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ОглавлениеForum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa)
Jahrgang 1–2016, Heft 1
Vom Zauber der Schriftauslegung
Ein hochschuldidaktischer Blick auf Exegese
Sandra Huebenthal
Abstract | This contribution deals with the relation of exegesis and teaching strategies. It works from the observation that recipients initially come with an enthusiasm for biblical texts and are eager to learn more, but their enthusiasm fades when they are confronted with the standard exegetical methods that render exegesis to be some kind of secret science which is, on top, far from their actual life and faith. Standard secondary sources seem to be of little help either, for they often discuss all kinds of methodological and research questions instead of dealing with the text itself. This kind of frustration re-appears when these students become teachers: they tend to pass on their frustration to their learning groups.
University teachers should, however, dedicate their time and energy to the search for strategies to overcome this frustration and re-kindle the joy of discovery in their students. Little changes like the reading of a whole biblical book instead of a pericope can lead to surprising discoveries and deeper understanding. Competence-oriented exegesis in the times of Bologna further needs more reflection on learning outcomes on part of the teachers. They need to overcome unrealistic aims and excessive expectations as well as realize that they might still be learners when it comes to passing on their knowledge. The contribution mentions strategies for modelling courses and closes with an outlook on the development of exegetical and didactical competence.
Exegeten sind Zauberkünstler. Zumindest habe ich es während meines Studiums so wahrgenommen und war fasziniert davon, wie meine Dozenten mit der Bibel umgegangen sind. Ein Echo dieser Faszination fand ich unlängst bei der Durchsicht alter Unterlagen. Die Dankesrede, die ich 2001 anlässlich der Verleihung des Förderpreises für meine Diplomarbeit gehalten habe, begann mit den Worten: »Wenn Bibelwissenschaftler das Wort ergreifen, erwartet man entweder einen fesselnden Vortrag, bei dem sich mit detektivischer Sicherheit ein Detail zum anderen fügt und man zum Ende hin eine völlig neue Perspektive auf ein altbekanntes Phänomen bekommt – oder man befürchtet, mit unverständlichen Wortketten und fachspezifischen Begriffen erschlagen zu werden, die nur ein erlauchter Kreis von Fachleuten versteht und die beim gewöhnlichen Auditorium bereits nach wenigen Minuten extreme Ermüdungserscheinungen hervorrufen.«
Beim Wiederlesen war ich überrascht, wie punktgenau diese Gedanken widerspiegeln, welche Art von Reaktionen Exegese in vielen Fällen hervorruft. Da ist zum einen die Begeisterung für den Text, die ansteckt und neugierig macht, mehr zu erfahren und mehr zu lernen, und zum anderen die Ablehnung einer Art Geheimwissenschaft oder Beschäftigung im Elfenbeinturm, die der theologisch Interessierte normalerweise nicht versteht und die mit dem eigentlichen Leben und Glauben nicht viel zu tun zu haben scheint.
Aufgrund meiner Erfahrungen als Lehrende und Lernende in der Bibelwissenschaft vermute ich, dass die Ersterfahrung mit »Exegese« für die Einzelnen prägend ist und diese Prägung über den individuellen Lernenden hinausgeht. Im Verlauf des Studiums und als Hochschullehrerin habe ich häufig die Erfahrung gemacht, dass sich an der Exegese die Geister scheiden: Studierende sind entweder begeistert oder ablehnend, und das nicht allein deshalb, weil für die Exegese Altsprachenkenntnisse in Latein, Griechisch oder gar Hebräisch zu erwerben waren. Während ich als Religionslehrerin in einer berufsbildenden Schule arbeitete, bot sich mir ein ähnliches Bild, das Kolleginnen und Kollegen aus anderen Schulformen bestätigen: Wenn man den Klassenraum mit einem Satz Bibeln betritt, stöhnt die Lerngruppe zumeist gequält auf.
Dass die Reaktionen von Studierenden und Schülern zusammenhängen, liegt auf der Hand, doch erschloss sich mir lange nicht, wie sie verbunden sind. Dass sie mit dem Lerngegenstand, also der Bibel selbst, zu tun haben, halte ich für ausgeschlossen. Der Grund muss an einem anderen Ort zu finden sein. Als ich begann, meine eigenen exegetischen Ansätze in Lehrerfortbildungen einzubringen und die Erfahrungen aus den unterschiedlichen Lernfeldern im Rahmen hochschuldidaktischer Weiterbildung zu sammeln und zu reflektieren, wurde das Bild klarer. Auch die Lehrerfortbildungen zeigten das bekannte Muster: Es gab diejenigen, die begeistert waren, und diejenigen, die nur deswegen kamen, weil die Veranstaltung akkreditiert war, günstig lag, und sie noch Weiterbildungspunkte brauchten. Der Aha-Effekt bei den Lehrern, die häufig in den 70er und 80er Jahren studiert hatten, bestand in vielen Fortbildungen in der Feststellung, dass man Exegese auch ganz anders machen kann, als sie es im Studium kennengelernt hatten, und dass Bibelauslegung durchaus eine lustvolle Beschäftigung sein kann.
Sandra Huebenthal *1975, Dr. theol., ist Professorin für Exegese und Biblische Theologie an der Universität Passau. Sie studierte Kath. Theologie in Frankfurt/Sankt Georgen und Dublin. Seit 2011 ist sie in der Leitung der hochschuldidaktischen Weiterbildung Theologie Lehren Lernen in Trägerschaft des Katholisch-Theologischen Fakultätentags und der Deutschen Bischofskonferenz. Sie ist seit 2015 bei der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) akkreditiert.
Unter Hochschullehrenden wird gerne geflachst, dass wir in den exegetischen Lehrveranstaltungen gegen die Lehrer und Pfarrer unserer Studierenden ankämpfen, und tatsächlich ist weit mehr als nur ein Körnchen Wahrheit in dieser lapidaren Feststellung enthalten. In der Tat sind es zumeist die früheren Erfahrungen mit hermeneutischen und methodischen Zugängen und ihrer Vermittlung, die den Lernenden die Freude an der Bibel nehmen. Die Eindrücke sind so nachhaltig, dass die Studierenden ihre Vorbehalte in die späteren Arbeitsfelder Pastoral und Schule mitnehmen und dort unbewusst weitergeben. Wer sich durch exegetische Vorlesungen, Pro- und Hauptseminare quälte, wird in der eigenen beruflichen Tätigkeit selten überzeugt Freude an der Bibel und ihrer Auslegung verkörpern, und wer im Studium lernte, dass Exegese immer hochwissenschaftlich sein muss, um wirklich Exegese zu sein, wird sich schwer tun, kreative und originelle Auslegungsangebote zu machen.
Wie vertrackt die Situation ist, lässt sich an zwei Beispielen aus meinem exegetischen Alltag verdeutlichen. Eine meiner Standardfragen in exegetischen Grundkursen lautet: »Wenn Sie das Gleichnis XY auslegen wollen, was lesen Sie als erstes?« Auf die eigentlich nahe liegende Antwort: »den biblischen Text«, kommen die wenigsten. Gewöhnlich überlegen die Studierenden, welcher Kommentar am besten geeignet sein könnte. Man mag einwenden, zunächst den Text zu lesen, verstehe sich doch von selbst, doch die Realität sieht oft anders aus. Ich habe zu viele Studierende erlebt, die unterschiedliche Auslegungen vorstellen konnten, aber nicht so recht wussten, was genau im Text steht, um an diesen Automatismus zu glauben. Hinzu kommt, dass die Kommentarliteratur mitunter wenig hilfreich für die Auslegung eines Textes ist. Als ich in der Abschlussphase meiner Promotion eingeladen war, einen Einkehrtag zu Jesaja 58 zu gestalten, stellte ich zu meinem Entsetzen fest, dass keiner der Kommentare, die in unserer gut sortierten Bibliothek standen, bei der Frage der Auslegung von Jesaja 58 weiterhelfen konnte. Über den Wachstumsprozess und literarische Schichten des Buches war sehr viel zu erfahren, weniger schon über das literarische, religionsgeschichtliche und soziale Umfeld, und Impulse für die Auslegung blieben die Kommentare gänzlich schuldig. Ich fragte mich damals, wie sich auf dieser Grundlage Predigten entwickeln lassen, und einer meiner Lehrer der Exegese des Alten Testaments gestand ein, dass er auf diese Frage auch keine Antwort habe.
Es bleibt der Eindruck, dass Bibelauslegung eine Sache für Fachleute ist, bei der man sich erst nach Jahren des Trainings fremder Sprachen und komplizierter Methoden aus der Deckung trauen darf und selbst dann in den Augen der gestrengen Fachleute selten Gnade findet. Oder anders herum formuliert: dass man bei der Exegese eine Menge falsch machen kann und wenig Spaß verspürte, wenn man nicht zu den »happy few« gehört, die sich dieser Sache mit Haut und Haaren verschreiben.
Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Die Fähigkeit, gute Exegesen zu schreiben, ist etwas, das jahrelange Erfahrung und Training braucht. Gute Exegeten mögen wie Zauberer sein, doch sie lassen sich nicht einfach herbeizaubern. Nach Jahrzehnten einer hermeneutischen Monokultur an den Universitäten ist es nicht verwunderlich, wenn die ehemaligen Studierenden und heutigen Multiplikatoren in Pastoral und Schule glauben, dass Exegese wenig mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun hat und dass sie – da sie nur selten in der Praxis anwenden können, was sie im Hörsaal lernten – den Eindruck haben, mit ihren vermeintlich unwissenschaftlichen Zugängen Theologen zweiter Klasse zu bleiben, die im Grunde nichts Wesentliches über die Bibel sagen oder zur Weitergabe ihrer Auslegung beitragen können.
Wenn Exegese die Lernenden nicht zu eigenen Auslegungen befähigt und ihnen den Spaß und die Entdeckerfreude lässt, müssen wir uns nicht wundern, wenn sich das »exegetische Trauma« in den Gemeinden und Schulen fortsetzt und die Bibel ein Schattendasein führt. Es erklärt, warum Prediger biblische Texte mitunter steinbruchartig als Impuls- und Stichwortgeber verwenden, um die eigene Meinung zu untermauern, und warum biblische Geschichten im Unterricht Gefahr laufen, pädagogisch oder katechetisch verzweckt zu werden. Dann kann es schon mal passieren, dass Zachäus am Text vorbei zu einer »tollen Geschichte gegen Mobbing« wird und das Gleichnis vom Senfkorn an der Realität nahöstlicher Botanik vorbei dafür herhalten muss, im Selbstversuch mit dem Blumentopf zu lernen, dass das Kleine beschützt und gepflegt werden muss, damit es groß werden und seinerseits Schutz bieten kann.