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87 Tage zuvor

In den drei Tagen nach seinem denkwürdigen Date mit Lena hatte Christian mehrmals den Entschluss gefasst, sie anzurufen. Und es dann doch nicht getan. Die Vernunft sagte ihm, dass er dieses noch kurze Kapitel seines Lebens nicht weiterschreiben sollte. Aber sein Herz sprach eine andere Sprache. Oder war es nur sein Jagdinstinkt, der ihn antrieb, den Kontakt zu dieser merkwürdigen Frau aufrecht zu erhalten? Er dachte an die zurückhaltende, liebliche Lena, die ihn angehimmelt hatte. Mit der er eine unvergessliche Nacht verbracht hatte. Eine Nacht, von der er zu gerne noch viele weitere erlebt hätte. Und er dachte an die Lena, die ihn am nächsten Morgen auf äußerst unfreundliche Weise aus ihrem Zimmer verwiesen hatte. Nur aus ihrem Zimmer oder auch aus ihrem Leben? Auch diese Lena hatte es ihm angetan, weil sie eine Herausforderung darstellte, die er gerne annehmen würde. Aber welche von beiden würde sich melden, wenn er die Nummer anrief, die die scheue, liebevolle Lena ihm gegeben hatte? Wie sollte er sich verhalten, wenn sie sich meldete? Wie sollte er sich verhalten, wenn das Spiel sich wiederholen würde? Hatte sie ihn einfach nur veräppelt? Er dachte ständig darüber nach, konnte sich aber keinen Reim auf die ganze Geschichte machen. Schließlich wählte er mit einem mulmigen Gefühl im Magen ihre Nummer und war gespannt, was passieren würde. Als er die liebliche Stimme von Lena am Telefon vernahm, schlug sein Herz höher.

»Hallo, Lena. Ich bin es. Christian.«

»Hallo, Christian. Ich dachte schon, du würdest dich nicht mehr melden. Was war denn los? Habe ich was falsch gemacht?«

Christian bekam einen Kloß im Hals. Sie tat so, als hätte es den Morgen danach nie gegeben. »Ich war mir nicht sicher, ob du mich wiedersehen möchtest«, stammelte er.

»Warum? Als ich am nächsten Tag aufgewacht bin, warst du verschwunden und hast auch keine Nachricht hinterlassen.«

»Du hast mich rausgeschmissen, erinnerst du dich?« Christian versuchte sich vorzustellen, was für ein Gesicht sie jetzt machte. Er stellte sie sich mit einem verdatterten Gesichtsausdruck vor.

»Oh. Tatsächlich? Entschuldige, das war dann nicht wirklich ich.«

»Das Gefühl hatte ich irgendwie auch.«

»Habe ich dir denn gefallen? Vorher, meine ich? Fandest du es schön mit mir?«

»Ja, sehr sogar. Du gefällst mir sehr gut, Lena. Ich muss ständig an dich denken.«

»Mir hat es auch gut gefallen. Ich musste auch oft an dich denken.«

Einen Moment lang blieb es still zwischen den beiden. Christian wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Lena überlegte, wie sie es sagen sollte.

»Es ist manchmal nicht ganz einfach mit mir«, verriet sie ihm schließlich mit leiser Stimme.

»Hast du einen Freund? Einen anderen Mann?« Christian wollte die Frage eigentlich nicht stellen, aber er suchte nach einer Erklärung für Lenas merkwürdiges Verhalten.

»Wie kommst du darauf?«

»Weiß nicht. Ist nur so eine Frage.«

»Möchtest du herkommen? Zu mir? Jetzt? Ich würde mich freuen.«

Christian war es nicht verborgen geblieben, dass sie ihm seine Frage nicht wirklich beantwortet hatte. Aber die Aussicht darauf, gleich wieder mit ihr zusammen zu sein, blendete all seine Bedenken und Fragen aus. Er wollte sie einfach nur wiedersehen. Einfach nur in ihrer Nähe sein. So nah wie möglich. Und die Nacht mit ihr in ihrem Bett verbringen.

»Ja. Ich bin in einer halben Stunde bei dir. Ist das in Ordnung?«

»Sehr schön. Beeil dich. Bis gleich.«

*

Siebels stand vor der Wohnungstür einer Altbauwohnung in der Holzhausenstraße im Frankfurter Nordend. Drei Namensschilder waren an der Tür angebracht. Zizkowitz, Schlosser, Krampmann. Ein junger Mann mit schwarzen Locken öffnete und schaute Siebels fragend an.

»Ich möchte zu Christian Schlosser«, erklärte Siebels und sein Instinkt sagte ihm, dass der Mann an der Tür es nicht war.

»Einen Moment«, bekam er zur Antwort. Der junge Kerl rief lauthals nach Christian und entfernte sich dann kommentarlos. Siebels blieb allein vor der geöffneten Tür stehen und wartete geduldig, bis ein gleichaltriger Mann mit kurzgeschnittener Frisur erschien.

»Was gibt es?«, fragte er mit einer Spur Misstrauen in der Stimme.

»Christian Schlosser?«

»Ja, und Sie?«

Siebels zeigte ihm seinen Dienstausweis und stellte sich vor. »Können wir uns drinnen ungestört unterhalten?«

Christian Schlosser machte zunächst keine Anstalten, Siebels in die Wohnung hereinzubitten. »Worüber denn?«

»Über Ihren Vater«, hielt Siebels sich noch bedeckt.

Christian Schlosser machte einen unschlüssigen Gesichtsausdruck. Schließlich nickte er und ließ Siebels herein. Sie gingen durch den Flur auf sein Zimmer. Dort gab es außer dem Bett nur einen Stuhl als Sitzgelegenheit. Die beiden blieben zunächst stehen, Siebels schloss die Tür hinter sich.

»Was ist mit meinem Vater?«, fragte Christian Schlosser und in seiner Stimme klang die Sorge mit.

»Es tut mir leid, Ihnen diese Nachricht jetzt übermitteln zu müssen. Ihr Vater ist tot.«

Christian Schlosser sah Siebels mit großen, ungläubigen Augen an. Er sagte nichts, schüttelte nur den Kopf. Erst langsam, dann schneller.

»Vielleicht setzten wir uns besser«, schlug Siebels vor.

Wie in Trance ließ Christian sich auf die Bettkante sinken. Siebels nahm auf dem Stuhl Platz.

»Ihr Vater wurde heute früh in seinem Haus von einem seiner Kollegen tot aufgefunden«, fuhr Siebels fort. »Es handelt sich um einen Todesfall mit Fremdeinwirkung. Ihr Vater wurde erschlagen.«

»Erschlagen? In seinem Haus?« Christian sah Siebels immer noch ungläubig an. »Ein Einbruch?«

»Nein, das können wir ausschließen. Es gibt keine Einbruchsspuren. Soweit wir das beurteilen können, wurde auch nichts gestohlen. Das müssten Sie bei Gelegenheit aber noch prüfen.«

»Aber Sie wissen auch nicht, wer es war?«

»Nein, bisher haben wir noch keine Spur zum Täter. Wissen Sie, ob Ihr Vater mit jemandem Probleme hatte? Streit?«

»Mit meiner Mutter«, flüsterte Christian. »Aber die beiden sind geschieden und leben getrennt«, schob er schnell hinterher. »Weiß meine Mutter es schon?«

Siebels nickte. »Ein Kollege von mir ist gerade bei ihr.«

»Ich habe schon seit einiger Zeit keinen Kontakt mehr zu ihr. Jetzt sollte ich mich bei ihr melden«, grübelte er vor sich hin.

»Ja, das sollten Sie wohl tun«, pflichtete Siebels ihm bei. »Wissen Sie, ob Ihr Vater nach der Trennung wieder eine Beziehung zu einer Frau hatte?«

»Nein, hatte er nicht. Warum?«

»Weil wir uns ansonsten gerne auch mit dieser Frau unterhalten hätten.«

»Meine Mutter hat ihm ständig vorgeworfen Affären mit jüngeren Frauen zu haben. Aber da ist nichts dran. Stattdessen hält meine Mutter sich jetzt einen jungen Liebhaber. Der ist in meinem Alter. Das ist doch alles verrückt.«

»Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu Ihrem Vater?«

Christian überlegte kurz. »Das ist jetzt bestimmt schon über drei Monate her. Wir haben telefoniert. Er wollte Karten für das nächste Spiel der Eintracht besorgen und mich ins Stadion einladen. Ich sagte ihm, dass ich schon anderweitig verplant sei.«

Siebels schaute den jungen Mann mitfühlend an. »Ich muss Sie das jetzt fragen, fürs Protokoll. Wo waren Sie gestern am späten Abend und in der letzten Nacht?«

»Ich bin gestern Abend gegen neun Uhr hier eingetroffen und seitdem nicht mehr aus dem Haus gewesen.«

»Kann das jemand bezeugen?«

»Ja, meine Mitbewohner. Joshua und Daniel. Wir haben bis nach Mitternacht zusammengesessen.«

»Gut. Eine letzte Frage habe ich noch.« Siebels zeigte ihm das Foto, das auf der Brust von Christians Vaters hinterlassen wurde. »Kennen Sie diese Frau?«

Christian warf zunächst nur einen flüchtigen Blick auf das Bild. Dann nahm er das Foto in die Hand und starrte drauf. Plötzlich sprang er auf und rannte aus dem Zimmer. Siebels schaute ihm hinterher, wie er schräg gegenüber im Bad verschwand. Dort übergab er sich. Das Foto hatte er im Flur fallengelassen. Siebels hob es auf und steckte es ein.

»Geht es wieder besser?«, erkundigte er sich, als Christian mit einem Glas Wasser zurückkam.

»Ja, Entschuldigung. Dass mein Vater wirklich tot ist, muss ich erst noch verarbeiten. Ich fühle mich gerade ziemlich elend.«

»Ich will Sie heute auch nicht weiter belästigen. Soll ich einen Arzt rufen, der nach Ihnen schaut?«

»Nein danke, es geht schon wieder. Kann ich meinen Vater noch mal sehen? Muss ich ihn denn noch identifizieren?«

»Das wird nicht nötig sein. Wir melden uns bei Ihnen, wenn Sie ihn sehen können. Im Moment geht es leider noch nicht.«

»Okay, ich bringe Sie noch zur Tür.«

»Die Frau auf dem Foto, kennen Sie sie?«

Christian schüttelte den Kopf. »Ach so, nein. Die habe ich noch nie gesehen. Wer soll das sein?«

»Das hätte ich ja gerne von Ihnen gewusst. Sie liegt nackt auf der Couch im Haus Ihres Vaters.«

»Ja, das habe ich gesehen. Aber ich habe dafür keine Erklärung. Woher haben Sie das Foto?«

»Wir gehen davon aus, dass es der Mörder Ihres Vaters absichtlich am Tatort hinterlassen hat. Können Sie sich vorstellen, warum?«

Christian wurde leichenblass, krümmte sich leicht und schien sich gleich wieder übergeben zu müssen. »Nein, das kann ich mir beim besten Willen nicht erklären«, presste er hervor.

»Brauchen Sie wirklich keinen Arzt?«

»Nein, ich muss mich aber hinlegen, mir ist schlecht.«

Siebels legte seine Karte auf den Stuhl. »Rufen Sie mich an, falls Ihnen noch etwas einfällt.«

Bevor Siebels losfuhr, rief er Till an. »Hast du Eva Schlosser angetroffen?«

»Ja, ich bin gerade wieder auf dem Weg zurück zum Präsidium.«

»Ich dachte, wir treffen uns noch bei Nils Brenner, dem Kollegen von Martin Schlosser, der ihn gefunden hat.«

»Na gut«, seufzte Till. »Wo wohnt der?«

»In Eschborn.« Siebels gab Till die genaue Adresse durch.

*

Eine halbe Stunde später traf Siebels vor dem Haus von Nils Brenner ein, wo Till noch im Auto sitzend auf ihn wartete. Familie Brenner bewohnte ein schmuckes freistehendes Einfamilienhaus. Im Vorgarten waren ein Sandkasten, eine Schaukel und eine Spielhütte aufgebaut.

»Hier scheint das Familienglück noch in Ordnung zu sein«, bemerkte Siebels.

»Wäre nicht die erste herausgeputzte Fassade, hinter der es bröckelt«, gab Till launisch zurück und betätigte den Klingelknopf.

Die Tür wurde von Frau Brenner geöffnet, zwei kleine Kinder tobten um sie herum. »Kommen Sie rein, mein Mann erwartet Sie schon.« Die Kinder wurden zur Ruhe ermahnt und die Polizisten ins Arbeitszimmer begleitet.

»Ich warte schon den ganzen Tag auf jemanden von der Kripo«, sagte Nils Brenner und deutete seinen Besuchern an, sich auf bereitgestellten Stühlen niederzulassen.

»Es ging leider nicht früher«, entschuldigte Siebels sich halbherzig.

»Ist ja auch egal, ich versuche mich halt seit Stunden irgendwie abzulenken, aber das gelingt mir nicht.«

»Das kann ich verstehen. Wie lange kannten Sie Herrn Schlosser?«

»Schon lange, wir haben uns während des Studiums kennen gelernt.«

»Sie waren also nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde?«

»Ja, wir waren gut miteinander befreundet. Früher haben wir auch öfter gemeinsam mit unseren Familien was unternommen. Aber Martins Familie hat sich leider aufgelöst. Er bewohnte das Haus zum Schluss allein.«

»Erzählen Sie doch bitte mal ganz genau, wie Sie heute Morgen Ihren Freund aufgefunden haben«, bat Siebels.

Nils Brenner zuckte mit den Schultern. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich wollte ihn abholen, zusammen wollten wir zu einem Seminar nach Stuttgart fahren. Wir hatten uns für Viertel nach sechs heute Morgen verabredet. Ich war um zehn nach sechs da und habe noch zehn Minuten im Auto auf ihn gewartet. Als er nicht kam, bin ich zum Haus, habe geklingelt und geklopft. Aber es hat sich nichts gerührt. Die Haustür stand einen spaltweit offen. Ich habe sie aufgedrückt und ihn gerufen. Als keine Antwort kam, bin ich reingegangen. Da habe ich ihn liegen sehen. Mit seinem Kopf in einer Blutlache. Ich habe ihn angesprochen, habe ihn leicht gerüttelt und seinen Puls gefühlt. Aber es war offensichtlich, dass er tot war. Also habe ich den Notruf gewählt und die Polizei verständigt.«

»Sonst ist Ihnen nichts aufgefallen? Jemand, der sich in der Nähe des Hauses aufgehalten hat? Ein geparktes Auto vor dem Haus?«

»Nein, da war niemand. Auch kein Auto.«

Till stellte sich vor, wie der Mann seinen langjährigen Freund und Kollegen aufgefunden hatte. Warum hatte er das Foto nicht erwähnt, das auf dem Opfer abgelegt worden war? Till fragte ihn direkt und zeigte ihm seine Kopie des Fotos.

Nils Brenner nickte bedächtig. »Ja, das hat auf seiner Brust gelegen. Ehrlich gesagt, war ich schon drauf und dran gewesen, es einzustecken und verschwinden zu lassen. Aber ich habe es nicht angerührt.«

»Kennen Sie die Frau auf dem Foto?«, wollte Siebels wissen.

»Nein, ich habe sie noch nie gesehen.«

»Hat Martin Schlosser vielleicht mal eine Bemerkung gemacht, dass er eine Affäre mit einer jüngeren Frau hat? Unter guten Freunden spricht man doch über solche Dinge. Jedenfalls wenn man geschieden ist und sich keine Sorgen mehr um die Treue machen muss.«

»Nichts dergleichen. Eva hat ihm vorgeworfen, Affären mit jungen Frauen gehabt zu haben. Martin hat sich aber immer nur ganz der Arbeit in der Kanzlei gewidmet. Er war einer von zwei Partnern. Deswegen ging auch seine Ehe in die Brüche. Er war mehr mit der Kanzlei als mit Eva verheiratet und hat sich letzten Endes auch für die Kanzlei entschieden.«

»Das Foto spricht aber eine andere Sprache«, bemerkte Siebels trocken.

Nils Brenner druckste ein wenig herum. »Es gab wohl hin und wieder ausgelassene Herrenabende in der Führungsriege um Tobias Lang und seinen Partnern. Da wurden auch mal leichte Mädchen einbestellt. Jedenfalls ging das in der Kanzlei mal durch die Gerüchteküche. Vielleicht stammte das Foto ja von solch einer Gelegenheit.«

Till dachte wieder an das Gespräch, das er zuvor mit Eva Schlosser geführt hatte. Dass ihr niemand geglaubt hatte, dass an ihren Vorwürfen gegenüber ihrem Mann etwas dran sein könnte, war ihr übel aufgestoßen. Dass sie sich jetzt selbst einen jungen Liebhaber hielt, schätzte Till als Trotzreaktion einer verletzten Frau ein. »Ich würde mich gern kurz mit Ihrer Frau unterhalten«, kam es Till bei seinen Überlegungen spontan in den Sinn.

Nils Brenner schaute Till überrascht an. Dann sah er auf die Uhr. »Sie wird die Kinder gerade ins Bett bringen. Was wollen Sie denn von ihr?«

»Ich möchte ihr nur ein paar Fragen stellen. Mein Kollege wird sich in der Zeit mit Ihnen weiter unterhalten.«

»Wenn es sein muss. Aber stellen Sie Ihre Fragen bitte nicht vor den Kindern.« Nils Brenner machte einen äußerst unglücklichen Eindruck.

»Keine Sorge«, beruhigte Till ihn und verließ das Arbeitszimmer.

Die Kinder tobten im oberen Stockwerk noch herum, aber Marlene Brenner setzte sich mit Till ins Wohnzimmer. Mit lauten Rufen ermahnte sie ihren Nachwuchs, sich schon mal die Zähne zu putzen, dann widmete sie ihre ganze Aufmerksamkeit Till.

»Ihr Mann hat Ihnen ja sicherlich erzählt, was passiert ist?«

»Ja, natürlich. Ich kann es immer noch nicht fassen.«

»Haben Sie noch Kontakt zu Eva Schlosser?«

»Seitdem sie geschieden sind, hatte ich keinen Kontakt mehr zu Eva. Zu Martin auch nicht mehr so oft. Hin und wieder kam er abends mal vorbei und hat mit Nils ein oder zwei Bier getrunken.«

»Wie war denn Ihr Verhältnis zu Eva Schlosser, als die Ehe der beiden noch intakt war?«

»Es war okay. Wir waren nicht die besten Freundinnen, kamen aber miteinander aus. Ihr Sohn war ja schon ein Teenager, als ich das erste Mal schwanger wurde. Sie war selbst noch sehr jung, als sie Mutter wurde. Von daher hatten wir also schon verschiedene Sichtweisen auf das Leben.«

»Welche Sichtweise hatte Eva Schlosser denn?«

»Sie war mit ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau nicht ausgefüllt. Aber sie hatte sich damals darauf eingelassen und dann war der Zug irgendwann abgefahren. Wie das eben so ist. Sie war unzufrieden mit sich und ihrem Leben und gab ihrem Mann die Schuld dafür. Jedenfalls nachdem Christian älter geworden war.«

»Hatte sie Affären, als sie noch verheiratet war?«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Nur so ein Gefühl«, sagte Till und es blieb ihm nicht verborgen, dass Marlene Brenner sich bei dieser Frage nicht sehr wohl in ihrer Haut fühlte. »Sie können sich darauf verlassen, dass ich dieses Gespräch vertraulich behandele.«

»Und wenn es so wäre, was hätte das denn mit dem Mord an Martin zu tun?«

»Wahrscheinlich nichts. Aber wenn jemand im eigenen Haus erschlagen wird und ein Einbruch ausgeschlossen werden kann, haben wir es zumeist mit familiären Motiven zu tun. Oder mit Leuten, die in irgendeiner Weise mit der Familie in Verbindung stehen oder standen.«

»So wie wir?«

»Zum Beispiel. Wussten Sie, dass Eva Schlosser jetzt mit einem Mann zusammenlebt, der ungefähr im Alter von ihrem Sohn Christian ist?«

»Ups. Nein, das wusste ich nicht. Es wundert mich aber auch nicht wirklich.«

»Warum nicht?«

Marlene Brenner druckste zunächst ein wenig herum. »Na ja, ich glaube, sie hatte schon seit längerer Zeit ein Faible für jüngere Männer. Für deutlich jüngere Männer.«

»Obwohl sie ihrem Mann vorgeworfen hatte, Affären mit jungen Frauen zu haben?«

»Ja, das war ja das Merkwürdige. Frei nach dem Motto: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.«

»Gibt es auch ein konkretes Beispiel, das ihr Faible für deutlich jüngere Männer belegt? Während ihrer Ehe?«

»Gibt es«, seufzte Marlene Brenner. »Aber das habe ich nie jemanden erzählt. Nicht mal meinem Mann.«

*

Siebels war von Tills plötzlicher Eingebung, Frau Brenner befragen zu wollen, etwas überrascht und versuchte sich nun wieder auf das Gespräch mit Nils Brenner zu konzentrieren. »Kommen wir bitte noch einmal auf das Foto zu sprechen. Das erweckt eigentlich nicht den Eindruck, als wäre es auf einem feuchtfröhlichen Herrenabend entstanden. Ganz im Gegenteil. Auf mich macht es eher den Eindruck, als würde zwischen Fotografen und Modell eine vertraute, intime Atmosphäre herrschen. Meinen Sie nicht?« Das Foto lag noch vor Brenner auf dem Tisch. Er warf erneut einen flüchtigen Blick darauf.

»Möglich. Ich weiß es nicht. Das mit den leichten Mädchen war ja auch nur ein Gerücht. In der Kanzlei wird unter vorgehaltener Hand viel erzählt. Manches stimmt, manches nicht. Ich versuche mich bei dem Tratsch eigentlich rauszuhalten. Ich hätte es nicht erwähnen sollen.«

»Kommen wir mal zu etwas Anderem. Auf welche Gebiete ist die Kanzlei denn spezialisiert?«

»Wir übernehmen Mandate für Wirtschaftsunternehmen. Unsere Kernkompetenzen liegen im Wirtschaftsrecht, Gesellschafts- und Handelsrecht sowie im Immobilienrecht. Martin war für einige unserer größten Kunden zuständig. Zum Beispiel für zwei große Wohnungsgesellschaften. Und für die Deutsche Bahn.«

»Gab es da in letzter Zeit irgendwelche Probleme?«

»Anwälte leben von Problemen«, erwiderte Brenner.

»Ja, von den Problemen ihrer Mandanten. Ich meinte aber, ob es innerhalb der Kanzlei Probleme oder Streitigkeiten gab.«

»Das sind Interna. Darüber darf ich keine Auskünfte geben«, versuchte Brenner sich der Frage zu entziehen.

»Doch, doch, der Mordkommission dürfen Sie alles erzählen, was im Zusammenhang mit dem Opfer steht. Und in diesem Fall war das Opfer nicht nur Ihr Kollege, sondern auch ein guter Freund. Jetzt können wir noch ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen führen. Morgen werden wir eine Befragung in der Kanzlei durchführen. Vielleicht können wir das aber auch abkürzen und jetzt ganz in Ruhe darüber sprechen. Sie wissen ja, die Gerüchteküche brodelt schneller, als man schauen kann. Je kürzer wir uns in der Kanzlei aufhalten müssen, desto weniger wird es hinterher brodeln. Immerhin haben Sie das Opfer in seinen Privaträumen aufgefunden. Also, gab es da etwas in der Kanzlei, von dem ich wissen sollte?«

Nils Brenner ließ einen Bleistift durch seine Finger wandern und schien die Lage, in der er sich befand, abzuschätzen. »Ich will aber nicht, dass Sie falsche Schlüsse aus Begebenheiten ziehen, die mit Martins Tod nichts zu tun haben«, gab er sich bedenklich.

»Keine Sorge, wir ziehen keine voreiligen Schlüsse. Wir ermitteln in alle Richtungen und lassen nichts außer Acht. Was sich davon als ermittlungsrelevant erweist, können wir schon richtig einordnen. Also?«

»Also gut. Martin und Jürgen Hellmann hatten in letzter Zeit ein bisschen Stress miteinander. Die beiden sind die Partner von Herrn Lang und stehen demnach ganz oben in der Hierarchie. Martin hat sich das hart erarbeitet. Jürgen Hellmann wurde vor ungefähr zwei Jahren zum Partner berufen. Als Ersatz für einen Kollegen, der in den Ruhestand getreten ist. Die Personalie Hellmann war eine ziemliche Überraschung. Es hat überhaupt nichts darauf hingedeutet. Im Gegenteil, er war und ist bestenfalls ein mittelmäßiger Anwalt. Er war von allen in Frage kommenden Kollegen eigentlich der Letzte, dem man so einen Aufstieg zutrauen konnte. Eher wäre damit zu rechnen gewesen, dass er die Kanzlei verlässt, weil er den Ansprüchen nicht genügte. Aber plötzlich wurde er von Herrn Lang mir nichts dir nichts in die Führungsetage befördert. Die Qualität seiner Arbeit hat sich dadurch nicht verbessert. Zuletzt hat er einen ziemlichen Bock gerissen. Die Kanzlei hat dadurch einen wichtigen Kunden verloren. Bei Lang kam er damit trotzdem durch, Martin war ziemlich angefressen.«

»Okay, worum ging es dabei genau?«

»Einer unserer Kunden, eine Investorengesellschaft, hat in ein neu erbautes Hochhaus in Frankfurt investiert. Jürgen Hellmann hat die Kaufverträge mit dem Bauherrn ausgearbeitet. Laut dem Vertrag konnten Baumängel bei dem fertiggestellten Hochhaus ausgeschlossen werden. Dazu wurden alle möglichen Gutachten von uns in Auftrag gegeben. Nach Abschluss des Kaufvertrages hat sich aber herausgestellt, dass die Brandmeldeanlage nicht voll funktionstüchtig war und aufwendige Nacharbeiten notwendig wurden.«

»Aha. So etwas kommt also nicht nur in Berlin vor.«

»Leider. Das hat unseren Mandanten viel Geld gekostet. Geld, das er von uns zurückfordert.«

»Herr Schlosser hatte aber keine Schuld an dem Desaster?«

»Nein, definitiv nicht. Das hatte Hellmann allein zu verantworten. Das Gutachten, das er erstellen ließ, war das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben stand. Hellmann wollte Geld sparen und hat einen Gutachter beauftragt, der mit einer technischen Anlage in dieser Größenordnung völlig überfordert war.«

»Dieser Herr Hellmann hatte deswegen aber keine Konsequenzen zu fürchten?«

»Wenn es nach Martin gegangen wäre, wäre er hochkant rausgeflogen. Herr Lang hat es ihm aber durchgehen lassen. Obwohl Herr Lang in der Regel sehr hart durchgreift. Viel härter als Martin. Er ist ein Alphatier der schlimmsten Sorte. Nur bei Hellmann drückt er regelmäßig ein Auge zu.«

»Woran das liegt, können Sie sich aber nicht erklären?«

Brenner schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist mir ein Rätsel. Zumal Hellmann auch ein Alkoholproblem hat. Noch so eine Sache, die Tobias Lang normalerweise nicht dulden würde.«

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