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80 Tage zuvor

Christian rieb sich den Schlaf aus den Augen. Es dauerte einen Moment, bis er realisierte, dass er in Lenas Bett lag. Er war wachgerüttelt worden. Es war 3:00 Uhr in der Nacht. Lena saß neben dem Bett auf einem Stuhl. Das Licht im Zimmer war angeschaltet, was ihm noch mehr Mühe bereitete, die Augen zu öffnen. Lena hatte ihn mit ausgestrecktem Arm an der Schulter gerüttelt. Solange, bis er endlich aus dem Schlaf erwachte. Sie trug eine Brille, die er noch nicht an ihr gesehen hatte. Eine dicke Hornbrille. Ihr Blick durch die Gläser wirkte ernst und streng. Sie war vollständig bekleidet, mit einer bis zum Hals zugeknöpften Bluse und einer altmodischen Bundfaltenhose.

»Wir müssen uns unterhalten«, sagte sie, als sie sicher war, endlich Christians volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben.

»Jetzt? Es ist drei Uhr nachts.«

»Das ist egal. Es ist wichtig.«

»Na gut, wenn es sein muss«, seufzte Christian und war gespannt, was sie auf dem Herzen hatte. Er setzte sich aufrecht ins Bett und sah Lena verschlafen und verwundert zugleich an. Sie saß mit gestrecktem Rücken und übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Stuhl und hatte einen Notizblock und einen Stift in der Hand. »Worum geht es denn?«

»Um uns. Liebst du mich?« Sie stellte diese Frage völlig emotionslos, was Christian endgültig aus dem Konzept brachte. Er schaute sie einfach nur an. Und Lena sah ihn an, ungeduldig auf seine Antwort wartend.

»Ich glaube schon«, stammelte Christian.

»Du glaubst es nur?« Lena notierte sich etwas auf ihrem Block.

»Was schreibst du denn da auf?«

»Na, dass du dir nicht sicher bist. Wie viele Freundinnen hattest du denn schon bisher?«

Christian schüttelte leicht genervt den Kopf. »Ist das jetzt dein Ernst?«

Lena sah ihn wieder mit diesem strengen Blick an. Ihre Mundwinkel waren leicht nach unten gezogen. Christian war sich sicher, dass er sie bisher fast nur mit einem Lächeln auf den Lippen gesehen hatte. Abgesehen von diesem Morgen danach.

»Natürlich ist das mein Ernst. Weißt du es etwa nicht mehr? Waren es schon so viele?«

»Nein, ich hatte bisher zwei Freundinnen.«

Lena notierte sich das und stellte gleich die nächste Frage. »Wie lange dauerten diese beiden Beziehungen?«

»Das ist mir jetzt zu blöd«, murrte Christian und wollte aufstehen.

»Ist es dir unangenehm, über dich zu sprechen?«

»Ich mag es nicht, mitten in der Nacht verhört zu werden«, drückte Christian seinen Unmut lauter als gewollt aus.

»Es geht aber nicht anders«, erwiderte Lena unbeeindruckt. »Also, wie lange ging das mit deinen Freundinnen?«

»Mit Katja war ich ein halbes Jahr zusammen. Sie ist dann zum Studieren nach München gezogen. Davor war ich zwei Jahre lang mit Jana befreundet.«

Lena notierte sich das wieder und fuhr mit ihrer Befragung unbeirrt fort. Christian wurde neugierig, wie das weitergehen würde, und blieb auf dem Bett sitzen. Er lernte gerade eine ganz neue Lena kennen.

»Bist du mit Katja auch gleich am ersten Abend ins Bett gegangen?«

»Nein, das hat länger gedauert. Bestimmt drei Wochen oder so.«

»Und mit Jana?«

»Mit Jana ging es schneller, nach zwei oder drei Tagen.«

»Bist du fremdgegangen, während dieser Beziehungen?«

»Nein, bin ich nicht. Beruhigt dich das jetzt?«

Lena notierte sich wieder seine Antworten, ignorierte seine Frage aber. »Möchtest du später einmal heiraten und Kinder bekommen?«

Bei diesem Thema wurde es Christian nun doch wieder mulmig zumute. »Du nimmst doch die Pille, oder?«

Lena ignorierte seine Frage erneut, schaute ihn aber abwartend an und klopfte ungeduldig mit dem Stift auf ihren Block.

»Ich weiß es noch nicht. Darüber mache ich mir nach dem Studium Gedanken«, murmelte Christian vor sich hin und gab es auf, ihr Gegenfragen zu stellen.

»Du schließt es aber nicht aus?«, bohrte Lena nach.

»Natürlich nicht.«

Nachdem Lena das scheinbar wohlwollend notiert hatte, taxierte sie Christian und stellte ihm ihre nächste Frage. »Wie würdest du reagieren, wenn ich fremdgehen würde?«

Christian sah sie zunächst verblüfft an. War es das, worauf sie hinauswollte? Ging es ihr gar nicht um seine Treue, sondern um ihre Untreue? Wollte sie ihn jetzt damit konfrontieren, damit erst gar keine Missverständnisse zwischen ihnen auftraten? »Würdest du es mir denn erzählen, wenn du fremdgehen würdest?«, versuchte er es doch noch einmal mit einer Gegenfrage.

Lena überlegte kurz. »Nein, wahrscheinlich nicht«, gab sie ihm zur Antwort. »Aber wenn du es trotzdem herausfinden würdest, wie würdest du reagieren?«

»Ich wäre enttäuscht und würde die Beziehung wahrscheinlich beenden.«

Lena setzte zwar den Stift an, notierte aber noch nichts. »Und wenn du mich trotzdem noch lieben würdest und ich dich auch?«

»Warum solltest du dann fremdgehen?«

Lena schien über diese Frage angestrengt nachdenken zu müssen. »Vielleicht, weil ich nicht Nein sagen kann, wenn ein Mann mich begehrt. Oder weil ich es für meine Selbstbestätigung brauche.«

Christian konnte kaum glauben, was sie da von sich gab. In ihm reifte der Entschluss, diese Geschichte besser wieder zu beenden. Auf der anderen Seite war er von Lena fasziniert. So eine Frau hatte er zuvor noch nie getroffen.

»Was ist nun?«, hakte Lena nach. »Könntest du damit leben?«

»Vielleicht.« Christian beschloss, sich zunächst noch alle Optionen offen zu halten.

Lena nahm das mit einer gewissen Erleichterung auf, schrieb wieder etwas in ihren Block und sah Christian nachdenklich an. »Du musst deine Liebste immer gut beschützen, ganz egal, was auch passiert.«

Dann stand sie auf, stellte den Stuhl zurück vor den kleinen Schreibtisch und knipste das Licht aus. »Du kannst jetzt weiterschlafen, gute Nacht.«

Christian war mittlerweile hellwach und konnte natürlich nicht mehr einschlafen. Im Zimmer war es stockdunkel, er konnte Lena nur noch schemenhaft erkennen. Sie verschwand im Bad und blieb dort eine Weile. Christian schloss die Augen und versuchte, wieder einzuschlafen. Vielleicht war das Ganze sowieso nur ein blöder Traum und er gar nicht wach gewesen. Aber dann vernahm er aus dem Bad leise Geräusche, die er nicht zuordnen konnte. Kurz darauf kam Lena aus dem Bad geschlichen. Sie legte sich wortlos zurück zu ihm ins Bett. Sie war wieder nackt und schmiegte sich leise seufzend an ihn. So, wie sie es getan hatte, als sie zusammen eingeschlafen waren. So, als hätte es das merkwürdige Verhör von eben gar nicht gegeben.

*

»Was hältst du von Tobias Lang?«, wollte Siebels wissen, als er mit Till wieder im Auto saß.

»Er ist ein arrogantes Arschloch«, fasste Till sich kurz.

»Ja, mag sein. Aber seine Erläuterungen passen so gar nicht zu denen von Nils Brenner. Irgendwas stimmt da doch nicht. Dass er uns so mir nichts dir nichts einen seiner Angestellten als mutmaßlichen Täter schmackhaft machen will, irritiert mich ehrlich gesagt etwas.«

»Das Betriebsklima in der Kanzlei scheint jedenfalls nicht das Beste zu sein. Seine Trauer um Martin Schlosser hielt sich auf jeden Fall in Grenzen. Aber das hilft uns jetzt auch nicht weiter. Der Mord an Schlosser hängt mit seinem Privatleben zusammen. Die Frau auf dem Foto ist der Schlüssel. Die müssen wir finden. Das Ganze sieht doch nach einem Eifersuchtsdrama aus und nicht nach mörderischen Intrigen von karrieregeilen Anwälten.«

»Du favorisierst als Täterin also die Ex des Opfers, Eva Schlosser?«

»Das erscheint mir momentan jedenfalls die naheliegendste Vermutung zu sein.«

»Warum sollte sie dieses Foto auf ihrem toten Exmann platzieren? Um den Verdacht gleich auf sich selbst zu lenken? Macht keinen Sinn, oder?«

»Frauen mit verletzten Gefühlen handeln nicht unbedingt rational«, klärte Till seinen Kollegen auf.

»Sagt der Frauenversteher«, seufzte Siebels. Er fuhr zum Riedberg, zum Wohnort von Martin Schlosser. »Vielleicht sind wir schlauer, wenn wir den vermeintlichen Liebhaber von ihr aufgespürt haben?«

Sie kannten weder seinen Namen noch seine genaue Adresse. Nur die vage Beschreibung von Marlene Brenner. Der junge Mann müsste mittlerweile Mitte zwanzig sein. Ein schlanker Kerl mit schwarz gelockten Haaren, die ihm bis auf die Schultern fielen.

Sie erreichten ihr Ziel. Siebels stellte den Wagen vor dem Haus von Martin Schlosser ab. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen Mehrfamilienhäuser im Schuhkartonformat. Auf der Straße war keine Menschenseele zu sehen.

»Und wie finden wir den Kerl jetzt?«, seufzte Siebels resigniert.

»Wir klingeln uns von Haus zu Haus und erkundigen uns nach ihm«, schlug Till vor.

Siebels wiederholte noch mal die Beschreibung des jungen Mannes, die er gerade von Till bekommen hatte.

»Exakt. So viele von der Sorte werden hier ja nicht wohnen. Fangen wir in der Mitte der Häuserreihe an, ich arbeite mich links runter und du orientierst dich nach rechts.«

»Klingt nach einem guten Plan«, erwiderte Siebels mit wenig Enthusiasmus.

Siebels’ Laune wurde gleich besser, als er schon beim ersten Anlauf einen älteren Herrn antraf, der sich sicher war, dass es sich bei dem gesuchten jungen Mann nur um Julius Schneider handeln könne. Der wohne zwei Häuser weiter und weil er keiner geregelten Arbeit nachginge, sei er dort jetzt bestimmt auch anzutreffen. Die Eltern von Julius wären hingegen eher selten zuhause. Die hielten sich nämlich beruflich oft im Ausland auf. Der Vater in Indien, China oder auf den Philippinen, die Mutter in England, Irland oder Schottland. Der gesprächige Nachbar verstand auch gar nicht, warum man da überhaupt verheiratet sein müsse und noch viel weniger, wozu sie hier ein Haus benötigten.

Julius Schneider war tatsächlich zuhause und sein Äußeres entsprach recht genau der Beschreibung von Marlene Brenner. Siebels und Till zogen synchron ihre Dienstausweise hervor.

»Sie kommen bestimmt wegen der Sache mit Herrn Schlosser, oder?« Julius Schneider machte einen sympathischen und unbekümmerten Eindruck.

»Ganz recht«, bestätigte Siebels seine Vermutung. »Wir haben ein paar Fragen an Sie, dürfen wir reinkommen?«

»Klar. Ich wurde aber schon befragt und konnte keine Auskünfte geben. Das hat sich nicht geändert.«

»Gestern haben die Kollegen eine reine Routinebefragung in der Nachbarschaft durchgeführt«, sagte Siebels, während sie dem jungen Mann in ein geräumiges Wohnzimmer folgten. Dort lief auf einem riesigen Flachbildschirm ein Musiksender. »Wir sind von der Mordkommission und befragen die Leute noch einmal etwas spezifischer.«

Julius schaltete die Kiste aus und bot seinen Besuchern Platz auf den Sesseln an. »Spezifischer?«

»Mit größerer ermittlungstechnischer Relevanz«, erläuterte Till. »Wir gehen bei unseren Befragungen mehr in die Tiefe.«

»Klingt ja spannend.« Julius setzte sich auf das Sofa.

Da Till seinem Instinkt folgend Marlene Brenner befragt und von ihr den Tipp mit Julius bekommen hatte, sollte er auch dessen Befragung übernehmen, hatte Siebels zuvor vorgeschlagen.

»Sie konnten bei unseren Kollegen gestern also keine hilfreiche Aussage machen«, fasste Till den bisherigen Stand kurz zusammen.

»Stimmt. Ich habe nichts gesehen und nichts gehört und erst etwas davon mitbekommen, als die Polizistin hier geklingelt und mich befragt hat.«

»Wie gut kannten Sie Herrn Schlosser?«

»Nicht sehr gut. Eigentlich nur vom Sehen. Und das auch nur alle paar Wochen mal.«

»Und seinen Sohn Christian? Der ist ja ungefähr in Ihrem Alter.«

»Wir haben früher im gleichen Verein Fußball gespielt. Gut befreundet waren wir aber nicht. Er war kein guter Spieler und wir lagen nicht auf einer Wellenlänge.«

»Sind Sie ein guter Spieler?«

»Ziemlich gut, ja. Aber nicht ehrgeizig genug, um daraus Kapital zu schlagen. War das jetzt eine Frage von ermittlungstechnischer Relevanz?« Julius lächelte vergnügt.

»Wer weiß. Ihre Eltern sind oft im Ausland unterwegs, hat uns einer Ihrer Nachbarn verraten.«

»Stimmt. Mein Vater ist als Ingenieur viel in Asien unterwegs. Meine Mutter arbeitet im Vertrieb für eine Kosmetikfirma und reist oft in den angelsächsischen Raum.«

»Und was machen Sie beruflich?«

»Ich passe auf das Haus auf«, sagte Julius schulterzuckend nach kurzer Überlegung.

Siebels und Till warfen sich einen vielsagenden Blick zu. »Das ist alles?« Till beschlich das Gefühl, dass der junge Mann etwas zu verbergen hatte.

»Das ist momentan meine Hauptbeschäftigung. Nebenbei jobbe ich noch ein wenig herum und überlege, was ich studieren könnte. Mein Jura-Studium habe ich nach dem zweiten Semester aufgegeben, danach habe ich es mit BWL probiert. Das habe ich schon nach dem ersten Semester wieder geschmissen. Momentan tendiere ich dazu, Mathematik auf Lehramt zu studieren.«

»Ist ja auch nicht immer so einfach, den richtigen Weg für sich zu finden«, bemerkte Siebels.

»Wussten Sie schon immer, dass Sie Polizist werden wollen?«

Siebels nickte. »Ja, das war mir schon früh klar und ich wüsste bis heute nicht, was ich sonst hätte tun können.«

»Vielleicht wäre das ja auch was für mich?«, überlegte Julius.

»Jetzt dürfen Sie aber erst mal als Zeuge brillieren«, sagte Siebels und übergab den Stab wieder an Till.

»Was für Jobs machen Sie denn, wenn Sie nicht gerade auf das Haus aufpassen?«

»Dieses und jenes. Ich gebe Nachhilfeunterricht, mache manchmal für ein paar Tage oder Wochen Büroarbeiten in der Firma meines Vaters und programmiere und gestalte Webseiten. Das kommt aber nicht allzu häufig vor, mein Kundenkreis ist da überschaubar.«

»Nach unseren Erkenntnissen verdienen Sie sich auch durch kleinere Gartenarbeiten in der Nachbarschaft noch etwas hinzu. Ist das richtig?«

»Stimmt. Aber das ist noch überschaubarer. Der alten Frau Müller mähe ich im Sommer den Rasen. Ich nehme an, sie hat Ihnen das erzählt?«

Till bemerkte, dass Julius es jetzt zu gerne bei dieser Frau Müller belassen würde. Aber den Gefallen würde er ihm natürlich nicht tun. Er schüttelte den Kopf. »Nein, mit einer Frau Müller haben wir uns nicht unterhalten.«

Julius wirkte jetzt nachdenklich und leicht abwesend. »Das ist im Viertel ja bekannt, dass ich Frau Müller da immer mal zur Hand gehe. Aber was spielt das auch für eine Rolle?«

»Haben Sie auch bei Familie Schlosser schon ausgeholfen?«, kam Till nun auf den Punkt.

»Stimmt. Das ist aber bestimmt schon ein oder zwei Jahre her. Da habe ich eine Hecke zurückgeschnitten. Mit Herrn Schlosser hatte ich damals aber gar keinen Kontakt. Und selbst wenn, was wollen Sie jetzt eigentlich von mir?«

»Frau Schlosser hatte Sie also für diese Arbeit engagiert?«

Dass Julius sich immer weniger wohl in seiner Haut fühlte, konnte er nicht verbergen. »Ja. Ist das ein Problem?«

»Können Sie sich schon denken, worauf ich hinauswill?«, fragte Till süffisant.

»Sollte ich mir besser einen Anwalt nehmen?« Die Selbstsicherheit, die Julius zuvor ausgestrahlt hatte, war nun wie weggeblasen.

»Das bleibt Ihnen überlassen. Aber ich wüsste nicht, warum das nötig sein sollte. Wir interessieren uns allerdings weniger für Ihre Tätigkeiten als Aushilfsgärtner, sondern eher dafür, in welcher Beziehung Sie zu Frau Schlosser standen.«

Julius ließ sich einen Moment Zeit, bevor er darauf einging. »Okay, wir hatten mal was miteinander. Das ging aber nicht lange und danach hatten wir kaum noch Kontakt. Hat ja dann auch nicht mehr lange gedauert, bis sie ihren Mann verlassen hat und von hier weggezogen ist. Woher wissen Sie denn davon?«

»Spezifisch relevante Ermittlungsmethoden«, grinste Till. »Was hatten Sie damals denn für einen Eindruck von ihr? Erzählen Sie doch mal.«

»Glauben Sie, dass sie ihren Mann umgebracht hat?«

»Wir glauben gar nichts. Wir wollen uns nur ein Bild machen. Also seien Sie doch so nett und helfen uns ein bisschen weiter.«

»Sie hat mich auf der Straße vorm Haus angesprochen«, fing Julius widerwillig an zu berichten. »Ob ich mir nicht ein bisschen was dazuverdienen wolle, wegen der Hecke im Garten. Ich war einverstanden und kam zwei Tage später zu ihr. Es war ein warmer Tag. Sie zeigte mir die Hecke. Eine Heckenschere hatte sie auch schon zurechtgelegt. Zwei Stunden habe ich daran rumgeschnippelt. Als ich fertig war, kam sie mit einer Kanne Eistee. Wir haben uns auf die Terrasse gesetzt und uns unterhalten. Dabei hat sie angefangen, mich anzumachen. Das hat mir gefallen. Ich habe mich darauf eingelassen. Sie war ja auch ansehnlich. Lange Rede, kurzer Sinn. Da ich vom Heckeschneiden ziemlich verschwitzt war, hat sie mich unter die Dusche geschickt und ist gleich mitgekommen, um mich einzuseifen.«

»Na, das war doch schon mal sehr hilfreich für den Anfang«, zeigte Till sich zufrieden.

»Für den Anfang? Viel mehr gibt es da nicht mehr zu erzählen.«

Till vollzog zunächst eine Kehrtwende und zeigte Julius das Foto von der unbekannten nackten Frau auf der Couch im Hause Schlosser. »Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen?«

Julius nahm das Foto und betrachtete es sich eingehend. »Das ist drüben bei den Schlossers aufgenommen.«

»Richtig. Kennen Sie die Frau?«

»Ich glaube, ich habe sie schon mal gesehen.«

Till warf einen Blick zu Siebels. Der zeigte unmerklich den erhobenen Daumen.

»Und wo glauben Sie, sie schon mal gesehen zu haben?«

»Könnte sein, dass ich sie mit Christian gesehen habe. Nach dem Training auf dem Fußballplatz. Oder in der Vereinskneipe. Ich bin mir nicht ganz sicher.«

Siebels dachte an Christian Schlosser, dem anscheinend doch mehr das Foto als die Nachricht vom Tod seines Vaters auf den Magen geschlagen war.

»War es die Freundin von Christian?«

Julius nickte. »Ich habe die beiden nur zusammen gesehen, nicht mit ihnen gesprochen. Aber ich denke schon, die haben einen ziemlich verliebten Eindruck gemacht.«

»Das hilft uns schon mal sehr viel weiter. Wissen Sie auch, wie sie heißt?«

Julius schüttelte den Kopf. »Nee, keine Ahnung.«

»Gibt es jemanden aus dem Verein, der mit Christian gut befreundet ist und ihren Namen wissen könnte?«

»Max. Max Krause. Die beiden hingen oft zusammen rum. Aber Christian weiß es bestimmt auch.« Im letzten Satz war der ironische Unterton nicht zu überhören.

»Davon ist auszugehen«, bestätigte Till. »Kommen wir noch mal auf Ihre kleine Affäre mit Ihrer ehemaligen Nachbarin zurück. Wie lange ging das denn?«

»Werden meine Eltern davon erfahren?«, wollte Julius erst mal wissen, bevor er den Polizisten weitere Einzelheiten aus seinem Liebesleben verriet.

»Von uns nicht. Jedenfalls nicht, solange wir Sie nur als Zeugen befragen.«

»Und was soll das jetzt heißen?«

»Soll heißen, dass Sie nichts zu befürchten haben, wenn Sie nicht vorletzte Nacht rüber zu Herrn Schlosser gegangen sind und ihm eins über den Schädel gehauen haben.«

»Habe ich nicht. Warum denn auch?«

»Also, wie lange ging das Techtelmechtel zwischen Ihnen und Ihrer Nachbarin?«

»Weiß nicht, zwei oder drei Monate. Aber wir haben uns nicht regelmäßig getroffen, Vielleicht alle zwei Wochen mal.«

»Hat sie dabei ihren Mann erwähnt? Oder ihre Ehe? Hat sie Ihnen gesagt, warum sie eine Affäre mit Ihnen angefangen hat?«

»Einmal hat sie darüber gesprochen. Sie war ziemlich sauer auf ihren Alten. Der würde ständig mit jungen Dingern rumvögeln und sie nur noch als billige Putzhilfe betrachten. Mir war das eigentlich egal. Ich hatte meinen Spaß und sie auch.«

»Warum hat Ihre Affäre dann nur zwei oder drei Monate angehalten? Ist doch praktisch, wenn man gegenüber wohnt und genug Tagesfreizeit hat.«

»Stimmt, das war wirklich praktisch. Damit niemand Verdacht schöpft, habe ich jedes Mal ein paar Dinge im Garten erledigt, bevor wir in die Kiste gesprungen sind. Ich weiß gar nicht genau, warum es aufgehört hat. Sie hat sich einfach nicht mehr gemeldet. Wenn ich kommen sollte, hatte sie mir immer eine Nachricht auf das Handy geschickt. Die blieben irgendwann einfach aus.«

»Und Sie haben nicht mal nachgefragt, warum sie sich nicht mehr meldet?«

»Nö. Na ja, als schon eine Zeitlang Funkstille herrschte, habe ich zufällig einen Kerl gesehen, der drüben ins Haus gegangen ist. Mittags. Ich bin also davon ausgegangen, dass sie einen anderen hatte. Oder schon zweigleisig gefahren ist, als wir uns noch getroffen haben. Das war mir zu blöd, also habe ich es dabei belassen.«

»Den anderen Kerl haben Sie aber noch nie zuvor gesehen? Oder wissen Sie, wer das war?«

»Nein, den kannte ich nicht. Der dürfte aber auch in meinem Alter gewesen sein. Bin mir aber nicht sicher, habe ihn nur kurz und aus einiger Entfernung gesehen.«

Till ließ sich eine vage Beschreibung von dem unbekannten Mann geben und bedankte sich abschließend für das offene Gespräch.

»Komische Frau, die Frau Schlosser«, wunderte sich Siebels, als sie wieder im Wagen saßen.

»Ja, mit der werden wir bestimmt noch interessante Gespräche führen.« Till grinste. »Würde mich ja interessieren, wie viele Männer die gehabt hat, während sie ihrem Mann ständig Untreue vorgeworfen hat.«

»Du wirst es herausfinden«, sagte Siebels, der es selbst gar nicht so genau wissen wollte. »Jetzt fahren wir zu Christian Schlosser. Ich will endlich wissen, wer die Frau auf dem Foto ist, warum sie auf dem Foto ist und warum das Foto auf Christians erschlagenem Vater abgelegt wurde.«

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