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2. Zur Restrukturierung theologischer Studiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses

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Neben der sich maßgeblich verändernden Sozialisation von Studierenden durch eine Verschiebung des Religiösen in das Private und durch die Multimedialisierung von Vermittlungsprozessen stehen die bibelwissenschaftliche Fächer Lehrenden vor Problemstellungen, die durch die Restrukturierung der theologischen Studiengänge im Zuge des Bologna-Prozesses hervorgerufen wurden.

Die Restrukturierung der Studiengänge führte zu einer Verschärfung der didaktischen Bedingungen für die Dozierenden. Während die Lehramtsstudiengänge in Deutschland in ein BA- und ein MA-Studium getrennt wurden, in denen im BA-Studium die fachwissenschaftlichen und im MA-Studium die berufsspezifischen Inhalte vermittelt werden, sehen die Pfarramtsstudienordnungen der deutschen evangelischen Landeskirchen ein zwölfsemestriges MA-Studium mit einer Zwischenprüfung vor, das an der alten Examensordnung orientiert ist. In der deutschsprachigen Schweiz und in Österreich stellten die Fakultäten auf ein Bachelor- und Masterstudium um, das nach dem sechsten bzw. zehnten Semester abgeschlossen werden kann. In Österreich lief das Diplomstudium mit Abschluss Magister bzw. Magistra zum SoSe 2015 aus. Nunmehr bildet der Masterabschluss die Voraussetzung für die Zulassung zum Vikariat. In der Schweiz wird von den reformierten Kirchen zusätzlich ein ekklesiologisch-praktisches Semester (EPS) verlangt, welches in der Regel zwischen dem Bachelor- und Masterabschluss absolviert werden soll. Es zielt darauf, »Einblick in die vielfältigen Formen und Vernetzungen von Kirche zu bekommen, sich selber in diesem Kontext auszuprobieren und die eigenen Kompetenzen im Blick auf den Pfarrberuf einzuschätzen und zu erweitern.«1 De jure kommt es so zu einer Studienverlängerung, da im alten Studiensystem das Studium in acht sprachfreien Semestern absolviert werden konnte. Die stärkere Verschulung des Studiums scheint in der Praxis dem jedoch entgegenzusteuern, so dass die Studienzeit in etwa gleich geblieben ist.

Für das Pfarramtsstudium bedeutet dies, dass die fachwissenschaftliche Vermittlung über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgt und daher die Chance, einen in Breite und Tiefe zum einen der Komplexität des Fachgegenstandes entsprechenden und zum anderen den späteren Berufsanforderungen gerecht werdenden nachhaltigen Lernprozess auszulösen, wesentlich höher ist. Hier stehen Lehrende in den Bibelwissenschaften vor einer großen Herausforderung: Der historisch-kritische Umgang mit biblischen Texten setzt ein vertieftes Wissen über die antiken Kulturen des östlichen Mittelmeers sowie des Vorderen Orients und Ägyptens voraus. Diesen Standard können und dürfen Dozierende an deutschsprachigen Hochschulen nicht aufgeben, um die Vermittlung biblischer Gehalte durch die nächste Generation nicht zu einer aus den antiken Abfassungsgegebenheiten losgelösten, naiven Lektüre biblischer Texte werden zu lassen.2

Die in Deutschland durch die Differenzierung theologischer Studiengänge in ein BA-/MA-Studium für die Lehramts- und ein reines MA-Studium für die Pfarramtskandidatinnen und -kandidaten hervorgerufene Spaltung wird durch die in den Studiengängen differenten örtlichen Voraussetzungen zunehmend größer. Durch die derzeit feststellbare Erhöhung der Anzahl von Studierenden in Lehramtsstudiengängen und den gleichzeitigen Rückgang von Pfarramtsstudierenden ergeben sich unterschiedlich große Lerngruppen. Der Rückgang an Theologiestudierenden im Pfarramtsstudium in den vergangenen beiden Jahrzehnten führte dazu, dass die Lerngruppen an den meisten Standorten kleiner wurden, so dass in den einzelnen Veranstaltungen das individuelle Lernverhalten der Studierenden von den Dozierenden wahrgenommen und der akademische Unterricht auf die Lernvoraussetzungen der einzelnen Studierenden ausgerichtet werden kann. Die an vielen deutschen Fakultäten übliche Integration der Lehramtsstudenten für das höhere Lehramt (Sek. II) in die auf die Pfarramtsstudierenden ausgerichteten Veranstaltungen verändert dieses Bild nur unwesentlich. Anders sieht es hingegen an den Standorten aus, an denen Ev. Theologie mit dem Studienziel Lehramt angeboten wird. In den Instituten ist die Studierendenzahl nicht zuletzt aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge stark angewachsen, so dass Veranstaltungen derzeit regelmäßig mit mehr als 50 Teilnehmenden stattfinden müssen. Meist sind die theologischen Fächer an den Instituten nur mit jeweils einem Lehrstuhl pro Fachdisziplin oder mit noch geringeren Personalmitteln ausgestattet. Ein breiteres Angebot an Lehrveranstaltungen in den bibelwissenschaftlichen Fächern ist daher nicht möglich.3 Die an diesen Orten Dozierenden müssen sich entsprechend auf große Lerngruppen einstellen, in denen sie in den klassischen Lehrformaten weder die Chance besitzen, Lernprozesse an individuelles Lernverhalten anzupassen, noch den Lernfortschritt aller Teilnehmenden durchgehend im Blick zu behalten. Sie stehen vor der besonderen Herausforderung, die Vermittlung von Kompetenzen und Inhalten an Lernformate anzupassen, die in Großgruppen praktizierbar sind, die individuell unterschiedliches Lernverhalten aufnehmen und einbinden, die den Dozierenden in regelmäßigen Abständen einen Einblick in den Lernfortschritt der Teilnehmenden ermöglichen und die den veränderten Prüfungsbedingungen in den seit der Studienreform eingeführten BA- und MA-Studiengängen gerecht werden.4

In Deutschland führte die Trennung des Theologiestudiums für das Lehramt in ein BA- und ein MA-Studium de facto zu einer Studienzeitverkürzung,5 da die fachwissenschaftlichen Gehalte Teil der ersten Studienphase (BA-Studium) sind. Doch schon diese Phase ist auf die zu erwerbenden Kompetenzen ausgerichtet. Mit den Schlagwörtern employability and civilisation wurden im Bologna-Prozess zwei Dimensionen des Lernens benannt, die bis zur Reform ebenfalls Gegenstand akademischer Lehr-/Lernprozesse waren,6 die nun aber in das Zentrum dieser Prozesse gerückt sind.7 Der mit diesen beiden Dimensionen häufig gleichgesetzte Praxisbezug von Studieninhalten führt oftmals dazu, dass Studierende von Dozierenden erwarten, Anwendungswissen8 zu vermitteln. Diese Forderung, der Studierende häufig in Evaluationen von Lehrveranstaltungen oder bei hochschulinternen Umfragen Ausdruck verleihen, stimmt nicht mit den von der EKD postulierten, für das theologische Lehramt nötigen Kompetenzen überein. Die Prozesse von der Textwahrnehmung bis hin zu einem reflektierten Umgang mit biblischen Texten in einer beruflichen Praxis lassen sich nicht in Lehrveranstaltungen derart abbilden, dass Studierenden die Ergebnisse solcher Prozesse dargestellt und sie auf diese Weise in die Lage versetzt werden, sie in eine tägliche Praxis zu übertragen. Vielmehr ist es nötig, Studierende zu befähigen, diesen Prozess eigenständig durchzuführen, um die Botschaft der biblischen Schriften Lerngruppen spezifisch vermitteln zu können.9 Mit dieser Zielsetzung stoßen Dozierende vielerorts auf Unverständnis bei den Studierenden. Sicherlich gilt es, nach einem Ausgleich zwischen den Positionen zu suchen, zum einen um einen Konsens über den Lehr-/Lernprozess zu erzielen, zum anderen, um den Studierenden die Chance auf einen Bewusstseinswandel zu gewähren. Bibelwissenschaftliche Lehr-/Lernprozesse sollen stets die Zielsetzung besitzen, Studierenden den Zugang zu eigenständigen, wissenschaftlich verantworteten theologischen Positionen auf Basis des Textstudiums zu ermöglichen. Diese Aufgabenstellung änderte sich auch mit dem Bologna-Prozess nicht, wurde aber aufgrund der Studienzeitverkürzung umso anspruchsvoller.

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