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III.

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Um die oft beschworene Meinungsführerschaft Wageners im konservativen Lager war es nach 1866 nicht mehr gut bestellt. Als Mitarbeiter Bismarcks war er den Altkonservativen suspekt, nicht nur dem Kreis um Gerlach, für den die gegen Österreich gerichtete Politik ein Sakrileg war, sondern auch jenem Teil der Partei, der sich am Umgang mit den annektierten Gebieten stieß.103 Seine Parteinahme für die Regierung andererseits war nicht unerheblichen Belastungsproben ausgesetzt, schwenkte deren Leiter doch nach der Beilegung des Verfassungskonflikts im September 1866 auf ein Bündnis mit dem nationalen Flügel des Liberalismus um und desavouierte damit de facto seinen Berater, für den der Liberalismus in all seinen Schattierungen nach wie vor der Hauptfeind war. Ob Bismarck sich für diese Strategie schon im Frühjahr 1866 entschieden hatte, ist nicht klar, doch ist weder auszuschließen, daß er Wagener in der Absicht ins Ministerium berief, mit ihm den einflußreichsten Vertreter einer antiliberalen Politik auf diese Weise kaltzustellen104, noch daß er sich für den Fall des Scheiterns seiner Strategie einen Kurs im Sinne Wageners offenhalten wollte. Wagener seinerseits hielt auch nach dem Eintritt in die Regierung keineswegs mit seinen Überzeugungen hinter dem Berg. Das zeigt sich in den Denkschriften, die er als Vortragender Rat im Staatsministerium und auch noch nach seiner Entlassung für Bismarck verfaßte105; seinen Interventionen im Reichstag des Norddeutschen Bundes; seiner (freilich anonym publizierten) Schrift über Die Zukunfts-Partei von 1870; und seinem zwei Jahre später unternommenen Versuch, die konservative Partei im Sinne der dort entwickelten Maximen umzubauen.

Auf die Denkschriften und die damit im Zusammenhang stehenden Initiativen Wageners wird noch zurückzukommen sein. Hier hat das Augenmerk seinem erstmals 1869 angekündigten Vorhaben zu gelten, »eine neue konservative Partei […] zu bilden«, stand doch für ihn inzwischen fest, daß sich die alte konservative Partei »in Folge der Ereignisse des Jahres 66 zersetzen mußte« und in der alten Form nicht wiederherstellbar war. Für eine solche Neubildung habe die Regierung bislang zu wenig getan. Sie habe vielmehr durch ihre Handels- und Industriepolitik »den hierin wurzelnden liberalen Parteien einen neuen Aufschwung verliehen, ohne doch dieselben für sich zu gewinnen«. Da sich dies auch in absehbarer Zukunft nicht ändern werde, sei die »Neubildung einer konservativen und Regierungspartei« unerläßlich, die sich der vernachlässigten Interessen des Grundbesitzes und der arbeitenden Klassen anzunehmen habe.106 Die bestehenden konservativen Verbände seien dazu nicht in der Lage. Die Altkonservativen nicht, weil sie nur mehr an Rückzug dächten und politisch abgedankt hätten; die vor kurzem gegründete, in vielem an das Preußische Wochenblatt anknüpfende Freikonservative Partei nicht, weil sie mit ihrer Mutterpartei »nur noch mechanisch durch den Gebrauch von einigen Stichworten verbunden« sei und insbesondere »die sociale Arbeit, welche sonst die Partei auszeichnete, vollständig liegen« lasse.107 Näher besehen habe man es bei ihr mit nichts anderem zu tun als mit »in der Verpuppung zum Geldsack begriffenen grösseren Aristokraten-Raupen«, deren konservatives Wesen sich »auf einen gewissen Instinkt für Ordnung und Autorität« und deren Freiheit sich auf einen »romantischen Wunsch« beschränke.108 Die Abneigung war gegenseitig, wie ein Brief des freikonservativen Reichstagsabgeordneten Carl von Stumm-Halberg belegt: »Übrigens wäre es mir ganz lieb, wenn Wagener bei dieser Gelegenheit beseitigt würde. Denn der Mann spielt auf sozialem Gebiet eine ganz gefährliche Rolle und ist durch seine jetzige Stellung doch sehr einflußreich.«109

Der Brief stammt aus dem turbulenten Jahr 1872, das in Preußen vom Kulturkampf und von den Auseinandersetzungen um die Kreisordnung und die Schulaufsicht erfüllt war.110 In diesem Jahr unternahm Wagener noch einmal einen Vorstoß, das im Widerstreit zwischen gouvernementalen und antigouvernementalen Tendenzen auseinanderdriftende konservative Lager zu einen. Ausgehend von dem Befund, wonach die Regierung sich nicht länger auf die Konservativen in beiden Häusern des Landtags stützen könne, sprach er sich dafür aus, »die Partei auf anderen Grundlagen und mit einem neuen Programm zu rekonstruiren.« Die dafür angebotene Programmatik, für die Wageners Famulus Rudolf Meyer das Etikett »social-conservativ« erfunden zu haben beanspruchte111, enthielt in sozialer Hinsicht nicht mehr als die Forderung nach Durchführung einer Enquete zur Lage der arbeitenden Klassen112, doch war selbst dies der konservativen Reichstagsfraktion noch zu viel. In einer Kundgebung am 14. 5. 1872 strich man aus dem von Wagener intonierten Dreiklang ›monarchisch, national, sozial‹ die dritte Note aus der Überschrift und erklärte sich lediglich zur »Monarchisch-nationalen Partei des Reichstags«. Nur in einem Unterpunkt war von staatlicher Fürsorge für jene Einrichtungen und korporativen Bildungen die Rede, welche geeignet seien, »die materielle und geistige Lage des Arbeiterstandes zu sichern und zu fördern«.113 Wie stark gesunken Wageners Einfluß inzwischen in diesem Kreis war, belegt ein nur zehn Tage nach der Kundgebung geschriebener Brief von Rodbertus an Rudolf Meyer:

»Aber täuschen Sie sich nicht! Ich höre hier oft von den conservativsten Gutsbesitzern auf W. schimpfen und hörte das auch noch in Berlin. Auch hier glaube ich, sind nur Risse verkleistert. Es mischt sich in die Abneigung gegen W. ein widriger Zug ein. Man ist ihm nicht blos gram wegen seines Schulaufsichtsgesetzes, das Zwerggeschlecht wird missgünstig auf seinen Ruhm. Man hört! ›er ist zu groß geworden!‹ – und würde schadenfroh sein wenn er stürzte. Ein ehrlicher Hass ist lange nicht so gefährlich.«114

Die hier angedeuteten Spannungen verschärften sich schon im folgenden Sommer und Herbst in den Auseinandersetzungen über die Kreisordnungsvorlage der Regierung, die die Aufhebung der patrimonialen Polizei- und Erbschulzengewalt vorsah.115 Während das preußische Abgeordnetenhaus mit seiner Mehrheit aus Freikonservativen, Nationalliberalen und Fortschrittspartei die Vorlage annahm, scheiterte sie im Oktober 1872 im Herrenhaus. Das Gesetz konnte zwar einen Monat später mithilfe eines Pairsschubes verabschiedet werden, doch spaltete sich die konservative Fraktion darüber in eine antigouvernementale ›altkonservative‹ Gruppe, die sich über den Verlust der ständischen Privilegien nicht zu beruhigen vermochte, und eine ›neukonservative‹ Richtung, die den Kurs Bismarcks unterstützte.116 In einem Memorandum an R. Meyer machte Wagener wohl heftig Front gegen die Altkonservativen, doch mußte er schon bald darauf erfahren, daß ihm diese Haltung bei den Neukonservativen kein Entgegenkommen in sozialpolitischen Fragen einbrachte.117

An den Vorgängen, die bald darauf tatsächlich zu seinem Sturz führten, hatte er dann gleich doppelten Anteil: zum einen, weil er sich allzu leichtsinnig auf ein Gründergeschäft im Zusammenhang mit der Pommerschen Zentralbahn eingelassen hatte; und zum andern, weil er während der Debatte über die Kreisordnung im Herrenhaus »ein längeres, sehr wenig schmeichelhaftes Schreiben über die politische Thätigkeit des Ministers des Inneren, Grafen Eulenburg I., an Bismarck gerichtet« hatte. Möglicherweise in der Absicht, sich damit eines allmählich unbequem werdenden Mitarbeiters zu entledigen, brachte Bismarck dieses Schreiben Eulenburg zur Kenntnis, der im Gegenzug über Mittelsmänner dem liberalen Abgeordneten Eduard Lasker belastendes Material über Wagener zuspielte.118 Der machte es Anfang 1873 öffentlich und nötigte Wagener damit zum Rückzug von seinen Ämtern. In seinen 1884 veröffentlichten Erinnerungen verschwieg er die Rolle Bismarcks, auf dessen Unterstützung er wohl weiterhin hoffte, und schob statt dessen den schwarzen Peter seinen »früheren [!] Parteigenossen« zu, die ihm schon seit längerem hinter seinem Rücken vorgeworfen hätten, nicht mehr mit Entschiedenheit die konservativen Prinzipien zu vertreten. Während des Gründerskandals habe man ihn als Bauernopfer vorgeschoben, um ihm danach aus dem Wege zu gehen, als ob er an einer ansteckenden Krankheit litte.119

Seiner Loyalitätsverpflichtungen ledig, machte Wagener sich daran, die programmatischen Andeutungen von 1872 zu konkretisieren, galt es doch, zu verhindern, daß »der vielgerühmte Conservativismus zu einem Ausdrucke der Rath- und Hilflosigkeit den Bewegungen der Neuzeit gegenüber zusammenschrumpft«.120 Schon bald nach seinem Rücktritt vom Amt des Vortragenden Rats (Juni 1873) überreichte er Bismarck eine sozialpolitische Denkschrift, die gegenüber seinen früheren Interventionen einen neuen Akzent setzte. War es ihm in den 60er Jahren noch vor allem darum gegangen, einen Keil in die liberale Opposition zu treiben und ihr ihren Anhang im Handwerk und in der Arbeiterschaft abspenstig zu machen, so war der nunmehr leitende Gesichtspunkt: »Um jeden Preis zu verhindern, dass die arbeitende Bevölkerung nicht zu einer grossen, compacten, oppositionellen Masse sich zusammenschliesst«.121

Mit dieser, durch die doppelte Negation allerdings leicht mißverständlichen Parole rückte erstmals neben der städtischen auch die ländliche Arbeiterschaft in den Blickpunkt, eine Schicht, deren Zahl noch 1882 bei rund 2,7 Millionen lag, immerhin mehr als ein Zehntel der Bevölkerung Preußens.122 Da gerade diese Schicht seit den 40er Jahren den größten Anteil sowohl an der Binnenmigration als auch an der Auswanderung nach Übersee stellte und dadurch die Funktionsfähigkeit der Landwirtschaft bedrohte, sah Wagener unmittelbaren Handlungsbedarf. Gefordert sei, aus ökonomischen wie aus wehrpolitischen Gründen, eine »Vermehrung der kleinen ländlichen Besitzungen«, um der Staatsgewalt »gegenüber der fluctuirenden industriellen Arbeitsbevölkerung in einem sesshaften ländlichen Grundbesitze und Arbeiterstande einen materiellen Rückhalt zu schaffen«.123 Dies könne, wie es in einem weiteren Text heißt, am ehesten durch Maßnahmen geschehen, welche »den ländlichen Arbeitern die Erwerbung eines kleinen Grundeigenthums ermöglichen und thunlichst erleichtern«. Als Mittel dafür komme eine Neuordnung des Hypothekenwesens ebenso in Frage wie die Schaffung gesetzlicher Regeln, die es erlauben würden, »Parcellen von Grundbesitz abzuzweigen vom Zweck der Ansiedelung von ländlichen Arbeitern, ohne dass der agnatische oder creditorische Consens eingeholt werden muss«.124 Auf diese Weise, hieß es bald darauf, könne nicht nur der Arbeitskräftemangel in der ostelbischen Landwirtschaft behoben, sondern zugleich der sozialistischen Agitation der Wind aus den Segeln genommen werden. »Das durchschlagendste und nachhaltigste Mittel gegen die socialistischen Bestrebungen der Nichtbesitzenden ist nach allgemeinem Anerkenntniß, letztere durch angemessene Einrichtungen zu Besitzenden zu machen, ein Satz, der in hervorragender Weise auf die ländlichen Arbeiter seine Anwendung findet.« Werde dabei den Reservisten und Landwehrleuten ein Vorzugsrecht eingeräumt, ergäben sich im Nebeneffekt »grössere Militär-Colonisationen«, die hervorragend geeignet seien, in den östlichen Provinzen den Außenschutz zu übernehmen.125

Wesentliche Anregungen hierzu dürfte Wagener von Rudolf Meyer erhalten haben, der seinerseits seit 1870 mit Rodbertus in Verbindung stand, einem ehemaligen Wortführer der Linken in der preußischen Nationalversammlung von 1848 und der Zweiten Kammer von 1849, der 1871 die Grundbesitzer zu bewegen versuchte, auf ihren Gütern »freieigenthümliche Hofstellen« einzurichten, »deren Käufer die Verpflichtung übernehmen, davon eine bestimmte Anzahl von Arbeitstagen an ein bestimmtes Gut durch beliebige Dienstboten zu leisten.«126 Darauf wird im nächsten Kapitel näher einzugehen sein. Ebenfalls im Austausch mit Meyer (wenn auch in diesem Punkt nicht mehr in Übereinstimmung mit Rodbertus) mag die Idee Konturen gewonnen haben, den neuen Nationalstaat durch ein umfassendes System der sozialen Sicherung zu fundieren, das die formellen Freiheitsrechte durch eine materiale Gerechtigkeit des Schadensausgleichs einschließlich präventiver und prophylaktischer Maßnahmen ergänzen würde. Anknüpfend an bereits 1870 ventilierte Gedanken empfahl Wagener in seiner Denkschrift vom 17. 1. 1874 die Einrichtung von obligatorischen Kranken- und Versicherungskassen, die »auf kleine, nach Gewerken abgegrenzte Bezirke zu beschränken und nur für gewisse Aushilfszwecke zu centralisiren« seien. Darüber hinaus seien Invaliden- und Altersversorgungskassen einzurichten, welche allerdings »nur in größeren Bezirken lebensfähig und jedenfalls in der Hand der Staatsgewalt zusammenzufassen« seien.127

Über die Finanzierung dieser Einrichtungen ließ sich der Text nicht näher aus, möglicherweise aus taktischen Gründen, um Bismarck den Leitgedanken in homöopathischen Dosen näherzubringen. Rudolf Meyer dagegen wurde noch im gleichen Jahr deutlicher, wenn er in einem in vielen Formulierungen gleichlautenden Text darauf drang, »daß Arbeiter und Arbeitgeber gleich viel Beitrag zu leisten haben, also ein Arbeitgeber wöchentlich eben so viel, wie alle von ihm in der Woche beschäftigten Arbeiter zusammengenommen.«128 Bismarck dagegen setzte später eher auf ein steuerfinanziertes System, bei dem das Reich »als Hauptkostenträger und als Wohlfahrtsgarant« auftrat129, so daß schon aus diesem Grund nur ein indirekter Einfluß von Wagener und Meyer auf die in den 80er Jahren schleppend in Gang kommende Sozialgesetzgebung wahrscheinlich ist.130 Mit detaillierter Kritik hielt sich Wagener, schon aus Gründen der Loyalität gegenüber seinem früheren Dienstherren, zwar zurück, doch ließ er keinen Zweifel an seiner Überzeugung, »dass die bisherige Socialreform, selbst wenn es, mehr als ich glaube, gelingt, dieselbe in das Leben einzuführen, auch nicht entfernt das leisten wird, was man sich in conservativen und Regierungs-Kreisen davon zu versprechen scheint.«131 Dagegen sprach aus seiner Sicht nicht zuletzt ihre Verquickung mit dem Sozialistengesetz, sei es doch »eine vergebliche Hoffnung und ein aussichtsloses Bemühen, die Sympathien der Masse für die Regierung und eine conservative Socialpolitik zu gewinnen, so lange man dabei beharrt, dieselbe als Deutsche zweiter Klasse zu behandeln und unter Ausnahmegesetze zu stellen.«132

Nach seinem Bruch mit Bismarck zog sich Wagener aus dem politischen Feld zurück, wenn man von seiner Beteiligung an der Gründung einer Social-Conservativen Vereinigung Ende 1880 absieht, die über erste Anfänge jedoch nicht hinausgelangte.133 Publizistisch blieb er immerhin präsent. Neben den eben zitierten Erinnerungen, einer eher als Pflichtübung anmutenden Reminiszenz an Die Politik Friedrich Wilhelm IV. (1883) und einer im Zusammenhang mit der konservativen Bonapartismusdeutung zu besprechenden Arbeit über Napoleon III. sind vor allem zwei 1878 anonym publizierte Schriften erwähnenswert: eine kritische Auseinandersetzung mit Schäffles Quintessenz des Sozialismus und ein Beitrag zur Lösung der sozialen Frage. Widmete sich die erstere der Aufgabe, Schäffles insgesamt zu positive, weil zu eng auf die rein volkswirtschaftlichen Aspekte bezogene Auffassung des Sozialismus um die negativen, auf die Zerstörung von Ehe und Familie, Staat und Religion zielenden Seiten desselben zu ergänzen134, unternahm die letztere den Versuch, dasjenige am Sozialismus zu retten, was sich mit dem Konservatismus vereinbaren ließ. Und das war nach Wageners Darstellung durchaus nicht wenig, ging es doch beiden um eine »Beseitigung des Individualismus durch den Kollektivismus; Ersetzung des Privat-Kapitals durch das Kollektiv-Kapital; Beseitigung der gegenwärtigen anarchischen, nur durch die ›freie Konkurrenz‹ geregelten Produktion durch eine soziale Organisation der National-Arbeit; […] Erhaltung und Wiederherstellung der Verbindung von Kapital und Arbeit und gerechte Vertheilung des gemeinsamen (gesellschaftlichen) Produktes an alle nach dem Maße und dem Werthe ihrer Leistung«. Wie sich dieses Votum für Kollektivismus mit der gleichzeitig vorgetragenen Forderung nach »Erhaltung und resp. Wiederherstellung eines Mittelstandes auf möglichst breiter Basis« vereinbaren ließ135, verriet Wagener allerdings nicht; wie ihm auch der Widerspruch nicht bewußt geworden zu sein scheint, einerseits das Parteiwesen abzulehnen und andererseits die Bildung einer »große[n] und sichere[n] Mittel-Partei« zu fordern, »in welcher die erhaltenden und bewegenden Kräfte wiederum ihre Ausgleichung finden.«136 In die Schlußbetrachtungen dieser Schrift mischt sich ein nicht zu überhörender resignativer Unterton:

»Das geringe Maß von Hoffnung, welches wir uns noch bewahrt haben, steht deshalb auch allein darauf, den Rath, welcher kürzlich seitens des Reichskanzlers dem Grafen Andrassy für den Kaiser von Oesterreich ertheilt sein soll, auf unsere eigenen Verhältnisse angewandt zu sehen, sodaß man sich auch im deutschen Reiche endlich dazu entschließt, über die alten verbrauchten Fraktionen und Parteien zur Tagesordnung überzugehen und von dem ›Parlamente‹ an ›das Volk‹ zu appeliren.«137

Im Rückblick wird man sagen müssen, daß Wageners Zeit seit 1866 vorbei war. Seine politische Sozialisation war entscheidend geprägt durch die Konfliktlage von 1848/49, als sich die Konservativen einer an wirtschaftlicher und sozialer Macht stetig zunehmenden liberalen Partei konfrontiert sahen, der gegenüber nur eine Doppelstrategie von Exklusion und Spaltung erfolgversprechend schien. Für diese Strategie fand Wagener 1862 in Bismarck einen Partner, allerdings einen solchen von ungleich größerer taktischer Flexibilität, der in der Lage war, im entscheidenden Moment die Schlachtordnung umzustellen. In dieser neuen Konstellation hatte Wagener keinen Platz mehr, und dies auch nicht nach den Kurskorrekturen, die Bismarck seit den späten 70er Jahren vornahm: der wirtschafts- und zollpolitischen Wende von 1878 und der sozialpolitischen Wende ab 1881. Daß ein wie immer auch bescheidenes System der sozialen Sicherung ausgerechnet von einem Kartell auf den Weg gebracht werden konnte, an dem neben seinen alten Parteigenossen in der Deutschkonservativen Partei auch die Nationalliberalen und die zwischen beiden schwankenden Freikonservativen beteiligt waren, lag zu jeder Zeit jenseits von Wageners Vorstellungskraft. Unter diesem Gesichtspunkt widerfuhr ihm kein allzu großes Unrecht, wenn die nach seinem Tod 1889 unternommenen Versuche, ihn zum Ahnherrn der von der Kaiserlichen Botschaft von 1881 inaugurierten Sozialreform zu erheben, weitgehend ohne Resonanz blieben.138 Daß dieser Gesichtspunkt freilich nicht der einzige sein kann, sollte ebenfalls deutlich geworden sein.

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