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4. Unrealistische Ziele

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Nach dem Besuch eines Proseminars beherrscht niemand eine Methode und insbesondere kann er oder sie sie nicht kontextualisieren. Eine Methode und mehr noch einen Methodenkanon zu kennen und aus diesem Kanon einzelne Methoden für die Auslegung konkreter Texte auszuwählen, durchzuführen und dabei vielleicht noch zu evaluieren, setzt jahrelanges Training voraus. Im Methodenseminar gängiger Bauart hingegen wird die Methode ein bis zwei Mal vorgemacht und die Lernenden zeigen in der Proseminararbeit, dass sie sie nun auch beherrschen. Dass allein vom Abschauen niemand lernt, ist eine Sache; eine andere, dass Methodenbeherrschung Übungszeiten und Übungsorte braucht. Wie jede andere Fertigkeit muss auch exegetische Methodenkompetenz eingeübt werden. Eine Proseminararbeit und eine Hauptseminararbeit im Studium sind dabei kaum ausreichend – insbesondere nicht, wenn Methoden und Formate nicht reflektiert und kontextualisiert werden. Lernende müssen verstehen, warum ihre Prüfungsleistung einer Handlungsstruktur entspricht, die sie später nicht zu glauben brauchen. Die klassische Seminararbeit bereitet den wissenschaftlichen Nachwuchs auf die gängigen Formate im wissenschaftlichen Diskurs vor und nicht nur ein angehender Grundschullehrer hat sich bisher gefragt, warum er das lernen soll. Das ist kein Plädoyer dafür, die Seminararbeit abzuschaffen – es geht vielmehr darum, sie als Lernort besser zu erklären und womöglich in ihrer Aufgabenstellung leicht zu modifizieren. Mitunter reicht ein knapper reflexiver Teil, in dem die Lernenden sich zu der Frage verhalten müssen, warum genau diese Form der Prüfung für sie einen Nutzen haben kann. Dabei kann es ausreichen, unter dem Stichwort »Sachanalyse« einen Ausblick auf spätere Handlungsstrukturen miteinzubeziehen. Auch Lehrer und Pfarrerinnen brauchen Exegese – etwa für Unterrichtsvorbereitung und Predigt und insbesondere, um einzuschätzen zu können, wie viel eine fertige Arbeitshilfe an sich und für die eigene Zielgruppe taugt. Man könnte auch ganz knapp sagen: Katechese braucht Exegese.

Von unrealistischen Zielen müssen sich indes auch viele Lehrende frei machen. Die Erwartung, dass Studierende nach dem Besuch des Proseminars exegetisch kompetent sind, ist als Lernziel im Zuge von Bologna häufiger anzutreffen. Das kann daran liegen, dass in den Modulbeschreibungen explizit wird, was schon immer implizit gefordert war. Es kann aber auch daran liegen, dass die hochschuldidaktische Theorie mit Taxonomien, Niveaustufen und Kompetenzmodellen die nötige theoretische Fundierung hierfür liefert. Es ist nicht selten, dass Lehrende aus den biblischen Wissenschaften Methodenkurse so modellieren, dass sie im Bloom’schen Modell auf der fünften oder sechsten Taxonomiestufe landen.1 Hierbei spielt die Begeisterung, ein Modell zu haben, das kompetenzorientiertes exegetisches Arbeiten auszudrücken vermag, sicherlich eine Rolle, doch bleibt der blinde Fleck, dass neue Methoden und Herangehensweisen sich nicht einfach uploaden und dann anwenden lassen.

Exegetische Kompetenz zu entwickeln braucht Zeit. Neben Input- und Übungsphasen braucht es ebenso auch Verarbeitungs- und Ruhephasen. Methoden zu kennen, durchzuführen und ihre Anwendung zu beurteilen, eventuell sogar Ergebnisse und Probleme vorhersehen zu können, setzt einen kontinuierlichen Lernprozess über Jahre voraus. Gute Promovenden sind dazu in der Lage, wenngleich frisch Promovierte häufig erst noch lernen müssen, dass es lediglich ein Teil des Feldes ist, das den vermessen haben.

Perspektiven bibelwissenschaftlicher Hochschuldidaktik

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