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Perseus

Hauptwelt der Terranisch-Republikanischen Liga

21. Mai 2891

»Ist er es wirklich?«, fragte Carlo Rix, während er aus einer kleinen verglasten Aussichtslounge fassungslos hinunter in die Quarantänezelle starrte. »Kann er es denn sein?«

Professor Nicolas Cest humpelte langsam und mit unregelmäßigem Tritt näher, bis er mit Carlo Rix auf gleicher Höhe stand. Der alte Mann stützte sich dabei schwer auf einen alten Gehstock mit Elfenbeingriff. Carlo schmerzte es, seinen alten Freund und Weggefährten auf diese Weise sehen zu müssen. Cest war nur ein paar Jahre älter als Carlo, aber die Zeit war wesentlich ungnädiger mit dem Professor umgegangen als mit dem ehemaligen Legionär und General.

Cest fixierte durch das einseitig durchsichtige Glas den Mann unter ihnen. Der Häftling, der von sich behauptete, Daniel Red Cloud zu sein, tigerte in der Zelle auf und ab. Er wirkte von Kopf bis Fuß wie der Soldat, der sie kurz nach dem Ende des Drizilkrieges verlassen hatte. Und dennoch fiel es jedem schwer, dies auch nur ernsthaft in Betracht zu ziehen.

»Die Gentests sprechen eine eindeutige Sprache«, meinte Cest schließlich. »Es ist Daniel Red Cloud. Genetisch gesehen.«

Der letzte Einwand veranlasste Carlo, sich dem Professor zuzuwenden. Er runzelte die Stirn. »Sie haben Zweifel?«

»Sie nicht?«, fragte Cest, ohne Carlos Blick zu erwidern. Die Augen des wissenschaftlichen Genies blieb weiterhin fest auf den Mann unter ihnen gerichtet. »Faszinierend«, erklärte Cest schließlich nach einigen Augenblicken. Er sprach in so sanftem Tonfall, dass Carlo schnell klar wurde, dass der Mann nicht länger zu ihm redete, sondern vielmehr Selbstgespräche führte, um seine Gedanken in eine für ihn selbst verständliche Form zu bringen. »Hier haben wir ein äußerst spannendes Rätsel. Eines, wie ich es schon sehr lange nicht mehr entschlüsseln durfte. Ein Mann, der vor über dreißig Jahren verschwunden ist und nun in einem Jäger des Feindes zurückkehrt.« Cest wandte sich endlich Carlo zu. »Einem gestohlenen Jäger, wie er selbst behauptet.«

Carlo nickte nachdenklich. »Wo war er all die Jahrzehnte? Was hat er getan? Warum kommt er ausgerechnet jetzt zurück? Und warum ausgerechnet in einem Hinradyjäger?«

»Das sind die Fragen, die es zu ergründen gilt«, stimmte Cest zu.

Carlo straffte seine selbst im Alter noch muskulöse Gestalt. »Ich will mit ihm sprechen.«

Cests Kopf zuckte so ruckartig zu ihm herum, dass Carlo sich einbildete, die Nackenwirbel des Wissenschaftlers knacken zu hören. »Das halte ich für eine schlechte Idee. Wir haben keine Ahnung, wer – oder was – das dort unten ist.«

»Ein Grund mehr, mit ihm zu sprechen.«

Cests Miene verkrampfte. »Er könnte ein Spion sein. Oder schlimmer noch: ein Attentäter. Nach allem, was wir über die Nefraltiri wissen, ist es sehr gut möglich, dass er nicht einmal selbst weiß, zu welchem Zweck er zu uns geschickt wurde.«

Carlos Miene verdüsterte sich. »Sie glauben also, dass die ihn uns zurückgeschickt haben.«

»Es gibt dafür keinerlei Beweise, aber … ja, mein Gefühl sagt mir, dass unsere Widersacher dahinterstecken. Es ist das Einzige, was wirklich Sinn ergibt. Und das Timing ist sehr verdächtig.«

»Ein Grund mehr, um mit ihm zu sprechen.«

Cest öffnete den Mund, um aufzubegehren. Carlo erstickte jedoch jeden Einwand bereits im Keim, indem er schlicht die Hand hob. »Falls er als Attentäter hier ist, dann sicher nicht, um mich umzubringen. Für die Kriegsanstrengungen bin ich nicht nur entbehrlich, sondern sogar völlig unwichtig.«

Ohne ein weiteres Wort drehte sich Carlo um und stapfte durch die Tür. Bevor er sie hinter sich schloss, hörte er noch Cests Stimme. »Sie haben Ihren Wert schon immer unterschätzt, alter Mann.«

Die Bemerkung zauberte ein schmales Lächeln auf sein Gesicht. Carlo schritt die Treppe hinab, bis er vor einer verstärkten Stahltür stand. Vor dieser hielt ein Feuertrupp der 18. Gardelegion in voller Kampfmontur stille Wacht.

Carlo nickte dem Truppführer zu. Dieser öffnete nach kurzem Zögern die Tür. Er erlaubte dem ehemaligen Legionsgeneral allerdings erst dann, die Quarantänezelle zu betreten, nachdem sein kompletter Feuertrupp bereits eingetreten war.

Carlo folgte in einem entsprechenden Sicherheitsabstand. Ihm fiel auf, dass die Legionäre ihre Waffen entsichert hatten. Fünf Nadelgewehre zielten auf Daniel Red Clouds Kopf und Brust. Ganz egal, wer oder was er war beziehungsweise aus welchem Grund er gekommen war, diese Feuerkraft würde der Mann nicht überleben, falls er sich irgendwelche Schwachheiten einbildete.

Bei seinem Eintreten hatte sich Daniel Red Cloud bereits der Tür zugewandt. Sobald er Carlo Rix erkannte, stand er stramm und salutierte mit einem Schlag der geballten rechten Faust auf die linke Brustseite. Ein fast unmerkliches Lächeln zog die Mundwinkel des ehemaligen Legionärs nach oben.

Carlo blieb im Türrahmen stehen und musterte sein Gegenüber eingehend. Seine Miene blieb ernst, auch wenn sein Herz beim Anblick des Mannes vor ihm zu jubilieren begann. Es war schwer, sich der Magie dieses Augenblicks zu erwehren. Hier stand ein Mann, den er lange gekannt und mit dem er einen langen Weg zurückgelegt hatte.

Ganz egal, wer ihn geschickt hatte und zu welchem Zweck, ihm gegenüber stand Daniel Red Cloud. Carlo erinnerte sich noch gut an die Schlachten, die sie zusammen geschlagen hatten. Sein Herz wurde schwer vor Trauer. Gut möglich, dass die Nefraltiri ihn gerade deshalb wieder zurückgeschickt hatten. Um nostalgische Gefühle bei den Menschen auszulösen, die Daniel Red Cloud gekannt hatten. Wer ihn kannte, würde vielleicht zögern abzudrücken, sodass Daniel zuerst zuschlagen konnte.

Carlo stutzte innerlich. Instinktiv hatte er gerade die Frage, die er Cest gestellt hatte, selbst beantwortet. Im Prinzip glaubte er nicht daran, dass hier wirklich Daniel vor ihm stand. Die Nefraltiri nutzten alle Waffen, die sie besaßen. Und menschliche Gefühle gehörten dazu. Sie wussten vielleicht selbst nicht viel mit ihnen anzufangen, aber sie verstanden sich darauf, sie zu manipulieren. Carlos Miene versteinerte. Nein, hier stand nicht Daniel Red Cloud vor ihm. Es war ihm egal, was die Gentests über die DNS des Wesens aussagten, das sich im selben Raum mit ihm befand. Die Nefraltiri besaßen sicherlich die Möglichkeit, derartige Tests zu verfälschen. Das war nicht Daniel Red Cloud. Er konnte es nicht sein. Es war schlichtweg unmöglich. Unter dieser neuen Prämisse näherte sich der Exgeneral dem Häftling. Trauer drohte für einen Augenblick ihn fortzuspülen, denn im Umkehrschluss bedeutete dies, dass Daniel tot war.

Carlo schluckte. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte in diesem Moment den Feuerbefehl gegeben, damit die Legionäre das Wesen vor ihm einfach niederstreckten. Die Versuchung war groß. Stattdessen zwang er sich zu einem freundlichen Lächeln. »Bitte lassen Sie uns allein.«

»Sir? Sind Sie sicher?« Der Truppführer der Gardelegionäre wandte sich ihm zu. Der Helm war geschlossen, sodass Carlo dessen Mimik nicht sehen konnte, aber die Stimme verriet genug. Der Mann war überzeugt, Carlo würde einen Fehler machen. Vielleicht hatte er recht.

Carlo nickte. »Schließen Sie bitte die Tür hinter sich«, wies er die Legionäre abschließend an. Die Männer zögerten immer noch. Es war ihnen zuwider, einen Mann, den sie für eine lebende Legende hielten, mit einer potenziellen Bedrohung allein zu lassen. Sie hatten aber einen eindeutigen Befehl erhalten. Langsam und gemächlich zogen sie sich aus dem Raum zurück. Die Tür blieb jedoch unverschlossen und lediglich angelehnt. Es würde ein Ruf genügen und die Legionäre stünden wieder im Raum, um das Wesen mit Projektilen zu spicken. Der Gedanke war beruhigend. Auch wenn sich Carlo sicher war, dass für ihn im Bedarfsfall jede Hilfe zu spät kommen würde.

»General«, grüßte Daniel, den Kopf respektvoll neigend.

»Nur Carlo«, bot der ehemalige General an. »Meine Militärzeit ist lange vorbei.« Er deutete auf eines der bequemen Sofas, mit denen die Quarantänezelle ausgestattet war. »Wollen wir uns setzen?«

Daniel nickte und setzte sich auf eines der Möbelstücke, Carlo auf das diesem gegenüberstehende. Auch nachdem er sich gesetzt hatte, kam er nicht umhin, das Gesicht seines Gesprächspartners eindringlich zu mustern. Er suchte nach Anzeichen des Mannes, den er vor so langer Zeit gekannt hatte. Irgendeinem Anzeichen. Carlo lehnte sich zurück. Er fand zu viele davon. Das war das Problem.

»Ich bin es«, erklärte der Mann schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit.

Carlo machte eine verkniffene Miene. »Das würde ich zu gerne glauben.«

Daniel senkte den Blick. »Ich kann Ihr Misstrauen sehr gut nachvollziehen. Gibt es eine Möglichkeit, meine ehrenvollen Absichten zu beweisen?«

Carlo rutschte auf dem Möbelstück unbehaglich hin und her. »Nun, Sie könnten damit anfangen, mir von Ihrer Reise zu berichten. Was haben Sie erlebt?« Seine Stimme wurde eindringlicher. »Was haben Sie gesehen

Daniels Blick wanderte in weite Ferne. Vor dessen inneren Auge geisterten Dinge umher, die vermutlich schon seit Urzeiten kein Mensch mehr zu Gesicht bekommen hatte. Carlo wartete gespannt.

»Was ich gesehen habe?«, wiederholte Daniel. »Unglaubliche Dinge, die Sie nie für möglich halten würden.«

»Versuchen Sie es«, bohrte Carlo weiter.

»Ich wanderte über Jahre hinweg ziellos durch den Raum«, begann Daniel zu erzählen. »Ich war ganz allein in dem kleinen Schiff, das ich mitgenommen hatte. Und es war schwer, nicht zu verzweifeln. Ich stand kurz davor, die Hoffnung zu verlieren, aber dann passierte etwas.«

Carlo kniff die Augen zusammen. »Was?«

»Ich begegnete in der Randzone einem Hinradyschiff. Ich denke, es handelte sich um einen Aufklärer. Ich beschloss, ihm zu folgen. Er führte mich zu einem kleinen Riss, und als der Aufklärer hindurchflog, blieb ich an ihm dran.« Daniel presste für einen Moment die Lippen aufeinander. »Ich war unglaublich naiv und stellte mir alles so einfach vor. Nach all diesen Jahren brannte ich darauf, endlich Ergebnisse zu erzielen.« Er schüttelte den Kopf und ließ die Schultern hängen. »Ich hätte nie fortgehen … nie diesen Riss durchfliegen sollen.« Daniel seufzte. »Es dauerte nicht lange und sie nahmen mich gefangen. Der Aufklärer hatte die ganze Zeit gewusst, dass er verfolgt wurde. Es war eine Falle. Sie brachten mich auf einen Planeten, den die Nefraltiri bevölkerten. Ich denke, man könnte sagen, es handelt sich um ihren neuen Heimatplaneten, nachdem sie unsere Galaxis verlassen hatten. Und dort begegnete ich ihnen zum ersten Mal in der Realität.« Daniels Augen wurden groß. »Es sind wahrhaft majestätische Wesen. Man spürt ihre Erhabenheit, wenn man sich in ihrer Nähe aufhält.«

Carlo lief bei der Beschreibung der Geschehnisse ein eiskalter Schauder über den Rücken. Vor allem, als Daniel beschrieb, wie er sich in Anwesenheit der Nefraltiri gefühlt hatte.

»Sprechen Sie weiter«, forderte er Daniel auf.

»Sie behielten mich über mehr als zwei Jahrzehnte unserer Zeitrechnung bei sich.«

»Als Gefangenen?«

Daniel neigte leicht den Kopf zur Seite. »Nicht so, wie Sie und ich dieses Wort verstehen.« Er schnaubte entschuldigend. »›Haustier‹ wäre das Wort, das mir am ehesten dazu einfällt.«

Carlo hob eine Augenbraue, erwiderte jedoch nichts. Daniel stieß einen Schwall Luft zwischen den Vorderzähnen aus. »Ja, ich denke, ›Haustier‹ ist der passende Begriff. Sie müssen verstehen, die sind im Prinzip genau wie wir. Sie wissen von uns und wollten Informationen.«

Eine dunkle Vorahnung ergriff von Carlo Besitz. »Über was genau?«

»Unsere Spezies, die Drizil, unsere Gesellschaft …«

»… unser Militär«, vollendete Carlo den Satz.

Daniel zögerte, schlug dann aber den Blick nieder. »Ja, auch das. Aber Sie müssen verstehen, ich hatte keine Wahl. Die Nefraltiri sind Telepathen. Sie haben nach den Informationen nicht gefragt. Sie zogen sie einfach aus meinem Kopf.« Daniels Stimme stockte. »Es … es tut mir leid.«

Carlo seufzte. »Die Schwarmschiffe sind uns so haushoch überlegen, dass es eigentlich keine Rolle spielt, was die wussten oder nicht wussten. Erzählen Sie weiter.«

»Ich konnte fliehen. Die Nefraltiri waren so von der Invasion abgelenkt, dass es mir gelang, einen Jäger zu stehlen. Ich wollte – nein, ich musste – in meine Heimat zurück.«

»Sie konnten fliehen«, meinte Carlo zweifelnd. »Einfach so. Nach Jahrzehnten der Gefangenschaft.«

»Nein, nicht einfach so«, begehrte Daniel auf. Dessen Stimme wurde nun geprägt von einer unterschwelligen Aggression. Carlo hob warnend das Kinn und Daniel beruhigte sich wieder. Beiden war klar, dass die Legionäre vor der Tür jedes Wort mithörten, und diese würden im Zweifelsfall eher schießen als Fragen stellen.

Daniel zwang sich zur Ruhe und bemühte sich um ein Lächeln. Es misslang jedoch. »Tut mir leid, Carlo. Tut mir wirklich leid. Ich bin den Umgang mit Menschen nicht mehr gewohnt.«

»Verständlich«, erwiderte er »Über Ihre Flucht reden wir zu gegebener Zeit noch einmal.«

Daniels Blick zuckte hoch. Die Pupillen funkelten unheilvoll. Carlo war sofort alarmiert.

»Es gibt Wichtigeres, über das wir sprechen müssen«, gab Daniel zurück.

»Und das wäre?«

»Während die Nefraltiri mich studierten, habe ich sie studiert und einige Erkenntnisse gewonnen, die kriegsentscheidend sein könnten.«

Carlo wusste nicht recht, was er von seinem Gegenüber halten sollte. Aber da er sich nun bereits im Dialog mit diesem befand, konnte er genauso gut weiter zuhören. Er beugte sich neugierig vor. Mit einem Nicken forderte er Daniel zum Weiterreden auf.

»Die Nefraltiri sterben«, verkündete Daniel rundheraus. »Es gibt im Höchstfall vielleicht noch zweihundert von ihnen. Und sie haben keine Königin mehr. Die letzte verstarb vor über vierhundert Jahren. Seither sind sie nicht mehr in der Lage, sich fortzupflanzen. Die Spezies steht vor der Ausrottung.«

»Was hat das mit uns zu tun?«

»Nach Ende ihres Bürgerkrieges, als die Nefraltiri uns verließen, ließen sie auch einige Brutkammern zurück. Sie dachten, alle wären im Laufe der Äonen zerstört worden. Aber vor relativ kurzer Zeit empfingen sie ein Notsignal einer dieser Kammern. Und in ihrem Inneren befinden sich nicht nur zahlreiche Embryonen ihrer Rasse, sondern auch die Larve einer Königin. Nun sind sie gekommen, um diese Brutkammer zu finden.«

»Und dazu müssen sie unsere Planeten verwüsten?«, erwiderte Carlo zweifelnd.

»Sie wissen zwar, dass sich die Brutkammer auf einer menschlichen Welt befindet, aber nicht, auf welcher. Ihre Invasion dient nur einem einzigen Zweck: Sie wollen diese Kammer und die Königinnenlarve darin finden. Sie sind besessen davon. Nichts anderes hat in ihrem Denken Platz.«

»Und dafür sind sie bereit, uns alle zu vernichten?«

»Die Menschen interessieren sie gar nicht. Wir sind ihnen schlicht im Weg. Und die Drizil? Die Nefraltiri betrachten diese als eidbrüchig. Deren Vernichtung soll die Bestrafung sein.«

Carlos Stirnfalten zogen sich über der Nasenwurzel zusammen. »Die Nefraltiri haben die Drizil genauso im Stich gelassen wie die Menschheit. Warum sollte das ein Eidbruch sein?«

»Die Nefraltiri dachten, die Drizil könnten ohne ihre Meister nicht überleben. Dass sie immer noch existieren und sogar gedeihen, genügt den Nefraltiri. Das sehen sie als Eidbruch an.«

»Sie meinen, die Drizil sind eines Verbrechens schuldig, weil sie sich weigerten unterzugehen?«

Daniel neigte entschuldigend den Kopf. »So denken die Nefraltiri einfach.«

»Erzählen Sie mir etwas über diese Obelisken. Was wissen Sie darüber?«

Daniel Red Cloud zuckte die Achseln. »Ich vermute, über die wissen Sie mehr als ich.« Der Legionär leckte sich über die Lippen. »Die Nefraltiri haben ihre geistigen Kräfte eingesetzt, um den Riss überhaupt entstehen zu lassen. Sie ahnen gar nicht, wie viel Kraft dazu notwendig war. Mehr als fünfzig von ihnen sind dabei verreckt. Aber es gelang ihnen, den Riss lange genug zu öffnen, um die ersten Vorauskommandos hindurchzuschicken. Sie bauten die Obelisken, um mithilfe geothermischer Energie die Energiestützen aufzubauen und den Riss weiter zu öffnen beziehungsweise zu stabilisieren. Nach der Zerstörung des Obelisken auf Risena ist es damit allerdings vorbei. Der Riss ist nicht mehr stark genug, um den Übergang eines Schwarmschiffes zu ermöglichen, wohl aber von Hinradyeinheiten. Die Nefraltiri waren überaus zornig, als der Obelisk vernichtet wurde. Sie suchen derzeit nach einem geeigneten Planeten, um einen neuen zu bauen.«

Carlo schüttelte den Kopf und betrachtete sein Gegenüber von unten herab. »Das ist aber noch nicht alles.«

»Nein«, gab Daniel nach kurzem Zögern zu. »Der Riss, sollte er denn wieder voll funktionsfähig werden, wird von drei Stellen gespeist: zweien auf dieser Seite, nämlich den Obelisken, und einem auf der anderen Seite. Über hundert Nefraltiri auf der anderen Seite sind rund um die Uhr damit beschäftigt, den Riss offen zu halten. Sie tun nichts anderes und sie werden auch nichts anderes tun, bis die Mission ihrer Streitkräfte von Erfolg gekrönt ist. Die gesamte Schwarmschiff-Armada, weitere sechzig dieser kampfstarken Kriegsschiffe, wartet darauf, dass sich der Riss wieder unter Zuhilfenahme eines zweiten Obelisken stabilisiert, damit sie übertreten und die Brutkammer ausfindig machen können.«

Carlo dachte angestrengt über das Gesagte nach. Schließlich räusperte er sich. »Wir haben die Brutkammer«, erklärte er dem völlig verdutzt wirkenden Daniel Red Cloud. »Wir fanden sie vor einigen Jahren. Daher haben wir uns bereits einen Reim auf manches gemacht, was Sie uns jetzt bestätigten.«

Daniel musterte den ehemaligen Legionsgeneral aus großen Augen. »Darf ich fragen, was Sie mit diesem Fund bezwecken?«

Carlo schnaubte. »Ich nehme an, den Nefraltiri die Larve ihrer Königin auszuhändigen, ist keine Option.«

»Sicher nicht«, stimmte Daniel zu. »Sie würden euch vernichten. Schon allein aus Prinzip.«

Carlo nickte. »Dann besteht unsere größte Hoffnung darin, den Nefraltiri die Brutkammer vorzuenthalten. Wir müssen einfach einen Weg finden, sie auf andere Weise aufzuhalten.« Er erhob sich langsam. Daniel tat es ihm gleich. Carlo fixierte ihn mit seinem Blick. »Sie haben mir einiges zum Nachdenken gegeben, Daniel.«

»Sie können die Nefraltiri nicht aufhalten«, entgegnete Daniel. »Das muss Ihnen klar sein. Selbst mit Ad’""banas Hilfe dürfte das nicht gelingen.«

»Wir werden sehen. Noch sind wir nicht geschlagen.«

»Die Nefraltiri werden die Brutkammer früher oder später finden«, hielt Daniel dagegen. »Eher früher. Darf ich fragen, wo sie sich befindet?«

Carlo zögerte einen Moment lang. Doch er entspannte sich wieder. »Auf Samadir, einem kleinen Planeten zwischen der Kooperative und der KdS.«

Daniel wirkte mit einem Mal verwirrt. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie mir diese Information anvertrauen.«

Carlo zuckte die Achseln. »Das stellt nur ein geringes Risiko dar. Sie haben keine Möglichkeit, diese Information gegen uns zu verwenden. Ich meine, falls Sie insgeheim doch für die Nefraltiri arbeiten.«

Carlo wandte sich zur Tür um und wollte gehen, doch Daniels Stimme hielt ihn noch zurück. »Seien Sie gewarnt, General«, erklärte er, Carlos alten Rang benutzend. »Für Sie, die Menschen und die Drizil mag das ein Krieg sein. Aber für die Nefraltiri ist dies genauso wenig ein Krieg, wie die Auseinandersetzung zwischen Kammerjäger und Küchenschabe einer ist. Die Nefraltiri wollen euch auslöschen. Wenn ihr tatsächlich gewinnen wollt, müsst ihr die zuerst auslöschen.«

Carlo ließ den Gefangenen hinter sich. Die Legionäre sperrten die Tür ab, sobald er die Zelle verlassen hatte. Carlo kehrte zu Cest in den Beobachtungsraum zurück, wo der Wissenschaftler ihn bereits neugierig erwartete.

»Sie haben ihn belogen«, meinte dieser nicht ohne Sympathie in der Stimme. »Die Brutkammer befindet sich nicht auf Samadir, sondern auf der Erde.«

Carlo nickte und trat ans Fenster, von wo aus er Daniel erneut beobachten konnte. »Seine Herren sind Telepathen. Wir kennen zwar die Reichweite ihrer Fähigkeiten nicht, aber unser Freund hier wird eine Möglichkeit finden, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Sonst hätten sie ihn uns gar nicht erst geschickt.«

Cest machte eine verdrießliche Miene. »Sie glauben also nicht daran, dass dies wirklich Daniel ist.«

Carlo seufzte schwer. »Nein … nein, das glaube ich nicht. Er weiß viel zu viel. Und er kennt Ad’""banas Namen. Aber vor allem hat er immer davon gesprochen, dass die Nefraltiri – und ich zitiere – euch vernichten werden. Er sprach nie davon, dass sie uns vernichten würden. Was auch immer das für ein Ding da unten ist, es betrachtet sich nicht als der Menschheit zugehörig.«

»Ich hatte wirklich gehofft, dass er es ist.«

»Ich auch, Nicolas«, erwiderte Carlo traurig. »Ich auch.«

Nach einem Moment des Schweigens ergriff Cest erneut das Wort. »Sie verfolgen doch eine Absicht mit ihrer Lüge bezüglich Samadir. Oder täusche ich mich da?«

Carlos Miene verzerrte sich zu einer sarkastischen Grimasse. »In der Tat. Die Nefraltiri haben uns etwas mit dem Gesicht eines alten Freundes zurückgeschickt, in der Hoffnung, uns zu manipulieren. Ich finde, diesen Gefallen sollten wir erwidern.« Er wandte sich dem Professor zu. »Indem wir die Nefraltiri in eine Falle locken. Ich habe einen Plan.«

Das gefallene Imperium 8: Auf Leben und Tod

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