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90 Tage zuvor

Christian Schlosser war 24 Jahre alt, studierte Jura und lebte in einer WG. Er war zufrieden mit seinem Leben. Jedenfalls nachdem er aus seinem Elternhaus ausgezogen war, in dem ein erbitterter Ehestreit zu einem unerbittlichen Scheidungskrieg ausgeartet war. Mit seinen Mitbewohnern Joshua und Daniel verstand er sich gut, sie feierten gemeinsam Partys oder chillten bei angesagten Netflix-Serien vor dem Fernseher.

An einem heißen Sommertag im August ging er allerdings allein ins Freibad. Seine Mitbewohner hatten anderes vor und manchmal genoss Christian es auch, mal wieder ganz für sich zu sein.

Er hatte sein Handtuch auf der großen Liegewiese ausgebreitet und war in Gedanken versunken, nahm das Treiben um sich herum nicht wirklich wahr.

Sein Vater war Rechtsanwalt und teilhabender Partner bei der Kanzlei Lang und Partner. Christian hatte sein Jurastudium begonnen, weil ihm nichts Besseres eingefallen war. Er bezweifelte aber, dass er es durchziehen würde, und dachte darüber nach, etwas anderes zu studieren. Vielleicht sogar Geisteswissenschaften. Germanistik oder Philosophie.

Auch in Sachen Familienplanung wollte er dem Vorbild seines Vaters keinesfalls folgen. Sein Vater hatte damals noch nicht einmal das Studium beendet, als Christian auf die Welt kam. Kurz darauf heiratete er Eva, die seinerzeit Ärztin werden wollte. Aber aus dem Plan war nichts geworden. Sie zog den Sohn groß und hielt ihrem Mann den Rücken frei, damit der sich mit vielen Überstunden in der Kanzlei hocharbeiten konnte. Christian wollte sein Leben lieber so lange wie möglich genießen und sich nicht zu früh an eine Frau binden.

Zwei Meter neben ihm saß schon seit einer Weile eine junge Frau und sonnte sich gedankenverloren. Christians Blicke schweiften immer wieder zu ihr. Um ihn herum lagen und saßen viele Frauen. Manche allein, andere mit Freundinnen oder einem Partner. Nicht wenige davon waren attraktiv. Aber Christian hatte nur Augen für die Eine. Ständig musste er zu ihr rüber schauen, er beobachtete sie regelrecht. Sie war trotz des zurückliegenden heißen Sommers noch recht blass. Ihre makellose Haut schimmerte elfenbeinartig in der tiefstehenden Sonne. Sie wirkte völlig entspannt, ruhte in sich, schien glücklich zu sein. Christian ließ seinen Blick nicht von ihr ab, als sie sich erhob und zum Wasserbecken lief. Sie kühlte sich kurz ab und stieg wenige Minuten später wieder aus dem Becken. Mit anmutigen Bewegungen duschte sie sich ab und ging zurück zu ihrem Handtuch. Sie trug einen cremefarbenen Bikini, das braune Haar kurz geschnitten mit einem frechen Pony. Als sie ihr Badetuch erreichte, erwiderte sie Christians Blick und lächelte ihn dabei etwas verlegen an. Jedenfalls interpretierte er es so.

Er beobachtete sie nun mehr oder weniger unverhohlen und sie warf auch ihm zwischendurch Blicke zu. Christian wollte diese Frau unbedingt näher kennen lernen. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, ging auf sie zu und fragte sie, ob sie nicht Lust auf ein Eis hätte. Er deutete auf die kleine Eisdiele, die neben den Umkleidekabinen lag.

Sie sah ihn neugierig an, ihre graublauen Augen funkelten regelrecht. »Ich hatte schon fast aufgegeben und gedacht, ich würde die Wette verlieren«, erwiderte sie und klang dabei leicht verträumt.

»Welche Wette denn?« Mit ihrer Antwort hatte sie ihn gleich aus dem Konzept gebracht, an dem er so lange gefeilt hatte, während er seine Augen nicht von ihr lassen konnte.

»Ob du mich ansprichst oder nicht.«

»Aha. Und mit wem hast du gewettet?«

Sie zuckte mit den Schultern und sah sich um, so, als ob da jemand sein könnte, mit dem sie eine Wette abgeschlossen haben könnte. »Mit mir selbst«, teilte sie ihm zögerlich mit. »Mit wem denn sonst?«

»Das ist ziemlich clever, die Wette hättest du also auf jeden Fall gewonnen«, lachte Christian.

Sie lächelte ihn verträumt an.

»Und, hast du nun Lust auf ein Eis?«

»Ja, sehr gerne«, sagte sie und begleitete Christian leichtfüßig zur Eisdiele. Sie hieß Lena und entschied sich für ein Erdbeereis.

Mit den Eiswaffeln in den Händen setzten sie sich auf eine Bank. Christian fing an, über sich zu erzählen. Dabei klebte sie förmlich an seinen Lippen. Von sich selbst gab sie aber kaum etwas preis. Sie erzählte ihm, dass sie erst seit einigen Monaten in der Stadt sei und ein Zimmer im Studentenwohnheim bewohnen würde. Als Christian wissen wollte, von wo es sie nach Frankfurt gezogen hatte, druckste sie herum. Von ziemlich weit weg, mehr sagte sie nicht dazu. Über ihre Eltern wollte sie auch nicht sprechen. Jedenfalls wich sie aus, als Christian sich erkundigte, ob sie noch guten Kontakt zu ihnen hätte. Eigentlich war das beim ersten Date auch kein gutes Thema, da kam das gebrannte Scheidungskind in ihm durch, ermahnte er sich selbst. Schließlich gestand er ihr, dass er sie sehr süß und attraktiv fand und gerne näher kennen lernen würde. Er fragte sie, ob sie mit ihm später in der Stadt noch etwas trinken gehen wolle. Sie sah ihn versonnen an und schüttelte den Kopf.

»Wir können noch zu mir gehen«, schlug sie stattdessen vor. Sie würde in dem Studentenwohnheim gleich um die Ecke wohnen.

Christians Herz klopfte schneller. Kurz darauf verließen sie händchenhaltend das Schwimmbad. Christian konnte sein Glück kaum fassen.

In ihrer kleinen Bude sprachen sie nicht mehr viel. Sie küssten sich, kuschelten sich in dem engen Bett aneinander, zogen sich gegenseitig aus und liebten sich. Alles, was sie taten, machten sie voller Zärtlichkeit und Hingabe. Als hätten sie sich schon lange gesucht und nun endlich gefunden. Sie liebten sich noch die halbe Nacht und schliefen schließlich eng umschlungen in ihrem viel zu kleinen Bett ein.

Als Christian am nächsten Morgen aufwachte, saß sie mit angezogenen Knien auf dem kleinen Holztisch gegenüber vom Bett und beobachtete ihn mit ausdrucksloser Miene. Sie rauchte eine Zigarette und schnippte die Asche achtlos auf den Boden. Gestern hatte sie nicht eine Zigarette geraucht. Christian rieb sich den Schlaf aus den Augen und murmelte ihr so etwas wie einen guten Morgen entgegen. Sie trug nur ein weites weißes Hemd, das ihr bis knapp über die Knie reichte. Ihre gestern noch so fröhlich funkelnden Augen wirkten heute kalt und abweisend.

»Du kannst dich jetzt verpissen«, sagte sie und auch ihre Stimme klang ganz anders. Nicht mehr lieblich, sondern verächtlich.

Christian erschrak und hatte das Gefühl, im falschen Film aufgewacht zu sein. »Was ist denn los?«, fragte er verdattert.

»Mach dich einfach vom Acker, ich will jetzt allein sein.« Sie drückte ihre Zigarette auf der Fensterbank aus.

Völlig perplex zog Christian seine Klamotten an und versuchte zu begreifen, was hier los war.

»Wie heißt du noch mal?«, fragte sie ihn, als er sich ratlos aus dem Zimmer stehlen wollte.

»Christian. Hast du das schon wieder vergessen?«

»Hast du mich eigentlich gefragt, ob ich die Pille nehme, Christian?«

Christian dachte, nicht richtig zu hören. Das wurde ja immer skurriler. Sein Magen zog sich zusammen. »Du hast gesagt, dass du sie nimmst«, stammelte er.

»Kann ich mich gar nicht dran erinnern. Jetzt aber raus hier, ich muss noch einiges erledigen.«

Christian ging und konnte sich die Wandlung von Lena nicht im Geringsten erklären. Zu seiner Verwunderung fühlte er sich aber auch von dieser derben und dominanten Art, mit der sie ihn völlig unvorbereitet überrumpelt hatte, auf unerklärliche Weise angezogen.

*

Siebels begab sich ins obere Stockwerk, wo Till im Arbeitszimmer zugange war. Die beiden befanden sich mittlerweile allein im Haus.

»Die Scheidung war ziemlich schmutzig«, berichtete Till. »Jede Menge Aktenordner voller Gehässigkeiten, die penibel vor Gericht ausgebreitet wurden. Sie unterstellte ihm Affären zu jungen Frauen und behauptete, von ihm geschlagen worden zu sein. Er stritt alles ab und versuchte sie als psychisch labil und paranoid hinzustellen. Er wollte sie sogar in die Psychiatrie einweisen lassen.«

»Dann haben wir schon mal eine Verdächtige«, seufzte Siebels. »Das Foto auf seiner Brust könnte ja durchaus ein dezenter Hinweis von ihr sein, dass ihre Anschuldigungen nicht aus der Luft gegriffen waren. Hast du ihre Adresse gefunden?«

»Ja, Eva Schlosser wohnt jetzt in der Falkstraße in Bockenheim. Und der gemeinsame Sohn Christian ist Mitglied einer Wohngemeinschaft im Nordend. Er studiert Jura.«

»Tja, besuchen wir erst seine Ex oder erst den Sohn?«

»Erst die Ex. Vielleicht haben wir den Fall dann schon gelöst.«

»Das wäre ja schön. Aber vorher machen wir einen Abstecher ins Büro. Ohne Dienstausweise können wir schlecht in der Gegend herumermitteln.«

»Handschellen können auch nicht schaden, bei einer bösartigen Ex.«

»Richtig. Und Dienstwaffen. Und ein Dienstwagen wäre auch nicht schlecht.«

»Da seid ihr ja wieder«, wurden die beiden von Jasmin begrüßt. Sie saß im Büro nebenan, die Tür stand offen.

»Wir mussten unten wieder eine Viertelstunde warten, bis wir reindurften«, brummte Siebels. »Was machen denn unsere Dienstausweise?«

»Die liegen auf euren Schreibtischen. Sorry, die sollten eigentlich schon letzte Woche fertig sein.«

»Gibt es auch Kaffee?«, fragte Till.

»Ich mache euch ausnahmsweise einen. Einen Willkommenskaffee. Ab morgen könnt ihr euren Kaffee aber selber kochen.«

»Du bekommst dafür auch ein Croissant«, erwiderte Till großherzig. »Schoko-Croissant, habe ich heute Morgen beim Bäcker besorgt.«

»Ich komme gerade aus der Mittagspause und bin satt«, wiegelte sie ab. »Wie läuft es mit eurem Fall? Kann ich was tun?« Jasmin befüllte ihre Kaffeemaschine mit Wasser.

»Unsere Dienstwaffen?«, fragte Siebels knapp.

»Die könnt ihr bei Frau Holderlein abholen, Raum 105.«

»Es geht voran«, frohlockte Siebels. »Und die Schlüssel für den Dienstwagen?«

»Auf deinem Schreibtisch, Siebels. Mit Papieren. Milch und Zucker?«

»Ja bitte. Du wirst mir von Minute zu Minute sympathischer, Jasmin.«

»War ich dir heute Morgen etwa unsympathisch?«

»Na ja, ich habe mir die Begrüßung an meinem ersten Arbeitstag irgendwie anders vorgestellt.«

»Für mich bitte nur mit Milch«, bat Till. »Er ist ein bisschen beleidigt«, klärte er Jasmin über Siebels auf. »Er hatte eigentlich damit gerechnet, einen roten Teppich ausgerollt zu bekommen.«

»Und ein von langer Hand einstudiertes Liedchen vom Polizeichor vorgetragen zu bekommen«, ergänzte Siebels.

Jasmin lachte und trällerte belustigt los.

La la laaaa la.

Der Siebels ist wieder da.

Mörder, Mörder, nimm dich in Acht.

Er hat nämlich auch den Till mitgebracht.

La la laaaa la.

Endlich ist er wieder da.

Alle Polizisten schreien laut: Huurraaaa.

La la laaaa la.

»So, das muss genügen.« Jasmin zwinkerte Siebels zu und reichte ihm die Kaffeetasse.

»Danke, jetzt habe ich endlich das Gefühl, wieder angekommen zu sein.« Siebels wischte sich eine imaginäre Träne aus dem Auge.

»Na super, dann macht euch an die Arbeit. Ich habe euch noch ein paar Akten mit kalten Fällen auf den Tisch gelegt. Nicht, dass euch hier noch langweilig wird.«

»Ach, eine Sache kannst du doch noch für uns erledigen«, fiel Siebels ein und reichte Jasmin das Foto, das auf der Brust des Opfers gefunden wurde. »Bitte scanne das ein und druck zwei Kopien für uns aus.«

Jasmin warf einen Blick auf die junge nackte Frau und runzelte die Stirn. »Ist das dienstlich?«

Till grinste und Siebels verdrehte die Augen. »Und anschließend bitte bei den Beweismitteln zum Fall Martin Schlosser ablegen.«

»Na, wenn das so ist, mache ich das doch.« Sie zwinkerte Siebels zu und nahm das Foto entgegen.

Bei einem späten Frühstück mit Croissants und frischem Kaffee sichtete die glücklich vereinte Mordkommission die kalten Fälle.

»Hier scheint schon länger niemand mehr so richtig gearbeitet zu haben«, seufzte Till und nahm sich eine neue Akte vor.

»Das Gefühl habe ich auch«, brummte Siebels. Er klappte seine Akte wieder zu und schmiss sie auf den Tisch. »Ich schlage vor, dass wir uns erst mal um den frischen Fall kümmern. Am besten teilen wir uns auf, damit es vorangeht. Ich besuche die Ex von Martin Schlosser und du seinen Sohn. Einverstanden?«

Till schaute Siebels nachdenklich an. »Nö, ich will die Ex befragen.«

»Knobeln wir es mit Schnick-Schnack-Schnuck aus«, schlug Siebels vor.

Till gewann mit drei zu zwei. Im Gegenzug durfte Siebels den neuen Dienstwagen nutzen, während Till sich von Jasmin ein Poolfahrzeug besorgen ließ.

*

Eva Schlosser war 48 und damit ein Jahr jünger als ihr Ex-Mann. Sie hatte langes, gewelltes, blondes Haar, war schlank und 1,74 m groß. Seitdem sie ihren Mann verlassen hatte, bewohnte sie eine Zweizimmerwohnung in der Bockenheimer Falkstraße. Es war bereits früher Nachmittag, als Till vor ihrer Tür stand. Mit Jeans und einem engen Top bekleidet schien sie über den unangemeldeten Besuch eines Kriminalbeamten verwundert zu sein und erkundigte sich zunächst besorgt, ob etwas mit ihrem Sohn sei.

»Es geht um Ihren Ex-Mann« beruhigte Till sie. »Darf ich kurz reinkommen?«

Eva Schlosser machte keine Anstalten, Till in ihre Wohnung zu lassen. »Was ist mit ihm?«

»Er ist tot.« Till schaute ihr in die Augen, konnte aber keine Reaktion darin lesen. Sie starrte ihn einfach nur an. »Er ist tot?«

»Er wurde in seinem Haus ermordet aufgefunden«, klärte Till sie auf.

»Es ist unser Haus. Oder mein Haus. Das wird das Gericht noch klären. Aber wenn er tot ist, ist es jetzt wohl mein Haus. Oder?«

»Sorry, aber ich bin von der Mordkommission, nicht von der Hausgerichtsbarkeit«, zeigte Till sich von seiner ironischen Seite. »Ich hätte ein paar Fragen an Sie. Wollen wir das hier oder lieber drinnen klären?«

»Ich bin nicht allein«, druckste Eva Schlosser herum.

»Dann fahren wir jetzt halt gemeinsam aufs Präsidium, das geht auch.«

»Nein, schon gut. Kommen Sie rein. Es ist aber nicht aufgeräumt.«

»Das stört mich nicht.« Kaum hatte Till die Wohnung betreten, kam ihm aus der Küche ein junger Mann mit schulterlangen Haaren und tätowierten Armen entgegen.

»Gibt es ein Problem?«, fragte er, nachdem er Till in Augenschein genommen hatte.

»Geh du mal Fernsehgucken und mach die Tür hinter dir zu. Ich habe mit dem Mann was zu besprechen«, sagte Eva Schlosser und führte Till in die Küche. »Mein Freund«, murmelte sie kaum hörbar und schloss die Küchentür von innen. Till nickte nur. Der Kerl dürfte im Alter ihres Sohnes gewesen sein. Als neuen Mann an der Seite von Eva Schlosser im Haus des toten Anwalts konnte er ihn sich nur schwerlich vorstellen.

»Er ist also ermordet worden«, sagte sie und versuchte, diese Information und den damit verbundenen Besuch des Kriminalbeamten einzuordnen.

»Ja, letzte Nacht. In dem Haus, das sie beide bis vor einem halben Jahr noch gemeinsam bewohnt haben«, drückte Till sich diplomatisch aus. »Es gab keine Einbruchspuren. Wir gehen also davon aus, dass er seinen Mörder ins Haus gelassen hat. Da es mitten in der Nacht war, hat er ihn wahrscheinlich gekannt. Oder sie.«

»Ach, daher weht der Wind. Sie verdächtigen mich?«

»Nein, ich befrage Sie nur als seine Ex-Frau. Aber ein Alibi könnte natürlich nicht schaden.«

»Mein Alibi sitzt drüben vor dem Fernseher. Wir haben die Nacht zusammen verbracht.«

»Wohnen Sie mit ihm zusammen?«

Eva Schlosser zuckte mit den Schultern. »Mehr oder weniger. Er hat keine eigene Wohnung. Wenn er nicht hier schläft, schläft er in seinem Zimmer bei seiner Mutter. Das ist hier nur eine Zweizimmerwohnung. Ganz lasse ich ihn nicht einziehen, das wird mir sonst zu eng.«

»Verstehe«, sagte Till. »Wissen Sie, ob Ihr Ex-Mann mit jemandem Probleme hatte? Streitigkeiten? Beruflich oder privat. Abgesehen von der Scheidung mit Ihnen.«

»Nein, keine Ahnung. Wir sahen uns schon länger nicht mehr und kommunizierten nur über unsere Anwälte miteinander. Aber es würde mich nicht wundern. Er ist ein verlogenes, intrigantes Schwein gewesen.« Eva Schlosser schien auch nach dem Tod ihres Ex-Mannes keine versöhnlichen Gedanken an ihn verschwenden zu wollen.

»Ich habe mich heute Vormittag im Arbeitszimmer Ihres Ex-Mannes umgesehen und mir in seinen Unterlagen einen Überblick über Ihre Trennung verschafft«, klärte Till sie auf.

»Ich habe ihm 25 Jahre lang den Rücken freigehalten, damit er seine Karriere vorantreiben konnte. Zum Dank dafür hat er mich belogen und betrogen. Ich weine ihm keine Träne nach.«

»Sie haben ihm Affären mit anderen Frauen vorgeworfen«, ging Till auf sie ein. »Er hat das aber abgestritten. Haben Sie ihn mit einer anderen Frau gesehen?«

Eva Schlosser sah Till verletzt an. »Eine Frau spürt so etwas. Er zeigte keinerlei Interesse mehr an mir, außer wenn er Streit suchte. Und den suchte er oft. Unser Sohn hat es bei uns im Haus nicht mehr ausgehalten.« Eva Schlosser sah Till plötzlich erschrocken an. »Weiß Christian es schon? Unser Sohn? Er wohnt in einer WG.«

»Mein Kollege Steffen Siebels ist zu ihm gefahren. Wenn er ihn dort antrifft, klärt er ihn auf. Sie sollten mir aber auf alle Fälle seine Handynummer geben.«

Eva Schlosser nickte geistesabwesend. »Ja, da muss ich nachschauen, ich habe sie nicht im Kopf. Eine Sekunde bitte.«

Sie kam mit ihrem Handy zurück und suchte nach der Nummer ihres Sohnes. Es dauerte einen Moment, bis sie sie gefunden hatte. Till speicherte sie in seinem Gerät.

»Er kam mit seinem Vater gut aus«, sagte sie leise vor sich hin.

»Mit Ihnen auch?« Till hoffte, jetzt nicht in ein Fettnäpfchen getreten zu sein.

»Früher kamen wir sehr gut miteinander aus. Aber ich glaube, er hat hauptsächlich mir die Schuld an dem Krieg mit seinem Vater gegeben. Als er mitbekommen hat, dass ich mit Paul zusammen bin, hat er den Kontakt zu mir abgebrochen. Die beiden sind etwa im gleichen Alter. Dass sein Vater sich mit jungen Frauen rumgetrieben hat, interessierte ihn allerdings weniger.«

Till zog nun das Foto hervor und legte es vor ihr auf den Tisch. »Kennen Sie diese Frau?«

Eva Schlosser atmete schwer aus. »Dieses Schwein. Das Flittchen räkelt sich auf unserer Couch in unserem Haus.«

»Haben Sie sie schon einmal gesehen? Wissen Sie, wer das ist?«

Sie konnte ihren Blick nicht von dem Foto lassen. »Die ist doch noch keine zwanzig. Wann wurde das aufgenommen? Woher haben Sie das?«

»Es lag auf seiner Brust, als sein Leichnam gefunden wurde. Ich weiß nicht, wann es aufgenommen wurde.« Till nahm das Bild und steckte es wieder weg.

»Vielleicht glaubt mir ja jetzt jemand, dass er es ständig mit jungen Dingern getrieben hat«, spie sie aus.

»Sie wissen aber nicht, wer die Frau ist?«

»Keine Ahnung. Wahrscheinlich eine Aushilfsstudentin aus der Kanzlei. Sie können das Foto ja dort mal vorzeigen. Dann erfahren seine Kollegen auch, was für ein verlogener, schwanzgesteuerter Mistkerl er in Wirklichkeit war.«

»Ich denke, für heute belassen wir es dabei. Ich müsste mich aber noch einmal kurz mit Ihrem Freund unterhalten.«

»Wegen meinem Alibi? Verdächtigen Sie wirklich mich?«

»Wegen Ihrem Alibi, richtig. Noch verdächtigen wir niemanden. Wir machen nur unsere Arbeit.«

»Verstehe. Wer kümmert sich denn nun um die Beerdigung? Muss ich das machen?«

»Vielleicht macht das Ihr Sohn?« Till sah sie etwas hilflos an, dann ging er ins Wohnzimmer zu ihrem Freund Paul.

Paul lag auf dem Sofa und guckte Fernsehen. Till zeigte ihm seinen Ausweis. »Wo waren Sie letzte Nacht?«, fragte er ihn ohne weitere Erläuterungen.

Paul stellte den Fernseher leiser und schaute zur Tür raus. Eva Schlosser war aber in der Küche geblieben, was ihn scheinbar etwas verunsicherte. »Warum wollen Sie das wissen?«

»Das ist nur eine Routinefrage bei unseren laufenden Ermittlungen«, beschwichtigte Till ihn.

»Bei was für Ermittlungen?«

»Der Ex-Mann von Frau Schlosser ist ums Leben gekommen.«

»Echt jetzt? Ich habe mit dem aber nix zu tun. Ich kenne den nicht.«

»Aber Sie kennen seine Ex-Frau. Wir müssen leider mit allen Personen reden, die zu seinem Umfeld gehören. Auch wenn es gar keinen persönlichen Kontakt zu Herrn Schlosser gab. Ich müsste jetzt nur wissen, wo Sie letzte Nacht waren, und dann können Sie wieder ganz ungestört Fernsehgucken.«

»Na ja, hier war ich. Ich habe letzte Nacht hier geschlafen. Mit Eva. Wir sind so gegen zehn zusammen ins Bett und morgens bin ich um neun wieder gegangen.«

»Danke, das war es auch schon. Der Form halber muss ich Sie noch darauf hinweisen, dass Sie sich mit einer Falschaussage strafbar machen.«

»Wieso Falschaussage?«

»Der Form halber. Manchmal sagen die Leute halt nicht die Wahrheit, wenn die Polizei ganz höflich nachfragt.«

»Ich habe hier gepennt. Das kann Eva bestätigen.«

»Ja, das hat sie schon. Einen schönen Abend noch. Tschüss.«

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