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1.4Leitorientierungen für ein systemtheoretisches Organisationsverständnis

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1)Organisationen können aus systemtheoretischer Perspektive als soziale Systeme betrachtet werden, die sich von anderen sozialen Systemen (Interaktions- und Gesellschaftssystemen) dadurch unterscheiden, dass sie einen mehr oder weniger spezifischen Zweck verfolgen, über eine mehr oder weniger geregelte Arbeitsteilung (Organisationsstrukturen) verfügen, mehr oder weniger eindeutig zu identifizierende Mitglieder vorhalten und eine mehr oder weniger beständige Organisationsgrenze vorweisen können.

2)Die Abgrenzung gegenüber der stets komplexeren Umwelt ist für Organisationen überlebenswichtig. Indem kommunizierte Entscheidungen an kommunizierte Entscheidungen anschließen (Stichwort: Autopoiese), tragen Organisationen dazu bei, diese Organisationsgrenze kontinuierlich zu reproduzieren. Wenngleich Organisationen im Kern ihrer Selbstreproduktion als geschlossene Systeme betrachtet werden müssen, die nicht linear-kausal von außen (Umwelt) gesteuert werden können, müssen sich Organisation zugleich gegenüber ihrer Umwelt öffnen, da sie auf Ressourcen und Informationen aus dieser angewiesen sind. Organisationen sind folglich geschlossen und punktuell geöffnet zugleich, kurz: Sie sind operational geschlossen.

3)Wenngleich der Mensch für die Fortführung der Autopoiese für Organisationen unerlässlich ist, werden Menschen nicht als Elemente von Organisationen betrachtet. Vielmehr werden sie der »inneren Umwelt« von Organisationen zugeordnet. Innerhalb ihrer Rolle als Organisationsmitglied koppeln sie sich strukturell an Organisationen und tragen so dazu bei, dass diese entscheidungsfähig bleiben.

4)Damit in Organisationen nicht jeder entscheidet, wie er will, bilden Organisationen im Laufe der Zeit Strukturen aus. Als zentrale Strukturelemente auf der Ebene der Formalstruktur können Handlungsprogramme, Kommunikationswege und Personal betrachtet werden. Diese Strukturelemente können zugleich als Entscheidungsprämissen bezeichnet werden, da sich nachfolgende Entscheidungen an diesen Prämissen ausrichten.

5)Durch ihre Entscheidung über Entscheidungsprämissen (Programme, Kommunikationswege und Personal) können Leitungskräfte zukünftige Entscheidungen innerhalb der Organisation wahrscheinlicher machen. Das Entscheiden über Entscheidungsprämissen kann daher als zentraler »Stellhebel« zur Steuerung von Organisationen betrachtet werden. Gleichwohl orientiert sich ein nicht unerheblicher Anteil der zu treffenden Entscheidungen innerhalb einer Organisation auch an solchen Entscheidungsprämissen, über die Leitungskräfte nicht aktiv entscheiden können. Solche unentscheidbaren Entscheidungsprämissen werden als Organisationskultur bezeichnet.

6)Jede Organisation ist zweckorientiert. Der primäre Zweck einer Organisation ist allerdings das Überleben: Entscheidungen innerhalb einer Organisation werden stets dahingehend geprüft, inwiefern sie das Überleben einer Organisation gewährleisten. Dieses Prüfverfahren erfolgt retroperspektiv, d. h., Organisationen sind stark vergangenheitsorientiert. Aktuelle Entscheidungen werden auf der Basis vorheriger Entscheidungen getroffen. Dieser selbstreferenzielle Charakter von Organisationen verleiht ihnen einen starken Eigensinn und sorgt dafür, dass Organisationen als strukturell konservative soziale Gebilde betrachtet werden müssen.

7)Leitungskräfte in Organisationen der Sozialen Arbeit bewegen sich in der paradoxen Situation, dass ihnen die Verantwortung für ein hochkomplexes System zugeschrieben wird, das sich im Zuge der Autopoiese selbst reproduziert, hierdurch operational gegenüber seiner Umwelt verschließt, also hochgradig strukturdeterminiert operiert und daher mit einem hohen Maß an Autonomie ausgestattet ist. Kurz: Leitungskräfte sollen Organisationen steuern, die sich einer direkten Steuerung entziehen. Wie eine solche Steuerung des (streng genommen) »Unsteuerbaren« dennoch ermöglicht wird, gilt es noch aufzuzeigen (Kapitel 3).

2Jene Perspektive wird nachfolgend im Vordergrund stehen.

3Zusammengesetzt aus den griechischen Silben autos (dt. »selbst«) und poiein (dt. »machen«).

4In diesem Sinne wird auch von Perturbation gesprochen. Perturbationen sind Einwirkungen der Umwelt, die beispielsweise »kognitive Prozesse auslösen, aber nicht determinieren, d. h. zwingend verursachen. Eine Perturbation ist also nicht lediglich eine äußere Veränderung, sondern eine subjektiv wahrgenommene Störung, eine Irritation« (Arnold u. Siebert 2006, S. 115).

5In diesem Zusammenhang schlägt Luhmann (1997, S. 71) vor, ausschließlich von »Personen« zu sprechen: »In der Mitwirkung an solcher Kommunikation konstituieren Menschen sich als Personen, das heißt als Adressen für weitere Kommunikation.«

6Wenngleich insbesondere innerhalb der Sozialen Arbeit die intrinsische Motivation der Mitarbeiter eine bedeutsame Rolle einnimmt, somit davon ausgegangen werden kann, die jeweiligen Organisationszwecke auch die Motivation der Organisationsmitglieder ansprechen, wird allein über die Definition eines Organisationszwecks kaum dauerhaft die Motivation der Mitarbeiter aufrechtgehalten werden, täglich zuverlässig zur Arbeit zu erscheinen. Zudem würde die alleinige Verknüpfung von Zweck und Motivation die Gefahr mit sich bringen, dass die Motivation der Mitarbeiter (möglicherweise) einbrechen würde, wenn sich die Zwecke einer Organisation verändern (vgl. Luhmann 1973, S. 139). Aus diesem Grund lösen Organisationen die alleinige Kopplung von Organisationszweck und Motivation auf und führen Entgelt als Bindeglied ein. Hierdurch erreichen Organisationen ein deutlich höheres Maß an Elastizität. »Ein System, das seine Mitglieder zweckindifferent motivieren kann (beispielsweise über Geld; Anm. S. G./J. M.), gewinnt dadurch intern eine hohe Differenzierungsfähigkeit, da bei der Arbeitsteilung auf der Motivationskraft der Aufgaben wenig Rücksicht genommen werden muss.« (Luhmann 1973, S. 141)

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