Читать книгу Das geliehene Glück des Samuel Goldman - Stefan G. Rohr - Страница 11
Kapitel 8
ОглавлениеDas Appartement im 5. Stock war winzig, und das einzige Fenster ging zur Straße hinaus. Schaute man hindurch, so sah man zu allererst die stählerne Feuertreppe, die im Zickzack von oben nach unten am Haus verlief. Der Stadtteil Andersonville gehörte nicht gerade zu den bevorzugten Wohngegenden, doch eine bessere Wohnung konnte sich Steve Conners nicht leisten. Bis vor kurzem hatte er noch Informatik studiert, das Studium dann, auf halber Strecke zum Ziel, abgebrochen. Conners verdiente sich nun sein Geld mit kleinen Serviceleistungen und reparierte Computer, installierte Heimnetzwerke und handelte ab und zu mit gebrauchter Hardware, manchmal auch mit illegalen Softwarekopien, die er selbst hergestellt hatte, in dem er zuvor den Sicherheitscode knackte.
Steve Conners war zweiundzwanzig Jahre alt, ein schmalbrüstiger Jüngling, dessen Haare sich auf seinem Schädel schon unübersehbar zu lichten begonnen hatten, und er deshalb fast dauerhaft eine nach hinten gedrehte Baseballmütze trug. In seinem Appartement sah es aus, als würde ein Messie darin hausen. Er hortete aber keinen Müll, sondern Computerteile, defekte Drucker, Platinen, Kabel, Switches, Relays, Bildschirme und sonstigen Kram, der ihm geeignet schien, noch irgendwann einmal einer Verwendung zugeführt werden zu können. Sein kleiner Esstisch diente überwiegend als Werkbank, und war mit Lötkolben, kleinen Messgeräten, Schraubendrehern, erstarrten Zinntröpfchen und unzähligen abgeschnittenen Kabelstückchen, deren Kupferenden herausschauten, übersät. Wer sich in diesem Chaos umschaute, sah zudem leere Chipstüten, Getränkedosen und Schachteln für Chinafood, in denen noch die Stäbchen steckten. Und beharrlich hielt sich ein Geruch, der einem Gemisch aus Schweiß, süßsaurer Pekingsauce und getragenen Turnschuhen gleichkam.
Freunde hatte Conners keine. Ohnehin lebte er fast völlig zurückgezogen und kam nur bei zwei Gelegenheiten aus seinem, wie er es verstand `Labor´, heraus. Wenn er zu Kunden musste, und wenn er sich mit anderen Freaks in einem nahegelegenen Gebäude traf, in der sich die `Computer Masters´, einer Gemeinschaft gleichgesinnter Soft- und Hardwarebastler, regelmäßig trafen.
Sein Studium abzubrechen war Conners ureigene Entscheidung. Nach seinem Dafürhalten hatte er viel zu lange damit gewartet. Er verschwendete nämlich keinen einzigen Gedanken daran, sich etwa in diese Riege von Spinnern einzureihen, solchen, die im Silicon-Valley davon träumen, mit irgendeiner Scheißsoftware, einer für die Spießer dieser Erde gebauten Anwendung, zum Milliardär zu werden und dafür, pizzafressend im Schlafsack auf dem Campus pennen und nach Kapitalgebern für ein aussichtsloses Start-up zu suchen. Er hatte diese Typen zur Genüge gesehen. Er war bedient. Und wenn diese Bürschchen dann auch noch von ihren wohlhabenden Eltern aus Bel Air durchgefüttert wurden, in den sauberen Penthäusern von Papa Party machten, soffen, koksten und wie die Hamster fickten, dann konnte er nur noch kotzen. Im Gegensatz zu ihm, Steve Conners, Kind aus armseligen Verhältnissen, vaterlos, aber mit einem unübersehbaren Genie ausgestattet, hatten diesen Nieten kein Recht auf ihr luxuriöses Dasein. Vielmehr stand ihm das zu, und diese Ungerechtigkeit lag ihm schon länger drückend auf dem Magen.
Er war eben nicht mit dem goldenen Löffel im Hintern zur Welt gekommen. Ihm war schon im Kreißsaal die Arschkarte verliehen worden. Seinen Vater hatte er nie zu Gesicht bekommen. Ein Alkoholiker und Taugenichts, der irgendwo in den Staaten leben würde, sofern wer nicht schon längst krepiert war. Seine Mutter hatte versucht über die Runden zu kommen, arbeitete hart, ohne dabei aber nach vorne zu kommen. Als er Neunzehn war, starb sie an einer Lungenentzündung, die sie verschleppt hatte, um nicht den Job zu verlieren. Ab diesem Moment war er völlig auf sich gestellt. Während er sein Studium mit den erbärmlichsten Jobs selbst finanzieren musste, durfte er das angenehme, sorgenfreie und ausufernde Dasein der meisten Studenten um ihn herum mit ansehen. Schnell empfand er Wut und Abscheu. Und die Ungerechtigkeit dabei, dass stets die Falschen am Honigtöpfchen naschen dürfen, und die, die es verdient hatten, immer nur das Nachsehen vereinnahmen durften. Das trieb ihm oft die Zornesröte ins Gesicht.
Große Freude, ja fast schon Genuss, empfand er hingegen dabei, Sicherheitssysteme, Firewalls und hermetisch abgeriegelte Softwarebereiche auszutricksen und dann, nach Belieben, in den Systemen herumzuspazieren, wie er es gerne ausdrückte. Er tat das nicht etwa, um Schaden anzurichten, auch Bereicherung lag ihm fern, er hinterließ auch keine Spuren oder eitle Hinweise auf sein Eindringen. Er schlich sich rein, machte seinen Spaziergang, und schlich dann einfach wieder raus. Das war alles. Der Genuss für ihn bestand in erster Linie darin, den studierten Computerleuten, den gut verdienenden Managern, all diesen arroganten Ärschen, eins vorgemacht zu haben. Sie mussten es nicht wissen, es reichte ihm bisher völlig, dass er es konnte.
Er hatte es schon bei Banken geschafft, war in die Forschungsabteilungen von großen Konzernen eingedrungen, stöberte in Versicherungsbeständen herum und war bereits schon einmal ganz knapp daran gewesen, das Rechenzentrum des FBI zu knacken. Er hätte es wohl auch geschafft, wie er meinte, doch er zog zurück, da er vorher noch einige zusätzliche Dinge vorbereiten wollte, die ihn noch besser verschleiern und die Rückverfolgbarkeit, im Falle das man es dann doch bemerkt, unmöglich machten.
Conners war an diesem Tage in der Nachbarschaft bei einem Kunden, dessen Computerbildschirm den Dienst eingestellt hatte. Steve Hatte einen alten, aber immer noch funktionstüchtigen Bildschirm dabei, den er installierte und testete. Im Hintergrund lief der Fernseher und Conners sah bei einem desinteressierten Seitenblick zum ersten Mal Sam Goldman, der – gemeinsam mit irgendwelchen Wichtigtuern – in die Kamera grinste und sich scheinbar als der neue Star einer Lotterie profilierte.
„So viel Schwein … und das alles bei nur einem Kerl …“ sinnierte sein Kunde laut. „Das müsste mir mal passieren … aber unsereins guckt ja immer nur in die Röhre …“ Der Mann schüttelte fortwährend den Kopf, als er das von sich gab.
Conners schenkte dem keine Beachtung. Ihm war es scheißegal, was da über die Mattscheibe ging.
Sein Kunde schien aber deutlich mehr Interesse aufzuweisen und war sichtlich aufgeregt. „Verdammt, verdammt! So ein Dusel. Das kann doch nicht wahr sein.“ Und an Conners gerichtet: „Was meinen Sie? Ist das nicht eine irre Geschichte? Und jetzt wird der Kerl sein Händchen auf die Lose legen, eine Zauberformel sprechen und wie am Fließband glückliche Gewinner erzeugen.“
Conners schien immer noch kein Interesse zu haben, war einen Moment aber der Sendung von NCCB gefolgt. „Der soll sich ficken, mit seiner Show, die er da abzieht.“ sagte er genervt.
„Langsam, junger Mann!“ beschwerte sich sein Kunde. „Mit diesem Goldman steigen die Gewinnchancen für uns Sterbliche vielleicht, und er hat guten Einfluss, und wir kriegen so ein wenig von seinem Dusel ab.“ Er blieb mit den Augen auf dem Fernseher. „Schaden wird´s nicht, wenn er dabei ist. Ich denke jedenfalls, ich werde mir jetzt auch mal ein paar Lose von diesem Verein besorgen. Irgendwie fühle ich das, dass ich das machen sollte. Und ich empfehle Ihnen das Gleiche, mein Junge!“
„Ja, ja …“ antwortete Conners genervt. „Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Ich, für meinen Teil, halte das für rausgeworfenes Geld. Leute wie Sie und ich haben kein Glück. Jedenfalls nicht so. Wir sind die einkalkulierten Verlierer, die mit ihrem Geld die Wichser da auf der Matsche bezahlen. Und die kaufen sich dicke Villen, Yachten und bestellen sich dreimal täglich Nutten ins Haus. Alles mit unseren sauer zusammengekratzten Mäusen. Und wir Idioten hoffen, dass wir einmal so viel Glück haben, einen fetten Gewinn zu machen. Nee, nee. Ich lass das. Und dieser Typ da, der mit dem angeblich so irren Glück, das ist doch auch nur ´ne arme Wurst. Kommt der etwa von der Vega? Hallo Erde, ich bringe mit meinem Raumtransporter einen Container voll Glück zu Euch? Bitte bedienen, nehmt was ihr wollt? Dieser Kacker kann doch nicht zaubern. Aus dem wird doch nur so ´ne Art Spiderman des Glücks gemacht. Alles Betrug. Denn wenn auch nur irgendwas wahr an diesem ganzen Rumgeschwafel wäre, bräuchte dieser Fritze nur durch die Gegend zu laufen und überall einen Glücksfurz zu lassen. Der hätte im Nu so viel Kohle zusammen, dass er die ganze USA kaufen und zum Freizeitpark machen könnte. Aber nee – nee, nee – alles nur Fake. Für die ganz Dämlichen.“
Sein Kunde wollte nicht so leicht aufgeben. „Ich bin da ganz anderer Meinung.“ begann er aber vorsichtig. „Da gibt es viele wissenschaftliche Erkenntnisse, dass es Menschen gibt, die das Glück anziehen. Und wer es anzieht, kann es auch abgeben. Da ist schon was dran, ganz gewiss!“
Conners hatte einen roten Kopf bekommen und musste sich zurückhalten, seine aufflammende Wut nicht allzu sehr zu zeigen. „Ach Kack! Wissenschaftliche Erkenntnisse … ist doch Mumpitz!“ er schrie fast. „Ich sag Ihnen mal, wie das mit der Wissenschaft so geht: Da werde ein paar Labormäuse mit Zuckerwasser getränkt, die Viecher auf ein Bingobrett gesetzt und so lange gewartet, bis eines der scheißkleinen Nager auf eine Zahl gepisst hat. Und wer nun gewonnen hat, glaubt fest daran, dass das nur an dem Zuckerwasser gelegen hat und die Plörre Glück bring. Sollen wir jetzt ab sofort alle hektoliterweise Zuckerwasser saufen? Weil ja nun `wissenschaftlich´ erwiesen ist, dass das Glück bringt? So laufen diese Untersuchungen doch. Und wir glauben noch daran. Alles Blödsinn.“
„Ja glauben Sie denn nicht wenigstens an das Schicksal?“ der Mann flehte fast ein wenig und hoffte, dass er wenigstens so auf ein wenig Sanftmut bei seinem Gesprächspartner erzeugt.
„Natürlich tue ich das.“ antwortete dieser lakonisch. „Mein Schicksal ist es, morgens und abends kacken zu müssen, und in der Zeit dazwischen meinen Kühlschrank gefüllt zu kriegen, um nicht zu verhungern.“
„Du lieber Gott, “ brachte der Kunde hervor, „Sie sind ja drauf …!“
Conners war in seinem Element. „Ach, papperlapapp! Wie soll ich schon drauf sein. Ich sehe das alles nur realistischer als Sie. Und ist doch wahr: Soll ich mir ewig und immer die Mühe machen, mein bescheuertes Schicksal zu betrachten? Um dabei feststellen zu müssen, dass es um mich herum Millionen Typen gibt, die mit dem goldenen Löffel im Arsch geboren wurden, selbst aber nur ein Hirn in Größe einer Kichererbse haben. Und dann gucken solche sogar auch noch auf mich herab, während sie mit ihren dicken Karren vor der Uni angeben und sich von den Cheerleaderinnen den Schwanz blasen lassen. Bin ich was Schlechteres als die? Nur weil mir diese Gnade der privilegierten Geburt nicht gegönnt war? Haben die das Recht, mich deshalb auszulachen? Ich sag Ihnen mal was: Das Schicksal kann mich mal. Wenn es Lieblinge und Profiteure zulässt, gleichfalls aber auch arme Säue wie mich, die nie die Chance hatten, aus dem Dreck heraus zu kommen, dann ist das Schicksal, und jeder, der da im Nirwana so herumwerkeln sollte, eine riesengroße Pissnelke.“ Conners fand, dass alles gesagt wurde. „Der Bildschirm funktioniert. Ich bekomme jetzt fünfundzwanzig Dollar.“
Der Mann war mit dem Bildschirm zufrieden. Da hatte er Glück gehabt, denn ein neuer wäre wesentlich teurer gewesen. Und er beschloss, sich mit der soeben erzielten Einsparung ein paar Lose von SevenDollies zu kaufen. Das schien ihm die richtige Entscheidung zu sein, denn er wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Da war schon ganz bestimmt irgendwas zwischen Himmel und Erde, dass das Glück verteilt. Und dieser Goldman hatte einen überaus großen, ungewöhnlich bemerkenswerten Anteil dabei abbekommen. Das wollte er als günstiges Omen auffassen, und so ging er dann auch gleich zum Tabakladen um die Ecke, wo es diese Lose sicher geben gab.
Steve Conners ging, leicht kopfüber gebeugt, mit hastigen Schritten zurück zu seinem Appartement. Sonst zählte er stets die Schritte, die er machte. Das war ein Teil eines noch in der Entwicklung befindlichen Algorithmus, den er für Wahrscheinlichkeitsanalysen und Übereinstimmungsprognosen programmierte. Aber an diesem Tage kam er nicht zum Zählen. Er stand noch erheblich unter dem Eindruck des gerade geführten Gespräches und die Gedankenfetzen flogen förmlich durch sein Gehirn. Die geführte Unterredung hatte ihn zudem erschöpft, und er fühlte sich müde und matt. Doch sein Kopf arbeitete unentwegt, und Conners wurde auf sich selbst ärgerlich, weil es ihm nicht gelingen wollte, sich zu beruhigen und seine Zählung zu absolvieren. Schließlich wusste er, wie wichtig jede Zahl für seine Arbeit war und er es mit dem Auslassen auf diesem Weg nach Hause riskieren würde, eine vielleicht entscheidende Lücke in seiner Zahlenreihe zu reißen.
Er nahm sich vor, sich zunächst einmal erst hinzulegen und sich auszuruhen. Er hatte ja schon Schweiß auf der Stirn und seine Baseballmütze war am Kopfansatz bereits ganz feucht geworden. Sobald er wieder zu Kräften gelangt sei, würde er sich noch einmal auf den Weg zum Kunden machen, und auf dem Rückweg das Versäumte nachholen. Vom Hinweg hatte er die Anzahl notiert, auch die Treppenstufen hoch zur Wohnung seines Kunden. Es kam also auf den Rückweg an, den er möglichst exakt mit der gleichen Strecke nehmen musste.
Nachdem er sich auf sein Sofa gelegt hatte, fiel Conners in einen kurzen, unruhigen Halbschlaf. Er sah Bilder von NCCB, sah Goldman strahlen, wie alle lachten und Millionengewinne versprachen. Lachten sie über ihn? Gehörten auch sie zu denen, die auf ihn herabblickten und sich über ihn lustig machten? Diese feisten Geldsäcke, mit der schönen Frau an der Seite, die es mit ihnen wahrscheinlich zu jederzeit auf dem Klo treibt …
Er erwachte, immer noch schwitzend, und setzte sich an seinen Computer. Er hatte bereits wieder vergessen, dass er eigentlich jetzt seine Schritte zählen wollte.