Читать книгу Seelensplitterkind - Stefan Bouxsein - Страница 9

4

Оглавление

87 Tage zuvor

Lena öffnete Christian die Tür zu ihrer kleinen Studentenwohnung und lächelte ihn schüchtern an. »Schön, dass du so schnell kommen konntest.«

Christian umarmte und küsste sie. Sie erwiderte seinen Kuss, schmiegte sich an ihn, schien sich mit ihm wohlzufühlen. Christian bugsierte sie langsam zum Bett, sie ließ es gerne zu. Sie machten es sich auf dem Laken bequem, küssten sich ohne Unterlass, fingen an, sich gegenseitig auszuziehen.

»Nimmst du die Pille?«, fragte Christian und öffnete ihren BH. Beim letzten Mal hatte sie ihm diese Frage schon bejaht. Aber am darauffolgenden Morgen hatte sie davon anscheinend nichts mehr gewusst.

»Ja, ich nehme die Pille. Du musst dir keine Sorgen machen«, hauchte sie ihm ins Ohr.

Christian blieb misstrauisch, begehrte sie aber noch mehr als bei ihrem ersten Treffen. Beim ersten Mal hatte Lena sich ihm bereitwillig hingegeben, war aber weitestgehend passiv geblieben. Jetzt zeigte sie sich fordernder. Sie streifte ihm die noch verbliebene Unterwäsche vom Körper, konnte es kaum erwarten, von ihm geliebt zu werden. Christian konnte und wollte es auch nicht länger hinauszögern. Er machte sich keine Gedanken mehr darüber, ob sie nun tatsächlich verhütete. Er glaubte ihr, vertraute ihr, wollte sie, schlief mit ihr, war glücklich und spürte, dass auch sie glücklich war.

Sie seufzten und stöhnten im Takt. Schneller, langsamer, schneller, lauter und leiser. Wimmernd, fordernd, bittend. Bis sie erschöpft liegen blieben, nachdem sie sich gegenseitig zum Höhepunkt hochgeschaukelt hatten.

Christian verharrte noch eine Weile mit geschlossenen Augen auf ihr, bevor er sich neben sie rollte und sie verliebt anlächelte.

»Bleibst du heute Nacht wieder bei mir?«, fragte sie und schaute ihn hoffnungsvoll an.

Christian nickte nachdenklich. Jetzt dachte er wieder an den Morgen danach und rätselte, ob sich das wiederholen würde. »Rauchst du?«, fragte er sie.

Lena schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe noch nie geraucht. Warum?«

»Nur so.«

Lena blickte an ihrem nackten Körper herunter. »Gefalle ich dir?« Sie schien sich nicht sicher zu sein, ob sie ihm wirklich gefallen könnte.

Christian fing an, sie mit zärtlichen Küssen zu verwöhnen. Am Hals, auf der Brust, am Bauch. »Du bist wunderschön«, säuselte er und meinte es auch so. »Ich kann meine Augen nicht von dir lassen.«

»Möchtest du ein Foto von mir machen? Jetzt? So, wie ich hier liege? Nackt. Dann kannst du mich immer betrachten, auch wenn wir nicht zusammen sind.«

»Ja, das wäre toll.«

Lena legte sich auf die Seite, posierte mit der Hand unter dem Kinn. »Worauf wartest du? Du hast doch dein Handy dabei, oder?«

Christian zögerte noch. Tat sie das nur, um ihm eine Freude zu bereiten? Machte sie das öfter, auch mit anderen Männern? Ihr koketter Augenaufschlag wischte seine neuerlichen Bedenken beiseite. Er holte sein Handy und fotografierte sie, so wie sie vor ihm lag und sich ihm von ihrer schönsten Seite präsentierte.

*

»Hat sich das Gespräch mit ihr gelohnt?«, wollte Siebels von Till wissen. Die beiden saßen in Siebels Wagen vor dem Haus der Brenners und tauschten sich noch aus, bevor sie ihren ersten Arbeitstag ausklingen ließen.

Till bezog sich zunächst auf seinen Besuch bei Eva Schlosser. »Sie hält sich jetzt einen jungen Liebhaber. Mir kam das komisch vor. Vor allem, weil sie ihrem Mann ja schwere Vorwürfe wegen Affären mit jungen Frauen gemacht hatte. Deswegen wollte ich mich mit Frau Brenner unter vier Augen unterhalten. Und siehe da, ich hatte anscheinend den richtigen Riecher. Ihrer Meinung nach hatte Eva Schlosser schon während ihrer Ehe unzüchtigen Umgang mit einem Nachbarsjungen. Sie hat sie zumindest einmal in flagranti erwischt. Irgendwas ist da faul mit der guten Frau und ihrer schmutzigen Scheidung. Wie ist dein Gespräch mit dem Sohn von ihr verlaufen?«

»Hmm«, brummte Siebels und kratzte sich am Kinn. »Der war ziemlich mitgenommen und musste kotzen. Erst dachte ich, die Nachricht vom Tod seines Vaters wäre ihm auf den Magen geschlagen. Aber der Auslöser seines Übelseins war eher das Foto, das ich ihm gezeigt habe. Er behauptete, die Frau noch nie gesehen zu haben und keine Ahnung zu haben, wer das sein könnte und warum ihr Aktbild auf der Brust seines toten Vaters hinterlassen wurde. Aber das kaufe ich ihm nicht ab. Der musste kotzen, weil er diese Frau kennt. Und weil sie jetzt als Aktmodell bei seinem ermordeten Vater auftauchte.«

»Da haben wir es mit einer ziemlich verkorksten Familie zu tun, kann das sein?«

»Da tun sich Abgründe auf. Aber es gibt auch noch einen Hinweis, der in eine andere Richtung führt.« Siebels berichtete von der Sache mit der verpfuschten Brandmeldeanlage und den damit verbundenen Problemen der Kanzlei.

»Dann haben wir morgen jedenfalls keine Langeweile«, freute sich Till. »Erst die Kanzlei Lang und Partner und dann der durch unzüchtiges Verhalten aufgefallene Nachbarsjunge der Schlossers?«

»Ja, falls Jasmin uns nicht anderweitig eingeplant hat. Die ist auf Zack, schätze ich.«

*

83 Tage zuvor

Lena befand sich im roten Salon. So nannten sie den Kellerraum, weil eine alte und abgenutzte rote Couchgarnitur dort vor sich hingammelte. Niemand benutzte diesen Raum, der als Abstellraum in Vergessenheit geraten war. Hier konnten sie sich in Ruhe über alles unterhalten. Oft stritten sie aber auch. Mal saßen sie hier nur zu zweit, manchmal zu dritt oder zu viert. Selten sogar zu fünft.

Lena saß im Schneidersitz und mit verschränkten Armen auf dem Sessel und war beleidigt. Wie meistens, wenn sie eine Auseinandersetzung mit Kristie hatte. »Er mag mich und er findet mich schön«, sagte sie trotzig.

»Blödsinn«, entgegnete Kristie, die mit angezogenen Beinen auf dem Dreisitzer-Sofa saß. »Er nutzt dich nur aus. Der will dich nur ficken und du schmeißt dich ihm völlig verblödet an den Hals.«

»Woher willst du das denn wissen? Du hast doch gar keine Ahnung. Misch dich einfach nicht ein und alles wird gut.«

Kristie tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. »Ich werde mich bestimmt nicht raushalten und zusehen, wie du uns immer weiter in die Scheiße reinreitest.«

»Er liebt mich und ich liebe ihn«, jammerte Lena.

»Er liebt mich und ich liebe ihn«, äffte Kristie sie mit kindischer Stimme nach. »So ein Quatsch. Du hast doch keine Ahnung, was Liebe überhaupt ist. Du machst deine Beine breit, das ist alles. Du benimmst dich wie eine Nutte. Liebe? Pfff, dass ich nicht lache.«

»Du machst alles kaputt, wie immer.« Lena wischte sich eine Träne aus dem Auge. Sie hatte sich noch nie durchsetzen können. Schon gar nicht gegen Kristie.

»Ich mache alles kaputt? Du hältst dich nicht an die Regeln, das ist das Problem.«

Lena war drauf und dran, den roten Salon fluchtartig zu verlassen, aber da kam Silvia herein und schaute die beiden streng an.

»Ihr streitet ja schon wieder. Hört das denn niemals auf?«

»Lena hat sich verliebt«, spottete Kristie und verdrehte genervt die Augen.

»Ja, wir lieben uns«, sagte Lena trotzig.

»Du solltest in diesen Dingen nicht immer so voreilig sein, Lena.« Silvia versuchte zu schlichten und die Sache wieder auf die Reihe zu bringen.

»Ich muss mich ja immer beeilen, bevor Kristie alles gleich im Keim erstickt.«

»Du solltest dich auch nicht immer so voreilig einmischen«, ermahnte Silvia Kristie. »Wenn ihr euch an die getroffenen Vereinbarungen halten würdet, müsstet ihr nicht ständig streiten. Also haltet euch einfach an unsere Absprachen.«

Kristie nickte, dachte aber nicht im Traum daran, sich an die Vereinbarungen zu halten. Lena gewann sich ein hoffnungsfrohes Lächeln ab.

*

»Na, erzähl schon. Wie war dein erster Tag im alten Job?«

Sabine und Steffen Siebels saßen nach dem gemeinsamen Abendessen im Wohnzimmer. Ihren Sohn Dennis hatten sie bereits ins Bett verfrachtet. Sabine öffnete zur Feier des Tages eine Flasche Rotwein.

»So, als hätte es meine glorreiche Zeit als Privatdetektiv nie gegeben«, fasste Siebels seine Eindrücke zusammen. »Na ja, wir haben jetzt eine Assistentin«, fiel ihm dann noch ein.

»Oh, ist sie hübsch?« Sabine rückte auf der Couch ein Stück näher an ihren Mann heran und schaute ihn neugierig an.

»Sehr hübsch. Tolle Figur. Sie ist noch ziemlich jung. Aber sehr selbstbewusst. Dumm ist sie auch nicht. Und sie ist sehr stolz darauf, so einen erfahrenen und erfolgreichen Kriminalhauptkommissar bei der täglichen Arbeit unterstützen zu dürfen.«

»Sollte ich Anna besser warnen?« Sabine grinste übers ganze Gesicht.

»Wieso Anna?«

»Na, wenn eure Assistentin so scharf darauf ist, Till bei seiner Arbeit zu unterstützen, sollte Anna vielleicht besser ein Auge auf ihn werfen. Nicht, dass er noch Dummheiten macht.«

»Du bist eine böse Frau«, murmelte Siebels gespielt beleidigt vor sich hin.

»Und warum hast du so eine böse Frau geheiratet?«, neckte Sabine ihn weiter.

»Weil ich da Jasmin noch nicht kannte.« Jetzt grinste Siebels übers ganze Gesicht.

»Jasmin?«

»Jasmin, unsere neue Assistentin.«

Siebels bekam den Ellbogen seiner Frau in die Hüfte gerammt.

»Autsch«, rief Siebels. Dann schaute er Sabine tief in die Augen. »Weil ich dich über alles liebe, meine Schöne.« Damit hatte sich Siebels eine Schmuseeinheit verdient, die er sehr genoss.

»Habt ihr denn schon einen Fall in Bearbeitung?«, erkundigte sich Sabine nach der kleinen Schmuserei und schenkte noch Rotwein ein.

Siebels berichtete von seinem neuen Fall und einer scheinbar ziemlich verkorksten Familie.

»Frauen können wirklich böse sein«, resümierte Sabine, nachdem sie über die kleinen Widersprüche im Leben der Eva Schlosser unterrichtet worden war. »Jedenfalls, wenn sie schwere Enttäuschungen erlebt haben.«

»Soll heißen, wenn Frau böse wird, ist immer Mann dran schuld?«

»Vielleicht nicht immer. Aber fast immer.«

»Dann bin ich aber sehr beruhigt, dass ich so eine liebe, herzenswarme Frau an meiner Seite haben darf. Das kann ja dann nur an mir liegen.«

Sabine lachte. »Umkehrschlüsse sind in diesem Fall nicht zulässig.«

Till und Anna hatten sich Pizza beim Lieferservice bestellt. Till konnte es sich nicht verkneifen, während des gemeinsamen Abendessens die neue Assistentin zu erwähnen.

»Ich kenne sie«, sagte Anna und kaute dabei auf ihrem Pizzastück herum. »Sie hat ein paar Tage bei uns in der Gerichtsmedizin verbracht, um die Abläufe bei der Mordkommission besser zu verstehen. Das ist aber schon zwei oder drei Monate her.«

»Und, was hältst du von ihr?«

»Sie ist taff. Ihr könnt froh sein, so jemanden im Team zu haben.«

»Sie hat sogar ein Willkommens-Liedchen für Siebels gesungen, weil der über seinen nicht stattgefundenen offiziellen Empfang ein bisschen enttäuscht war.«

»Ja, ich glaube, die passt ganz gut zu euch. Ich habe übrigens auch schon die ersten amtlichen Erkenntnisse zu eurem neuen Fall.«

»Kann ich erst meine Pizza fertigessen?« Till war ein wenig empfindlich, wenn Anna detailliert über ihre gerichtsmedizinische Arbeit berichtete. Jedenfalls wenn sie es mündlich tat, dabei Pizza aß und mit ihm in der Küche saß.

»Meinen Bericht schicke ich morgen an Jasmin. Müssen wir jetzt nicht machen«, beschwichtigte Anna ihn.

»Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht.«

»Schädelbruch mit Hirnblutungen«, sagte Anna lapidar.

Till legte sein letztes schon angebissenes Pizzastück zur Seite, nahm einen großen Schluck aus der Bierflasche und versuchte, sich das Ganze nicht allzu bildlich vorzustellen. »Aber er war nicht gleich tot?«

»Nein, er hat noch mindestens ein bis zwei Stunden gelebt, war aber bewegungsunfähig.«

»Da muss man ziemlich kräftig zuschlagen«, sinnierte er.

Anna nickte. »Mit voller Wucht, ja.«

»Das spricht eher für einen Mann als Täter.«

»Nicht unbedingt. Wenn jemand so zuschlägt, braucht es dazu nicht nur Kraft, sondern vor allem eine gehörige Portion Wut. Die Tatwaffe spielt natürlich auch eine Rolle. Die Skulptur, die der Täter benutzt hat, ist aus Eisen, scharfkantig und massiv. Damit könnte auch eine Frau einen Schädel zum Brechen bringen.«

Till nahm seinen letzten Bissen Pizza und fragte sich, ob Eva Schlosser zu so einem Schlag imstande gewesen wäre. Er konnte es sich nicht wirklich vorstellen.

»Gibt es irgendwelche Anzeichen, dass er sich noch gegen den Schlag gewehrt hat?«

»Nein. Er wurde von hinten angegriffen. Wahrscheinlich hat er das gar nicht registriert, bevor er getroffen wurde.«

»Also hat er auch nicht damit gerechnet. Klingt nicht unbedingt nach einem Streit.«

»Behältst du mich denn immer genau im Auge, wenn wir uns mal streiten?« Anna machten solche Gespräche mit Till Spaß. Besonders, wenn er falsche Schlüsse zog und sie ihn wieder auf die richtige Fährte brachte.

»Sollte ich das besser tun?« Till zog die Augenbrauen hoch und hatte schon wieder ein böses Bild im Kopf. Anna stand wutentbrannt hinter ihm und zog ihm mit dem Schürhaken eins über den Schädel.

»Unterschätze niemals eine wütende Frau«, sagte Anna lächelnd.

Seelensplitterkind

Подняться наверх