Читать книгу Perspektiven bibelwissenschaftlicher Hochschuldidaktik - Stefan Fischer - Страница 15

6. Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsplanung als Entzauberungsmittel

Оглавление

Was heißt das für die konkrete Lehrveranstaltungsplanung? Sich über die Ziele der eigenen Lehrveranstaltung klar zu werden, heißt vor allem, einen nüchternen und realistischen Blick darauf zu bekommen, was möglich ist.1 Dabei zeigt sich häufig, dass die Wünsche und Ambitionen die Möglichkeiten weit übersteigen. Kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsplanung, wenn sie richtig durchgeführt ist, macht genau das sichtbar. Wenn die angestrebten Lernziele, die dafür nötigen Lernschritte und die vorgegebene Workload miteinander in Beziehung gesetzt werden, zeigt sich oft, dass die geplanten Lernziele nicht realistisch sind und man irgendwo Abstriche machen muss. In Zeiten klarer Modulvorgaben lässt sich der schwarze Peter jedoch nicht mehr so einfach durch zusätzliche Lektüre oder den Anspruch, dass bestimme Dinge für die Prüfung eben gekonnt werden müssen, den Studierenden zuschieben, sondern die Lehrenden sind gehalten, den Lernprozess transparenter zu gestalten und dafür zu bürgen, dass bestimme Kompetenzen tatsächlich erworben werden können.

Dass Lernen über weite Strecken ein unverfügbares Geschehen ist und Lehrende nie voraussehen können, was Lernende tatsächlich aus einem Lernprozess mitnehmen, ist davon unberührt. Es geht hier vielmehr darum, Basisstrukturen zu schaffen, die sicherstellen, dass der Erwerb bestimmter Grundkompetenzen kein Zufall ist, sondern der Regelfall. Der Gedanke, Kompetenzorientierung sei eine Heuristik zur Stärkung der Empathie von Lehrenden gegenüber Lernenden, bringt es auf den Punkt, dass Lehrende und Lernende in diesem Prozess Partner sind und ein gemeinsames Ziel anstreben. Die alte Opposition Lehrende vs. Lernende, die Lehrende und Lernende im Sinne eines »Blame the student«/»Blame the teacher« gegeneinander ausspielt,2 hilft niemandem und verbraucht unnötig Energie, die besser in den Lernprozess investiert würde.

Learning Outcomes sind bei kompetenzorientierter Lehrveranstaltungsplanung keine Wunschzettel, sondern realistische Zielbeschreibungen.3 Sie geben an, was Studierende nach dem Abschluss des Lernprozesses wissen, verstanden haben oder in der Lage sind zu tun. Dabei wird nicht ein wünschenswerter Idealfall skizziert, sondern der Regelfall. Das kann auch bedeuten, wesentlich kleinere Ziele zu formulieren, als man es gewohnt ist oder für wünschenswert hält, und dass man nicht mehr versucht, das »Feld abzudecken« – ebenso wie beim Football sieht man es dann nämlich nicht mehr –, sondern exemplarisch zu arbeiten und genau dadurch die Ausmaße des Feldes sichtbar zu machen.

Abgesehen davon, dass Enzyklopädie ohnehin Illusion ist, ist ein solches Vorgehen für alle Beteiligten entlastend. Dazu gehört ganz entscheidend das Vertrauen, dass Lernende auch ohne permanentes Monitoring eigenständig weiterarbeiten und weiterlernen, nachdem ihre intrinsische Motivation erst einmal geweckt und stimuliert wurde. Man muss ihnen die intrinsische Motivation, die volitionale Kompetenz und die Freude am Lernen jedoch zutrauen und sie von der »professoralen Leine« lassen. Nicht selten zeigt sich in hochschuldidaktischen Workshops, dass Lehrende unbewusst ganz andere Lehrkonzeptionen in sich tragen und diese ebenso unbewusst auf ihre Studierenden applizieren – mit mitunter fatalen Folgen für die Motivation, die Kreativität und die Eigenständigkeit der Lerngruppe.

Eine (Selbst-)Beschränkung der Lehrenden bei der Veranstaltungsplanung ist kein Scheitern, sondern zeigt an, dass die Lehrenden im engen Kontakt mit der Wirklichkeit stehen. Wenn ich für eine Lehrveranstaltung eine Workload von 1 CP (= 30 Arbeitsstunden) vorgegeben habe und davon 15 Arbeitsstunden auf die Präsenz in der Lehrveranstaltung entfallen, sowie 15 weitere auf die strukturierte Vor- und Nachbereitung, kann ich nicht erwarten, dass die Studierenden zusätzlich zur Vorbereitung der Prüfung noch zwei Standardwerke lesen und eigenständig einüben, was ich in der Lehrveranstaltung vorgemacht habe, damit sie in der Prüfung an einem neuen Fallbeispiel ihren Kompetenzerwerb demonstrieren können. Den Studierenden diese weiteren Lernschritte jenseits der Workloads doch noch aufzuzwingen, ist in den Zeiten von Bologna theoretisch nicht mehr möglich. Auch Leselisten, die im Studium irgendwann abzuarbeiten sind und stillschweigend vorausgesetzt werden, verbieten sich bei diesem System. Das schützt die Lernenden einerseits vor überzogenen Erwartungen, mutet ihnen andererseits aber auch zu, sich wirklich mit Lerngegenständen und Lernwegen auseinanderzusetzen. Auch die Vertagung des Lernprozesses auf einen späteren Zeitpunkt wird schwieriger – ebenso die Ausrede, keine Zeit gehabt oder nicht so genau gewusst zu haben, was man eigentlich machen sollte.

Wenn mein Lernziel ist, dass Studierende eigenständig neue Beispiele bearbeiten können – was in der Exegese häufig heißt: eigenständig andere als die in der Lehrveranstaltung besprochenen oder erarbeiteten Texte auszulegen – braucht es in der Lehrveranstaltung einen Ort, um diese Fähigkeiten entwickeln und trainieren zu können.4 Alles andere ist keine kompetenzorientierte Lehrveranstaltungsplanung. Die Praxis sieht oft anders aus: Da werden beispielsweise in Exegetischen Proseminaren oft nur einzelne Methodenschritte demonstriert, in der Seminararbeit sollen die Studierenden diese Schritte dann nicht nur eigenständig durchführen, sondern die Ergebnisse auch in einer Gesamtinterpretation zusammenführen. In der Lehrveranstaltung strukturiertes Wissen zu vermitteln, in der Prüfung jedoch mit Analyse und Vernetzung eine höhere Taxonomiestufe anzusteuern, ist nicht nur unredlich, sondern geht auch in den meisten Fällen schief und führt zu enormem Frust bei Lehrenden und Lernenden.

Perspektiven bibelwissenschaftlicher Hochschuldidaktik

Подняться наверх