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Eintritt in die Literatur

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Dieses Mal hatte ich ein Recht auf Schwermut. Aus den Festtagen, zu denen Landauer die dreitägige Frist in Berlin gestaltet hatte, kam ich nervenwund nach Brüssel. Zudem hatte ich im Schnellzug durch eine Erkältung mir eine geschwollene Backe geholt, und so langte ich in ziemlich kläglichem Zustand in der belgischen Hauptstadt an. Ich hatte übrigens den kuriosen Einfall, mich mit dieser geschwollenen Backe photographieren zu lassen und Annie mein lächerliches Bild zuzuschicken. Sie muß ihr hellstes Lachen angeschlagen haben, als sie die Karikatur ihres geschwollenen Freundes erblickte. Mir war wahrhaftig nicht lachhaft zumute.

Diese zwei, drei Monate in Brüssel gehören auch noch zu dem düsteren Jugendtraum, von dem mir fast kein Erinnerungsbild übriggeblieben ist. Ich wohnte draußen in St. Gilles, neben einem jungen österreichischen Unabhängigen, dem Sohn eines berühmten Staatsrechtslehrers, Dr. Ladislaus Gumplowicz. Er hat für mich Bedeutung bekommen, weil er mir geholfen hat, aus einem dunklen Phantasiereich endlich fest auf die Erde, und zwar auf die österreichische Erde, zu steigen.

An der Université Libre wirkten damals die Brüder Elisee und Elie Reclus, dann und wann tauchte auch Peter Krapotkins ehrwürdiges Haupt auf. Elisee Reclus, ein Geograph aus innerstem Beruf, war während der Kommune Direktor der Bibliothèque Nationale in Paris geworden. Als General Gallifet, der Blutige, in Paris einzog, stellte er die Brüder Reclus vor ein Kriegsgericht, das die beiden, die nichts verbrochen, als daß sie die Schätze der Nationalbibliothek in den unruhvollsten Tagen vor jeder Beschädigung bewahrt hatten, zu lebenslänglicher Deportation verurteilte. Erst als ein Schrei durch die wissenschaftliche Welt Europas ging und die Londoner Geographische Gesellschaft für Reclus intervenierte, verstand sich Thiers dazu, die Deportation in lebenslängliche Verbannung umzuwandeln. Die Brüder Reclus haben die französische Erde bis zu ihrem Tode nicht mehr betreten. Elisee Reclus hat sein grandioses Lebenswerk, neunzehn schwere Bände, die den einfachen und darum monumentalen Titel La Terre erhielten, im Exil vollendet. Seine Vorlesungen, zu denen Gelehrte aus allen Teilen der Welt strömten, waren so schlicht, daß Arbeiter und Jünglinge ihm folgen konnten. Geographie, das bedeutete ihm Geologie und Volkswirtschaft, Religionswissenschaft und Botanik, Erd- und Menschenkunde. Mit Krapotkin verband ihn ein Glaube an die natürlichen Solidaritätsinstinkte des Menschen – Gegenseitige Hilfe in der Natur heißt ja Krapotkins Hauptwerk. Die Bedeutung der beiden Geographen bestand schon damals in ihrem Widerstand gegen die Darwinschen Theorien. Es ist nicht wahr, daß immer der Stärkere siegt, ebenso merkwürdig sind auch die Siege der verbündeten Schwachen. Der Löwe ist nur in den Kinderbüchern der König der Tierwelt. Was ist dieser einsame Freibeuter neben der Bienenkönigin, der ein Staat gehorsamer Untertanen zu Füßen liegt? Reclus glaubte an die mutualistischen Kräfte, die allein kulturerzeugend sind, und deshalb haben ihn hurtige Journalisten einen Anarchisten genannt. Reclus hatte das schlichte Pathos der großen Naturen. Dabei war er ein Kind, das Opfer jeder Heilslehre. Unter anderem war er auch Vegetarier. Seine Beschützerin und Freundin, Madame de Brouckere, erzählte eines Tages lachend, wie Elisee Reclus blaß, vernichtet in ihr Zimmer stürzte und ausrief: »Meine Frau betrügt mich.« Niemand wagte ein Wort zu fragen, obwohl alle die Beschuldigung der würdigen Dame für ziemlich unwahrscheinlich hielten. Erst nach einer Pause der Beklemmung rang sich von Reclus’ Lippen die Anklage los: »Denken Sie sich, ich habe sie heute vormittag ertappt dabei, wie sie gehacktes Fleisch in meinen Spinat mischte.« Weniger Kind, ironischer und fröhlicher war sein jüngerer Bruder Elie Reclus, der an der Université Libre das merkwürdige Fach Dämonologie lehrte. Das war Geschichte der Religionsanfänge. Er erklärte die Entstehung des Gottesbegriffes aus den Angstvorstellungen der primitiven Völker, und sein Lieblingsmaterial in dem Seminar, in dem er plaudernd dozierte, waren die fratzenhaften Masken der Australneger, die er als die ersten Bilder Gottes seinen Schülern reichte. In anderen Zeiten wären diese Vorlesungen sicher fruchtbarer für mich gewesen. Es bedeutete schon viel, daß ich sie in meiner damaligen Verfassung aufnehmen konnte. Trotz Krapotkin und Reclus war ich innerlich nicht mehr in Brüssel. Wie ich zuletzt in Paris mit meinem lieben Huber eigentlich nur von Gesprächen über Österreich lebte und zehrte, so war ich jetzt in Brüssel den Unterhaltungen mit Gumplowicz verfallen, und das Um und Auf unserer Gespräche war Österreich, Wien, die Absage an den Anarchismus, das Aufgehen in einer breiten, alle Strömungen umfassenden sozialistischen Bewegung, die Flucht aus der Sekte. Die Meldungen aus Wien, die wir in den belgischen Zeitungen lasen, wurden immer dramatischer. Belgien selbst hatte damals ganz ähnliche politische Kämpfe durchgemacht wie Österreich. Eine mächtige klerikale Regierung wurde von einer immer kühneren Arbeiterbewegung angerannt. Hier wie dort spukte der Generalstreikgedanke, und das eigentliche Schlagwort in Österreich war damals: »Wir müssen belgisch reden.« (Immer hat der Österreicher nach einem Vorbild reden müssen, russisch reden, preußisch reden, belgisch reden, und dabei war die Volksbewegung in Österreich so grundecht und natürlich, daß sie es nicht nötig hatte, sich nach Vorbildern umzusehen.) Die österreichische Wahlrechtsbewegung jagte Ministerium auf Ministerium weg. Eine ungenügende Reform folgte der anderen. Dem Kokettieren mit den Arbeiterführern folgten unvermittelt Polizeiattacken, Straßenschlachten, unernste Versuche der toleranten Österreicher, Bismarcks Blut- und Eisenherrschaft zu imitieren. Nicht der Kahlenberg und nicht die Seen des Salzkammergutes riefen mich in meine Heimat, sondern die großen politischen Kämpfe, bei denen ich nicht abseits stehen wollte. Beiläufig gesagt, die Jugend wird nie durch lyrische Gedichte, sondern nur durch dramatische Kämpfe heimatbewußt.

Eines Tages kam ein Ruf aus Wien. Nicht der, den ich mir unbewußt gewünscht hatte, aber immerhin ein Ruf aus Wien. Ein alter weißhaariger Freund, den ich, ich weiß nicht wie, gewonnen hatte – ich habe ja in meinem Leben immer wieder unverhofft ohne Werbung und vielleicht auch ohne Verdienst Freunde gefunden, die mir gerade dann die Hand reichten, wenn ich es am wenigsten erwartete –, der Schriftsteller Gustav Schönaich, bot mir eine Stellung an. Ein junger Kunstliebhaber hatte eine Halbmonatsschrift gegründet, die Wiener Rundschau. Er selber war von einer etwas hochmütigen Sterilität. Er wollte alle zwei, drei Monate ein formglattes Gedicht veröffentlichen, und die Zeitschrift sollte dieses Produkt würdig umrahmen. Zum Redakteur hatte er sich meinen greisen Freund Gustav Schönaich ausgesucht, weiß Gott warum. Schönaich war einer der liebenswürdigsten Bonvivants, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Er war ein begeisterter Esser und ein bedeutender kulinarischer Sachverständiger, den man sich bei Gründung einer hervorragenden Küche unbedingt hätte engagieren müssen. Der dicke, schmunzelnde, übrigens auch sehr kunstverständige Mann, verwandt mit Richard Wagner, an den ihn kostbare Jugenderinnerungen knüpften, war ein Lebensgenießer, wie man ihn selbst im damaligen Wien selten finden konnte. Es war ihm gelungen, sein Leben lang eigentlich fast nichts zu tun, als gut zu essen und ausgezeichnet Klavier zu spielen. Warum er eine moderne Zeitschrift leiten sollte, das wußte er selbst nicht ganz genau. Vielleicht deshalb, weil sein Bruder ein berühmter General und später österreichischer Kriegsminister gewesen ist. Sicher machte der dicke, weißhaarige Herr gute Figur. Nun handelte es sich für ihn darum, jemand zu finden, der die Arbeit für ihn besorgte, und in dieser Situation bewog er den Herausgeber, mich nach Wien zu rufen. Ich flog nach Hause.

Die Redaktion der Wiener Rundschau war in der Spiegelgasse, ganz nahe dem Stephansturm, wo Grillparzer, der arme Spielmann, gelebt hatte. Ich war bereit und fähig, dem reichen Herrn eine literarische Tafel herzurichten, wie er sie sich nicht erträumt hatte. In der Wiener Rundschau sind fast die ersten, jedenfalls die bedeutendsten Jugendgedichte Hofmannsthals erschienen, hier begann Karl Kraus die Wiener Literatur zu demolieren, vor allem: von hier aus hat Peter Altenberg seinen Weg genommen. Daneben setzte ich den Wienern die besten Primeurs der französischen Literatur vor, und mitten in diesem schönen Salat servierte dann der Herausgeber F. R. seinen kleinen Kaktus. Zum erstenmal in meinem Leben empfing ich ein auskömmliches Monatsgehalt. Die Redaktionskonferenzen mit dem guten, schönen Schönaich wurden im »Grünen Anker«, einem gemütlichen italienischen Restaurant, und dann und wann sogar bei Sacher abgehalten. Unser Chef war so zufrieden mit uns, daß er sich zuweilen entschloß, uns ein oder das andere seiner Gedichte vorzulesen. Meistens geschah das nach der Redaktionskonferenz im »Grünen Anker«. Mein guter, dikker Freund war nach dem Essen immer sehr müde, der Kopf sank ihm auf seinen Falstaffbauch, und er schloß die Augen. Ich zitterte, daß mitten während der Sonette, die unser Chef mit leise vibrierender Stimme vorlas, plötzlich ein grunzendes Schnarchen Schönaichs laut werden könnte. Ich mußte den schläfrigen Freund schon ordentlich in die Seite zwicken, um ihn wach zu halten. Mit einem Ruck setzte er sich dann mühsam wieder in Positur und konnte, ohne daß er eine Zeile gehört hatte, mit einer Liebenswürdigkeit, die nur ein Wiener Falstaff aufbringen konnte, ein exquisites Kompliment für den armen Narren von Autor drechseln. Wäre nur Schönaich allein mein Partner gewesen, mit diesem liebenswürdigen Zyniker hätte ich jahrelang verbunden bleiben können. Aber unser Verhältnis zu dem dekadenten Chef wurde doch immer eisiger, je mehr er uns in sein Schaffen einzuweihen versuchte. Schönaich hatte eine verblüffende Schamlosigkeit, ihm Komplimente ins Gesicht zu sagen, von denen er nicht eine halbe Silbe glaubte. Aber dann und wann konnte der Alte sich nicht enthalten und brach, nachdem er ein düsteres Sonett mit ungeheurer Anstrengung und todernstem Gesicht angehört hatte, unvermittelt in ein so unbändiges Gelächter aus, daß der mißtrauische Dichter mehr als erstaunt aufblickte. Noch wollte er die Situation nicht verstehen. Mit allem Zynismus des guten Schönaich war die Situation nach einem Jahr doch unhaltbar geworden. Schönaich konnte, obwohl er für blankes Geld manches zu tun entschlossen war, die düsteren Sonette unseres Chefs doch nicht mehr ohne plötzliches Kichern anhören, und ich war noch nicht alt genug, um so zynisch zu sein, wie die Situation es erforderte. Das Nichtsals-nur-Ästhetische war mir unerträglich langweilig geworden, ich mußte aus dieser Affenkomödie ausspringen. Schließlich war ich nicht nach Wien gekommen, die faden Terzinen eines dilettierenden Millionärssohnes anzuhören.

Ich war begeistert

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