Kopf, knurrte irritiert und schnupperte an seinem Arm. Der befürchtete Biss blieb aus. Dennoch kostete es Mark große Überwindung, ihn nicht zurückzuziehen.
Seine Hand erreichte das Fell und streichelte es. Darunter spürte er den Herzschlag des Hundes. Erneutes Knurren, nur diesmal wohliger. Gegen ein paar Streicheleinheiten hatte eben keiner was einzuwenden. Schließlich reckte der Hund den Kopf, um an Marks Hals zu schnuppern. Nein, Halt, er begann sogar, ihm am Ohr zu lecken.
Urghhh.
Mark begann zu schwitzen. Es kostete ihn große Überwindung, den Kopf nicht abrupt zurückzureißen, sondern diese Beschnupperungsprozedur über sich ergehen zu lassen.
„Sieht gut aus“, sagte Dominik hinter ihm und wagte sich ebenfalls näher heran. Sofort fuhr die Schnauze herum und schnupperte an ihm.
Marks Erleichterung hielt bloß drei Sekunden. Dann hatte Felix genug von dem älteren Kommissar im schlecht sitzenden Anzug und wandte sich wieder ihm zu. Eine große Überraschung war es nicht.
„Du armer Kerl.“ Mit der rechten Hand strich Mark weiter über das Fell, mit der linken fischte er die Tüte mit dem Trockenfutter vom Tisch. Er schüttete einige wie Kekse aussehende Leckerlis heraus, doch die würdigte Felix keines Blickes. Irgendwie hatte Mark das bereits befürchtet.
„Wollen wir ein Stückchen gehen?“
Der Hund rührte sich nicht.
Natürlich nicht.
Ihm einfach so die Leine anzulegen und ihn mit sich zu ziehen wollte er nicht. Also stand er auf, schnalzte mit der Zunge und klopfte sich gegen den Oberschenkel.
„Das ist doch kein Pferd“, sagte Dominik, bevor er zweimal dicht hintereinander niesen musste. Es klang, als wäre irgendwo der Blitz eingeschlagen. Mehrere Gäste drehten sich um, und auch der Hund zuckte erschrocken zusammen.
Toll.
„Na komm“, ermunterte Mark den Vierbeiner. „Komm mit, ich hab da was Feines.“
Die erhoffte Reaktion ließ weiter auf sich warten. Fünf Sekunden verstrichen. Nichts passierte. Welch Wunder.
Dann eben Plan B, resignierte Mark und ging zum kalten Buffet. Vorhin hatte er gesehen, dass es fränkische Fleischküchle und Bratwürstchen gab. Die würden hoffentlich genügen, um die Fellnase zum Mitgehen zu überreden. Mit Speck fing man ja bekanntlich Mäuse. Warum nicht auch Hunde?
Die Rechnung ging auf. Schon nach der Hälfte der Strecke kam ihm Felix entgegen und ließ sich die gebratenen Köstlichkeiten bereitwillig überreichen.
Eine bizarre Gefühlsmischung überkam Mark: Erleichterung. Freude. Aber auch ein bisschen Ekel wegen der abgeschleckten Finger.
Um sich davon zu befreien, nahm er eine der Servietten vom Tisch. Was Felix offenbar so interpretierte, dass es gleich Nachschub geben würde. Das hatte Mark so zwar ursprünglich nicht im Sinn gehabt, holte jedoch gerne weitere Hacksteaks und Würstchen.
Ihren Blicken nach zu urteilen waren die Mitarbeiter des Gasthofs darüber wenig amüsiert. Das war Mark egal. Ebenso wie das erneute Niesen seines Partners und das darauffolgende krächzende Husten, das wie bei einem hundertjährigen Mann klang.
Er ging in die Knie und reichte das Essen an den hungrigen Bello weiter. Dieser knurrte vor Freude und schlang alles mit einer Hektik hinunter, als hätte er tagelang hungern müssen. Alle Achtung, fand Mark und zog die Hundeleine aus der Tasche.
Sie anzulegen klappte völlig problemlos. Felix hob nicht mal den Kopf, während er an seinem Halsband hantierte.
Phase eins war damit angeschlossen. Nun allerdings wurde es knifflig. Sein vierbeiniger Augenzeuge konnte ihm zwar nicht auf herkömmlichem Wege mitteilen, ob sich der Täter im Raum aufhielt, aber er konnte zumindest eine Art von Zeichen geben, sobald er den Mörder erkannte. Ob dieser Plan aufgehen würde, wusste er nicht, doch er wollte nichts unversucht lassen. Vielleicht hatte er ja Glück, und der Fall ließ sich schnell aufklären.
Erste Zweifel daran kamen ihm allerdings schon nach wenigen Sekunden. So als würden sie bloß zufällig dort entlanglaufen, führte Mark den Hund den Gang direkt neben den U-förmig zusammengestellten Tischen entlang. Felix folgte brav und schaute sich auch immer wieder um. Mehr allerdings nicht.
Weder fauchte oder knurrte er, noch wies er auf andere Weise auf einen Verdächtigen hin. In seiner oder Marks Gegenwart benahm sich auch niemand auffällig. Es gab kein, wie er gehofft hatte, ängstliches Zurückweichen oder dergleichen.
„Komm schon“, murmelte er, als sie in den letzten Schenkel des Us einbogen. Die Worte verhallten ungehört. Der Einzige, der wiederholt auf sich aufmerksam machte, war Dominik, der laut nieste, sich noch lauter schnäuzte und dann wieder nieste. Seine Augen hatten eine leichte Rotfärbung angenommen. Das mit der Allergie war anscheinend nicht bloß eine faule Ausrede gewesen. Auch dass er inzwischen gute fünf Meter hinter ihnen lief, half da nicht.
Noch wollte Mark den Misserfolg nicht akzeptieren. Nach dem Bankett wählte er bewusst den Weg zwischen den Gästen auf der Tanzfläche hindurch.
Einige schauten irritiert, andere amüsiert. Die Polizisten nickten zum Gruß. Mehr passierte auch hier nicht.
„So viel dazu“, resignierte er schließlich.
Dominik nieste Zustimmung. „Ich fürchte, das können wir abhaken.“
Womit er leider recht hatte.
Ratsuchend schaute sich Mark um. Ein kleiner Lichtblick wäre jetzt echt nicht schlecht. Wie aufs Stichwort sah er, dass sich die Tür zum Saal öffnete und sich die zwei Streifenpolizisten von vorhin nach jemandem umschauten. Nach zwei Sekunden trafen sich ihre Blicke, und die beiden kamen auf sie zu. Die blonde Polizistin reichte ihm ein gefaltetes DIN-A4-Blatt. „Das hat uns der Trauzeuge gerade gegeben. Leon Beyer.“
Mark staunte nicht schlecht. Es war ein Sitzplan der gesamten Hochzeitsgesellschaft inklusive sämtlicher Namen. Insgesamt standen 62 Personen darauf.
„Vielen Dank.“
„Vielleicht hilft euch das ja weiter.“ Mit einem kurzen Nicken verabschiedeten sich die zwei wieder. Mark gab die Liste an Dominik weiter.
Der sogleich einen anerkennenden Pfiff ausstieß. „Sieht schon mal nicht schlecht aus. Wir können dem Hund ja den Plan vorlesen und schauen, bei welchem Namen er bellt.“
„Gute Idee. Am besten übernimmst du das.“
„Gerne doch. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sich unser Mörder tatsächlich unter den Gästen befindet. Der Gasthof ist ja leider kein abgesperrter Bereich, sondern jedem frei zugänglich. Ein fremdes Gesicht wäre da unter all den Menschen vermutlich kein bisschen aufgefallen.“
„Ich weiß.“ Er seufzte tief. „Und das ist nicht mal das einzige Manko. Meiner Meinung nach können wir nicht mal komplett ausschließen, dass der Täter eine Frau war, auch wenn auf dem Video offensichtlich Herrenschuhe und Herrenhosenbeine zu sehen sind.“
„Die Person hat sich auch ziemlich männlich bewegt, fand ich. Außerdem ist es in der Regel ja so, dass Frauen eher auf nun ja … etwas subtilere Methoden zurückgreifen, wenn sie jemanden umlegen wollen.“
„Das ist mir alles bekannt. Ich mach den Job nicht erst seit gestern. Trotzdem möchte ich eine Frau als Täterin nicht grundsätzlich ausschließen. Wir haben ja bloß einen kleinen Ausschnitt des Tathergangs gesehen. Der noch dazu ziemlich verwackelt war. Unter Umständen gab es ja auch zwei Täter. Nichts ist gefährlicher als eine vorgefertigte Theorie. Wenn man darauf zurückgreift, hörte man auf, objektiv zu sein, und sucht bloß noch nach Fakten, die man als Beweis für die Theorie brauchen kann.“
„Da hast du auch wieder recht. Wie gehen wir also weiter vor?“
„Am besten sorgen wir erst mal dafür, dass der Hund in gute beziehungsweise professionelle Hände kommt.“
„Und wer bitte schön soll das sein? Frauchen ist tot, die Familie wohnt in Niedersachsen. Die werden sich bestimmt nicht um ihn kümmern. Der ach so tolle Lebensgefährte scheidet ebenfalls aus. Von den anderen Hochzeitsgästen hat bisher auch keiner viel Interesse gezeigt. Das heißt, abgesehen von der Tante aus Thüringen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die den Fiffi mitnimmt.“
„Dann geht er eben ins Tierheim, so wie das in solchen Fällen üblich ist.“
Felix knurrte missmutig, so als hätte er sie verstanden. Mark hob irritiert die Brauen. Aus dem Konzept brachte es ihn nicht. Die Nummer vom Nürnberger Tierheim hatte er auf seinem Diensthandy gespeichert. Selbst angerufen hatte er dort zwar noch nie, aber bekanntlich gab es ja für alles ein erstes Mal.
Nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine Frau mit nasaler Stimme, die irgendwie nicht sehr sympathisch klang. Um das Eis zu brechen, versuchte es Mark auf die lockere Art und sagte, dass er gern die Abholung eines Hundes in Auftrag geben würde
Was die Frau nicht einmal ansatzweise witzig fand. „Tut mir leid, das geht gar nicht. Wir sind randvoll und können keine Tiere mehr aufnehmen.“
Diese Antwort machte sie gleich noch unsympathischer. „Was soll das heißen: ‚Sie sind randvoll’? Ich habe hier einen Vierbeiner, dessen Frauchen gestorben ist und für den sich offenbar niemand zuständig fühlt. Da werden Sie ja wohl noch einen Platz finden.“
„Tut mir leid, das ist unmöglich.“
„Das ist ein Notfall!“
„Der trotzdem nichts an den Tatsachen ändert. Probieren Sie es im Fürther Tierschutzhaus oder in Erlangen. Ich kann Sie bloß auf die nächsten Tage vertrösten. Da sieht es vielleicht anders aus.“ Das Wort Vielleicht betonte sie auf eine Weise, die ihm gar nicht gefiel.
Mürrisch verabschiedete er sich und wählte die Nummer in Fürth. Wo man ihn auf ziemlich ähnliche Art und Weise abzuspeisen versuchte.
„Das soll ja wohl ein Witz sein!“, fuhr er den Mann am anderen Ende der Leitung an. Noch einmal schilderte er den Ernst der Lage – und stieß trotzdem auf taube Ohren.
In Erlangen nahm nicht mal jemand den Hörer ab. Mark ließ es klingeln, bis die Leitung getrennt wurde, und hätte danach am liebsten ins Handy gebissen.
„Wie war das vorhin mit ziemlich leicht aus der Fassung zu bringen?”, fragte Dominik mit schelmischem Grinsen.
Am liebsten wäre ihm Mark direkt an den Hals gesprungen. Es war einfach die falscheste Bemerkung zum falschesten Zeitpunkt. Anstatt ihn anzubrüllen, hob Mark mahnend den Zeigefinger und atmete tief durch.
Er verstand selbst nicht, wieso ihn das Thema dermaßen mitnahm. Im Grunde genommen war der Hund absolut nicht seine Baustelle. Er könnte ihn zurück zu seiner Decke bringen und dort sich selbst überlassen. Sollten doch die anderen Gäste schauen, was sie mit dem Köter anstellten.
Das Problem daran war bloß, dass das nicht seine Art war. Mark ließ niemanden im Regen stehen, der ganz offensichtlich Hilfe benötigte. Vor allem nicht nach einer Tragödie wie der, die Felix heute erlebt hatte.
„Ich wüsste eventuell noch eine andere Lösung.“ Dominik sagte es mit einem Grinsen, das nichts Gutes erwarten ließ. Doch da irrte sich Mark: „Schnall mal die Leine ab und schau, wohin es den Wauwau als Nächstes zieht. Möglicherweise hat er das, worüber du dir dein Köpfchen zerbrichst, längst für sich geklärt.“
Die Idee war gar nicht mal schlecht. Also folgte er dem Vorschlag und klopfte Felix zum Abschied freundschaftlich auf den haarigen Rücken. „So, Kumpel, wir sind fertig mit unserem kleinen Experiment. Danke für die gute Mitarbeit. Du kannst jetzt gehen. Wohin auch immer du willst.“
Der Hund rührte sich keinen Schritt.
„Na los, du kannst gehen“, wiederholte er.
Immer noch keine Reaktion.
„Vielleicht hilft es, wenn du ein paar Meter läufst“, schlug Dominik zwischen mehreren Niesern vor.
Mark tat wie geheißen. Es führte allerdings nur dazu, dass Felix bereitwillig mit ihm mittrottete.
Großartig.
Er erhöhte den Abstand, und als auch das nichts brachte, ging er aufs Buffet zu, wo sich eine Handvoll Gäste gerade zögerlich bediente. Keiner sprach ein Wort dabei. Dass sich Mark einen Teller mit Fleischstücken belegte, schien niemanden zu interessieren. Selbst als er den Teller am Boden abstellte, sah keiner genauer hin. Nicht mal der Hund.
„Das kann doch nicht wahr sein“, sagte Mark mit einem Stöhnen und flüchtete in Richtung Ausgang. Der Vierbeiner folgte weiterhin. Sie gingen auf den Flur und von da aus mit raschen Schritten zum Parkplatz. Felix hielt mühelos Schritt. Als sie den Abhang zu den Büschen hinuntergingen, zögerte er ebenfalls nicht.
Wie konnte das sein? Wieso folgte ihm dieser Flohteufel überallhin? Und warum um alles in der Welt fühlte sich absolut niemand auf dieser verdammten Feier für ihn zuständig?
Wütend machte er kehrt und stapfte in Richtung der Fahrzeuge. Mark war mit seinem Latein am Ende. Auf halber Strecke kam ihm Nicole entgegen. Ihr Grinsen wurde mit jedem Schritt breiter.
„Dein Verhör scheint ja mächtig Eindruck hinterlassen zu haben. Scheint, als hättest du einen neuen besten Freund gefunden.“
„Sehr witzig.“ Er ging einfach mal davon aus, dass sie den Hund meinte. Auf seinen rotäugigen Partner bezogen wäre der Spruch allerdings auch nicht besser gewesen. „Hast du eine Ahnung, was ich mit dem Tier machen kann?“ Er erzählte ihr von Felix‘ Situation und den Absagen der Tierheime.
„Da ist guter Rat wirklich teuer.“
„Magst du ihn nicht mit zu dir nehmen?“
Nicole schüttelte entschieden den Kopf. „Ich hab daheim zwei Katzen. Das gäbe Mord und Totschlag. Warum nimmst du ihn denn nicht mit zu dir? Er scheint dich zu mögen. Und Platz habt ihr auch genug.“
„Auf keinen Fall!“
„Wieso denn nicht? Caro wird begeistert sein, sie liebt Hunde.“
Und lag Mark damit schon lange in den Ohren. Nur er hatte sich vehement dagegen gesträubt.
„Ich würde ihn ja mit zu mir nehmen“, mischte sich Dominik ein, „aber mit meiner Allergie würde ich die Nacht wahrscheinlich nicht überleben.“
Zwei Fliegen mit einer Klappe, dachte Mark. Ein reizvoller Gedanke.
Als Unterstreichung seiner Worte nieste Dominik. Einmal. Zweimal. Trotzdem glaubte Mark, ein gewisses schadenfrohes Grinsen gesehen zu sehen.
„Komm schon“, redete Nicole ihm gut zu. „Es wäre doch nur vorübergehend. Morgen finden wir sicherlich eine andere Bleibe für ihn. Nicht wahr, mein Lieber?“ Die letzten Worte waren an den Hund gerichtet. Sie beugte sich hinab und kraulte ihn übermütig hinter den Ohren. „Du bist ein ganz Braver, oder?“ Und an Mark gewandt: „Du schaffst das schon. So schwer ist das nicht.“
Sie hatte leicht reden. Ebenso sein Partner. Widerwillig wog er einige Sekunden lang die wenigen Fürs und die deutlich zahlreicheren Widers gegeneinander ab. Allein die Vorstellung erschien ihm so absurd, dass es ihm schwerfiel, darüber auch nur nachzudenken. „Also gut. Aber nur für eine Nacht!“
Der Hund kam zu ihm und stupste mit dem Kopf an Marks Beinen, so als hätte er genau verstanden, worum sich die Unterhaltung drehte. Es war richtiggehend unheimlich.
Trotz der Zusage hoffte er inständig, dass sich noch eine andere Möglichkeit auftun würde. Er probierte mehrere Male, in Erlangen anzurufen, bekam aber nie jemanden an den Apparat. Als letzten Strohhalm machte er ganz bewusst Halt bei allen Streifenpolizisten im Festsaal und auf dem Korridor des Gasthofs und befragte jeden nach dem aktuellen Stand ihrer Befragungen. Noch mehr brauchbare Dinge hatte bisher keiner erfahren, und auch ihre Begeisterung für Felix hielt sich stark in Grenzen.
Er wollte gerade aufgeben, da kam ein Mittzwanziger in Uniform und mit feuerroten Haaren vom anderen Ende des Raums mit zügigen Schritten auf ihn zu. „Ich habe da was, das sollten Sie sich mal genauer anschauen.“ Er ließ sie zwei Sekunden lang zappeln, um Luft zu holen und seine Gedanken zu ordnen, bevor er fortfuhr: „Einige Gäste haben beobachtet, wie die Frau kurz vor ihrem Tod einen handfesten Streit mit einem anderen Gast hatte.“
„Ha! Lass mich raten: mit ihrem Lebensgefährten“, platzte es aus Dominik heraus.
Die Wangen des Rotschopfs begannen zu glühen. „Äh … nein. Eher mit dem Muskelprotz da hinten an der Bar. Er heißt Fjodor Semjonow, wenn ich das richtig aufgeschrieben habe. Davon, dass er mit der Toten liiert war, habe ich nichts gehört.“
„Ist er auch nicht, soweit wir wissen“, beruhigte ihn Mark. „Haben die Zeugen mitbekommen, worum es in dem Streit ging?“
„Nicht direkt. Das Ganze ist auch nicht hier im Saal passiert, sondern draußen auf dem Parkplatz. Es soll recht laut zugegangen sein.“
Mark dankte ihm für die Info und ging auf die Bar zu. Mit der Beschreibung Muskelprotz hatte der Kollege nicht übertrieben. Der schon im Sitzen massive Typ hatte Schultern so breit wie ein Kleiderschrank und Oberarme, bei denen selbst Arnold Schwarzenegger beeindruckt den Daumen gehoben hätte. Was er allerdings an Muskeln vorlegte, fehlte ihm an Haarwuchs auf dem Kopf. Sein kahler Schädel glänzte im Deckenlicht.
„Grüß Gott, sind Sie Fjodor Semjonow?“
„Werwilldaswissn?“ Es war kaum mehr als ein Grunzen. Als er sich zu ihnen umdrehte, schien er die Augenlider kaum offenhalten zu können. Na, das konnte ja was werden.
Die Kommissare stellten sich mit ihren Dienstmarken vor. Was ihr Gegenüber wenig zu beeindrucken schien. „Was wollen Sie von mir?“, brachte er mühsam heraus.
„Wir würden uns mit Ihnen gerne über Sybille Kaiser unterhalten.“
„Wersdasschonwieder?“
„Die Tote“, klärte ihn Dominik auf. Er klang wenig geduldig.
„Ach die. Damit hab ich nichts zu tun.“ Er rülpste leise und musste seinen schweren Kopf auf den Armen abstützen.
„Es heißt, Sie beide hatten Streit miteinander.“
Er brummte etwas, was wie „Quatsch“ klang, genauso gut aber auch ein Schnarchen sein konnte.
„Das hat doch keinen Sinn“, schlussfolgerte Dominik. „Der Typ riecht wie eine Schnapsbrennerei und hat wahrscheinlich auch genauso viel im Kessel. Der gehört in eine Ausnüchterungszelle und nirgendwo anders hin.“
Da wollte Mark nicht widersprechen. Er unternahm noch einen letzten Versuch, doch nachdem Semjonow nicht einmal mehr darauf reagierte, winkte er zwei Streifenpolizisten heran und bat um einen Abtransport. Die überschwängliche Freude stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben.