Читать книгу Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit - Stefan Gesmann - Страница 18
2.2.1Charakteristika sozialer Dienstleistungen
ОглавлениеSoziale Dienstleistungen weisen einige Charakteristika auf, die in den Handlungsprogrammen der Organisationen zu verarbeiten sind und somit managementrelevante Rahmenbedingungen markieren (vgl. Arnold 2014a; Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 5 ff.):
•Immaterialität/Intangibilität
•Unteilbarkeit und Nichtspeicherbarkeit
•Einbeziehung des Nachfragers/Nutzers in die Dienstleistungserstellung
•Individualität
Immaterialität/Intangibilität
Die Kernleistung bei Dienstleistungen, das zwischen den Personen ablaufende eigentliche Interaktionsgeschehen, ist weder sichtbar noch greifbar. Zwar werden auch Sachleistungen als Voraussetzung zur Erbringung von Dienstleistungen einbezogen, jedoch ist das zentrale Element der Dienstleistung nicht gegenständlich. Das hat zur Folge, dass der Nachfrager sich von der angebotenen Leistung und deren Nutzen zwar eine Vorstellung macht, die Leistung jedoch vor ihrer Erstellung nicht genau kennt. Der Nutzer kann sie, anders als bei Sachgütern, nicht im Vorhinein prüfen oder von anderen prüfen lassen. Auch wenn man sich z. B. vor der Kontaktaufnahme zu einer Beratungsstelle von anderen Personen berichten lässt, die diese Beratungsstelle aufgesucht haben, weiß man nicht, ob die Erfahrungen der anderen Personen bei der eigenen, spezifischen Problems ebenfalls zutreffen werden. Bei sozialen Dienstleistungen handelt es sich um Vertrauensgüter: Es bedarf einer gewissen Zuversicht, die jeweilige Leistung in Anspruch nehmen zu wollen.
Unteilbarkeit und Nichtspeicherbarkeit
Bei sozialen Dienstleistungen fallen Produktion und Konsum zusammen, was traditionell als »Uno-actu-Prinzip« genannt wird. »Der Zeitpunkt der Leistungserstellung und der Leistungsabgabe sind bei Dienstleistungen identisch, Produktion und Konsumption erfolgen somit synchron.« (Cremer, Goldschmidt u. Höfer 2013, S. 6.) Für die meisten personenbezogenen Dienstleistungen ist die Präsenz der Kunden unerlässlich. Damit verbunden ist in der Regel die Standortgebundenheit der Dienstleistung: Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen die Distanz technisch überbrückt wird (insbesondere: Onlineberatung), ist eine Anwesenheit von Leistungserbringer und Leistungsnutzer an einem Ort erforderlich. Soziale Dienstleister müssen daher Maßnahmen ergreifen, um die räumliche Distanz zwischen dem Nachfrager und dem Anbieter zu überwinden.
Einbeziehung des Nachfragers/Nutzers in die Dienstleistungserstellung
In der Sozialen Arbeit sind die Kunden bzw. Nutzer Mitproduzenten der Dienstleistung; die Erstellung der Dienstleistung erfolgt koproduktiv. Beteiligen die Nutzer sich nicht in einem gewissen Maß aktiv, kann die Leistungserbringung nicht gelingen; sie läuft ins Leere. Eine reine Anwesenheit des Klienten und sonstige Passivität bei einer Beratung oder Therapie führt weder zu einem Beratungsprozess noch zu einem Erfolg; nur bei aktiver Beteiligung des Leistungsadressaten kommt die Dienstleistung tatsächlich zustande. Es geht also nicht nur um das Herstellen einer gewissen räumlichen Nähe, sondern insbesondere um die Überwindung einer sozialen Distanz – dies zumindest so weit, dass anknüpfungsfähige Kommunikationen entstehen, die das notwendige Maß an Koproduktionsbereitschaft aufseiten des Nutzers entstehen lassen. Da die Bereitschaft und die Fähigkeit des Leistungsadressaten zur Koproduktion nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann, bedarf es besonderer Bemühungen zur Herstellung einer Bereitschaft und Aktivierung einer koproduktiven Haltung aufseiten der »Leistungsempfänger«.
Individualität
Soziale Dienstleistungen sind nur begrenzt standardisierbar. Sie müssen variabel sein für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nachfrager und weisen daher in ihrer Ausführung individuelle Qualitäten auf. Eine »Leistung von der Stange« ist nicht möglich bzw. wenn eine solche Orientierung in einer Organisation Platz greift, wäre dies mit erheblichen Qualitätsdefiziten verbunden. Damit geht eine Unsicherheit der Nachfrager einher, ob bzw. in welcher Weise die angebotene Dienstleistung ihren Erwartungen entspricht, was wiederum auf den Faktor »Vertrauensgut« verweist. Aus der Individualität sozialer Dienstleistungen resultiert die Erfordernis, eine flexible Leistungserstellung zu ermöglichen und die weitgehende Dysfunktionalität von Standardprogrammen zu berücksichtigen.