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2.4Soziale Dienstleistungsorganisationen im Spannungsfeld verschiedenartiger Anforderungen und Handlungslogiken

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Soziale Dienstleistungsorganisationen sind angesichts ihrer spezifischen gesellschaftlichen und sozialpolitischen Eingebundenheit einer Vielzahl von Stakeholdern mit unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen ausgesetzt, denen gegenüber sie sich als anschlussfähig erweisen müssen. Die jeweiligen politischen Konstellationen mit ihren jeweils aktuellen und wechselnden Akteuren markieren ebenso Erwartungskonstellationen wie die (realen und potenziellen) Leistungsadressaten und die Organisationen, zu denen im Sinne einer adäquaten Leistungserbringung tragfähige interorganisationale Kooperationsbezüge hergestellt werden müssen. Das jeweilige Organisationssystem bewegt sich in einem komplexen Netz unterschiedlicher Akteure. Diese artikulieren sich in einem um die Organisation herum wirksamen Systemgebilde als Interessenträger. Deren als Erwartungen formulierte Kommunikationsimpulse dürfen nicht negiert, sondern müssen von der Organisation in den elementaren Programmmodi und situativ verarbeitet werden. Die interorganisationalen Bezüge richten sich nicht nur auf Kooperationen mit Organisationen in ähnlichen Handlungsfeldern, mit denen man in Fachgremien (regionale psychosoziale Arbeitsgemeinschaften, Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII, Fachverbände u. a. m.) oder in regelmäßigen einzelfallbezogenen Kontakten (z. B. Jugendämter, Sozialämter, Krankenkassen u. a.) kooperiert. Es bedarf auch der Kooperationen mit solchen Organisationen in anderen Arbeitsbereichen, die Berührungspunkte zu den eigenen Organisationszwecken aufweisen und zu denen – trotz verschiedenartiger Handlungslogiken – einigermaßen tragfähige Arbeitsbezüge aufgebaut und aufrechterhalten werden müssen (z. B. bei Einrichtungen der Erziehungshilfe: Arbeitsbezüge zu Jugendgerichten, Schulen, Arbeitsverwaltung, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Polizei, Jugendfreizeiteinrichtungen, …).

Die spezifische Angewiesenheit von Organisationen Sozialer Arbeit auf gesellschaftliche und (sozial)politische Akteure und auf mannigfache Interorganisationsbeziehungen findet u. a. ihren Niederschlag in einer umfassenden Verwendung des Begriffs »Netzwerk« in der Sozialen Arbeit und in den umfangreichen Debatten, solche Netzwerke strategisch sowohl für methodisches Handeln als auch im Rahmen sozialpolitischer Aktivitäten einzusetzen und somit »Netzwerke« zu einem bedeutsamen Bezugspunkt für Management in Organisationen Sozialer Arbeit zu machen (u. a. Bauer u. Otto 2005; Dahme u. Wohlfahrt 2000; Fischer u. Koselleck 2013; Schubert 2008). Die Stakeholder- und Erwartungsvielfalt, der sich soziale Dienstleistungsorganisationen ausgesetzt sehen, kann als spezifisches Merkmal der Umwelt von Organisationen in diesem gesellschaftlichen Bereich markiert werden.

Die Heterogenität von Stakeholdern und von damit einhergehenden Erwartungen und Anforderungen stellt Organisationen der Sozialen Arbeit vor die Aufgabe, sich in verschiedenen Handlungslogiken und Erwartungsbündeln zu bewegen, die in Spannungen zueinander stehen können und zum Teil widersprüchliche Appelle an die Organisation transportieren. Bei der Leistungskonzipierung und -erbringung stoßen verschiedene Logiken aufeinander, so u. a.:

die Logik der Ökonomie: Wirtschaftliche Verwendung von Ressourcen, wettbewerbliche Mechanismen der Ressourcenzuteilung, Preis-Leistungs-Konkurrenz zwischen Trägern etc.;

die Logik der Politik: Orientierung am politisch definierten »Bedarf«, Normwahrung, Verfolgung spezifischer lokaler Interessen etc.;

die Logik der Lebenswelt der Adressaten: Ausreichende Versorgung mit Hilfen, flexible Versorgung, eine an individuellen Bedürfnissen ausgerichtete Versorgung;

die Logik der Profession: Fachliche Qualitätsmaßstäbe, in der Profession verankerte und legitimierte methodische Vorgehensweisen, professionsethische Maßstäbe etc.;

die Logik anderer Professionen, mit deren Organisationen Kooperationsbezüge existieren: z. B. Soziale Arbeit und Gesundheitswesen (Medizin), Soziale Arbeit und formale Bildung (Schulen, berufliche Bildung);

die aus der Geschichte und der Dynamik entstehende innere Logik der eigenen Organisation, einschließlich der Eingebundenheit der Organisation in ein spezifisches normatives bzw. ethisch geprägtes Feld (z. B. bei Einrichtungen aus konfessionellen Wohlfahrtsverbänden oder bei anthroposophischen Organisationen).

Die unterschiedlichen Normierungen und Handlungslogiken müssen von Organisationen der Sozialen Arbeit so ausbalanciert werden, dass tragfähige Zuordnungen und Ausgleiche zwischen verschiedenen Anforderungen entstehen und eine in verschiedenen Logiken legitimierbare Leistungserstellung möglich wird. Es müssen Kommunikationsmodi gefunden werden, die für unterschiedliche Relevanzen und Handlungslogiken anschlussfähig sind. Dies schließt sprachliche Aspekte ein: Sprachliche Muster, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und damit einhergehenden Organisationskulturen resultieren, müssen so zueinander geführt werden, dass die aus sprachlichen Differenzen entstehende Fremdheit bearbeitbar bleibt oder die damit einhergehende Irritation nicht zu Abwehr führt, so z. B. die Sprache der Ökonomie (Unternehmen, Produkte, Kunden, Businessplan etc.) mit der Sprache der Sozialen Arbeit (Lebenswelt, Beziehung, Hilfe etc.) oder mit der Sprache der medizinischen Profession (Diagnose, Störung, Krankheit, Behandlung etc.) (Mautner 2013). Da jede Balance bedroht ist und daher nicht von Dauer sein kann, wird das Ausbalancieren zu einer Anforderung, die eine permanente Beobachtung und Bewertung von Störungen erfordert und daher die Managementbemühungen kontinuierlich prägt.

Gerade in der Sozialen Arbeit sind die an die Organisationen herangetragenen Anforderungen bisweilen sehr widersprüchlich:

»Erfolgsmessung: Messt und dokumentiert eure Erfolge, aber orientiert euch dabei nicht (allein; Anm. S. G./J. M.) an messbaren Größen.«

»Betriebswirtschaftliche Professionalisierung: Werdet wie Wirtschaftsunternehmen, aber bewahrt eure Besonderheit!«

»Trefft klare Entscheidungen, aber bleibt immer dabei harmonisch!« (Simsa u. Patak 2008, S. 33 ff.; vgl. auch Jäger u. Beyes 2008.)

Oder: Haltet das ethische Profil eurer Einrichtung aufrecht, aber macht euch mit den anderen Organisationen im Handlungsfeld vergleichbar und nehmt keine Sonderrolle ein!

Oder: Richtet euch flexibel am individuellen Hilfebedarf aus, aber macht eure Arbeit kalkulierbar!

Solche Widersprüche (»Paradoxien«) und die Heterogenität vielfältiger Interessenträger prägen das Organisationsgeschehen in der Sozialen Arbeit in besonderer Weise und stellen das Management bei sozialen Dienstleistungsorganisationen vor besondere Herausforderungen (Meyer u. Simsa 2013; Beyes u. Jäger 2005).

Dass Organisationen der Sozialen Arbeit sich balancierend in und zwischen verschiedenen Handlungslogiken bewegen müssen und dass entsprechend eine elementare Aufgabe von Management darin besteht, verschiedene Handlungslogiken zusammenzuführen und daraus entstehende Paradoxien zu bewältigen, wird in einigen Veröffentlichungen mit dem Begriff »hybride Organisation« gekennzeichnet. Als »hybrid« werden solche Organisationen charakterisiert, »die bei ihren Strategien und Dienstleistungen Merkmale kombinieren, die normalerweise eindeutig dem Staat, dem Markt oder dem Dritten Sektor zugeschrieben werden« (Wasel u. Haas 2012, S. 588; vgl. auch Evers u. Ewert 2010; Glänzel u. Schmitz 2012). Die Organisationen werden gefordert und entwickeln die Fähigkeit, zwischen den Logiken der drei Sektoren je nach Aufgabenstellung und situativen Anforderungen zu wechseln und in den Sektoren unterschiedliche Bindungen einzugehen. »Je nach Anforderung können sich hybride Organisationen als Marktakteur gewinnmaximierend verhalten und zu einem anderen Zeitpunkt gemeinwohlorientiert.« (Wasel u. Haas 2012, S. 588.) Dies schafft einerseits Flexibilität, ist jedoch andererseits mit einer fragilen Identitätsbildung der Organisation und damit einhergehenden Problemen in der Verarbeitung interner Widersprüche und in der Präsentation nach außen verbunden.

Das Konstrukt der »hybriden Organisation« steht in Verbindung mit der Aufteilung der Dienstleistungserbringung und -steuerung in drei Sektoren: Staat, Markt und gemeinwohlorientierter »Dritter Sektor«. Es ist fraglich, ob die Ausrichtung der Tatsache, dass Organisationen sich in verschiedenartigen Feldern und Handlungslogiken bewegen müssen und die damit einhergehenden Spannungen und Paradoxien bewältigen müssen, zu einem eigenen Organisationstypus (»hybride Organisation«) einen Erkenntnisgewinn erzeugt. Jede Organisation der Sozialen Arbeit muss sich im Spannungsfeld zwischen Sozialpolitik, Fachlichkeit/Profession, Wirtschaft/Ökonomie/Markt und normativer Ausrichtung (zur Bedeutung von Ethik als Bezugssystem in Organisationen der Sozialen Arbeit siehe Eurich et al. 2005) bewegen, und die daraus entstehenden Kommunikations- und Entscheidungsanforderungen gestalten sich entsprechend den spezifischen Umwelten und den herausgebildeten internen Systemdynamiken immer wieder anders und neu. Die Proklamierung eines »Organisationstypus der Hybridität« ist verbunden mit der Anforderung an die Organisationen, sich die unterschiedlichen Interessenträger, Widersprüche, Spannungsfelder für eine Organisation genau anzusehen, sie in ihrer Veränderungsdynamik im Hinblick auf Managementhandeln immer wieder neu, also kontinuierlich zu bewerten.

Kritisch wird in der Sozialen Arbeit an vielen Stellen vermerkt, im Zeitraum der letzten 15 bis 20 Jahre habe sich ein »Ökonomisierungsschub« ergeben, die Handlungslogiken der Ökonomie hätten also eine immer größere Bedeutung erlangt, seien bisweilen sogar in eine dominante Position gekommen. Abseits einer bestimmten Verwendung und normativen Deutung der Vokabel »Ökonomisierung« in der sozialpolitischen Auseinandersetzung, bei der die Relevanz wirtschaftlicher Steuerungsmechanismen politisch diskreditiert und der Stellenwert der betriebswirtschaftlichen Steuerung für Organisationen der Sozialen Arbeit in Zweifel gezogen werden soll (z. B. Brombach 2010), meint »Ökonomisierung« eine zunehmende Durchdringung der Sozialen Arbeit mit ökonomischen oder aus der Ökonomie entlehnten Handlungsrationalitäten: Kostenbewusstsein, Gewinnerzielung, Wettbewerb, Preisbildung, Konzipierung der Dienstleistungsadressaten als »Kunden« (Buestrich et al. 2008; Heinze u. Schneiders 2014), bis hin zur Ausrichtung der organisationsinternen Handlungsprogramme und der Legitimationskategorien an managementwissenschaftlichen Leitbildern (im BWL-Sinne) (»Managerialismus«; Messmer u. Schnurr 2013; Otto u. Ziegler 2015). Der Hinweis auf eine zunehmende Ökonomisierung der Sozialen Arbeit markiert dreierlei:

zum einen eine wachsende Bedeutung ökonomisch geprägter Anforderungen und Denkweisen, die aus dem Umfeld an Organisationen Sozialer Arbeit herangetragen werden und möglicherweise die Balancierungsanforderungen im Hinblick auf intensivierte Widersprüche zwischen verschiedenen Logiken verstärken (Erweiterung von Systemkomplexität),

zum anderen die Notwendigkeit, dass sich Organisationen Sozialer Arbeit sozialpolitisch stärker im Hinblick auf ökonomische Kategorien legitimieren und somit die Kommunikationsangebote in ihrem »Schaufenster« mit anderen Relevanzkategorien unterlegen;

und zum Dritten bleibt selbstverständlich die Anforderung einer kritischen Beobachtung des sozialpolitischen und kulturellen Rahmens, in den Organisationen der Sozialen Arbeit sich und ihre Leistungserstellung positionieren müssen, im Hinblick auf folgende Fragen:

–Können Balancen zwischen verschiedenen Handlungslogiken gehalten werden?

–An welchen Stellen kann eigenes sozialpolitisches Engagement der allmählichen Verschiebung von Balancen zuungunsten der Leistungsadressaten und/oder der professionellen Handlungsmaßstäbe entgegenwirken und Einfluss auf die umgreifende Systemdynamik nehmen?

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