Читать книгу Das geliehene Glück des Samuel Goldman - Stefan G. Rohr - Страница 6

Kapitel 3

Оглавление

Das Gebäude, in dem die ´SevenDollies Corporation` saß, ein unübersehbarer Wolkenkratzer im Geschäftszentrum von Oklahoma-City, strahlte in der sommerlichen Sonne und die Fenster spiegelten das Licht weit über den Oklahoma River, hell und gleißend wie eine Wunderkerze. Die obersten fünf Etagen, vom sechsunddreißigsten bis zum vierzigsten Stock, hatten John und Maurice Skinner vor zwei Jahren mit Stolz angemietet, dieses zu einem Zeitpunkt, an dem SevenDollies den Durchbruch am Markt endlich geschafft und die beiden Brüder so zum einem Multimillionengeschäft gelangt waren.

Es war zunächst eine absolut verrückte Idee, vor allem eine aussichtlose, wie damals nahezu jeder, ob Freund oder Berater, den beiden zu erklären versuchte. Ja sie selbst waren nicht wirklich sicher, ob ihre Idee und das Konzept nicht doch nur eine absurde Verirrung in einen unrealistischen Traum war. Sie blieben aber am Ball, arbeiteten hart, überzeugten selbst die größten Skeptiker und fanden schließlich Investoren, die das benötigte Geld in ihr Projekt schossen.

Das Wagnis, ja dessen Verrücktheit, bestand in dem Vorhaben, den absoluten Marktführern ihrer Branche ernstzunehmende Konkurrenz zu machen. Sie hatten sich vorgenommen, ebenso groß zu werden, in diesem Konzert mitzuspielen, und dabei nicht nur die Piccoloflöte abzugeben. Ihre Gegner hießen MegaPin und MillionBall, die größten und mächtigsten Lotterien in den Staaten. Gegen diese erfolgreich ein neues Glücksspiel etablieren zu können, erschien anfänglich völlig aussichtslos.

John und Maurice Skinner waren direkte Nachfahren der Cherokee-Indianer. Das war ein Vorteil, denn die amerikanische Gesetzeslage erlaubte es ihnen dadurch, ihren Unternehmensgewinn aus Glücksspielen steuerfrei zu halten. Dieser kleine Rest an Amerikas schlechtem Gewissen gegenüber der Urbevölkerung sollte von ihnen genutzt werden, so, wie es die vielen stationären Casinos in den Indianerreservaten vormachen und heute milliardenschwere Gewinne einfahren, längst zwei- und dreimal so viel, wie in Las Vegas.

SevenDollies hatte es geschafft, nach kürzester Zeit pro Woche bereits mehr als 20 Millionen Einzeltipps je Ausspielung zu generieren. Und das nicht nur stabil, sondern mit stetig steigender Teilnehmerzahl. Das war natürlich nicht mit den Größten des Marktes zu vergleichen. Bedachte man aber, dass dieser Erfolg in nicht einmal drei Jahren seit der ersten Verlosung eingetreten, der Zuwachs noch lange nicht ausgeschöpft war, konnte SevenDollies einen traumhaften Aufstieg vorweisen.

Das Spielkonzept war angenehm einfach und zudem etwas fürs Auge. Sieben Roulettekessel standen nebeneinander. Ein Roboter warf die Rotation in den Kesseln an, jeweils mit exakt gleicher Kraft. Dann wurden, parallel in jedes Roulette, die Kugeln eingeworfen. Waren diese gefallen, ergab sich eine Zahlenreihe mit sieben Einzelzahlen, jeweils zwischen Null, Doppelnull und Siebenunddreißig. Das entsprach dem amerikanischen Roulette, das mit der Doppelnull eine zusätzliche Gewinnvariante aufwies. Gewonnen hatte derjenige, der alle sieben Roulettezahlen richtig getippt hatte. Dieses bedeutete den Hauptgewinn, der stets im Bereich von mindestens einer, je nach Spielsumme aber auch mehrere Millionen Dollar ausmacht. Gab es mehrere Gewinner, so wurde die Gewinnsumme geteilt. Die Doppelnull spielte zudem eine besondere Rolle und entschied über den Jackpot, der sich im Laufe der Auslosungen ohne Doppelnull anhäufte. Ihren Durchbruch schafften die Brüder Skinner mit den ersten TV-Sendern, die die Zahlenziehung live übertrugen und sich seither über die ständig steigenden Einschaltquoten freuten.

Den Namen `SevenDollies´ wählten die Skinners nicht von ungefähr. Als Dolly werden die kleinen Figuren bezeichnet, die in einem realen amerikanischen Casino auf die Gewinnzahl gestellt werden und diese so für die Spieler am Tisch sichtbarer machten. Bei sieben Roulettekesseln wären also auch sieben Dollies nötig. So war der Name schnell gefunden.

Den etablierten Lotterien war SevenDollies gar nicht Recht. Anfänglich wurden die Skinners nur belächelt. Nach den ersten Erfolgen aber gab es schnell die ersten Störfeuer. Die Großen ließen ihre Beziehungen spielen und hetzten Kontrolleure der Glücksspielaufsicht auf die Skinners. Beschwerden wurden eingereicht und man schreckte sogar nicht davor zurück, Maulwürfe bei SevenDollies zu platzieren, Mitarbeiter, die zu spionieren hatten. Das alles aber konnte den Erfolg von John und Maurice Skinner nicht aufhalten. Bislang hatten sie allen Attacken standgehalten und ihre Position im Markt ausgebaut.

John, der ältere der Brüder, schritt in seinem großen und fast in völligem Weiß gehaltenen Büro vor dem Panoramafenster hin und her. Dieses war an die zwanzig Meter breit und reichte von der Decke bis zum Boden. Ganz oben, im vierzigsten Stock des Gebäudes, war die Aussicht auf Oklahoma-City gigantisch und atemberaubend. Maurice saß in einem ledernen Sessel und beobachtete seinen älteren Bruder mit Spannung. Während John etwas kleiner, sehr kräftig, untersetzt und bereits schon eine Halbglatze hatte, war sein nur fünf Jahre jüngerer Bruder äußerlich geeignet, als Sohn seines Bruders durchzugehen. Maurice, war einen Kopf größer, schlank und hatte volle schwarze Haare. Seine indianischen Wurzeln waren unübersehbar, und sein gutes Aussehen hätte durchaus für eine vielversprechende Karriere in Hollywood gereicht.

„Mike war vor einer Stunde bei mir“, begann John und ein leichter Unterton der Besorgnis schien hindurch. „Es ist zwar weiterhin alles gut, doch Mike meint, dass sich der Teilnehmerzuwachs abzuschwächen beginnt. Nur leicht, ok! Aber es wäre nicht auszuschließen, dass sich die Kurve vielleicht sogar nach Unten bewegt … irgendwann.“ John blieb nun stehen und schaute seinem Bruder direkt ins Gesicht.

Maurice hatte aufmerksam zugehört. „Mike hatte bisher immer ein gutes Gespür und seine Zahlen waren stets ein Volltreffer. Wir sollten das also nicht auf die leichte Schulter nehmen. Hat er denn Erklärungen für die Ursachen?“

John setzte sich nun neben seinen Bruder. „Die hat er. Und – das einmal vorweggenommen – diese sind für mich absolut einleuchtend. Wir haben zwar ein sehr gutes Marketing durchgesetzt, die Werbung war teuer aber jeden Cent wert, inzwischen aber, wie soll ich sagen, haben sich die Leute daran gewöhnt. Es fehlt der Kick, etwas Neues, etwas Besonderes.“

„Wenn wir jetzt auf der Stelle treten würden, vielleicht auch nur leicht sinken, wäre das gar nicht gut.“ Maurice klang jetzt auch besorgt. „Unsere Partner würden uns den Geldhahn zudrehen, ehe wir bis Drei gezählt haben, und allein, ohne Fremdkapital, mit unseren bisher gemachten Gewinnen, würden wir nicht allzu weit kommen. Und wir sollten gut aufpassen: Wenn die Zahlen von Mike bekannt werden, könnte sehr schnell Nervosität entstehen. Das wäre dann eine ziemlich beschissene Sache.“

John fing an, seinen kahlen Schädel zu kratzen. „Genau deswegen mache ich mir erste Sorgen.“ ergänzte er und blickte Maurice weiter an. „Gegenwärtig haben wir noch Zeit und Gelegenheit, uns etwas einfallen zu lassen. Die Uhr tickt aber. Ich will zwar nichts beschreien, aber ich befürchte, dass wir einen ordentlichen Kick benötigen, um nicht in absehbarer Zeit nach unten durchgereicht zu werden.“

Maurice nickte, fand aber auch ein kleines Lächeln wieder. „Wir sollten heute aber noch nicht so schwarzmalen.“ Maurice war eben stets der Optimist unter ihnen. „Klar, wenn wir nicht weiter wachsen, werden es die Gewinnquoten und Jackpots auch nicht können. Das ließe dann auch nicht das Halten unserer Position zu, vom Ausbau einmal ganz abgesehen. Doch soweit ist es ja noch nicht. Wir werden uns etwas einfallen lassen. Du, Mike und ich. Wir werden nicht zusehen, wie unser Baby abschmiert. Hat Mike schon Ideen oder Vorschläge?“

John stand auf, es war fast alles gesagt und Maurice hatte Recht. „Mike wird uns in aller Kürze seine Vorschläge präsentieren. Bisher hatten seine Marketing- und Werbeideen immer Klasse. Warten wir ab, was er uns präsentieren wird.“

Die Brüder nickten einander zu und Maurice machte sich auf den Weg in sein Büro. Heute war wieder Ziehung und an diesen Tagen war stets nur wenig Zeit für anderes. Gleich würde auch der Aufsichtsbeamte und der Notar kommen um die Roulettes und die Anlage zu begutachten sowie ihre Teststichproben durchzuführen. Das war ein festgelegter Ablauf, mit einem Wust an Dokumenten und Unterschriften.

Nach dieser Ziehung wird es irgendwo in Amerika wieder mindestens einen neuen Millionär geben. Es waren an diesem Spieltag 4,5 Millionen Dollar. Nicht der Rekord von SevenDollies, aber schon ein stolzes Sümmchen und die Teilnehmerzahl waren dementsprechend hoch. Und am Tag darauf, wie immer, werden die Gebrüder Skinner dem glücklichen Gewinner den Scheck überreichen, mit Fototermin, bei dieser Summe allerdings ohne TV-Team. Die Fernsehanstalten wollten schließlich nur Sensationen, keine Peanuts. Maurice liebte diese Augenblicke dennoch, John dagegen fand sie lästig, denn sie kosteten ihn stets einen Tag seiner Arbeit.

Das geliehene Glück des Samuel Goldman

Подняться наверх