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2.Liberaler Konservatismus: Friedrich Julius Stahl

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Bei allen Unterschieden stimmen Mannheim und Kondylis doch darin überein, daß der Konservatismus in Deutschland erst nach der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zu voller Entfaltung gelangte. Legte Mannheim dabei den Akzent mehr auf den Beitrag der Romantik und der Historischen Schule1, so Kondylis auf die Mobilisierung des Gedankenguts der societas civilis, die zu einer »theoretische[n] und politische[n] Steigerung des Konservativismus« um 1800 geführt habe, und das, obwohl dessen sozialer Träger, der Adel, zur gleichen Zeit von einer Krise betroffen war. Immerhin seien die Kräfte der neuen Gesellschaft noch nicht stark genug gewesen, um diese Krise voll auszunutzen, im Gegenteil: »die Krise regte die noch immer beträchtliche Stärke (von Teilen) des Adels zu neuer Aktivität an, die neben ihren handfesten sozialen und wirtschaftlichen Resultaten eine emphatische Reformulierung der Rechtsauffassung der societas civilis, eine Idealisierung des Adels und überhaupt eine ideologische Revitalisierung des Konservativismus zeitigte.«2

Es bedarf keiner weit ausholenden Beweisführung, um sich von der Stichhaltigkeit dieser Ausführungen zu überzeugen. Bedingt durch den 30jährigen Krieg und seine lang anhaltenden Folgen, die Fürsten und Adel enger zusammenrücken ließen als in England oder Frankreich, blieb in Deutschland der antiabsolutistische Konservatismus wenig entwickelt und artikulierte sich erst zu einem Zeitpunkt, als bereits die Revolution ihren Schatten warf. Umso stärker profilierte sich seit Ende des 18. Jahrhunderts der gegenrevolutionäre Konservatismus. Dafür stand etwa das Werk des Burke-Übersetzers Friedrich Gentz (1764–1832) oder das Opus magnum des Schweizer Staatsrechtslehrers Karl Ludwig von Haller (1768–1854), der mit seiner Restauration der Staats-Wissenschaft oder Theorie des natürlich-geselligen Zustands der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesezt (6 Bde., 1816–1834) einer ganzen Epoche den Namen gab.3 Haller war es auch, der ab 1831 dem Kreis um das Berliner politische Wochenblatt wichtige Impulse für dessen Kampf gegen den Absolutismus wie gegen die Revolution vermittelte.4 Initiator des Blattes war der Offizier und hochrangige Diplomat Joseph Maria von Radowitz (1797–1853)5, faktischer Leiter in den ersten beiden Jahren der Berliner Professor der Rechte Carl Ernst Jarcke (1801–1852), der im Herbst 1832 als Nachfolger von Gentz an die Wiener Staatskanzlei berufen wurde.6 Wichtige Beiträge lieferten unter anderen der in Halle lehrende Historiker Heinrich Leo (1799–1878) sowie der zeitweise ebenfalls dort tätige Landgerichtsdirektor Ernst Ludwig von Gerlach (1795–1877).7 Sie alle verteidigten, mal der katholischen Soziallehre bis zurück auf Thomas von Aquin zuneigend (Jarcke), mal geprägt von der protestantisch-pietistischen Erweckungsbewegung mit ihrer Reich-Gottes-Perspektive (Leo, Gerlach)8, im übrigen auch nicht durchweg borussozentrisch argumentierend9, die societas civilis gegen den Absolutismus in all seinen realen oder vermuteten Gestalten: der Diktatur der Beamtenschaft, dem liberalen Konstitutionalismus oder der Volkssouveränität. Als sich dieser Kreis in den 40er Jahren um eine theoretische Kapazität wie Friedrich Julius Stahl (1802–1861) erweiterte, schien alles dafür zu sprechen, daß es den Konservativen gelingen könnte, die durch Revolution und Reform entbundenen Kräfte aufzufangen und einer Restabilisierung der societas civilis auf höherem Niveau zuzuführen. Die nähere Betrachtung zeigt freilich, daß dieser Höhepunkt des Konservatismus bereits sein Zenit war.

Ausgänge des Konservatismus

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